21 | Türchen 21

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen :) Ich kann kaum glauben, dass schon bald Weihnachten ist - nur noch ein paar Tage. Habt ihr alle Geschenke? :D

Kühle Winterluft hüllte Nio ein, als er gemeinsam mit Kaia auf seinen kleinen Balkon hinaustrat. Sie hatte länger arbeiten müssen und sich ein wenig verspätet, doch er hatte die Zeit sinnvoll genutzt und den wenigen Platz, der ihnen zur Verfügung stand, festlich geschmückt. Die Sonne war bereits untergegangen, sodass die Lichterketten am Geländer besonders gut zur Geltung kamen. Ein paar auf dem Beistelltisch flackernde Kerzen verliehen der Szenerie ein romantisches Flair und rundeten das Bild ab. Nio entging das überraschte Leuchten in ihren Augen nicht, als ihr Blick auf die mit Decken und Kissen ausgelegte Liege fiel, die er unter dem Infrarot-Heizstrahler platziert hatte. Erst vor einigen Wochen hatte er ihn angebracht und nun glühte er sanft in der Dunkelheit und gab eine wohlige Wärme ab.

„Wow, sieht richtig gut aus", sagte sie beeindruckt. Er lächelte beinah verlegen, als er die Freude in ihren Augen sah.

„Danke. Ich dachte, ist einfach mal was anderes", erwiderte er.

„Was Besonderes", korrigierte sie. „Ich hab sowas jedenfalls noch nie gemacht, und wenn ich ehrlich bin, finde ich das eine richtig süße Kalenderidee. Wieso bin ich da nicht drauf gekommen?"

Er grinste schief, als sie die Decke nahm, die er auf der Liege ausgebreitet hatte.

„Kannst es dir ja fürs nächste Jahr merken", feixte er, bevor sie es sich gemütlich machte. Er verschwand unterdessen kurz in der Küche, um die Getränke zu holen. Als er zu ihr zurückkehrte, ließ sie ihren Blick gerade über die Dächer und die vielen bunten Lichter der Stadt schweifen. Er stellte die zwei dampfenden Tassen auf dem kleinen Tisch ab und sie rückte ein Stück zur Seite, um ihm Platz zu machen.

„Ich dachte, wir machen es uns einfach gemütlich und gucken uns die Sterne an. Mit einem heißen Kakao", sagte er, rückte dicht an sie heran und reichte ihr schelmisch lächelnd ihre Tasse.

„Klingt gut"; sagte sie, nahm die Tasse entgegen und kuschelte sich in seinen Arm, während er die Decke wieder über ihnen ausbreitete, so, dass sie beide schön darin eingewickelt waren. Kaia seufzte wohlig und sah gemeinsam mit ihm in den funkelnden Sternenhimmel. Nur ganz leise waren hier und dort die Fahrgeräusche der Autos zu hören.

„Weißt du, warum ich den Winter so mag?" fragte Kaia leise, die Hände fest um die heiße Tasse geschlossen.

„Nein, erzähl..."

„Weil er die Welt irgendwie entschleunigt. Alles ist ruhiger, langsamer und irgendwie bin ich mehr bei mir."

„Ich finde es auch schön, obwohl ich nicht der geborene Romantiker bin...", sagte er, den Blick aufs Firmament gerichtet.

„Du bist gar kein Romantiker", korrigierte Kaia trocken. Er grinste schief und nahm einen Schluck von seinem Getränk.

„Dafür bin ich handwerklich nicht schlecht, das sollte das aufwiegen", sagte er überzeugt. Sie schmunzelte.

„Manchmal."

„Ohne meine Hilfe hättest du weder ne Kommode im Flur, noch nen Strahler an der Decke, also chill mal deinen Hobbitfuß", schmunzelte er frech. Sie kicherte und lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter, dann lauschten sie einen Moment einfach nur der Stille der Winternacht. Eine sanfte Brise wog die Lichterketten hin und her und es schien, als würden die Kerzen in den kleinen Windlichtern für sie tanzen. Erst nach einer Weile, als er ungewöhnlich still blieb, sah sie wieder zu ihm und bemerkte, dass er seinen Blick fest auf den Himmel gerichtet hielt, so, als würde er über etwas nachdenken.

„Was ist?", fragte sie leise, während sie sanft ihre Hand auf seine legte. Er seufzte tief, zögerte einen Moment.

„Ich weiß, dass du Weihnachten liebst, aber für mich ist das nicht so einfach. Das war es nie", sagte er schließlich und fuhr sich durch die Haare.

„Ich weiß", flüsterte sie, stellte ihre Tasse zur Seite und legte ihre Hand auf seiner Brust ab, während sie dichter an ihn heranrutschte. Er atmete tief durch, noch immer nicht sicher, ob er sich nach diesem Gespräch wirklich besser fühlen würde, aber irgendwie verspürte er gerade das Bedürfnis, sie nicht nur körperlich nah an sich heranzulassen.

„Bei uns war es nicht immer nur schwierig", fuhr er fort. „Klar hast du viel mitgekriegt, aber manche Dinge habe ich dir nie erzählt, weil sich das nie ergeben hat – und ich auch irgendwie keinen Bock drauf hatte, das immer wieder hochzuholen. Du weißt ja, dass Mamas Eltern immer sehr perfektionistisch waren und ständig was an Papa auszusetzen hatten, ganz egal, wie viel Mühe er sich gegeben hat. Nie war er gut genug und sie haben auch nie wirklich akzeptiert, dass Mama ihre eigene Familie hatte, ganz besonders an Weihnachten."

Sein Herz wurde schwer und zog sich schmerzhaft zusammen. Um den in sich aufsteigenden Druck loszuwerden, ächzte er, doch es half nicht.

„Wenn ich so zurückdenke, kann ich mich nicht an ein einziges Weihnachtsfest erinnern, das einfach nur harmonisch war oder an dem es keine Spannungen gegeben hat..."

Er merkte selbst, dass seine Stimme rauer geworden war, und trank einen weiteren großen Schluck von seinem Kakao, so, als würde dieser die schlechten Gefühle einfach herunterspülen, aber es gelang ihm nicht.

„Tut mir leid", flüsterte sie und ließ ihre Fingerspitzen durch sein Haar gleiten. Er ließ es geschehen, atmete noch einmal durch, ehe er weitersprach.

„Meistens ging es um Kleinigkeiten; wie Papa irgendwas geplant oder was Mama gekocht hat. Aber eskaliert ist es immer. Und Mama..." Er hielt inne und schluckte schwer. „Ich habe gesehen, wie sehr sie darunter gelitten hat. Sie hat immer versucht, alles perfekt zu machen, nur, um irgendeine beschissene Harmonie zu wahren, die es eigentlich gar nicht gab, weil nie irgendwas gut genug war."

Kaia schluckte.

„Und dann gab es da diesen einen Weihnachtsabend", fuhr Nio fort. „Ich war vielleicht dreizehn. Keine Ahnung, warum es da schlimmer war als sonst. Aber Opa hat Papa gesagt, was er für eine Enttäuschung für die Familie ist und dass Mama besser einen anderen geheiratet hätte, und Papa ist richtig ausgeflippt."

„Verständlicherweise", räumte Kaia leise ein, ihre Finger noch immer in seinem Haar vergraben. Nio biss sich auf die Unterlippe. Trotz des Schmerzes, den er während seinen Erzählungen verspürte, weil er sich an all die schlechten Tage zurückerinnerte, fühlte es sich befreiend an, ihr endlich davon zu erzählen und es nicht weiter in sich hineinzufressen.

„Ich habe ihn noch nie so wütend gesehen. Er ist nicht einfach nur laut geworden, er hat richtig rumgeschrien, Mama hat geweint, und am Ende ist er abgehauen, hat die Tür hinter sich zugeschlagen und ist einfach verschwunden. Erst Stunden später ist er wieder gekommen, als Oma und Opa schon weg waren."

Kaia sagte nichts, drückte ihm stattdessen einen Kuss auf die Wange und kuschelte sich dichter an ihn.

„Seitdem hat Weihnachten für mich einen bitteren Beigeschmack. Ganz egal, wie lange es her ist – ich erinnere mich jedes Jahr daran, und es kotzt mich an, dass wir diesen verlogenen Schein wahren, weil eigentlich hat keiner Bock darauf."

Kaia betrachtete ihn mitfühlend von der Seite. Nio hatte sich ihr gegenüber selten so verletzlich gezeigt.

„Ich verstehe, dass das tief sitzt. Und es tut mir leid, dass du das durchmachen musstest."

Er seufzte schwer.

„Mir tut es am meisten leid für meine Eltern. Und ich kann bis heute nicht verstehen, wieso sie meinen Großeltern immer wieder neue Chancen gegeben haben. Wenn sich jemand dir gegenüber so respektlos verhalten würde, würde ich direkt den Kontakt abbrechen. Aber naja, so, wie es aussieht, kommt es jetzt auch so."

Kaia runzelte verständnislos die Stirn.

„Was meinst du?", hakte sie vorsichtig nach. Nio atmete schwerfällig, ehe er weitersprach. „Vor ein paar Tagen ist es komplett eskaliert. Mein Opa hat ein Testament aufgesetzt und meine Eltern vom Erbe ausgeschlossen, um nicht Papas falsche Entscheidungen zu unterstützen, oder so. Natürlich hat er sich das nicht gefallen lassen, du weißt ja, wie er sein kann. Mama wollte schlichten, dann haben sie sie rausgeworfen – und jetzt wollen Mama und Papa an Weihnachten einfach wegfahren."

Kaia sah ihn aus großen Augen mitfühlend an.

„Das tut mir leid", sagte sie leise. Nio schnaubte wütend.

„Wir brauchen die nicht in unserem Leben, wenn die immer nur Stress machen; weder Mama und Papa, noch Lia und ich. Mir fehlt nichts, wenn wir Weihnachten dieses Jahr ohne die Schreckschraube und das Arschloch feiern. Aber so, wie es aussieht, feiern wir dieses Jahr gar nicht..."

Die Erkenntnis tat höllisch weh, denn auch, wenn er sich immer dagegen gewehrt hatte, spürte er tief in seinem Inneren, dass ein Teil von ihm sich nach dieser Besinnlichkeit und diesem familiären Zusammenhalt sehnte.

„Na und? Dann kommst du mit zu uns. Ist doch ganz klar. Und Lia auch", sagte Kaia ohne zu zögern und schenkte ihm ein ermutigendes Lächeln, doch er fühlte sich so schlecht, dass er es nicht erwidern konnte. Traurig drehte er ihr seinen Kopf zu und sah ihr direkt in die Augen.

„Du verstehst das nicht. Ich wollte dich mit zu mir nehmen, weil es mir wichtig war, dass du dabei bist und ich diese beschissene Erinnerung, die ich an Weihnachten habe, für immer hinter mir lassen und neue schaffen kann; so, wie du es immer gesagt hast. Stattdessen bricht jetzt meine Familie auseinander."

„Und gerade deshalb sollten wir unsere eigenen schönen Erinnerungen schaffen, damit du Weihnachten nicht länger mit dieser Scheiße verbindest – sondern mit dem, was wir daraus gemacht haben", erwiderte sie sanft. Er lehnte seine Stirn an ihre und atmete tief durch. Ihre Worte taten so unfassbar gut, genau, wie sie ihm guttat. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Du bist wirklich toll, weißt du das? Tut mir leid, dass ich dir deine Weihnachtsstimmung kaputtgemacht habe."

Sie schüttelte den Kopf.

„Hast du nicht", versicherte sie.

„Gut. Weil das hier ist der schönste Abend, den wir bisher hatten", sagte er. Ein Lächeln huschte über seine Mundwinkel. Sie erwiderte es zufrieden.

„Und weißt du, was das Beste daran ist?", fragte sie.

„Nee, was denn?"

„Wir haben den ganzen Winter noch vor uns – und damit noch ganz viele Abende wie diesen." 

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich finde es schon süß, dass er sich ihr jetzt öffnet und sie für ihn da ist :) Zum Glück hat er nochmal die Kurve gekriegt, sonst wäre sein Weihnachten schon echt traurig geworden dieses Jahr.

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