10 | Türchen 10

Und, wie geht es euch bisher mit dem Kalender? Gefällt euch die ganze Harmonie, oder ist euch das zu viel des Guten? :D

Nio schob die Hände tief in die Taschen seiner schwarzen Winterjacke, während er zielstrebig die Straße hinunterlief. Der Schnee knirschte dabei unter seinen Füßen. Die Sonne war längst untergegangen und die Straßenlaternen tauchten die weihnachtlich dekorierte Seitengasse in ein fahles Licht. Obwohl er sich mittlerweile an die Weihnachtsstimmung gewöhnt hatte, fiel es ihm schwer, sich wirklich darauf einzulassen. Immer wieder schlichen sich die schlechten Erinnerungen in seine Gedanken, zusammen mit einem schlechten Gewissen Kaia gegenüber. Schließlich hatte sie sich mit ihrem Adventskalender viel Mühe gemacht.

Als er um die Ecke bog und er sie in ihrem roten Wintermantel und mit einer weißen Mütze auf dem Kopf vor dem Café stehen sah, lächelte er unwillkürlich. Sie erwiderte es. Er beschleunigte seine Schritte, bis er schließlich vor ihr stehenblieb.

„Hey", begrüßte sie ihn, ehe er sich zu ihr herunterbeugte und ihr einen Kuss aufdrückte.

„Hey", wiederholte er. „Alles gut?"

Sie nickte.

„Ja", sagte sie. „Und bei dir?"

„Auch", schwindelte er, dabei hatte er den halben Tag darüber nachgedacht, was er ihr zu Weihnachten schenken sollte. Noch immer hatte er keine zündende Idee gehabt und ein wenig das Gefühl, dass ihm langsam die Zeit davonlief.

„Komm, lass uns reingehen", sagte er und hielt ihr die Tür auf. Dann ließ er ihr den Vortritt und folgte ihr nach drinnen. Sie suchten sich einen freien Tisch am Fenster und machten es sich gemütlich. Leise Weihnachtsmusik dudelte aus den Lautsprechern, der Duft von frischem Café und Gebäck lag in der Luft. Kaia zog den Mantel aus und die Mütze vom Kopf und zupfte ein wenig ihre blonden Locken in Form. Nio beobachtete sie dabei und legte seine Winterjacke achtlos auf den freien Stuhl neben sich. Es dauerte nicht lang, bis eine Kellnerin zu ihnen kam, um die Bestellung aufzunehmen.

„Und, wie hat dir dein Päckchen heute gefallen?", grinste Kaia frech, als sie wieder verschwunden war. Nio lachte auf.

„Super, ehrlich", schwor er bei der Erinnerung daran, wie er den Umschlag am Morgen geöffnet und den kleinen Zettel mit der Aufschrift „Foto-Challenge" hervorgezogen hatte. Kaia hatte ihn angewiesen, über den Tag Fotos von Dingen zu machen, die ihn an Weihnachten erinnerten und ihr diese heute Abend zu zeigen. Während Kaia ihn erwartungsvoll musterte, zog er sein Smartphone aus der Tasche und klickte sich in die Galerie. Er hatte gerade das erste Foto geöffnet, als die Kellnerin mit einem heißen Kakao und einer Tasse Kaffee an ihren Tisch zurückkehrte. Sie warteten, bis sie die Getränke abgestellt hatte und wieder gegangen war, dann schob er Kaia das Handy über den Tisch.

„Jetzt bin ich aber gespannt", grinste sie und warf neugierig einen Blick auf das Display. Es zeigte die gegenüberliegende Wohnungstür im Hausflur. Nios Nachbarn hatten augenscheinlich ihre Weihnachtsdekoration ausgekramt und waren dabei nicht zimperlich gewesen. An der Tür hing ein riesiger Kranz, der mit einer Lichterkette umwickelt war. Auf dem Boden lag eine Fußmatte, auf der in geschwungenen Lettern „Ho Ho Ho, it's Christmas" geschrieben stand, und unmittelbar daneben stand ein Weihnachtsmann mit einer glitzernden Mütze auf dem Kopf, der mit einem strahlenden Lächeln auf die Wohnung deutete.

„Okay, das ist selbst mir zu viel", gluckste Kaia.

„Guck weiter", forderte Nio und Kaia wischte über das Display. Nun kam die Außenfassade des Mehrfamilienhauses zum Vorschein. Am Balkon hing ein Deko-Weihnachtsmann in Lebensgröße, der mit einem Sack voller Geschenke auf dem Rücken gerade über das Geländer stieg.

„Ich dachte eigentlich immer, Santa Clause kommt durch den Schornstein", kommentierte Kaia trocken und entlockte Nio ein Schmunzeln.

„So kann man sich täuschen."

„Deine Nachbarn freuen sich jedenfalls mehr auf Weihnachten, als wir beide zusammen", fasste sie zusammen, bevor sie sich mit einem seligen Lächeln auf den Lippen weitere Bilder anschaute, die er im Laufe des Tages gemacht hatte. Das letzte zeigte ihn selbst in dem Weihnachtspullover, den Kaia ihm bei der Überreichung des Kalenders geschenkt hatte. Sie sah stirnrunzelnd zu ihm, als sie ihm sein Smartphone wiedergab.

„Und warum hast du den nicht angelassen?", fragte sie und deutete mit einem Nicken auf den beigefarbenen Wollpullover, den er mit seiner dunklen Jeans kombiniert hatte.

„Weil ich ihn nicht dreckig machen will", erwiderte er voller Überzeugung. Kaia grinste wissend.

„Ja, klar", sagte sie, bevor sie an ihrem heißen Kakao nippte.

„Und wie war dein Tag?", wechselte Nio das Thema, als sie ihre Tasse wieder vor sich abstellte. Kaia lehnte sich zurück und lächelte zufrieden.

„Total schön. Ich war heute in einem Kinderheim und habe bei einer Weihnachtsaktion geholfen. Wir haben mit den Kindern gebastelt und kleine Geschenke eingepackt. Die hatten so viel Spaß – das war echt toll", schwärmte sie. Nio zog überrascht eine Augenbraue hoch.

„Einfach so? Also, hast du das freiwillig gemacht?"

„Ja, klar", nickte sie, die Hände fest um die wärmende Tasse Kakao geschlossen. „Ich mache das jedes Jahr. Ich finde es so schön, zu sehen, wie sich die Kinder freuen, auch, wenn sie es gerade schwer haben. Die meisten von ihnen haben nicht die Möglichkeit, Weihnachten zuhause bei ihrer Familie zu verbringen."

Nio ließ ihre Worte einen Moment auf sich wirken.

„Du machst das also nur, um ihnen eine Freude zu machen?", schlussfolgerte er. Sie nickte.

„Ja, und ich mache das gern. Ich finde, Manchmal vergisst man, wie viel man selbst hat, bis man sieht, wie wenig andere haben. Und wenn diese Kinder das für einen Moment vergessen können und einfach nur glücklich sind, ist das für mich das Schönste. Für viele geht es an Weihnachten nur darum, was sie bekommen. Dabei geht es doch viel mehr darum, etwas zu geben, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten..."

Nio lächelte unwillkürlich. Ihr großes Herz berührten ihn. Ihre Sicht auf die Dinge war so anders als die, die er gewohnt war. Kaias Verständnis von Weihnachten hatte nichts mit dem Perfektionismus und den Erwartungen zu tun, die er von seinen Großeltern gewohnt war. Es ging nicht darum, all den Stress auszuhalten und sich zu bemühen, alles richtig zu machen, sondern um Nächstenliebe und darum, uneigennützig etwas zu geben.

„Klingt schön", murmelte er nachdenklich. „Ich hab irgendwie nie wirklich darüber nachgedacht, was Weihnachten eigentlich für andere bedeutet."

Vielleicht war Weihnachten doch nicht nur eine Zeit, die er durchstehen musste, sondern auch eine Chance, Menschen eine Freude zu machen – so, wie Kaia es tat.

Also ich finde es richtig schön, dass er langsam auftaut und auch die schönen Dinge sieht, die zu Weihnachten gehören. Oder was meint ihr? Bis hierhin lief es doch ganz gut, oder? Denkt ihr, er kann sich am Ende doch noch so richtig für Weihnachten begeistern?

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