Ausflug ins ungewisse Teil2
Vor uns Liegt ein See. Er ist ziemlich groß, dafür, dass er mitten im Wald versteckt liegt. Die Sonne wirft glitzernde schatten auf die glatte Oberfläche. Am Ufer entlang ist fast überall Schilf bis dicht an den Rand, nur hier und da kann man direkt ans Wasser heran.
Von unserem erhöhten Standpunkt aus kann ich die Nähere Umgebung überblicken, was in diesem dichten Wald schon was heißen will.
Die Lichtung mit dem Waldsee ist ganz schön groß. Trotzdem habe ich sie erst jetzt gesehen, wo wir auf dem Hügel angehalten haben. Luke fährt ein Stück auf dem Bergrücken entlang, bis er zu einer seichter abfallenden Stelle kommt, an der er sein Motorrad langsam den Berg hinunter gleiten lässt.
Mike will ihm gerade hinterher, da klopfe ich ihm leicht mit der Hand auf seinen festen Bauch, der sich unter meinen Fingen, noch ein wenig mehr anspannt, als er das Bein zum weiterfahren anheben will. Er setzt das Bein wieder ab und dreht sich fragend nach mir um.
"Was denn los?"
"Können wir noch kurz hier bleiben?" ich rucke mit dem Kopf in Richtung der malerischen Landschaft vor uns.
Verwirrt schaut Mike zu mir Zurück und folgt dann meinem Blick.
"Wie du willst." spottet er, "Wirst auf deine alten Tage doch wohl nicht sentimental oder?"
"Ach halt die klappe!" schnauze ich ihn an und haue ihm mit der flachen Hand auf den Bauch. Er lacht.
Für Romantik hat Mike nichts übrig, das wusste ich schon, aber für mich erträgt er die Untätigkeit für einen Augenblick, bevor er das Gaspedal auffordernd aufheulen lässt.
mein Zeichen, mich von diesem Ort zu verabschieden. Ohnehin hat sein Spott meine verträumte Stimmung zerstört.
"Ja, Ja, schon gut. Wir können weiter." sage ich laut, damit er es über die Motorengeräusche hinweg verstehen kann. Noch einmal lässt er den Motor aufheulen, dann setzt sich die Maschine in Bewegung. Mike fährt den gleichen Weg, den Luke genommen hat. Es ist ganz schön steil und wir müssen umgefallen Bäumen ausweichen, über Wurzeln hinweg und dann fährt er einfach durch ein Dornengestrüpp, das sich relativ flach auf dem Waldboden ausbreitet. Trotzdem verfängt sich meine Jeans an einem der Äste. Eines meiner kunstvoll hineingeschnittenen Löcher reißt noch ein Stückchen weiter auf, so dass nicht mehr viel fehlt, bis es einmal ganz herum geht. Ist auch egal, die Hose habe ich eh von meiner Mutter. Sie sitzt gut, war ohne mein Umstyling aber nicht zum aushalten.
Wenigstens ist sie schwarz, so brauchte ich sie immerhin nicht gleich in die Mülltonne werfen. Schwarz ist meine Farbe. Ich trage nur schwarz. Meine Haare sind schwarz. Rabenschwarz. Ich habe sie so gefärbt, aber mir gefallen sie so besser. Normalerweise habe ich braunes Haar, Kastanienbraun die rötlich schimmern wenn die Sonne darauf fällt.
Ich kann mich kaum mehr daran erinnern, wie lange ich meine natürliche Haarfarbe schon nicht mehr gesehen habe.
Sicherlich war es, bevor ich den Wisch von der Adoptionsgesellschaft, auf dem Schreibtisch meines Vaters gefunden habe und bevor ich herausfand, das meine Eltern gar nicht meine Eltern sind. Das meine leiblichen Eltern keinen Bock auf mich gehabt hatten und mich wie ein stück Dreck in irgend so ein beschissenes Waisenhaus gesteckt haben. Bis dahin war ich eigentlich ganz normal. Und noch heute frage ich mich, wann mir "meine Eltern" eigentlich mal sagen wollen, das ich nicht ihr Kind bin. Denn das haben sie bis heute nicht getan.
Ich muss so dreizehn oder vierzehn gewesen sein, als ich eines Nachmittags gelangweilt durchs Haus getigert bin auf der suche nach einer Ablenkung. "Meine Mutter" wollte nur schnell noch etwas einkaufen, bevor "mein Vater" von der Arbeit nach hause kam. Und ich hatte noch Schulaufgabe zu erledigen, zumindest hatte ich das meiner Mutter gesagt, weil ich keine Lust hatte mit ihr zum einkaufen zu gehen.
Eine Zeit lang lag ich auf meinem Bett und hörte Musik, doch irgendwie konnte mich das an diesem Nachmittag nicht so recht begeistern. Also schlenderte ich durchs Haus, warf einen Blick in den Garten und vor die Haustür und suchte nach Sandmann unserem Kater, doch der war wohl irgendwo in der Nachbarschaft unterwegs und tat, was Katzen halt so tun, wenn sie nicht gerade schlafen.
Auf dem Weg in die Küche, wo ich mir einen Apfel holen wollte kam ich am Arbeitszimmer meines Vaters vorbei. Die Tür war nur angelehnt. Ich warf einen Blick hinein, obwohl mein Vater es nicht so gern hatte, wenn ich in sein Büro ging, wenn er nicht da war.
Er hatte den Pc nicht ausgeschaltet und ich wollte nur schnell meine E-Mails checken - ich hatte damals noch keinen eigenen Computer-, als ein Schriftzug, auf einem der Papiere auf seinem Schreibtisch, meine Aufmerksamkeit erregte.
In großen Buchstabe stand dort:
ADOPTIONSVERFAHREN
Ich überflog den Text, bis mir klar wurde, das es in dem Schreiben um mich ging.
Bla, bla, bla.... ihre Tochter Marie... bla, bla, bla...
Ich kann mich an keine Einzelheiten mehr erinnern. Ich war viel zu geschockt um klar zu denken. Ich erinnere mich nur noch wie eine eiserne Faust mein Herz zusammen presste, das Gefühl, als würden eine Million Schlangen in meinen Eingeweiden herum wühlen und das Entsetzen darüber, das "meine Eltern" nicht Meine Eltern waren.
Benommen taumelte ich rückwärts aus dem Zimmer meines Vaters und schloss die Tür. Ich schleppte mich in mein Zimmer und brach auf dem Bett zusammen.
Ich bin Adoptiert!
Adoptiert! Ich!
Meine Eltern sind nicht meine Eltern!
Wer sind meine Eltern?
WER BIN ICH!!!!
Ununterbrochen drehten sich dieselben Fragen in meinem Kopf. Das konnte nicht wahr sein! Ich war NICHT Adoptiert oder doch? Nein! Verdammt! Nein!
Rastlos rannte ich in meinem Zimmer auf und ab und wollte "meine Eltern" am liebsten sofort zur Rede stellen, doch ich wusste nicht wie ich das anstellen sollte. Immer wieder riss ich wütend meine Zimmertür auf, nur um mich dann daran zu erinnern, das ich allein war. Ich knallte die Tür wieder zu. So ging das eine Weile hin und her, bis ich heulend auf dem Bett zusammenbrach.
Wie lange ich so dalag und weinte, weiß ich nicht mehr, nur das ich irgendwann keine Tränen mehr hatte, die noch hätten fließen können. Und das ich keine Kraft fand mich aufzusetzen. Ich war einfach viel zu ausgelaugt um irgendetwas anderes zu tun als hier herum zu liegen. Antriebslos, Ziellos, Haltlos.
Das Caos in meinem Kopf war schrecklich.
Warum? Fragte ich mich, hatten meine Adoptiveltern mir nicht gesagt, das ich Adoptiert war. Und warum hatten sie mich überhaupt adoptiert? Warum hatten sie keine eigenen Kinder? Und warum hatten sie nie eine zweites Kind bekommen? Wie alt war ich als sie mich adoptierten und wer waren meine leiblichen Eltern? Hatten sie mich geliebt oder war ich ein Unfall, ein Abfallprodukt, ein Störfaktor in ihrem Leben, das sie so schnell wie möglich loswerden wollten.
War meine Mutter vielleicht bei meiner Geburt gestorben? Das würde zumindest erklären, warum sie nicht bei mir sein konnte, oder vielleicht hatte sie ja gar keine andere Wahl als mich wegzugeben? Blödsinn! schoss es mir durch den Kopf, man hat immer eine Wahl und bevor ich mein Kind weggeben würde, würde ich mir eher Arme und Beine abhacken lassen!
Also lag der Schluss nahe, das meine Mutter mich nicht gewollt hatte. Das ich ihr zur Last gefallen war, das sie mich nicht geliebt hatte. Vielleicht war sie ja sogar eine Prostituierte oder ein Junkie! Würde ich so werden wie sie? Würde ich Drogen nehmen, nur, weil sie welche genommen hatte? Oder hatte sie sich nach meiner Geburt das Leben genommen, hatte sie Psychische Probleme und würde ich auch eines Tages Verrückt werden? Man bekommt doch immer etwas von seinen Eltern und vielleicht hatte ich gerade diese Sachen von Ihr geerbt.
Und was war mit meinem Vater? Wusste er das es mich gab oder nicht. Selbst wenn meine Mutter gestorben war, erklärte das nicht, warum ich nicht bei ihm war. Es gibt doch unzählige alleinerziehende Väter auf der Welt. Eigentlich, so erkannte ich musste ich mir in bezug auf meinen Leiblichen Vater die gleichen Fragen stellen wie bei meiner Mutter... Drogen.. Tod... Suizid, oder was am einfachsten war, am wahrscheinlichsten und was mich am meisten belastete war, SIE HABEN MICH NICHT GEWOLLT!!!
Und wenn mich meine leiblichen Eltern nicht wollten, wie können mich dann andere haben wollen, mich liebhaben, lieben? Warum sollten meine Adoptiveltern mich hierbehalten, aus welchem Grund, wenn ich doch schon als Baby, so ungewollt war, das man mich weggegeben hat. Ich war Dreck, Abschaum, ungewollt und ungeliebt.
Die Spirale in meinem Kopf drehte sich ohne unterlass, wurde enger und enger. Meine Gedanken immer Schwärzer. Sie schnürte mir die Kehle zu und nahm mir die Luft zum Atem, den Willen zu leben. Doch Irgendwann muss ich wohl eingeschlafen sein, denn als ich erwachte war es früher morgen. Wann meine Eltern nach hause gekommen waren und ob sie nach mir geschaut hatten, wußte ich nicht und es war mir ach egal.
Ich wollte sie nicht sehen, nicht mit ihnen sprechen. Am liebsten nie wieder.
Von diesem Tag an packte ich jeden Morgen in aller frühe meine Sachen und verließ das Haus. Kam nach der Schule nicht nach hause und gammelte den lieben langen Tag herum. Ich machte meine Hausaufgabe nur noch, wenn ich es nicht vermeiden konnte, zum Beispiel, wenn wir Freistunde hatten und beteiligte mich auch sonst kaum noch am Unterricht.
Meine Eltern gaben vor sich Sorgen zu machen, sie schimpften, gaben mir Hausarrest und versuchten mich zu zwingen nach der Schule nach Hause zu kommen aber ich wieder setzte mich ihnen hartnäckig. Ich weigerte mich sogar solange ,zu essen, bis sie mich endlich in Ruhe ließen.
Von da an hielt ich mich nur noch zum schlafen im Haus meiner Adoptivelternauf und kapselte mich immer weiter ab. Von den Mädchen in meiner Klasse hielt ich mich fern, als könnten sie etwas dafür, das meine vorgeblichen Eltern es nicht für nötig hielten mir die Wahrheit zu sagen. Ich konnte ihre lachenden Gesichter, ihre Gute Laune und ihre lauten Stimmen nicht ertragen, wenn sie sich über ihren alltäglich Kleinigkeiten austauschten.
Das war der Anfang. Der Anfang von mir, der Neuen Mia. Der Dunklen Mia, der Mia, die niemanden wollte, weil niemand sie wollte.
Und dann kam Mike.
Eines Tages setze er sich einfach neben mich auf die Parkbank, auf der ich gerade vor mich hinbrütete und stupste mich an.
"Ist hier noch frei?" fragte er und deutete auf die offensichtlich leere Bank neben mir.
ich schüttelte den Kopf und gab ein gereiztes "Nein!" von mir, doch er setzte sich trotzdem, als hätte ich genickt.
"Das ist gut." sagte er gut gelaunt. "Schöner Tag heute was?"
"Was willst du von mir !" blaffte ich ihn an. "Hau ab! Ich habe doch gesagt, dass die Bank besetzt ist!"
"Wow! Mal immer ruhig mit den jungen Pferden. Das hier ist ein ähm..." kurz suchte er nach den richtigen worten, "ein Öffentlicher Platz, hier kann sich jeder aufhalten."
"Dann geh doch da hin!" und ich deutete auf die Bank gegenüber.
"Öhm..." machte er als würde er Überlegen, dann grinste er mich unverschämt an.
"Nö. Hier gefällt es mir viel besser!"
"Dann eben nicht du Arsch!" schrie ich und sprang auf. Schnappte meine Tasche und stapfte Wütend davon.
"He, wart doch mal!" rief er mir hinterher. Doch ich beachtete ihn nicht. "Du hast da was fallen lassen." versuchte er meine Flucht zu bremsen, doch ich ignorierte ihn weiterhin. Mit in den Taschen vergrabenen Händen und hochgezogenen Schultern stapfte ich wütend davon.
Ich hörte eilige schritte hinter mir und beschleunigte meine Schritte noch mehr.
"Man, dich kennen zu lernen ist echt nicht einfach was!" ein grinsender Blondschopf schob sich in mein Blickfeld. "Hier, das hast du vergessen."
Und damit hielt er mir meinen MP3 Player unter die Nase.
Wütend griff ich danach, doch er zog ihn kurzerhand aus meiner Reichweite.
"Gib ihn mir zurück!" schrie ich ihn an. Ich wollte meine Ruhe und dieser nervige, ewig grinsende Typ ging mir echt auf den Geist.
"Was krieg ich denn dafür?" wollte er wissen.
"Ich hau dir keine rein, wenn du ihn mir sofort gibst." drohte ich, dabei fühlte ich mich gar nicht so mutig, wie ich vorgab. Ich hatte noch nie jemanden geschlagen, aber seit ich die Adoptionspapiere gefunden hatte, war ich ein Paarmal nahe dran gewesen.
Angestaute Wut auf meine Adoptiveltern und die Enttäuschung, das sie mir immer noch keinen reinen Wein eingeschenkt hatten brodelten dicht unter der Oberfläche und ich wollte diesen Druck unbedingt los werden.
"Jetzt krieg ich aber Angst." zog er mich auf. "Wie alt bist du? Fünfzehn oder sechzehn?" fragte er.
"Das geht dich gar nichts an! Und jetzt gib her!" schrie ich, dann sprang ich vor und boxte ihm so fest ich konnte in den Bauch.
Verblüfft schaute er mich an und rieb sich mit der freien Hand über den Bauch.
"Gar nicht mal so schlecht, du Wildkatze." lobte er mich, nicht im mindesten verärgert. "Aber du solltest dir doch lieber einen Gegner in deiner Gewichtsklasse suchen." Er lachte. Er lachte mich doch tatsächlich aus!
Und das brachte das Fass zum Überlaufen. Die ganze angestaute Wut auf meine "Eltern", auf die Lehrer, die mich seit Wochen nur noch nervten, auf meine Klassenkammeraden, die mich immer wieder mit fragen löcherten, warum ich denn so still geworden war und immer wieder Wut auf meine Eltern, die sich das gleiche Fragten, die sich sorgten, warum ich nicht mehr Aß und warum meine Noten so schlecht waren, die mich unentwegt mit ihrer Scheinheiligkeit zur Weißglut brachten, entluden sich jetzt, hier an diesem Jungen, der nichts besseres zu tun hatte, als meinen letzten, friedlichen Rückzugsort mit seiner Anwesenheit zu verpesten.
Mit geballten Fäusten sprang ich ihn an schlug auf seine Brust ein, seinen Bauch, seine Rippen, ich schlug und trat, ich kratzte und biss, wo immer ich ihn erwischen konnte. Was mich später sehr verblüffte, war, das er sich nicht wehrte. Nicht das er sich nicht verteidigt hätte aber er schlug mich nicht. Er wich nur meinen Schlägen aus spannte seine Muskeln an und ertrug den Schmerz, wenn ich ihn denn erwischte. Irgenwann wurde es ihm dann aber doch zu viel.
Als ich erneut zuschlagen wollte packte er meinen Arm und hielt mich fest. Ich holte mit der anderen Hand aus, doch auch sie fing er ab und dann drehte er mich mit einem Ruck herum und hielt mich fest. Seine Arme hielten mich umschlungen und sein Muskulöser Körper schmiegte sich an meinen Rücken. Meine Arme waren vor meinem Körper gekreuzt und ich konnte mich kaum mehr rühren, was mich aber nicht davon abhielt es zu versuchen.
Verzweifelt zappelte ich herum, versuchte mich loszureißen, mich fallen zu lassen, damit er aus dem Gleichgewicht kam und er mich loslassen musste, doch was auch immer ich versuchte, ich blieb erfolglos.
Eine gefühlte Ewigkeit später gab ich vollkommen erschöpft auf und brach in Tränen aus. Und da ließ er mich nicht etwa los, nein, sondern er drehte mich behutsam um und hielt mich fest, nicht wie vorher, nicht mit angespannten Muskeln jederzeit bereit mich davon abzuhalten ihn zu schlagen sondern Sanft und tröstend.
Ich weiß nicht wie lange er mich so hielt, doch irgendwann versiegten meine Tränen und mir wurde peinlich bewusst, dass ich meinen Kopf an seine Brust gelehnt hatte und dass sein Herz unter meinem Ohr in einem steten, ruhigen Rhythmus pochte, was meines etwas durcheinander brachte und mir die Röte ins Gesicht trieb.
Peinlich berührt machte ich mich von ihm los. Erst war er noch auf der Hut, ob ich gleich wieder auf ihn los gehen würde, doch dann lächelte er sein verschmitztes, aufmunterndes Lächeln, welches ich so lieb gewinnen würde.
"Na, geht's wider Süße." Neckte er mich. Dann hielt er mir meinen MP3 Player hin. Ich nickte und nahm den Player entgegen. Verlegen hob ich den Blick.
"Tut mir leid." murmelte ich.
"Ach, passt schon." wehrte er ab, bevor er sich anschickte zu gehen.
Verwirrt blieb ich stehen.
"Du gehst?" fragte ich verlegen.
"Jepp, sieht so aus." er ging weiter ohne sich noch einmal umzudrehen.
Okaaayy, was war denn das jetzt? Fragte ich mich. Erst wollte er nicht gehen und jetzt wo mir seine Gesellschaft gar nicht mehr so unangenehm gewesen wäre, ging er einfach weg. Sicher wollte er mit so einer Durchgeknallten wie mir nichts mehr zu tun haben. Jetzt wo er wusste, wie ich war. Verkorkst, Verdorben, Durchgeknallt und Verrückt. Ein Adoptivkind. Sicher konnte es jeder sehen, nur ich hatte es nie bemerkt. Sicher hatten sich alle hinter Vorgehaltener Hand lustig über mich gemacht. Jeder hatte es gewusst, nur ich nicht.
Ich starrte ihm nach und bewunderte seine geschmeidigen Bewegungen. Dann drehte ich mich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon. Es war schon fast Dunkel und so machte ich mich auf den Heimweg. Bevor ich allerdings den Park verließ schaute ich noch mal zurück, doch er war verschwunden. Fast hatte ich gehofft, er würde es sich anders überlegen und mir folgen, aber das hatte er nicht getan. Und jetzt war er weg.
In der Nächsten Woche hatte ich den Park gemieden, ich wollte ihn nicht wieder sehen, zumindest glaubte ich das. Ich wollte sein Mitleid nicht, wollte nicht hören, wie er sich über mich Lustig machte und sowieso wollte ich keine Gesellschaft, zumindest redete ich mir das ein.
In der darauf folgenden Woche ging ich in den Park zurück. Nach langem hin und her, einem inneren Kampf der mir einige schlaflose Nächte eingebracht hatte, kam ich zu dem schluss, das ich mich nicht von meinem derzeitigen Lieblingsplatz verzreiben lassen wollte,auch auf die gefahr hin, das er wieder dort auftauchen würde. Fast hoffte ich es sogar.
Ich setzte mich auf die gleiche Bank, wie an dem Tag, als ich ihn das erste Mal getroffen hatte und tat was ich immer getan hatte. Nichts. Ich saß da, starrte Löcher in die Luft und Hörte Musik. Manchmal,wenn jemand den Weg entlang auf mich zu kam, bildete ich mir im ersten Moment ein,das er es wäre, doch jedesmal entpuppten sich der oder die Neuankömmlinge als einfache Spaziergänger. Doch derjenige, auf den ich unterbewußt wartete kam nicht wieder hier vorbei.
Als die Tage vergingen und es immer Kälter wurde zog ich an den Nachmittagen vom Park ins Einkaufszentrum. Obwohl es mir hier zu voll und zu laut war, schlenderte ich den Ganzen Tag in den Geschäften herum. Schaute mir die Klamotten an und suchte mir Sachen aus, die zugegebener Maaßen alle ziemlich düster waren, wie meine Stimmung.
Gelegentlich ließ ich auch etwas mitgehen. Einen Schokoriegel hier, schwarzen Nagellack und Lippenstift da. Beim erstem Mal schlug mir das Herz noch bis zum Hals, denn bisher hatte ich noch nie etwas geklaut, doch nach und nach wurde es mir immer gleichgültiger, ob man mich erwischte.
Eines Tages es muss Mitte November gewesen sein, stand mir der Sinn nach etwas neuem zum anziehen. Mein Taschengeld war natürlich schon längst alle und so blieb mir nichts anderes übrig, als das Shirt, welches ich mir ausgesucht hatte ohne zu bezahlen mitzunehmen. Ich nahm es vom Ständer und knüllte es zusammen, dann wollte ich es unter meiner Jacke verschwinden lassen, als sich mir jemand von hinten Näherte. Ich traute mich kaum zu atmen, die Person stand so dicht hinter mir, das mich ihr Atem im Nacken kitzelte.
"Du wolltest das doch nicht etwa klauen?" flüsterte mir eine definitiv männliche Stimme ins Ohr.
Erschreckt ließ ich das Teil fallen und drehte mich ruckartig um.
"Was....Woher...Ich..." stammelte ich, bevor ich meine Sprache wieder fand. "Was machst du denn hier!" entfuhr es mir.
Er war es! Wer auch sonst. Der Typ aus dem Park. Fast einen Monat hatte ich gehofft ihn zu treffen, dann einen Monat lang ihn zu vergessen und jetzt stand er hier vor mir. Seine blonden wuschelig gestylten Haare hatte er verwegen in die Stirn gekämmt. Seine blauen Augen strahlten auf mich herab, er war mindestens einen Kopf größer als ich und grinste mich an.
"Ich habe dich gesehen und bin dir gefolgt." gabt er rundheraus zu. "Komm mit." Er nahm meine Hand und zog mich aus dem Geschäft.
"Wenn du was zum anziehen brauchst ist das hier sicher nicht der richtige Laden für dich. Da weiß ich was besseres."
Noch immer hielt er meine Hand, was mich ganz schön durcheinander brachte. Mein Herz hämmerte und ich fühlte die Hitze in meinem Gesicht. Sicher war ich knall rot.
"Warum?" wollte ich wissen.
Verständnislos schaute er mich an.
"Warum bist du mir gefolgt." Präzisierte ich meine Frage.
"Ach so. Ich dachte du könntest mal wieder einen Punchingball brauchen." Er zwinkerte mir zu.
"Jetzt wo du es erwähnst... wollen wir jetzt gleich oder Später?" konterte ich verspielt.
Amüsiert weiteten sich seine Augen.
"Ich denke, damit lassen wir uns noch ein wenig Zeit. Erst einmal besorgen wir dir etwas neues zum Anziehen."
Verlegen schaute ich zur Seite. "Du, wart mal. Ich hab kein Geld, also... ich wollte nicht... also, ich meine ..." puh war das schwer, die Ganze Sache war mir echt peinlich. "Das Teil eben war schon Cool, aber eigentlich hatte ich nicht vor etwas zu klauen."
"Ach papperlapapp. Jetzt wird kein Rückzieher gemacht. Außerdem sind wir fast da."
"Wo schleift du mich denn hin?" Irgendwie war ich ziemlich verwirrt. Es schien ihm echt völlig egal zu sein, das ich mir etwas zum Anziehen klauen wollte und außerdem hatte ich das Gefühl, dass er das sogar völlig in Ordnung fand. Verunsichert ließ ich mich von ihm das letzte Stück bis zu diesem kleinen, verwinkelten Klamottenladen schleifen, in dem eine menge schwarzes Zeugs auf den Ständern hing.
"So, und jetzt schau dich um." forderte er mich auf.
Ich tat was er sagte, doch war mir nicht klar, was er damit bezwecken wollte.
"Was siehst du?" Fragte er mich.
"Ich weiß nicht was du meinst." Erwiderte ich unschlüssig. "Die Klamotten oder was?"
"Nein, Dummerchen." tadelte er mich sanft. "Hier gibt es keine Kameras, keine Elektronischen Sicherungen in den Klamotten oder so. Darauf sollte man immer achten, wenn man beim Klauen nicht erwischt werden will. Das ist das oberstes Gebot. Komm, und jetzt suchen wir dir was aus."
Lässig schlenderte er durch die engen reihen. Mal zog er hier etwas vom Ständer, mal dort etwas aus dem Regal. Es waren nicht immer Frauensachen, er schaute auch für sich selbst, zumindest hatte ich den Eindruck.
"Welche Größe hast du denn?" wollte er wissen, als er ein Paar schlichte, aber Figurbetonte Shirts und Tops gefunden hatte. Eins davon fand ich richtig Cool. Ein schlichtes Schwarzes Top, mit schwarzer Spitze am saum. Doch es kam mir recht eng vor.
"Hier probier das doch mal." Und damit drückte er mir das Teil in die Hand. "Da hinten sind Umkleidekabinen." dann beugte er sich ganz dicht zu mir herab, sein Atem strich warm an meinem Hals und meinem Ohr entlang, so das mein Herz aufgeregt zu hämmern anfing.
"Süße, zapple nicht so herum, man sieht dir ja fast an der Nasenspitze an, das du was mitgehen Lassen willst." Dann richtete er sich wieder auf, wobei seine Nase sanft meine Wange berührte. Er grinste schelmisch.
"Los jetzt." forderte er mich noch mal auf. "Oder brauchst du Hilfe?"
"Nee, geht schon." stammelte ich und ging völlig verwirrt und mit hochrotem Kopf zu den Kabinen. Auf dem Weg dorthin viel mir ein süßes, hautenges schwarzes Kleid ins Auge, welches ich auch noch gleich mit in die Kabine nahm. "Und jetzt" fragte ich mich. Soll ich die Sachen wirklich anprobieren oder gleich in die Tasche stopfen. Ich entschied mich für ersteres, was hatte es denn auch für einen Sinn, wenn ich was stahl, was mir gar nicht passte.
Zuerst zog ich das schwarze Top an, das mir gar nicht zu eng war, wie ich befürchtet hatte. Seidig schmiegte es sich um meinen dürren Körper. Ich schaute in den Spiegel. Es war wirklich eng, aber da ich in den letzten Monaten kaum etwas gegessen hatte und kaum mehr als Haut und Knochen war passte es wie angegossen. Verächtlich musterte ich meine Kurven. Naja, ich versuchte es zumindest, jedoch gab es da nicht viel zu mustern, denn ich war für mein Alter bemerkenswert unterentwickelt. Der Bh, den ich trug hatte Körbchen Größe A. Es war ein Push up, aber viel zu pushen gab es bei mir nicht. Ärgerlich streckte ich dem Klappergestell im Spiegel die Zunge heraus, als eine Bewegung am Vorhang meine Aufmerksamkeit erregte.
"Siehst du passt doch." kommentierte mein blonder Begleiter das schwarze Tank Top, nachdem er den Kopf hereingesteckt hatte.
Erschreckt drehte ich mich zu ihm um und versuchte meine nicht vorhandenen Kurven notdürftig zu bedecken.
Verärgert runzelte er die Stirn, dann legte er einen Finger unter mein Kinn und zwang mich ihm in die Augen zu schauen.
"Mädchen," sagte er, "du hast keinen Grund so schüchtern zu sein, du siehst wirklich gut aus in dem Teil."
Ich drehte mich zum Spiegel zurück.
"Meinst du wirklich?" fragte ich angespannt.
"Definitiv." Bestätigte er seine vorherige Aussage und nickte anerkennend mit dem Kopf. "Und jetzt zieh das Andere mal an. Los!" wies er mich an und zog den Kopf aus der Kabine.
Oh Gott, hätte ich den Fummel doch bloß nicht mit in die Kabine genommen, dann wäre mir diese Peinlichkeit erspart geblieben. Doch obwohl große Zweifel an mir nagten, probierte ich das Kleid an.
Es war ganz weich und mega Elastisch. Die Langen Ärmel schmiegten sich angenehm an meine Haut, genauso wie der Rest. Das Kleid war ganz schlich. Schwarz und Ultra Cool. Doch für meinen Geschmack etwas zu kurz. Es reichte mir nicht einmal bis zu den Knien und war für den Winter definitiv zu Kalt.
Ein anerkennender Pfiff ertönte hinter mir. Mensch, konnte dieser Typ nicht mal warten, bis man ihn rief? Oder wenigstens vorher Fragen, ob er rein kommen kann. Genervt drehte ich mich zu ihm um und funkelte ihn ärgerlich an.
"Raus!" befahl ich energisch.
Grinsend schaute er mich an. "Das musst du einfach haben." bestimmte er. "Das ist wie für dich gemacht."
"Ach ja!" fauchte ich. "Und was wenn ich es gar nicht will?"
"Süße, da hast du leider nicht mitzureden."
"Das werden wir ja sehen." böse funkelte ich ihn mit meinen Dunklen Augen an.
"Und jetzt Raus hier! Ich will das Teil ausziehen. Los! Wird's bald!" fügte ich hinzu, als er sich nicht vom Fleck bewegte.
"Schon gut, schon gut." gab er sich schließlich geschlagen, als ich drohend meine Fäuste hob.
Na also, geht doch.
An diesem Tag habe ich nichts geklaut, doch die Sachen bekam ich trotzdem.
Nach dem ich meine eigenen Sachen wieder angezogen hatte, verließ ich, immer noch sauer auf ihn, die Kabine und den Laden ohne ihn auch nur anzusehen. Das Kleid und das Top ließ ich einfach hängen.
Mein Neuer "Freund" folgte mir.
"Sag mal, wie heißt du eigentlich?" fragte er mich nach einer Weile, die wir schweigend durch das Einkaufszentrum gewandert waren. Meine Wut auf ihn war inzwischen verraucht, so das ich mich zu einer nicht allzu gereizten Antwort hinreißen ließ
"Mia. Und Du?"
Er fasste Meinen Arm und drehte mich zu sich herum, dann zog er seinen nicht vorhandenen Hut und verbeugte sich verspielt.
"Werte Mia," begann er sein Debüt, und schon musste ich lächeln. "Es ist mir eine Ehre eure Bekanntschaft zu machen. Wenn ich mich vorstellen darf?" Dabei nahm er meine Hand und Küsste sie galant, was mir schon wieder die Röte ins Gesicht trieb.
"Man nennt mich Mike. Ritter vom Shoppingcenter und Retter alleingelassener Jungefrauen auf Parkbänken." er zwinkerte mir zu. "Leider müsst ihr mich nun entschuldigt, denn die Pflicht ruft. Ein Drache will erschlagen, eine Jungfrau gerettet und ein Schatz geborgen werden."
Enttäuscht wandte ich meinen Blick ab, ging aber auf sein Spiel ein.
"Wie Bedauerlich. Aber wenn die Pflicht ruft, darf ich sie nicht weiter aufhalten, werter Herr." gab ich bemüht lässig zurück.
"Doch es wäre mir eine Ehre euch in nächster Zeit wieder einmal auf meiner Parkbank, ich meine natürlich in meinem Schlossgarten begrüßen zu dürfen." jetzt musste ich kichern, denn es viel mir trotz meiner Enttäuschung schwer ernst zu bleiben.
"Die Ehre ist ganz meinerseits, Eure Hoheit. Gehabt euch wohl." Dann beugte er sich vor und küsste mich auf die Wange. "Bye Mia." flüsterte er, dann drehte er sich um und verschwand in der Menge.
Wow, was für ein Nachmittag!
Trotz meiner Enttäuschung darüber, das er wieder einmal so schnell verschwunden war, kam ich mir seit einer Gefühlten Ewigkeit, nicht mehr wie der Letzte Abschaum vor und das meine Eltern mir immer noch nichts Von der Adoption erzählt hatten rückte für den Moment ein klein wenig in den Hintergrund.
Am Nächsten Tag saß ich wieder auf der Parkbank und hoffte, das Mike auch wirklich auftauchen würde. Ich wartete schon eine ganze weile und langsam wurde mir kalt, als ein Rascheln in den Büschen hinter mir, mich erschreckt herumfahren ließ.
Und da stand er. In Schwarzen Jeans, einem rot karierten Hemd unter dem ich sein schwarzes T-Shirt sehen konnte und über dem Arm trug er eine schwarze Lederjacke. Er nahm einen kleinen Anlauf und sprang lässig über die Lehne der Bank, um sich dann neben mich zu setzen.
Er zog eine kleine schlichte Plastiktüte unter der Jacke hervor und legte sie mir in den Schoß.
"Seid gegrüßt, werte Dame." begann er das Gespräch, wie er es gestern beendet hatte. "Darf ich den Schatz des Drachen in ihre ehrenwerten Hände geben?"
Verwirrt blickte ich auf die Tüte.
"Was ist das?" wollte ich wissen.
"Schau doch nach, dann weißt du es." er grinste.
Neugierig betastete ich durch die Tüte den Inhalt. Es fühlte sich weich an und ließ sich etwas zusammendrücken, wie ein Kissen oder so. Mehr konnte ich durch bloßes tasten aber nicht herausfinden. Also öffnete die Tüte und schaute hinein. Ich wusste sofort was es war, als ich den schwarzen Stoff sah und funkelte ihn Böse an, während er sich entspannt und mit selbstgefälligem Grinsen auf der Bank zurück lehnte.
"Das hättest du nicht tun sollen!" Schimpfte ich.
"Aber warum denn nicht?" fragte er "Der Drache hatte eindeutig zu viele Köpfe!" Er zwinkerte mir zu.
"DAS hast du gestern gemacht, nach dem du gegangen Bist!" rief ich empört aus. "Du bist in den Laden zurück und hast die Sachen geklaut?"
"Beruhige dich Mia."
"Aber wenn du erwischt worden wärst!" erschrocken starre ich ihn an.
"Ach was, ich habe das schon tausendmal gemacht und bin immer noch hier. Siehst du." und dabei deutet er auf sich.
Entsetzt schnappe ich nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Mike klaut! ER hatte für MICH geklaut! Für mich war er zum Dieb geworden, hatte seine Freiheit aufs Spiel gesetzt um mir etwas zu schenken, was mir gefiel.
Und er hatte gesagt, das er es schon Oft getan hatte. Sehr oft. Tausendmal, wobei das bestimmt übertrieben war oder nicht? Konnte man tatsächlich so oft etwas mitgehen lassen, ohne erwischt zu werden?
Schockiert starrte ich auf die Tüte, befühlte den Zarten Stoff darin.
Doch warum eigentlich? Warum schockierte es mich so, das er das Gleiche getan hat, was ich auch hatte tun wollen? War es wirklich so schlimm? Vermutlich schon, meldete sich mein Sinn für Gerechtigkeit, der bis dato ziemlich ausgeprägt gewesen war, aber hey!
Was soll's. das war die Mia von früher, die Mia, die Eltern hatte, die sie nicht belogen. Die Mia, der es noch gut ging und nicht dieses Häuflein Elend, das ich geworden war, seit dem ich diese Verfluchten Papiere gelesen hatte.
Entschlossen griff ich nach den Sachen.
"Danke Mike." sagte ich und küsste ihn flüchtig auf die Wange. "Sagen wir das ist ein vorträgliches Geburtstagsgeschenk, zu meinem fünfzehnten Geburtstag."
Mikes Augen weiteten sich ein ganzes Stück? "Du bist vierzehn?" fragte er mich ziemlich entsetzt.
"Ja" sagte ich gedehnt, "Gibt es da irgend ein Problem?"
"Nicht im eigentlichen Sinne." er beugte sich vor und rieb sich verlegen mit der Hand den Nacken.
"Und im Uneigentlichen?" hakte ich nach.
"Ich dachte nur du wärst schon Älter." Gestand er mir ein.
"Für wie alt hast du mich denn gehalten?"
"Sagen wir mal für Älter. Und klären zuerst die Frage, wie alt du mich einschätzt. Vielleicht verstehst du mich dann."
Hmm überlegte ich. Eigentlich hatte ich ihn für höchstens sechszehn gehalten, doch wenn er so erschrocken reagierte, weil ich vierzehn war, musste er älter sein als ich erwartet hatte.
"Ich weiß nicht." versuchte ich die peinliche Situation zu umgehen. Doch so einfach machte er es mir nicht.
"Komm schon Mia, du bist doch sonst auch nicht auf den Mund gefallen. Es gibt hier keine Falschen antworten. Wir sind doch nicht in der Schule, Süße, das ist das WAHRE Leben." und da war es wieder dieses süße Lächeln, halb Grinsen, halb verführerischer Augenaufschlag, das mir den Atem raubte.
"Also gut, also gut." ich verdränge das peinliche gefühl und sage: "Ich dachte du wärst sechszehn." Als ich sein amüsiertes Grinsen sehe fahre ich schnell fort. "Aber das war früher. "
"Und jetzt?" hakt er nach.
"Jetzt hoffe ich, das du nicht älter als zwanzig bist und mich für ein Baby hältst, dem du die Windeln wechseln musst." sprudelte es aus mir heraus.
"Na, ganz so schlimm ist es nicht. Ich werde nächstes Jahr neunzehn. Um genau zu sein hatte ich gerade erst Geburtstag und bin achtzehn geworden."
"Ach so. Gut. Ich meine..." stammelte ich verlegen, "Herzlichen Glückwunsch. Nachträglich."
"Was? Ist das Alles?"
Verwirrt schaute ich ihn an. Doch als er mir die Wange hinhielt, dämmerte mir was er meinte. Ich stand auf und beugte mich zu ihm hinunter, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben, doch als ich kurz davor bin, dreht er blitzartig seinen Kopf und zieht mich zwischen seine Beine um mich direkt auf den Mund zu Küssen.
"Dir auch alles gute nachträglich zum Geburtstag." flüsterte er mir zu, während ich vollauf damit beschäftigt war auf den Beinen zu bleiben und meinen Puls und meine Atmung unter Kontrolle zu bringen.
Das ist jetzt eineinhalb Jahre her. In dieser Zeit hatten wir eine Menge Spaß und haben eine ganze Menge Mist gebaut. Zuletzt war da diese Sache mit dem Zug und wer weiß, was mich heute noch alles erwartet.
Mike schaltet gerade die Maschine aus, als ich aus meinen Erinnerungen auftauche. Wir sind immer noch an dem See, aber jetzt liegt er nicht mehr vor uns sondern rechter Hand. Ein Stückchen weiter kann ich eine weitere kleine Lichtung sehen und ich frage mich warum er nicht dort angehalten hat oder warum wir überhaupt angehalten haben, denn soweit ich sehen kann ist hier ausser dieser Lichtung und dem See nicht das geringste.
Klar es ist schön hier, aber Schönheit allein lässt Mike nicht stunden lang in der Gegend herumfahren, soviel weiß ich. Hier muss es noch mehr geben.
Aufmerksam schaue ich mich um.
Die Lichtung ist klein, vielleicht könnte man sechs Autos darauf unterbringen, wenn man sie dicht an dicht nebeneinander stellen würde. Doch für ein Picknick wäre sie ideal. Nicht das Mike auch nur ansatzweise irgendwelche Sachen, die man für ein Picknick bräuchte, dabei hätte. Nicht einmal eine Flasche Alkohol, die, wenn er etwas beisteuern würde, wohl das wahrscheinlichste wäre, aber trotzdem, ist es hier wunderschön.
Das Gras auf der Lichtung reicht bis ganz nah ans Ufer heran und erst ganz dicht am Wasser sehe ich einen sandigen Streifen, der an dieser Stelle erstaunlicherweise nicht mit Schilf bewachsen ist.
Links von mir, wo die Bäume dichter stehen schimmert irgendetwas, doch bevor ich meine Neugier auch nur ansatzweise befriedigen kann zieht Mike mich von der Maschine und nimmt mir den Helm ab.
Zischend ziehe ich die Luft ein, als eine meiner Dreadloks sich beim abnehmen im Helm verheddert.
"Sorry, Süße." entschuldigt sich Mike.
"Schon Okay, meine Zottel bleiben doch ständig irgendwo hängen." vorsichtig fummele ich an der Strähne herum, bis sie sich löst. Mike legt den Helm auf den Sitz, dann zieht er aus dem kleinen Fach darunter einen Schal hervor, wobei der Helm polternd herunter fällt. Fluchend hebt er ihn auf und knallt ihn unsanft auf den Sitz zurück, als würde er so besser halten.
Grinsend sehe ich ihm dabei zu und wundere mich gleichzeitig darüber, wozu er bei fünfundzwanzig Grad im Schatten einen Schal braucht.
Als er sich grinsend zu mir herumdreht und "Augen zu!" befiehlt, weiche ich vor ihm zurück.
Abwehrend hebe ich die Hände und lege sie auf seine Brust, um ihn auf Abstand zu halten.
"Was hast du vor?"
"Lass dich überraschen, Mia. Es wird dir gefallen, ich verspreche es." verschmitzt lächelt er mich an. dann packt er mich blitzschnell an den Händen und wirbelt mich herum.
"Oder muss ich dich erst damit fesseln?" flüstert er mir anzüglich ins Ohr und wedelt mit dem Schal vor meiner Nase herum. Ein Schauder läuft mir den Rücken hinunter als sein warmer Atem meinen Hals streift und er seine Wange an meine Borstigen Haare schmiegt. Ich weiß, was er damit bezwecken will aber ich werde nicht weich, nicht mehr. Nicht so wie früher, als ich ihn noch nicht so gut kannte und nicht wusste, das er seinen Charme immer nur dann einsetzte, wenn er bei mir was erreichen wollte.
"Musst du wohl, denn ich werde mich nicht mit verbundenen Augen durch diesen holprigen Wald führen lassen." widersetze ich mich. Aber ich lasse mich trotzdem gegen seine Brust sinken und genieße das Gefühl der Geborgenheit, die ich bei meinen Eltern nicht mehr finde.
"Komm schon, Mia, mir zu liebe." säuselt er mir zu und küsst mich auf die empfindliche Stelle hinter meinem Ohr.
Es kitzelt ein bisschen ist aber auch wahnsinnig schön. Die feinen Härchen in meinem Nacken richten sich auf und ein wohliger Schauer rinnt meinen Rücken hinunter. Und schon bröckelt mein Widerstand. Aber noch bin ich nicht bereit nachzugeben. Zögerlich schüttele ich meinen Kopf. Doch er kennt mich zu gut, er weiß, das er mich fast so weit hat.
"Ich trag dich auch." Verspricht er.
"Also gut." gebe ich nach, dieser Verlockung kann ich einfach nicht widerstehen.
"Ha! Gewonnen!" freut er sich und lässt mich los. Auf seinem Gesicht sehe ich dieses unverschämt niedliche Grinsen und muss ebenfalls lächeln.
Manchmal wünschte ich mir, das Mike und ich mehr wären als gute Freunde, doch wenn ich sehe, wie er mit seinen festen Freundinnen spielt, sich nimmt, was er braucht und sie dann irgendwann einfach fallen lässt, wenn er mit ihnen fertig ist, bin ich fast froh, daß wir nur gute Freunde sind. Kumpel, die sich gut verstehen und viel Spaß zusammen haben. Und nicht mehr.
Ich weiß, dass es für aussenstehende manchmal so aussehen muss, als wären wir mehr als Freunde,zum Beispiel, wenn er mich wie eben in den Arm nimmt und mich küsst aber so ist es nicht. Dieses Geplänkel ist seine Art mir zu zeigen, daß ich ihm wichtig bin. Und der Weg, den er wählt um mich zu etwas zu bringen, dass ich eigentlich nicht will.
Und seit diesem einen mal im Park haben wir uns auch nicht wieder geküsst. Auf die Wange, ja. Auf den Hals, ja! Hinters Ohr JA! Aber nicht auf den Mund. Leider? Gott sei dank?
Das kann ich mir nicht einmal selbst beantworten. Vermutlich beides. Leider, weil es sehr schön War ihn zu küssen und gott sei dank, weil zwischen uns alles so bleibt wie es ist. Einfach, unkompliziert.
"So und jetzt stillgestanden!" befielt er vergnügt. Dann wird es dunkel, als sich der Schal über meine Augen legt.
Ich stehe da und warte darauf, was als nächstes passiert. Es dauert einen Moment und schon will ich mir das Tuch von den Augen ziehen, als ich den Boden unter den Füßen verliere.
"Ahh!" kreische ich erschreckt auf. Doch Mikes stimme ganz dicht an meinem Ohr bringt mich zum schweigen.
"Halt dich an mir fest, Süße, es ist nicht weit." weist er mich an.
Ein weinig unbedarft, weil ich nichts sehen kann schlinge ich meinen Arm um seinen Hals und schmiege den Kopf an seine breite Schulter. Es ist schon cool, so einen starken, großen und fürsorglichen Freund wie Mike zu haben. Er ist fast wie der großer Bruder, den ich mir immer gewünscht habe auch wenn ich manchmal etwas mehr für ihn empfinde als es zwischen Geschwistern üblichist, mehr, als gut für mich ist.
Heute ist mein sechzehnter Geburtstag. Deshalb sind wir hier, das weiß ich, aber ich habe keinen blassen Schimmer, was wir hier machen. Mutterseelen allein im Wald. Naja, nicht ganz allein, denn irgendwo musste Luke ja schließlich abgeblieben sein und außerdem hatte er gesagt, das die Anderen warten würden.
Schleierhaft war mir nur, wo die Anderen, von denen ich annahm, das er damit Kathleen, Mel, Jason, Pelle, Ossi, Rike und Guschi meinte, mit denen wir meistens zusammen rumhingen, abgeblieben waren.
Plötzlich wurde ich fallen gelassen und mein Herz krampfte sich erschreckt zusammen, doch ich stürzte nicht. Mit aller kraft klammerte ich mich an Mikes Hals fest. Zu fest.
"Hey, Mia." röchelte er "Nicht so fest."
"Dann lass mich nicht fallen!" schimpfte ich und lockerte meinen griff, als ich festen Boden unter mir spürte. Mike stützte mich solange, bis ich sicher auf den Füßen stehen blieb.
"Sorry." krächzte er, dann räusperte er sich.
Ich hörte etwas quietschen, dann wurde ich sanft vorwärts geschoben. Unsicher machte ich einen Schritt nach dem anderen. Meine ausgelatschten Turnschuhe erzeugten einen dumpfen Ton auf dem festen Untergrund.
Wo zum Teufel sind wir hier! Fragte ich mich? Sind wir noch im Wald? Natürlich Mia! Schimpfte ich mich selbst. Wir waren keine zwei Minuten zu Fuß gegangen, also konnten wir wohl kaum den Wald verlassen haben. Doch wo waren wir dann?
Neugierig schnüffelte ich in der Luft herum. Es roch ein bisschen muffig, nach Wald, Pilzen und Schimmel, doch es war nicht unangenehm. Dann nahm ich einen blumigen Duft wahr, der mir vage bekannt vorkam, nur wollte mir nicht einfallen woher.
Angestrengt lauschte ich in die Stille. Rechts von mir raschelte etwas. Ich konnte leises atmen hören und unruhiges scharren, von etwas, das über den Boden schlich. Ängstlich wich ich einen Schritt zurück, wobei ich gegen Etwas oder Jemanden stieß. Dann packte dieses Ding mich bei den Schultern und hielt mich fest. Mein Herz raste.
"Du kannst die Augenbinde jetzt abnehmen." dringt Mikes leise Stimme zu mir. Natürlich! Er war derjenige hinter mir.
Unsicher hob ich die Hand und schob den Schal von meinen Augen. Ich blinzelte mehrmals, um wieder klar sehen zu können und dann...
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top