Kinder, Kinder
Verwirrt schaue ich auf das Display meines Handys, doch die angezeigte Nummer ist mir unbekannt.
"Hallo?" nehme ich das Gespräch entgegen.
"Mia?" tönt eine männliche Stimme durch die Leitung.
"Ja, bin dran. Wer ist denn da?" will ich wissen.
"Ich bin's, Pascal."
"Ist was passiert?" frage ich erschreckt und schaue Alex hilflos an.
"Nein. Alles ist gut." versichert er mir. "Aber bei Mara haben die Wehen eingesetzt und wir sind ins Krankenhaus gefahren."
"Aber...aber... wieso? Ich meine...aber...oh mein Gott!" stottere ich aufgeregt vor mich hin.
"Mia, was ist denn?" fragt Alex mit weit aufgerissenen Augen, doch bedeute ich ihr still zu sein.
"Mia? Bist du noch dran?" fragt Pascal nach, als ich nicht auf seine Frage antworte.
"Ja, bin ich. Was hast du gesagt?" will ich wissen.
"Ob du mit dem Zug kommen kannst? Ich kann dich nicht abholen."
"Sicher. Ja, also, mit dem Zug. Natürlich. Ich...soll ich gleich ins Krankenhaus kommen, oder nach Hause fahren?" bringe ich aufgeregt heraus.
"Das musst du wissen. Aber die Hebamme meint, dass wir wohl noch Zeit haben. Die erste Geburt dauert manchmal etwas länger." erklärt er ruhig.
"Ich fahr gleich los! Also sofort! Ich will zu euch kommen, ins Krankenhaus. Hoffentlich komm ich noch rechtzeitig!" sage ich aufgeregt und bin schon auf dem Weg in mein Zimmer. Alex mir auf den Fersen. Sie macht ständig irgendwelche Zeichen mit der Hand, weil sie mir unbedingt was sagen will, aber um ihr Beachtung zu schenken, dafür bin ich viel zu kribbelig.
Ich höre, wie Pascal ein nachdenkliches "Hmm." von sich gibt, doch dann stimmt er zu.
"Also gut. Aber du musst mir versprechen vorsichtig zu sein. Du klingst so aufgeregt. Nicht das noch etwas passiert. Hörst du?"
"Ich pass schon auf. Drück Mum von mir, ja? Wir sehen uns dann nachher."
"Mach ich Schatz...."
Pascal sagt noch irgendwas, aber das höre ich nicht mehr, denn schon habe ich aufgelegt.
Hektisch renne ich durch mein Zimmer und schmeiße alle möglichen Sachen in meinen Rucksack, bis Alex mich aufhält.
"Mia! Beruhige dich!" fordert sie bestimmt, ist aber mindestens so aufgeregt wie ich:
"Wann fährt der nächste Zug? Und wo ist mein Portemonnaie?" brabbel ich nachdenklich vor mich hin ohne sie zu beachten, während ich eine Hose und einen Pullover in meinen Rucksack stopfe.
"Hallo?! Erde an Mia!" versucht Alex ihr Glück nochmal. "Du weißt schon, dass Ian dich heute nach Hause bringen wollte, oder? Es ist Valentinstag. Schon vergessen?"
"Was? Valentinstag? Heute?" verwirrt bleibe ich tatsächlich einen Moment stehen. "Aber dann..."
So ein Mist. Ich hatte doch etwas geplant für diesen Tag und ich weiß, dass auch Ian noch eine Überraschung für mich hat, von der ich noch immer nicht weiß, was es ist. Naja, sonst wär es wohl auch keine Überraschung.
Aber meine Schwester geht vor. Oh Gott! Ich bekomme eine Schwester! Heute!
"Alex wir bekommen ein Baby!" bringe ich erregt heraus.
"Ich weiß Mia. Das hab ich schon verstanden. Aber hast du mir überhaupt zugehört?" fragt sie grinsend.
"Natürlich....Äh was?"
Sie schüttelt übers ganze Gesicht grinsend den Kopf. "Oh, oh, oh." sie fast mich an den Schultern und hält mich kurzerhand fest, dann sagt sie langsam und deutlich, so dass ich auch jedes Wort verstehen kann. "Du packst jetzt deine Sachen und ich sage Ian Bescheid, damit er dich fahren kann. Für solche Fälle gibt es bestimmt eine Sonderregellung in der Schulordnung, damit ihr entschuldigt seid. Und dann gehe ich ins Büro und sage Frau Wolf, wo ihr seid. Verstanden?" forschend schaut sie mich an und wartet auf meine Reaktion, doch erst als ich zustimmend nicke lässt sie mich allein.
Sachen packen. Valentinstag. Charlie. Krankenhaus. Sachen packen. Charlie. Krankenhaus. Valentinstag... geistern die Worte durch meinen Kopf.
Doch plötzlich bleibe ich wie erstarrt stehen. Valentinstag. Mein Geschenk für Ian. Wo hab ich das denn gelassen. Brauche ich das denn überhaupt? Was ist, wenn die Geburt tatsächlich länger dauert und wir heute Nacht noch immer im Krankenhaus sind?
Krampfhaft versuche ich mich zusammen zu reißen und atme mehrere Male tief ein und aus um mich zu beruhigen.
Mein Geschenk für Ian liegt in einer Tüte im Kleiderschrank. Soviel weiß ich. Also hole ich es hervor und stecke es zu meinen anderen Sachen in den Rucksack. Ich weiß zwar nicht, ob ich es heute noch gebrauchen kann, aber besser ich habe es dabei, nur für den Fall.
Als ich endlich alles beisammen habe, stehe ich unschlüssig da und starre auf die Tür.
Worauf warte ich denn noch? Wollte ich nicht zum Bahnhof? Da war doch noch was.
Doch erst als besagte Tür aufgeht und Ian lächelnd vor mir steht fällt es mir wieder ein.
Richtig. Er wollte ja mitkommen. Oder doch nicht?
Mara ist im Krankenhaus. Und Pascal auch. Auch ich werde ins Krankenhaus gehen. Will er da überhaupt hin?
"Na, hast du alles?" will er wissen.
"Kannst du mich ins Krankenhaus bringen?" platze ich los. "Mara hat Wehen. Und ich bekomm ein Baby."
"Das wüsste ich aber?" lachend kommt er auf mich zu und nimmt mir den Rucksack ab.
"Nein! Wirklich!" verwirrt schaue ich ihn an. Warum glaubt er mir denn nicht. Er weiß doch das Mara schwanger ist.
"Ganz ruhig Engelchen. Natürlich fahr ich dich. So Kopflos wie du bist, könnte es sonst tatsächlich noch passieren, das du ein Kind bekommst." spottet er.
Ich? Wieso sollte ich ein Kind kriegen?
Verständnislos schaue ich ihn an, lasse mich dann aber von ihm aus dem Zimmer ziehen.
"Ich bekomm kein Kind." sage ich stirnrunzelnd.
"Das weiß ich doch. Mara bekommt das Kind und du bist so verwirrt, das du schon nicht mehr weißt, was du sagst." sagt er beruhigend. "Entspann dich Mia. Du bist ja völlig durch den Wind."
Seufzend atme ich aus. Ich bin wirklich ziemlich nervös. Meine Hände sind ganz Zittrig, genauso wie meine Knie.
Inzwischen sind wir an seinem Auto angekommen und er hält mir zuvorkommend die Tür auf, dann verstaut er meinen Rucksack und seine Tasche im Auto. Ebenso ein eingehülltes Kleidungsstück, das er über den Arm gelegt hatte. Was das wohl ist? Wundere ich mich kurz, während ich mit zitternden Fingern versuche mich anzuschnallen.
Doch als Ian zu mir ins Auto steigt, habe ich es noch immer nicht geschafft, so dass er mir kurzerhand dabei hilft.
Beruhigend streicht er mir übers Bein. "Mach dir keine Sorgen. Wir kommen schon noch rechtzeitig. Es ist doch erst halb zwölf."
"Aber wir fahren doch fast drei Stunden. Was ist, wenn das Baby bis dahin da ist?" frage ich beunruhigt.
"Dann solltest du dich für Mara freuen, dass sie nicht so lange leiden musste, oder hast du es dir anders überlegt?" will er wissen. Doch als er meinen verständnislosen Blick sieht präzisiert er seine Frage. "Willst du doch bei der Geburt dabei sein?"
"Ohhh, nein!" sage ich schnell. "Bloß nicht!"
"Na siehst du. Also kein Grund zur Sorge." versichert er mir beruhigend und tatsächlich legt sich meine Anspannung ein wenig.
Dankbar drücke ich seine Hand, bevor er nochmal aus dem Wagen steigt, um die Garage zu schließen.
"Bereit?" fragt er mit einem zuversichtlichen lächeln.
"Nicht wirklich." nachdenklich schaue ich aus dem Fenster und sehe, wie der Wald an uns vorüber zieht, doch bald lassen wir ihn hinter uns und gelangen auf die etwas breitere Schnellstraße.
"Meinst du es wird alles gut gehen?" will ich nach einer Weile leise wissen.
"Bestimmt. Mara ist doch in guten Händen. Wenn irgendetwas nicht nach Plan laufen sollte, sind doch genug Ärzte da, um ihr zu helfen." zuversichtlich streichelt er meine Hand, dann hebt er sie an seine Lippen. "Alles wird gut, Engelchen. Du wirst schon sehen." spricht er mir Mut zu.
"Hoffentlich hast du recht." murmele ich leise und mehr zu mir selbst.
Ob Mara wohl schon richtige Wehen hat? Wie es ihr wohl geht? Hoffentlich hat sie nicht zu starke Schmerzen. Ich könnte es nicht ertragen, im Krankenhaus anzukommen und ihr Schreie durch die Flure hallen zu hören.
Nervös fahre ich mir mit der Hand durch die Haare dann puste ich mir eine der Strähnen aus der Stirn, die mich an der Nase kitzelt.
Inzwischen hat es angefangen zu regnen und der Himmel ist abwechselnd schwarz und weiß. Ob es wohl schneien wird? Bitte nicht. Die Straßen sind auch so schon rutschig genug. Nicht das wir noch in einen Stau geraten, weil irgend so ein Idiot einen Unfall baut.
Nicht das wir noch einen Unfall haben. Besorgt schaue ich auf den dichten Verkehr, der sich zügig die Autobahn entlang bewegt.
Plötzlich leuchten die Rücklichter unseres Vordermans auf und jagen mir einen riesen Schrecken ein, doch es ist nichts. Schon im nächsten Augenblick erlöschen sie wieder.
Ganz ruhig. Nicht hysterisch werden, Mia!
Versuche ich mich selbst zu beruhigen. Alles ist gut.
Doch als das Auto neben uns immer dichter kommt und uns beinahe in die Seite fährt, schreie ich erschreckt auf.
"Ian pass auf!"
Sofort verringert er die Geschwindigkeit und betätigt die Hupe, um diesen Idioten auf uns aufmerksam zu machen.
Ich sehe die vor Schreck weit aufgerissenen Augen unseres Nebenmannes, als er uns bemerkt und abrupt den Wagen auf seine Spur zurück lenkt. Er gerät bedenklich ins Schlingern, doch dann hat er sein Auto wieder im Griff und fällt zurück. Gott sei Dank!
"Das war ganzschön knapp!" seufzt Ian erleichtert und lockert seine verkrampften Finger.
Das Adrenalin rauscht durch meine Adern und lässt meine Hände zittern. Und ein ungutes Gefühl macht sich in mir breit.
"Wie lange fahren wir noch?" frage ich verunsichert und schaue auf die Uhr beim Radio. Es ist schon kurz vor Zwei.
"Nicht mehr lange. Die nächste Abfahrt müssen wir raus." Er wirft mir einen schnellen Blick zu, dann verringert er die Geschwindigkeit und fährt auf die rechte Spur.
Jetzt wo wir nicht mehr so schnell sind und sich auch die Verkehrsdichte etwas aufgelöst hat, legt Ian beruhigend seine Hand auf mein Bein.
"Was hast du denn?" fragt er mit verengten Augen. "Du bist ganz blass."
"Ich weiß auch nicht. Nur so ein komisches Gefühl. Als würde irgendwas passieren." versuche ich meine Unruhe zu erklären. "Hoffentlich geht es Mara und dem Baby gut."
"Bestimmt Mia. Wenn was wäre, würde Pascal doch anrufen." beruhigt Ian mich, doch dieses ungute Gefühl geht nicht weg.
"Schau mal Mia. Da ist schon das Krankenhaus." Ian deutet mit einer Hand auf ein großes Gebäude auf der linken Seite. Dann fährt er in ein Parkhaus.
"Komm." drängele ich nervös, als Ian noch sein Telefon aus der Halterung nimmt und den Wagen verschließt. Unruhig zappele ich von einem Bein auf das andere und bin unheimlich erleichtert, als er endlich fertig ist.
Zügigen Schrittet schleife ich ihn hinter mir her zum Eingang. In der großen Halle, ist einiges los. Überall sitzen, gehen oder Stehen Patienten, Ärzte, Pfleger oder Besucher. Doch an der Information ist alles leer.
"Entschuldigung?" wende ich mich an den Herren hinter dem Schalter. "Wo finde ich denn die Entbindungsstation?"
"Im dritten Stock. Sie müssen bei der Glastür links vom Fahrstuhl Klingeln." erklärt er freundlich.
"Danke! Komm Ian. Wir müssen nach oben." Suchend blicke ich mich nach den Fahrstühlen um, doch Ian hat sie schon gesehen und dirigiert mich in die richtige Richtung.
Vor der Tür im dritten Stock warten wir eine Ewigkeit, nachdem ich geklingelt habe. Zumindest kommt es mir so vor, doch dann wird endlich die Tür geöffnet.
"Ja, Bitte?"
"Wir wollen bitte zu Mara Mendéres. Sie müsste in einem der Kreißsäle sein." setzt Ian zu einer Erklärung an, doch als ich an der Krankenschwester vorbei in den breiten Gang schaue, sehe ich Mara und Pascal im Flur stehen.
"Mama!" rufe ich erleichtert aus und dränge mich an der Frau vorbei, um mich in ihre Arme zu werfen. Doch als ich vor ihr stehe, bremse ich abrupt ab, als ich ihr schmerzverzerrtes Gesicht sehe.
"Wie geht es dir?" will ich wissen und streiche ihr mitfühlend über den Arm.
"Ganz gut. Ich hab nur gerade eine Wehe." sagt sie stöhnend und atmet gepresst aus und verzieht schmerzvoll das Gesicht.
"Tu doch was Pascal." flehe ich ihn an, doch er lächelt mich nur beruhigend an und nimmt mich in den Arm.
"Es ist alles gut Mia. Gleich wird es Mara wieder besser gehen, wenn die Wehe vorbei ist." versichert er mir und reicht Ian zur Begrüßung die Hand.
"Hallo Ian. Danke, das du Mia hergebracht hast."
"War doch selbstverständlich. Ich wollte ja sowieso übers Wochenende mit herkommen. Und außerdem hätte ich Mia niemals allein gehen lassen können, so neben sich wie sie war."
Während sich die Männer unterhalten starre ich gebannt auf meine Mutter, die mich ebenso zuversichtlich anlächelt wie mein Vater, aber sie sieht auch erschöpft aus.
Mir kommt es wie eine Ewigkeit vor, bis die Wehe vorbei ist, doch dann ist es endlich soweit. Langsam entspannen sich Maras Züge und ihre Atmung wird ruhiger.
Und endlich kann ich sie in den Arm nehmen.
"Hallo Schatz." sagt sie leise und streicht mir mitfühlend übers Haar. "Schön das du da bist."
Langsam gehen wir in eines der Zimmer und sie setzt sich auf das Bett. Nun bin ich doch im Kreissaal, dabei wollte ich doch gar nicht hier hin.
Erstaunt schaue ich mich um. Das Zimmer sieht gar nicht so aus, wie ich es mir vorgestellt habe. Alles sieht sehr gemütlich und einladend aus und von irgendwoher erklingt leise Musik. Fast wie in unserem Wohnzimmer zuhause.
Nur das es hier auch ein Bett gibt. Es ist ziemlich Breit, so das auch leicht zwei Personen hineinpassen würden. Die Wände des Zimmers sind in einem warmen Rotton gestrichen mit kleinen cremefarbenen Akzenten. Es gibt eine Wickelkommode mit einem Heizstrahler und ein großes Waschbecken und auf einem Tisch stehen Blumen. Gleich daneben eine Flasche Wasser und mehrere Gläser.
"Schenkst du mir mal was zu trinken ein?" bittet mich Mara.
"Sicher." eilig bringe ich ihr ein Glas.
Doch kaum hat sie es geleert, stöhnt sie leise auf und stellt sich vor das Bett um sich mit den Händen abzustützen.
"Schon wieder?!" frage ich erstaunt, doch statt einer Antwort nickt sie nur stumm und beginnt langsam tief ein und aus zu atmen. Die Arme.
Verkrampft stehe ich neben ihr und schaue sie an. Auch Pascal kommt zu uns.
"Soll ich dir den Rücken massieren?" fragt er mitfühlend und Mara nickt. Doch ich halte es hier drin nicht mehr aus.
"Ich... kann ich draußen warten?" frage ich zwar, weiche aber schon Stücken für Stücken zurück.
"Natürlich." sagt Pascal, ist aber vollauf damit beschäftigt sich um Mara zu kümmern. Gut so! Auf dem Gang lasse ich mich ein klein wenig erleichtert aber auch ziemlich mitgenommen in Ians Arme sinken.
Tröstend streichelt er mir den Rücken und drückt mir einen Kuss aufs Haar.
"Siehst du es geht ihr gut." sagt er tröstend, was ihm von mir einen bösen Blick einbringt.
"Das nennst du gut!" blaffe ich ihn an, doch schon im nächsten Moment tut es mir leid.
"Entschuldige, ich bin nicht ich selbst." sage ich betrübt.
"Ich schon gut. Ich versteh das. Ich glaub, wenn Page ein Kind bekommen würde, wäre ich auch ein wenig... naja... " lächelnd sieht er auf mich hinab.
"Wollen wir mal schauen, ob wir irgendwo einen Kaffee auftreiben können?" schlägt er vor.
"Au ja. Und vielleicht eine Tafel Schokolade oder Zwei." schwärme ich erleichtert.
"Dann komm. Schauen wir mal was wir finden um deine Nerven zu beruhigen." lächelnd nimmt er mich bei der Hand und zieht mich zurück zum Fahrstuhl.
Schon seit einer Stunde sitzen wir jetzt vor Maras Zimmer. Der Kaffee ist längst alle, ebenso die Schokolade und noch immer hat sich nichts getan.
Doch gerade geht die Tür auf und Pascal kommt zu uns heraus.
"Wie geht es ihr?" frage ich sofort, als er sich seufzend neben mich setzt.
"Ganz gut soweit. Aber weil sich irgendwie nichts tut, wollen sie sie noch mal an den Wehenschreiber anschließen. Um zu sehen, wie es der kleinen geht und wie effizient die Wehen sind. Das dauert etwas." erklärt er erschöpft.
Nach fünf Minuten kommt eine Krankenschwester und Pascal kehrt ins Zimmer zurück. Aber nur wenige Augenblicke später kommt sie wieder heraus und geht in ein anderes Zimmer.
Als sich die Tür nur zwei Minuten später wieder öffnet und die selbe Krankenschwester mit einem Arzt im Schlepptau in das Zimmer meiner Mutter geht bekomme ich Angst.
Was geht da vor.
Die Schwester taucht wieder auf, der Arzt nicht, dafür kommen weiter Ärzte und alles wird irgendwie hektisch und dann wird Mara samt Bett aus dem Raum geschoben.
"Mama? Was ist los?" will ich wissen und springe auf.
"Die Herztöne sind nicht so wie sie sein sollten. Sie machen einen Notkaiserschnitt." teilt Pascal mir kurz mit, bevor er Mara hinterher eilt. Auch ich renne ihr nach, doch als wir vor dem Op ankommen, kommen wir nicht weiter.
"Tut mir leid, aber hier dürfen sie nicht mit rein." sagt die Krankenschwester mitleidig und schließt die Tür vor unserer Nase.
Nein! Ich will zu meiner Mum! Hilflos und den Tränen nahe sehe ich Ian an, dann beginnen die Tränen zu laufen. Schluchzend werfe ich mich in seine Arme.
"Ich habs gewusst!" heule ich verzweifelt. "Ich wusste, dass etwas passiert!"
"Sch... ist ja gut, Schatz." tröstet mich Pascal, der auch nicht mit in den OP durfte und streichelt mir den Rücken.
"Es wird schon alles gut." versucht er mich zu beruhigen, aber an seinem angespannten Gesicht kann ich sehen, das er sich auch Sorgen macht.
Zehn Minuten vergehen, die sich wie Stunden anfühlen, dann geht die Tür zum OP wieder auf und eine lächelnde Frau kommt mit einem Bündel auf dem Arm heraus.
"Gehören sie zu Frau Menderés?" fragt sie freundlich.
"Ja!" rufe ich mit tränenerstickter Stimme aus. "Wie geht es ihr?"
"Der Chirurg muss die Wunde noch verschließen, aber ich dachte, sie wollen vielleicht schon mal diese kleine Maus hier begrüßen." vorsichtig beginnt sie die Hüllen auseinander zuschlagen und zum Vorschein kommt ein kleines, zerknautschtest Gesicht.
Die Augen sind geschlossen aber die kleinen roten Lippen bewegen sich, als würden sie nach etwas suchen.
"Ist das... Ist das meine Schwester?" frage ich erstaunt.
"Ja. Möchtest du sie halten?" fragt die Schwester lächelnd. Als ich nicke bedeutet sie mir mich auf eine Stuhl zu setzten, dann legt sie sie mir in die Arme.
"Du musst immer gut auf den Kopf aufpassen. " erklärt sie mir und ich schiebe meine Hand an die Stelle, die sie mir zeigt, dann lässt sie uns allein.
Staunend starre ich auf das winzige Wesen in meinem Arm. Auch Pascal und Ian schauen fasziniert auf diesen perfekten kleinen Menschen. Meine Schwester.
"Hallo Charlie." flüstere ich bewegt und streiche ihr mit einem Finger über die Wange. "Sie ist so klein!" staune ich.
"So klein warst du auch mal." sagt Pascal mit belegter Stimme und lächelt mich liebevoll an.
Bewundernd schaue ich mir meine Schwester genauer an. Ihre kleine Stupsnase, die dunklen, fast schwarzen Haaren, von denen sie schon eine ganze Menge auf dem zierlichen Köpfchen hat. Die langen Wimpern, die winzigen Ohren, die noch ein klein wenig zerknittert sind. Und auch die winzigen Hände.
Als ich ihr behutsam über die Hand streiche, öffnet sie die winzigen Finger, doch als ich ihr mit dem Zeigefinger leicht über die Handinnenfläche streiche, schließt sie sie wieder und hält mich fest.
Erstaunt, über die Kraft, die sie hat schaue ich Pascal mit großen Augen an, der mich mit liebevoll, aber auch sehnsüchtig beobachtet.
"Möchtest du sie auch mal halten?" frage ich bedauernd. Eigentlich möchte ich sie nicht hergeben, aber naja...
Lächelnd nimmt er sie mir vorsichtig ab, dann stehe ich auf um ihm den Platz zu überlassen und kuschele mich an meinen Freund.
"Sie ist wunderschön, oder?" flüstere ich ihm ehrfürchtig über die Schulter zu und drehe den Kopf, damit ich ihn ansehen kann.
"Ja, Engelchen. Sie ist einfach perfekt. Genau wie du." zärtlich zieht er mich dichter an seine Brust und gibt mir einen Kuss. Verzückt lächelnd schmiege ich mich mit dem Rücken an ihn, kann den Blick aber nicht lange von unserer kleinen Prinzessin wenden. Viel zu groß ist die Angst, sie könnte plötzlich einfach verschwinden.
Doch umso länger wir hier stehen und warten, desto mehr wird mir bewußt, dass unsere Familie nicht vollständig ist.
"Was glaubst du wie lange es noch dauert, bis Mum aus dem Op kommt?" wende ich mich an meinen Pa, dessen Blick genau wie meiner immer wieder zwischen der Kleinen und der Tür neben uns, hin und her huscht.
"Ich weiß nicht, aber eigentlich dürfte es nicht mehr lange dauern." konzentriert schaut er auf die Tür, ganz so, als könnte er sie, kraft seiner Gedanken dazu bringen, sich zu öffnen. Und tatsächlich scheint es so zu sein, denn genau in dem Moment wird die breite Tür zur Seite geschoben.
"Ihrer Frau geht es soweit gut." teilt uns der Arzt mit, der aus dem OP gekommen ist. "Alles ist so verlaufen, wie wir es erwartet haben. Es gab keinerlei Komplikationen. Sie wird jetzt in den Kreissaal zurückgebracht, wo sie ganz in Ruhe aufwachen kann. Herzlichen Glückwunsch ihnen Allen." wünscht er uns, doch bevor er geht wirft er auch noch einen Blick auf Charlie.
Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen lässt er uns allein, doch kaum ist er weg, wird Mara in ihrem Bett aus dem OP geschoben. Gemeinsam kehren wir in das Zimmer zurück, wo Charlie eigentlich zur Welt kommen sollte. Aber das ist egal. Hauptsache es geht ihr gut.
Während die Hebamme Charlie aus ihrer Handtuchhülle schält und sie sich noch einmal ausgiebig anschaut und dann Badet, sitzt Pascal bei Mara am Bett und hält ihre Hand. Ein paar Mal hat sie schon die Augen geöffnet und irgendwas vor sich hin genuschelt, ist aber immer wieder eingeschlafen.
Doch gerade als die Hebamme mit ihrer Arbeit fertig und Charlie leise grunzend in eine Decke gewickelt in meinen Armen liegt, schlägt sie erneut die Augen auf.
Und diesmal scheint sie tatsächlich wach zu sein.
"Wie geht es dir Schatz?" fragt Pascal besorgt. Doch sie geht nicht auf seine Frage ein.
"Wo ist unsere Kleine? Geht es ihr gut?" suchend schaut sie durch den Raum.
"Ja, es geht ihr gut. Mia kümmert sich um sie."
Als ich merke, das Mara wach ist, gehe ich vorsichtig zu ihr hinüber und lege Charlie in ihre Arme.
"Hier ist sie Mum. Sie ist so wunderschön." sage ich ehrfürchtig und streiche der Kleinen vorsichtig über den Kopf.
"Ja, das ist sie." stimmt sie mit belegter Stimme zu und wischt sich eine Träne aus den Augen. Dann nimmt auch sie den neuen Erdenbürger genauestens unter die Lupe. Allerdings ist sie von der Narkose noch ziemlich mitgenommen, so dass ihr nach einiger Zeit die Augen zufallen. Vorsichtig nimmt Pascal ihr Charlie ab und setzt sich mit ihr in einen Sessel. Um Mara in Ruhe schlafen zu lassen.
Jetzt wo ich gesehen habe, dass es Mara den Umständen entsprechend gut geht, bin ich ganz schön erleichtert und irgendwie auch ganz schön erschöpft.
"Wollt ihr nicht nach Hause fahren?" fragt Pascal nach einiger Zeit. "Du sieht aus, als könntest du eine Pause vertragen Mia."
"Nein. Ich kann dich doch nicht hier alleine lassen." wehre ich ab, dabei wäre ich jetzt liebend gern ein wenig mit Ian allein. Ein wenig Ruhe, um all das hier zu verkraften täte mir wirklich nicht schlecht.
"Ich bin doch gar nicht allein. Ich hab doch Charlie und Mara. Außerdem bleibe ich die nächsten zwei Tage ohnehin hier. Wir haben ein Familienzimmer."
"Familienzimmer?" verständnislos blicke ich ihn an. "Was ist denn das?"
"So etwas wie eine Einzimmerwohnung." sagt Pascal schmunzelnd. "Nur das die Küche und das Bad fehlen, dafür steht aber ein zweites Bett mit drin, so dass ich auch hier schlafen kann." erklärt er mir.
"Dann kommst du heute gar nicht mehr nach Hause?" staune ich.
"Nein. Du hast das ganze Haus für dich." sagt er und zwinkert mir zu. "Aber mach keine Dummheiten. Nicht das ich am Montag nach Hause komme und das ganze Haus auf dem Kopf steht." vergnügt lacht er auf.
"Ha, ha." sage ich sarkastisch, muss aber auch ein wenig grinsen. "Na gut." stimme ich schließlich zu. "Aber wir kommen morgen wieder. "
Zum Abschied gebe ich Charlie einen leichten Kuss auf die Stirn, auch Mara küsse ich vorsichtig dorthin, bevor ich mit Ian das Krankenhaus verlasse.
Es ist bereits kurz vor fünf, als Ian seinen kleinen blauen Flitzer in unserer Einfahrt parkt.
Einladend halte ich ihm die Haustürauf.
"Willkommen in meinen vier Wänden." sage ich glücklich und führe ihn durch die Räume.
"Hübsch habt ihr es hier."
"Ich weiß, es ist nicht so groß wie bei euch, aber für uns reichts." sage ich verlegen.
"Mia." tadelt er mich ein wenig."Es ist doch völlig egal, wie groß das Haus ist. Viel wichtiger ist doch, wer darin wohnt. Und hier wohnt zufällig das hübscheste Mädchen auf der ganzen Welt, da könnte das Haus auch ein Mauseloch sein und es wäre noch immer der schönste Ort, den es gibt." versichert er mir und nimmt mich in den Arm.
"Sag mal, meinst du, du bist Fit genug um heute Abend mit mir auszugehen?" fragt er nachdenklich?
"Wieso? Was hast du denn vor?" frage ich neugierig.
"Ach nichts besonderes. Aber falls du nach der ganzen Aufregung heute vielleicht zu Müde bist, können wir ja auch Morgen was unternehmen."
Irgendwie bin ich zwar schon ein wenig erschöpft, aber die Geburt und meine Schwester haben mich irgendwie in eine zärtliche und ziemlich kuschelbedürftige Stimmung versetzt, so dass ich mit nichts sehnlicher Wünsche als mit Ian zusammen zu sein. Und ein netter Abend zu zweit wäre jetzt genau das richtige.
"Nein, ich bin nicht zu müde." versichere ich ihm.
"Gut." sagt er erleichtert. "Meinst du, du bist in eineinhalb Stunden fertig?"
"Fertig womit?" frage ich verwirrt.
"Mit umziehen." lächelnd streicht er sich durch die Haare. "Warte ich hol es mal."
Zügigen Schrittes verlässt er das Haus und kommt kurz darauf mit der Kleiderhülle zurück.
"Wo ist das Badezimmer?" will er wissen.
"Es gibt zwei. Eines Oben und eines hier." stirnrunzelnd deute ich auf die Tür hir unten im Erdgeschoss.
"Gut dann das Oben bitte."
Was hat er nur vor? Verwundert gehe ich die Treppe nach oben, dann öffne ich die Tür zum Bad.
Kurz verschwindet er darin und als er wieder herauskommt sieht das Packet deutlich dünner aus, aber scheinbar ist noch immer etwas drin.
"Du zuerst." fordert er mich auf. "Duschen, anziehen und was ihr Frauen sonst noch so macht, wenn ihr zum Essen eingeladen werdet." sagt er erklärend, während er mich Richtung Badezimmer schiebt. Ich warte in deinem Zimmer, oder gibt es unten auch eine Dusche?"
"Ja unten ist auch eine." skeptisch schüttel ich den Kopf. Was wird denn das? Und warum muss ich extra noch mal duschen, nur um mit ihm Essen zu gehen?
"Gut, darf ich dann unten Duschen?" will er wissen.
"Sicher. Aber warum..." beginne ich, doch er lässt mich nicht ausreden.
"Mehr wird nicht verraten." sagt er geheimnisvoll und küsst mich noch mal, bevor er die Tür hinter mir schließt.
Stirnrunzelnd drehe ich mich um, doch was ich an der Duschkabine hängen sehe verschlägt mir den Atem.
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