Eine Lange Woche

>>Ich hab gerade etwas so schönes geträumt. << sage ich schläfrig. >>Warum müssen Träume eigentlich immer an den schönsten Stellen aufhören?<< enttäuscht quäle ich mich aus dem Bett.

>>Worum ging es denn?<< fragt Alex neugierig. >>Bestimmt um einen Mann, oder?<< rät sie munter drauf los.

Verlegen schaue ich zu Boden und wühle in den Tiefen meines Schrankes nach Klamotten.

>>Ich wußte es!<< quietscht Alex los, als sie meine verräterische Reaktion bemerkt.

>>Kenn ich ihn? Komm schon Mia erzähl!<< fordert sie mich auf. Sie setzt sich auf mein Bett und starrt mich gespannt an. Als ich nicht regiere, hopst sie aufgeregt auf und ab.

>>Mia!<< nörgelt sie, >>Jetzt spann mich doch nicht so auf die Folter. Los! Los! Looosss! Erzähl!<<

Lachend verdrehe ich die Augen.

>>Ist ja schon gut! << gebe ich nach, >>Aber kein Wort zu Niemandem! Verstanden! <<

>>Ehrenwort!<< verspricht sie mir und dann bleibt mir nichts anderes übrig, als ihr meinen Traum zu erzählen. Ich verschweige ihr allerdings, dass es sich bei dem Mann aus meinem Traum um Felix Bruder handelt, denn das geht sie gar nichts an.

>>Es war ein kurzer Traum. << gestehe ich, als ich geendet habe >>Aber dafür hat er sich unheimlich echt angefühlt. <<

Was wohl daran liegt, das er der Realität sehr nah kam, bis auf die kleine Schummelei meines Unterbewusstseins, die meine Fantasie zu mehr verleitet hat, als tatsächlich passiert ist.

>>Wie aufregend!<< schwärmt Alex, >>So was will ich auch! Aber in echt und nicht als Traum! So einen richtigen Traumprinzen, auf einem weißen Pferd, der mit mir in den Sonnenuntergang reitet... Ahhh. << seufzt sie genießerisch und lässt sich dabei rückwärts auf mein Bett fallen. Ich lege mich neben sie und verschränke die Arme hinter dem Kopf.

>>Ja, das wär toll oder?<< sage ich verträumt. Aber ich bin ziemlich hin und hergerissen. Denn weder Mike noch Ian scheinen dieser Traumprinz zu sein.

Mike hat mich verarscht und bei Ian weiß ich nicht mal, ob er mich wirklich leiden kann. Zu viel ist schon Zwischen uns Passiert.

Mal ist er unheimlich lieb und zärtlich, dann ist er wieder so extrem kalt und unnahbar. Ich weiß einfach nicht, was ich von ihm halten soll.

Eine Zeit lang liegen wir still vor uns hin träumend auf meinem Bett, doch plötzlich fällt mir wieder ein, das wir ja zum Frühstück wollten. Ich springe auf und schaue auf meine Uhr.

>>Mist!<< rufe ich aus. >>Das duschen kann ich vergessen, dass schaff ich nie im Leben!<<

>>Wieso? Wie spät ist es denn? << fragt Alex und setzt sich ebenfalls auf.

>>Viertel vor Acht! Selbst fürs Frühstück bleibt kaum noch zeit.<< Hektisch ziehe ich eine Lange Jeans und enganliegendes T-Shirt an, dann schlüpfe ich in meine Sneaker und werfe einen schnellen Blick in den Spiegel. Schnell noch mal mit der Bürste durch die Haare, dann renne ich gemeinsam mit Alex in den Speisesaal. Zum richtigen Frühstücken bleibt allerdings keine Zeit. Ich nehme mir nur ein Brötchen und lege eine Scheibe Käse hinein, dann trinke ich ein Glas Saft. Alex schnappt sich auch noch schnell zwei Äpfel, von denen sie mir einen Zuwirft.

>>Wir sehen uns später! << sagt sie und verschwindet zu ihrem Kurs.

Ich hetze den Gang zurück, den wir gekommen sind, da es noch immer Regnet, gehe ich mal davon aus, das der Unterricht heute drinnen stattfindet.

Wie gut, das ich mich gestern noch ein wenig umgesehen habe, so weiß ich wenigstens, wo der Klassenraum von Herrn Matthiesen ist.

Ich komme gerade noch Rechtzeitig, als der Leerer den Raum betritt.

>>Ich hab verschlafen. << erkläre ich atemlos.

>>Du hast es ja noch geschafft. << meint er freundlich und weist auf einen Platz in der Mitte. Ich setzte mich neben einen großen stämmigen Jungen, der mich abschätzend mustert.

>>Hey Schnuckelchen, du kannst auch gern auf meinem Schoß sitzen. << sagt er schmierig, als ich den Platz neben ihm unschlüssig Mustere.

>>Das hättest du wohl gern. << erwidere ich kalt und schaue ihn finster an. Ja, das habe ich immer noch drauf, denn er sieht mich verblüfft an. >>Lieber würde ich im Mülleimer sitzen, als dir auch nur noch zehn Zentimeter Näher zu kommen.<<

Den Rest der Stunde konzentriere ich mich auf den Unterricht, der bei weitem nicht so langweilig ist, wie ich dachte. Es nehmen nur wenige Schüler an diesem Kurs teil so dass Matti ausreichend Zeit hat, sich mit jedem von uns Intensiv zu beschäftigen. Als die Stunde um ist, habe ich tatsächlich etwas von dem Verstanden, was er mir erklärt hat. Auf dem Weg zur Deutschstunde esse ich mein Brötchen und Trinke noch eine kleine Flasche Saft, die ich aus der Cafeteria mitgebracht habe.

Diesmal komme ich rechtzeitig, weil ich Felix auf der Treppe sehe, der den selben Kurs besucht wie ich. Der Klassenraum von Frau Petersen befindet sich im Obergeschoss. Dieses Mal habe ich mit meinem Tischnachbarn mehr Glück, denn da ich nicht zu spät bin setzte ich mich einfach neben Felix, der mir dabei hilft, unheimlich lange Sätze aus dem Präsens in Future II umzuwandeln, doch schon nach kurzer Zeit raucht mir der Kopf.

>>Heißt es denn jetzt: Bevor der Zug abfährt wird der Reisende einsteigen? Oder, Bevor der Zug abfährt wird der Reisende eingestiegen sein? Ich kapier das nicht.<< langsam bin ich echt am verzweifeln.

>>Schau mal, bei Future II Wird alles mit "sein" gebildet. Weil es schon bereits passiert ist. Verstehst du?<< fragt er mich. Doch ich weiß nicht was er von mir will.

Zweifelnd schüttel ich mit dem Kopf.

>>Ist doch ganz leicht. Wenn ich dich jetzt küsse, dann wirst du am Ende der Stunde geküsst worden sein. << sagt er grinsend.

>>Also wenn ich dir dann eine reinhaue, wirst du dann am Ende der Stunde geschlagen worden sein?<< frage ich unschuldig lächelnd.

>>Äh.. ja, genau. Siehst du ist doch ganz leicht.<< bestätigt er mein Beispiel.

Die Restliche Zeit versuche ich immer noch den Sinn und den Unsinn dieser ganzen Zeiten zu verstehen, doch das Beispiel von Felix hilft mir tatsächlich. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, wie ernst er es damit meinte.

Nach der Deutschstunde treffe ich mich mit Alex zu Chemie, aber da wir auch in der Vergangenen Woche schon den Unterricht im Klassenzimmer abgehalten habe, weiß ich wo ich hinmuss.

Der Tag vergeht wie im Flug und ich stelle erstaunt fest, dass ich tatsächlich einige Sachen verstanden und sogar behalten habe.

Als ich nach dem Mittagessen in meinem Zimmer sitze und meine Zeichnungen, die ich in der Nacht angefertigt habe, hervorhole fällt mir ein, das Frau Wolf gesagt hat, das es auch Zeichenunterricht gibt. Oder vielleicht sollte ich es eher offene Freizeitgestaltung nennen, denn mit dem normalen Kunstunterricht hat das ja nichts zu tun.

Ich glaube ich werde mal fragen, wann dieser Unterricht stattfinden und vielleicht schaue ich mir dann eine dieser Stunden mal an.

Zielstrebig mache ich mich auf den Weg ins Schulbüro. Die Freitreppe in der Lobby nach oben, dann nach rechts die dritte Tür auf der linken Seite müsste die richtige Tür sein. Ich klopfe an.

>>Herein!<< ruft eine männliche Stimme.

Zögerlich betrete ich den Raum. Eindeutig hier bin ich richtig. Ich stehe vor dem Tresen, hinter dem ein Mann im Anzug steht.

>>Ja bitte?<< fragt er, >>Was kann ich für dich tun?<<

>>Ich wollte eigentlich mit Frau Wolf reden, aber vielleicht können sie mir ja auch weiter helfen.<< sage ich.

>>Worum geht es denn?<< fragt er freundlich.

>>Also... ich wollte mal fragen, ob ich noch am Zeichenunterricht teilnehmen kann? Oder ob ich dafür zu spät komme. <<

>>Einen Moment, ich schau mal nach, wie voll der Kurs schon ist. << er blättert in einem Ordner herum, dann hat er scheinbar gefunden was er gesucht hat, denn er hält inne und zählt etwas zusammen.

>>Hmmm, also wenn mich nicht alles Täuscht, sind noch zwei Plätze frei. Möchtest du dich dafür eintragen lassen?<< fragt er.

>>Wann ist denn der Kurs?<< möchte ich wissen

>>Immer Dienstags und Donnerstags um vier Uhr am Nachmittag.<< erklärt mir der Sekretär

>>Oh, dann ist ja gut. Also... wenn sie mich da eintragen würden, fänd ich das echt toll.<<

>>Wie ist denn dein Name?<< fragt er mich.

>>Mia. << sage ich, doch als er mich weiterhin fragend anschaut sage ich meinen richtigen Namen. >>Marie Mendéres.<<

>>Ach so?<< sagt er erstaunt. >>Wenn das so ist, dann kannst du bitte gleich einmal zu Frau Wolf durchgehen, sie wollte dich sowieso sprechen. << sagt er und trägt meinen Namen in die Liste ein.

>>Setzt dich doch. << fordert er mich auf. >>Ich werde mal fragen, ob Frau Wolf schon Zeit für dich hat.<<

Er geht zur Tür, vom Büro der Direktorin und klopft an. Dann steckt er den Kopf ins Zimmer. >>Haben sie einem Moment Zeit? Miss Menderés wäre jetzt da. << höre ich ihn sagen, doch scheinbar ist sie noch beschäftigt, denn als er zu mir zurückkommt sagt er.

>>Es dauert noch einen Moment, aber dann kannst du reingehen. Magst du vielleicht etwas Trinken? << Bietet er mir an.

>>Ja bitte. Wasser wenn sie habe. <<

Er reicht mir ein Glas und füllt es auf. >>Danke.<<

Dann sitze ich wartend auf einem der Stühle, bis die Direktoren mich in ihr Büro ruft.

>>Hallo Marie. << grüßt sie mich freundlich. >>Wie geht es dir denn heute?<< dabei deutet sie auf einen der gemütlichen Sessel. >>Bitte setz dich doch. << bietet sie mir an und nimmt selbst in einem Sessel platz.

>>Danke, es geht mir viel besser. << sage ich wahrheitsgemäß und lasse mich in einem der weichen Sessel nieder.

>>Das freut mich zu hören. Wie war es denn bei der Familie Jähn? << fragt sie weiter.

>>Die Familie ist sehr Nett und es hat mir sehr gefallen dort. << sage ich ehrlich. >>Vielen Dank, das sie mir erlaubt haben, das Wochenende dort zu verbringen.<<

>>Nichts zu danken Marie. Wie ich sehe war es die richtige Entscheidung.<< dabei schaut sie mich forschend an. >>Aber wie mir zu Ohren gekommen ist, hattest du einige Schwierigkeiten mit Ian. <<

Verlegen senke ich den Kopf. Woher weiß sie das denn? Ob Felix ihr davon erzählt hat? Wenn ja, muss ich mal ein ernstes Wörtchen mit ihm reden. Nicht alles, was ich tue muss die Direktorin wissen.

>>Nur ein bisschen. << gebe ich zu. >>Aber woher wissen sie...?<<

>>Wie ich schon sagte, Frau Jähn war Lehrerin hier und wir sind gut befreundet. Ich habe sie gebeten mich auf dem laufenden zu halten. Daher möchte ich dich bitten nicht allzu streng mit ihr zu sein, weil sie mir davon erzählt hat. Außerdem kenne ich Ian recht gut. Und ich weiß, dass er manchmal seinen eigenen Kopf hat.<<klärt sie mich auf.

Na, da hat Felix ja nochmal Glück gehabt.

>>Ach so? << ich ziehe das "so" etwas in die Höhe, so dass es sich wie eine Frage anhört, in der Hoffnung, sie würde etwas mehr über Ian erzähle, aber sie tut es nicht.

>>Es ist also alles in Ordnung bei dir Ja? Und du kommst mit der Sache mit Ian zurecht? << forscht sie weiter.

>>Ja. << sage ich bestimm. >>Denn da ist nämlich gar nichts gewesen. Ich habe einen Fehler gemacht, aber jetzt ist alles wieder geklärt. <<

>>Dann ist ja gut, das wollte ich hören. Und wie geht es dir mit der Schule? << will sie weiter wissen. >>Kommst du mit dem Unterricht zurecht? <<

>>Na ja. Ich hinke ganzschön hinterher, aber ich bemühe mich. << erkläre ich.

>>Das freut mich zu hören, Marie. << sagt die Direktorin.

Frau Wolf nimmt sich wirklich Zeit für mich, sie fragt mich eine Menge unwichtiger Dinge, wie mir das Zimmer gefällt, ob mir das Essen schmeckt, ob ich mit den anderen Schülern zurechtkomme und so weiter und so fort.

Auch nach Zusatzkursen fragt sie mich und freut sich darüber, als ich ihr erzähle, das ich mich gerade für den Zeichenkurs habe eintragen lassen.

Doch eins lässt mir keine Ruhe. Nämlich ob es auch die Möglichkeit gibt Klavierstunden zu bekommen, denn seit ich den Flügel unten im Musikraum gefunden habe lässt mir dieser Gedanke nicht mehr los.

>>Frau Wolf? << frage ich irgendwann, als sie schon dabei ist, sich von mir zu verabschieden. >>Ich hätte da doch noch eine Frage. <<

>>Worum geht es denn? << fragt sie aufmerksam.

>>Ich würde gern wieder Klavierunterricht nehmen. << sage ich verlegen. Dann füge ich hinzu. >>Ich habe gestern den Flügel im Musikraum entdeckt und...<<

>>Hmmm... << macht sie nachdenklich. >>das könnte unter Umständen zum Problem werden.<<

>>Aber wieso denn?<< frage ich verwirrt.

>>Weil wir keinen Lehrer habe, der ein so guter Klavierspieler ist. << gibt sie zu.

>>Ach so. << sage ich enttäuscht. >>Kann ich denn trotzdem hin und wieder darauf spielen? Auch ohne Unterricht. <<

>>Sicher. << gibt sie mir die Erlaubnis. >>Allerdings habe ich eine Bedingung.<<

>>Ja?<< frage ich verunsichert.

>>Ich möchte, das du mir einmal etwas vorspielst. <<

>>Oh... okay. Aber ich muss sie warnen, ich spiele normalerweise nicht vor Publikum.<<

>>Das stört mich nicht, ich kann ja vor dem Raum warten. << sagt sie Augenzwinkernd.

Ich lächel ihr freundlich zu. >>Also gut. Wann wollen sie denn zuhören?<<

>>Wie wäre es denn morgen Abend? So gegen sechs? << schlägt sie vor.

>>Ja, warum nicht. Ich habe nachmittags ja nicht viel zu tun. << sage ich achselzuckend.

>>Gut, dann bis Morgen Marie. << verabschiedet sie sich und öffnet mir die Tür.

>>Auf Wiedersehen. << sage ich noch, dann bin ich draußen.

Den Rest des Tages verbringe ich mit Alex, Joris und Felix und sogar Irma taucht mal wieder auf. Eigentlich ist sie ganz nett, nur ein bisschen höchnäsig. Wir schlendern durch die Schule, spielen im Pokalzimmer Karten oder hängen in einem unserer Zimmer herum, hören Musik oder unterhalten uns einfach. Meistens in meinem, weil ich noch allein in meinem Zimmer bin und weil es größer als das von Joris und Felix ist. Nach dem Abendbrot gehe ich früh ins Bett, weil ich in der vergangenen Nacht ja nicht viel geschlafen habe.

Doch heute habe ich damit keine Schwierigkeiten. Kaum hat mein Kopf das Kissen berührt bin ich auch schon eingeschlafen.

Am Morgen bin ich schon ausgehfertig, als Alex kommt um mich zu wecken.

Gemeinsam gehen wir zum Frühstück und treffen Joris, Felix und Irma in der Mensa.

Anschließend habe ich gemeinsam mit Irma und Felix Englisch, dann Wirtschaft, allerdings ganz allein, weil keiner meiner Freunde in diesem Fach Schwierigkeiten zu habe scheint. Als nächstes habe ich Weltkunde. Dieses Fach beinhaltet eigentlich alles, was mit unserem Planeten zu tun hat, weshalb ich auch an jedem Anderen Tag der Woche dieses Fach auf dem Stundenplan habe.

Tiere, Pflanzen, Menschen. Geschichte, Erdkunde, eigentlich ist alles ist vertreten.

Das einzige Fach, was es nicht gibt ist Sport. Dafür finden am Nachmittag reihenweise sportliche Aktivitäten statt. Dienstags sind es hauptsächlich Ballsportarten. Mittwochs Schwimmen, Donnerstags Geräteturnen und Freitags Lauftraining. Wobei ich eigentlich jeden Tag kleine Gruppen von Läufern in der letzten Woche um das Gelände herum Joggen gesehen habe.

Um viertel vor Vier mache ich mich zu meiner ersten Zeichenstunde auf. Der Kunstraum ist allerdings verlassen. Vielleicht hätte ich den Typen im Büro mal Fragen sollen, wo der Unterricht stattfindet.

Eilig laufe ich die Treppe vom ersten Stock hinunter und schaue im Kaminzimmer nach. Und tatsächlich stehe hier eine Menge Staffeleien, mit echten Leinwänden.

>>Ah, sie müssen Marie sein. << eine Blonde, schlanke Frau kommt auf mich zu. >>Ich bin Frau Jensen. << stellt sie sich vor.

>>Ich bin Mia. << sage ich, obwohl sie weiß das ich Marie heiße.

>>Na dann herzlich willkommen Mia. Hast du schon mal auf einer Leinwand gemalt? << fragt sie mich.

Zählt ein Zug auch als Leinwand frage ich mich? Oder eine Hauswand? Sicher nicht, aber da ich sie nicht danach Frage will schüttel ich fürs erste den Kopf.

>>Das macht gar nichts. Im großen und ganzen ist es nicht viel anders als würde man auf Papier malen und das hast du ja sicher schon. << plappert sie munter drauf los.

>>Das eine oder andere Mal. << sage ich lächelnd. Frau Jensen ist nett. Sie lächelt viel und macht immer wieder Witze, während sie mir verschiedene Techniken zeigt und mir Farben und Pinsel gibt.

Dann stehe ich nachdenklich vor der leeren Leinwand.

Frau Jensen meinte ich solle erst mal mit einem Bleistift eine Skizze auf die Leinwand Zeichnen und erst dann mit den Farben beginnen.

Doch ich weiß nicht was ich malen soll.

Ich beginne einfach mit einigen Strichen auf dem weißen Stoff, dann mache noch ein Paar mehr, nach und nach entsteht so ein mir bekanntes Gesicht.

Es wird eine Frau und ich kenne sie. Sie hat lachende Augen und ein Freundliches Gesicht. Ihre langen Haare hat sie zu einem Zopf geflochten, der ihr vorn über die Schulter fällt. Der Pony hängt ihr fransig in die Stirn.

>>Oh, das sieht aber schon richtig gut aus. << lobt mich Frau Jensen. >>Kann es sein, dass das eine Unserer früheren Lehrerinnen ist? Wie hieß sie doch gleich?<<

>>Page. << sage ich erstaunt, weil ich erst jetzt erkenne, was ich gemalt habe.

>>Ja richtig. Frau Jähn, jetzt fällt mir der Name auch wieder ein. << lächelt Frau Jensen. >>Ich wusste gar nicht, das du sie kennst.<<

>>Ich habe sie Freitag kennengelernt. << erkläre ich ausweichend. Doch jetzt weiß ich was ich malen will. Ich möchte Page etwas schenken, ein Bild von sich und Ihrer Familie.

Page habe ich schon fast fertig. Also fehlen nur noch die Kinder und ihr Mann Peter.

Als die Stunde zu Ende ist habe ich die Skizze fast fertig. Frau Jensen ist von meiner Arbeit begeistert, doch sie hat auch für alle anderen nur Lobende Worte.

Ich helfe ihr und den Anderen, alles aufzuräumen, dann gehe ich für eine halbe Stunde in mein Zimmer, um mich auszuruhen, bevor ich mich den kritischen Ohren der Direktorin zu präsentieren habe.

Als es kurz vor sechs ist gehe ich zum Musikraum. Die Tür ist nachwievor unverschlossen und der Raum Menschenleer. Ich ziehe das Schwere Tuch vom Flügel und lege es auf einen der Stühle, dann setzte ich mich ans Klavier.

Ich warte eine viertel Stunde, doch es kommt niemand. Inzwischen ist es schon zehn Minuten nach sechs. Ich wundere mich zwar über die Unpünktlichkeit der Direktorin, aber eigentlich bin ich erleichtert darüber, dass sie nicht kommt. So kann ich ganz ungestört, nur für mich allein Spielen.

Und das tue ich auch.

Ich tauche ein in die Wunderbaren klänge dieses Einzigartigen Instruments. Je nachdem, wie kräftig ich die Tasten drücke oder ob ich eines der Pedale betätige , verändert sich der Ton, ist mal lang und mal kurz, mal lauter und mal leiser.

Ich spiele eine ganze Weile, bis ich genug habe. Ich stehe auf und will das Tuch von dem Stuhl holen, als ich eine einzelne Gestalt auf einem der Stühle sitzen sehe.

>>Ich habe gar nicht gemerkt, wie sie hereingekommen sind. << sage ich entschuldigend.

>>Das solltest du auch gar nicht. << sagt die Direktorin, >>Ich wollte dich nicht stören, du hast ja gesagt, das du keine Zuhörer willst. <<

Sie steht auf und geht zur Tür. >>Vielen Dank, das du für mich gespielt hast. << sagt sie noch, dann ist sie weg.

Ich nehme das Tuch von dem Stuhl und decke den Flügel wieder ab, dann gehe ich zum Abendessen in den Speisesaal.

Nach dem Essen sitze ich noch eine Weile mit Alex und Felix im Kaminzimmer beisammen und unterhalte mich mit ihnen, doch als es draußen langsam dunkler wird gehen wir alle in unsere Zimmer.

Es ist wirklich schade, dass ich keinen Klavierunterricht nehmen kann, ich würde so gern mehr lernen, aber man kann ja bekanntlich nicht alles haben.

Der Rest der Woche verläuft ziemlich ereignislos. Am Vormittag Versuche ich krampfhaft all den komplizierten Kram in meinen Kopf zu bekommen am Nachmittag hänge ich mit Joris, Felix und Alex herum. Am Donnerstag male ich an meinem Bild für Page und jeden Tag spiele ich für einige Stunden auf dem Flügel. Ich weiß, dass ich hin und wieder Zuhörer habe, aber seit ich das eine Mal mit dem Spielen aufgehört habe, weil jemand ständig am Quatschen war, sind sie mucksmäuschenstill und stören mich nicht mehr. Ich blende sie einfach aus und wundere mich dann manchmal darüber, wie viele sich während meines "Konzerts" in den Raum geschlichen haben.

Und dann ist Freitag.

Joris und Alex Fahren wieder nach Hause und auch Felix wird von Marvin angeholt.

>>Bist du sicher, dass du nicht mitkommen willst?<< fragt er mich irritiert.

>>Ja, Felix, ich bin mir ganz sicher.<< sage ich fest.

>>Das hat doch nicht mit Ian zu tun oder?<< fragt er verärgert.

>>Nein, hat es nicht. Ich möchte nur ein bisschen allein sein, und über alles nachdenken Okay. Ich komm schon zu recht. Es sind doch nur zwei Tage.<< versichere ich ihm.

>>Aber wir könnten doch... << setzt er an, doch ich unterbreche ihn.

>>Nein Felix können wir nicht. Okay. Versteh das doch. Ich brauche mal ein bisschen Zeit für mich allein. Vielleicht komme ich nächstes Mal wieder mit zu dir.<< sage ich bestimmt.

>>Also gut. << gibt er schließlich nach. >>Aber du machst keine dummheiten! Versprochen?<<

>>Ja, versprochen! Und jetzt hau ab, Marvin wartet schon.<< Ich winke ihm nach, als er zum Auto geht, dann fahren sie los und ich bleibe allein auf der großen Treppe vor dem Haus zurück.

Oje, das kann ja heiter werden. Ein ganzes Wochenende allein mit ein paar anderen Schülern im Internat. Was habe ich mir nur dabei gedacht.

Es ist das Richtige! Versuche ich mir einzureden. Ian hat ein Recht darauf in seinem Zuhause ungestört zu sein, auch wenn das für mich bedeutet allein hier zu bleiben.

Betrübt gehe ich ins gebäude zurück und verkrieche mich im Musikraum um ein wenig Klavier zu spielen.

Nach dem Abendessen gehe ich in mein Zimmer und schaue ir noch mal die Bilder von Ian an, die ich am Anfang der Woche von ihm gemalt habe. Sehnsüchtig streiche ich mit dem Finger darüber und wünsche mir er wäre hier. Würde mich in den Arm nehmen und mich festhalten.

Doch das ist nur mein Wunsch, nicht seiner und so wird dies wohl immer ein Traum bleiben. Irgendwann verstaue ich die Bilder wieder in meinem Schreibtisch und gehe ins Bett.

In dieser Nacht träume ich ein Haufen wirres Zeug, von Prinzen auf Pferden, von einem Picknick auf einer Wiese, von einem Paar im Mondschein in einem See.

Und noch eine Menge anderes Wirres zeugs.



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