14 | Türchen 14
Wahrscheinlich sind wir jetzt alle ganz schön angefressen, und am meisten angefressen ist wohl Kaia. Keine Ahnung, aber ich finde, es wäre schon eine Entschuldigung fällig, oder?
Kaia saß zusammengesunken mit angezogenen Beinen auf ihrer Couch. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit Nio verschwunden war. Die weihnachtlichen Ornamente, die sie für das Fotoshooting bereitgelegt hatte, schienen jetzt wie Überreste eines Festes, das nie wirklich begonnen hatte. Das Türchen von heute, das sie so liebevoll vorbereitet hatte, lag nun einsam und unberührt neben dem leuchtenden Weihnachtsbaum, und ihr war, als könnte das Glitzern der Lichter das finstere Gefühl in ihrer Brust nicht im Mindesten erhellen.
„Akzeptier einfach, dass ich nicht der Freund bin, den du gern hättest!", hallten Nios Worte von vorhin noch immer durch ihren Kopf. Wie hatte er das nur zu ihr sagen können, nachdem sie sich so viel Mühe mit dem Adventskalender gegeben hatte? Schließlich machte sie das für ihn; damit es ihm nicht jedes Jahr schlecht ging, während andere sich auf die Zeit mit ihren Familien freuten.
Kaia zuckte zusammen, als es klingelte. Sie warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr. Über eineinhalb Stunden war es nun her, dass Nio sich aus dem Staub gemacht hatte, und doch wusste sie, dass nur er es sein konnte, denn sonst klingelte um diese Uhrzeit eigentlich niemand mehr bei ihr. Kaia schnaubte wütend. Demonstrativ verschränkte sie die Arme vor der Brust und setzte ein grimmiges Gesicht auf, so, als würde er sie in dieser ablehnenden Haltung auf der Couch sitzen sehen können. Es klingelte ein weiteres Mal, doch sie rührte sich nicht. Als schließlich ihr Handy auf dem Wohnzimmertisch vibrierte, warf sie einen mürrischen Blick auf das Display, nur, um genüsslich in sich aufzusaugen, dass ihr sein Name entgegenblinkte; zusammen mit seinem Foto, das sie erst neulich nach dem Geschenke-Shoppen vor dem riesigen Weihnachtsbaum im Einkaufszentrum geschossen hatten. Direkt wurde Kaia noch ein wenig wütender. Mit frostiger Miene drehte sie das Handy um, damit sie sein dämliches Grinsen nicht länger sehen musste. Kaum war der Anruf verstummt, klingelte es erneut. Es schien ihm wirklich ernst zu sein, denn Nio war sonst nicht der Typ, der ihr dermaßen penetrant hinterherlief. Sein schlechtes Gewissen musste riesig sein. Als ihr Handy abermals zu vibrieren begann, griff sie danach und sah auf das Display. Ihre Finger kribbelten unaufhörlich, während sie abwog, ob sie ihn noch länger zappeln lassen sollte. Doch dann entschied sie sich dagegen und nahm den Anruf an.
„Was willst du?", begrüßte sie ihn abweisend.
„Mach einfach auf, okay?"
„Tut mir leid, das Therapiezentrum hat heute leider schon geschlossen. Versuchen Sie es bitte morgen noch einmal."
Nio seufzte schwer.
„Gib mir fünf Minuten, okay?"
Sie schnaubte.
„Besser für dich, es werden nur drei", sagte sie bissig und legte auf, dann wischte sie sich die Tränen von den Wangen, stand mit schwerem Herzen auf und ging in den Flur. Dort betätigte sie ohne ein weiteres Wort den Türöffner und erwartete ihn mit vor der Brust verschränkten Armen im Türrahmen. Es dauerte nicht lang, bis Nio um die Ecke bog. Sein Blick war reumütig, doch seine Zurückhaltung verriet ihr, dass er noch immer in der Defensive war. Sie zog grimmig eine Augenbraue nach oben.
„Mach schnell, okay? Ich hab keinen Bock auf die Scheiße hier und außerdem muss ich gleich noch zu meinem Therapeuten. Den brauche ich nach jedem Treffen mit dir", empfing sie ihn frostig und sah ihm erwartungsvoll ins Gesicht. Nio hielt ihrem Blick stand.
„Es tut mir leid, okay? Ich hätte nicht einfach so abhauen sollen", gab er zurück, doch sie war nicht bereit, einfach nachzugeben.
„Okay, sonst noch was?", hakte sie ungeduldig nach. Nio sah ernst auf sie herab.
„Lässt du mich rein?"
„Nur, wenn du nicht wieder was kaputtmachst", sagte sie kühl, bevor sie schließlich einen Schritt nach hinten machte, um ihn wieder hineinzulassen. „Und auch nur, damit die Nachbarn nicht wieder denken, ich hätte mich ausgesperrt und müsste wieder mal mit der Hilfe meines schwerkriminellen Freundes in meine eigene Wohnung einbrechen."
Nio drückte die Tür hinter sich ins Schloss und folgte Kaia ins Wohnzimmer zurück.
„Mach es mir jetzt nicht so schwer, okay? Immerhin bin ich wieder zurückgekommen und das habe ich nicht gemacht, weil ich unbedingt weiterstreiten wollte."
Kaia fuhr wutschnaubend zu ihm herum.
„Hab ich dich jemals darum gebeten?", fragte sie bissig. Nio seufzte schwer.
„Es tut mir leid, das war scheiße von mir", räumte er ein. „Aber ich hab mich einfach in die Ecke gedrängt gefühlt."
Kaia stieß einen verächtlichen Laut aus.
„Das ist kein Grund, mich wie Dreck zu behandeln", warf sie ihm an den Kopf. „Nur, weil du einen schlechten Tag hattest, musst du das nicht an mir auslassen. Ich habe mir echt Mühe gegeben mit diesem Scheiß hier, damit du nicht jedes Jahr schon Bauchschmerzen kriegst, wenn nur jemand das Wort Weihnachten sagt."
Nio seufzte schwer und machte ein paar Schritte auf sie zu.
„Mit meiner Familie ist das aber alles nicht so einfach", machte er einen Versuch, sich zu erklären. Kaia schüttelte enttäuscht den Kopf.
„Mit deiner Familie ist nie etwas einfach."
„Werd nicht unfair, okay?", gab er ernst zurück.
„Unfair?", wiederholte sie enttäuscht. „Unfair ist, dass du es nicht mal schaffst, dich zusammenzureißen, um mir auch mal eine Freude zu machen. Manchmal habe ich das Gefühl, du willst dich gar nicht darauf einlassen."
Nio schüttelte den Kopf und sie glaubte für einen kurzen Moment, Reue in seinen Augen zu erkennen.
„Ich gebe wirklich mein Bestes, okay? Aber es fällt mir verdammt schwer."
Sie seufzte lautlos, als sie erkannte, dass er nicht bereit war, sich darauf einzulassen – aber sie würde ihn auch nicht dazu drängen.
„Vielleicht sollten wir das mit dem Adventskalender dann einfach sein lassen."
Ihre Stimme war ruhig, aber fest entschieden. Nio musterte sie überrascht. Unsicherheit lag in seinem Blick.
„Wie meinst du das?"
„So, wie ich es sage. Und ich glaube, es ist besser, wenn wir Weihnachten getrennt voneinander verbringen. Mir ist das nämlich wichtig und ich werde nicht zulassen, dass du mir das auch kaputtmachst."
Ich frage mal so: Wie hättet ihr reagiert, wenn er sich so verhalten hätte? Würdet ihr ihn damit durchkommen lassen, oder findet ihr, er verdient es, dass er jetzt Weihnachten allein verbringen kann, mit seiner schlechten Stimmung inklusive?
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