08 | Advent, Advent, 1 Lichtlein brennt

Leider bin ich gestern vor 0 Uhr eingeschlafen. Deshalb hier schnell das nächste Türchen ♥️

„John, kommst du jetzt bitte?"

Cassie, die mit einer Geschenktüte in der Hand im Flur des Hauses stand, fuhr hektisch zu ihrem Freund herum. Er hatte gerade den unteren Treppenabsatz erreicht und machte gemächlich ein paar Schritte auf sie zu.

„Stress mich doch nicht so, Shorty", sagte er genervt, blieb vor dem Spiegel stehen, der gegenüber der Garderobe an der Wand hing, betrachtete sich in aller Seelenruhe und zupfte kritisch an den Ärmeln seines bunten Strichpullovers herum, den er mit einer Jeans kombiniert hatte. Cassie, die bereits in ein Paar Boots geschlüpft war, verdrehte die Augen.

„Wegen dir kommen wir wieder mal zu spät", tadelte sie ihn kopfschüttelnd und griff nach einer ihrer vielen Wintermützen.

„Ich bin doch fertig", erwiderte John verständnislos und reichte ihr einen beigefarbenen Wollmantel.

„Du kiffst eindeutig zu viel", kommentierte sie. Anders konnte sie sich seine ständige Gelassenheit nicht erklären.

„Solltest du auch mal, dann wärst du sicher auch entspannter", schoss er unbeeindruckt zurück, bevor er den Dschungelbuch-Song anstimmte und singend durch den Flur tanzte. „Probier's mal mit Gemütlichkeit, mit Ruhe und Gemütlich-"

„Ziehst du dir noch Schuhe an oder gehst du barfuß?", überging sie seine Äußerung, während sie in den Mantel schlüpfte. John grinste. Er wusste, dass er ihre Geduld bisher schon ausreichend ausgereizt hatte, doch es machte ihm Spaß, sie aus der Reserve zu locken. Als er in ein Paar Sneaker geschlüpft war, streckte er seine Hände nach ihr aus. Nur widerwillig ließ sie sich von ihm in eine Umarmung ziehen.

„Hab ich dir schon gesagt, wie süß du heute aussiehst?", versuchte er, sie versöhnlich zu stimmen, indem er ihr Outfit bestehend aus einem beigefarbenen, lässigen Pullover und einer schwarzen Leggings kommentierte. Cassie schüttelte ungläubig grinsend den Kopf.

„Und jetzt verkackst du auch noch ein einfaches Kompliment...", stichelte sie, ehe sie sich von ihm löste.

„Was denn?", lachte John.

„Süß...", wiederholte sie tadelnd.

„Für sexy hast du – wie so häufig – zu viel an...", konterte er trocken. Diesmal musste auch sie lachen, als sie ein letztes Mal zu ihm herumfuhr. Er zog gerade eine dicke Winterjacke an.

„Oh man, kommst du jetzt? Sonst müssen wir uns wieder eine Notlüge ausdenken, und darauf würde ich zumindest dieses Jahr gern verzichten."

John grinste, dann zog er die Haustür auf. Sofort wurden sie von der eisigen Kälte eingehüllt, die Hamburg seit ein paar Tagen fest im Griff hatte. Schnell huschte Cassie zu dem dunklen SUV herüber, den sie vorhin nach dem Einkaufen in der Einfahrt abgestellt hatte. Mit einem Knopfdrück entriegelte sie die Türen, fiel auf den Fahrersitz und stellte die Geschenktüte im Fußraum auf der Beifahrerseite ab. John, der unterdessen die Haustür abgeschlossen hatte, musterte sie amüsiert, als er neben ihr Platz nahm. „Schade, dass du nicht mal wieder einen mit mir durchziehen willst..."

Sie schmunzelte.

„Super Idee, vor dem Adventsessen mit meiner Familie..."

Er grinste.

„Wir könnten deinen Opa fragen, ob er mitrauchen will."

Cassie lachte, als sie den Motor startete.

„Das können wir auch lassen."

„Aber wieso? Er ist ein cooler Typ...", sinnierte er, während sie den Wagen vom Grundstück lenkte.

„Stimmt. Das ist er", pflichtete sie ihm bei. „Trotzdem habe ich noch nicht vergessen, was passiert ist, nachdem ihr euch bei seinem letzten Geburtstag zusammen betrunken habt."

John schnappte empört nach Luft.

„Entschuldige mal, Shorty. Aber es war sein achtzigster Geburtstag. Da kann ein Mann in seinem Alter es nochmal so richtig krachen lassen. Wer weiß, ob er den Neunzigsten noch erlebt...", rechtfertigte er sich überzeugt. Cassie schmunzelte.

„Ja, ich weiß. Deshalb ja auch die Stripperin", kommentierte sie augenrollend.

„Du hast es erfasst. Und dein Opa hat sich sehr darüber gefreut", betonte John.

„Und meine Oma erst...", fügte Cassie triefend vor Sarkasmus hinzu. Er lachte.

„Gib doch einfach zu, dass es lustig war."

„Für Carlos und dich vielleicht..."

„Und für deinen Opa", ergänzte er neunmalklug.

„Carlos kann froh sein, dass Willow sich nicht von ihm getrennt hat", kicherte sie.

„Besser für sie; so einen wie ihn bekommt sie nie wieder", sagte John überzeugt.

„Oh ja, da bin ich mir sicher", pflichtete Cassie ihm bei, wenn auch aus anderen Beweggründen. Ihr Freund lachte wissend.

„Schade eigentlich, dass wir nicht gewettet haben...", sagte er nun und sah nachdenklich aus dem Fenster. Cassie zog die Augenbrauen hoch und warf ihm einen flüchtigen Seitenblick zu. „Weil?", hakte sie nach und konzentrierte sich wieder auf die Straße.

„Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass das mit den beiden passt wie Arsch auf Eimer", rief er ihr großspurig ins Gedächtnis. Cassie seufzte.

„Wow, super. Du hast auch mal eine Situation richtig eingeschätzt...", räumte sie großzügig ein.

„Was heißt denn hier auch mal?", hinterfragte er beleidigt.

Sie lachte.

„Eine sonderlich gute Beobachtungsgabe hast du ja sonst nicht unbedingt", stichelte sie frech grinsend. John schnaubte.

„Jetzt wirst du verletzend, Shorty."

„Hast du etwa das mit Malia und Raf vergessen? Du hast jedenfalls nicht gemerkt, dass dein bester Freund was mit meiner besten Freundin hatte", erinnerte sie ihn.

„Du doch auch nicht", lachte John. „Und ohne Marten hätte keiner von uns überhaupt was geahnt."

„Ich hätte wissen müssen, dass es keine gute Idee ist, dich an den Plätzchenteig zu lassen...", kommentierte sie. Er runzelte die Stirn.

„Was meinst du?"

„Hättest du nicht diese Penis-Kekse gebacken, hätte Marten keinen blöden Kommentar gegenüber Willow gemacht, Raf hätte ihm keinen Spruch dafür gedrückt und er hätte ihn nicht auf Malia angesprochen. Es ist also praktisch, wie so oft, deine Schuld...", fasste Cassie überzeugt zusammen. John lachte auf.

„Du bist manchmal eine richtige Hexe."

Sie kicherte.

„Noch lachst du. Aber warte ab, was ich dieses Jahr vorhabe", erwiderte er mystisch. Sie runzelte die Stirn.

„Da du dich nicht sonderlich hervortust mit den Weihnachtsvorbereitungen, muss ich mir keine Sorgen machen", schmunzelte sie. Er erwiderte es. „Wart's nur ab, Shorty. Wart's nur ab."

Als sie kurz darauf mit nur zehn Minuten Verspätung das kleine Restaurant betraten, setzte Cassie ein vorfreudiges Lächeln auf. Wie an jedem 1. Advent fand heute das obligatorische Adventsessen mit ihrer Familie statt und sie freute sich schon sehr auf diesen Abend. Es war die einzige Zeit im Jahr, in der die gesamte Verwandtschaft mütterlicherseits in großer Runde zusammenkam.

Eine wohlige Wärme erfüllte sie, als John ihr die Tür aufhielt und ihr den Vortritt ließ. Das kleine, italienische Restaurant war bereits weihnachtlich dekoriert und der Raum war in Gold- und Beigetöne getaucht. Cassie entdeckte ihre Familie im hinteren Bereich des Lokals und hielt zielstrebig darauf zu. John folgte ihr. Ihre Mutter saß am Kopf des Tisches, Willow und Carlos, ihre Großeltern, ihre Tante, ihr Onkel und ihre Cousinen an den Seiten um den Holztisch herum. Die Stimmung schien gut, geradezu ausgelassen.

„Wie schön, dass ihr endlich da seid", stellte ihre Mutter lächelnd fest, als sie die beiden erblickte.

„Tut uns leid, Rosi. Deine Tochter musste noch ihre Locken in Form drehen. Du weißt ja, wie lang das dauert, bis sie so aussehen", kommentierte John trocken ihr Zuspätkommen und deutete auf Cassies Frisur. Seine Freundin rollte grinsend mit den Augen und schloss zunächst ihre Großeltern, dann nach und nach den Rest der Familie in ihre Arme. Eine tiefe innere Zufriedenheit erfüllte sie, als sie beobachtete, wie herzlich ihre Familie John begrüßte. Lediglich Willow übte sich in Zurückhaltung.

„Ich kann dir gar nicht sagen, was für einen Hunger ich habe", sagte Cassie, als sie sich auf die letzten freien Plätze am Tisch setzten und ihre Jacken auszogen. Sie reichte ihren Mantel an John weiter, der die beiden Kleidungsstücke neben sich auf die Sitzbank legte. Erst, als sie ihrer jüngeren Schwester ins Gesicht schaute, die ihnen zusammen mit Carlos gegenübersaß, bemerkte sie, dass Willows Blick sich verdüstert hatte. Statt mit ihr zu sprechen, griff sie nach ihrem Glas und kippte einen Schluck Cola herunter. Cassie seufzte lautlos. Nach all dem Trubel und dem Nervenstress der letzten Tage ertrug sie negative Schwingungen nur schwer; erst recht, weil sie ihre eigenen Emotionen so schlecht kontrollieren konnte. Selbst, wenn die letzten Shows besser gelaufen waren als erwartet, trieben all die Gedanken sie noch immer um.

„Guten Abend", grätschte der freundliche Kellner dazwischen, der ihnen die Speisekarte brachte. Augenblicklich nahm Willow sie entgegen, schlug sie auf und vertiefte sich darin. Cassie warf Carlos einen prüfenden Blick zu, doch der winkte lediglich unbeteiligt ab. Ihr ungutes Bauchgefühl wurde noch verstärkt, als sie zu erkennen glaubte, dass ihre Schwester John mit einem giftigen Seitenblick bedachte. War sie möglicherweise auch wütend auf ihn? Wahrscheinlich würde Cassie um ein klärendes Gespräch nicht herumkommen. 

Ja, das denke ich leider auch. Was glaubt ihr, wie sie reagieren wird, wenn sie den Grund erfährt?

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