29 | Elternabende
Have fun, ihr Herzen :D Müssen halt reinwachsen in die Elternrolle. Haha.
„Gibt's da heute Schuhe umsonst oder warum rennst du so?"
Nika, die gemeinsam mit Marten zielstrebig auf das große, klotzige Gebäude mit den roten Türen und Fensterläden zulief, drehte ihm grinsend den Kopf zu.
„Du schleichst einfach, das ist alles. Außerdem könnten wir uns viel mehr Zeit lassen, wenn du dich gerade nicht mit Josh verquatscht hättest", konterte sie und strich sich das blonde, offene Haar aus dem Gesicht. Marten zuckte unbeeindruckt mit den Schultern.
„Du bist ja bloß neidisch, dass ich mit ihm heute mehr geredet habe als mit dir", feixte er überlegen, als sie den Eingang der Kita erreichten.
„Nicht, dass ich etwas anderes von dir gewohnt wäre", kommentierte sie trocken, während er ihr die Tür aufhielt und ihr den Vortritt ließ. Marten lachte auf.
„Er ist eben der einzig Normale in deiner Familie", erwiderte er, während sie das Gebäude betrat. Marten folgte ihr und schob seine Hände in die Taschen der dunkelgrünen Bomberjacke, die er über seinen beigefarbenen Hoodie gezogen hatte. Nika zog skeptisch eine Augenbraue hoch und deutete auf sich selbst.
„Entschuldigung, ich glaube, du hast mich in deiner Rechnung vergessen."
„Nee", kommentierte er trocken. „War schon richtig so."
„Penner", lachte sie empört auf, während sie ihm gegen die Schulter stieß. Er lachte ebenfalls, dann legte er versöhnlich den Arm um ihre Schultern und zog sie zu sich heran. Nika ließ dabei ihren Blick über die bunten Bilder schweifen, die links und rechts an den Wänden hingen. Die Kinder hatten sie im Laufe der Zeit selbst gemalt.
„Hoffentlich dauert das nicht so lang", murmelte er. Nika drehte ihm grinsend den Kopf zu.
„Lass uns trotzdem einen guten Eindruck machen, ja?"
„Ich meine ja nur – je schneller wir hier wieder raus sind, desto mehr Zeit haben wir noch für uns", sagte er, ehe sein Gesicht sich verfinsterte. „Außerdem habe ich nicht mal einen Fuß da reingesetzt und schon maßregelst du mich, als wäre ich hier das Kind."
„Hast du heute das komplette Badezimmer unter Wasser gesetzt oder ich?", schmunzelte sie überlegen. Marten runzelte verständnislos die Stirn.
„Keine Ahnung, was du hast. Lia hatte total viel Spaß beim Baden", konterte er schulterzuckend. Sie verdrehte die Augen. „Nie um eine Ausrede verlegen."
Die Tür am anderen Ende des Flurs stand bereits offen. Je näher sie dem Raum kamen, in dem der heutige Elternabend stattfinden würde, desto deutlicher war ein leises Stimmgemurmel zu hören. Als sie das Zimmer betraten, setzte Nika ein freundliches Lächeln auf. Die Erzieherin und einige Eltern saßen bereits am langen Besprechungstisch und unterhielten sich angeregt miteinander. Sie unterbrachen kurz ihre laufenden Gespräche, als sie Nika und Marten bemerkten. Einige grüßten sie flüchtig, andere nickten ihnen lediglich verhalten zu. Dabei ignorierte er die misstrauisch-skeptischen Blicke, die ihm die anderen Erwachsenen zuwarfen. Er wusste, dass sie ihn nicht mochten und ihm mit Vorurteilen gegenübertraten. Nika hatte es nur unwesentlich leichter und er bewunderte sie dafür, dass sie trotzdem stets höflich und offen blieb.
„Ach, schau mal, Schatz, wer da ist."
Nika überspielte ihre Abneigung mit einem höflichen Nicken, als sie das Pärchen vor sich entdeckte. Auch, wenn sie inzwischen einige Jahre Zeit gehabt hatte, sich an Jackies unangenehmen Freundeskreis zu gewöhnen, konnte sie gut und gern auf Caro und Tobi verzichten und war froh, dass sich die Begegnungen auf große Familienfeiern, zufällige Treffen beim Abholen der Kinder oder Elternabende wie diesen beschränkten.
„Schön, dass du Marten auch mal mitgebracht hast", sagte die Blondine, als Nika und Marten sich an ihnen vorbeidrückten. Tobi straffte dabei die Schultern und strich sich das Sakko glatt.
„Sie wollte dir einfach mal ne Freude machen", kommentierte Marten trocken. Seit den abschätzigen Kommentaren auf der Taufe legte er nur wenig Wert darauf, es aus der Schublade herauszuschaffen, in den sie ihn damals gesteckt hatten. Nika wusste das und versuchte gar nicht erst, ihn dazu zu ermutigen. Schließlich konnte sie auf die Gesellschaft der beiden mindestens genauso gut verzichten.
„Wie geht's euch denn?", wollte Caro wissen. Ihre Augen funkelten neugierig, während sie Nika und Marten mit schief gelegtem Kopf gespannt musterte.
„Schlechten Menschen geht's immer gut", erwiderte Marten lapidar.
„Jackie hat erzählt, du hast jetzt ein eigenes Fitness-Programm", fragte Caro neugierig und sah Nika mit Adlersaugen ins Gesicht.
„Sie übertreibt maßlos. Ich biete einfach nur Sport für Mütter an", antwortete Nika ehrlich.
„Oh", machte Caro und wirkte dabei ein wenig enttäuscht.
„Und wie weit seid ihr bei der Umsetzung eures Vision Plans?", gab Nika mit einem zuckersüßen Lächeln zurück. Caro strahlte.
„Ganz hervorragend. Wir waren gerade erst ein paar Wochen in Dubai. Das Leben dort ist einfach so anders als hier", schwärmte sie mit leuchtenden Augen und drehte ihrem Freund den Kopf zu. „Tobi überlegt sogar gerade, eine Wohnung dort zu kaufen, oder, Schatz?"
Der Dunkelhaarige nickte.
„Ja, ich prüfe gerade die Investments", fügte er großspurig hinzu, bevor er abwinkte. „So viele Dinge, auf die man achten muss..."
Marten klopfte ihm ermutigend auf die Schulter.
„Ach was, wenn sich einer mit Immobilien auskennt dann du", betonte er zuversichtlich. Nika schmunzelte. „Wie läuft es eigentlich mit der Wohnung, die du mit deinem Kumpel vermietest? Ihr wolltet das doch gemeinsam machen und euch die Einnahmen teilen, oder?", hakte er neugierig nach und zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch. Tobi winkte seufzend ab.
„Die Wohnung haben wir schon lang wieder abgestoßen..."
„Wir sitzen übrigens da vorn", sagte Caro und deutete auf eine Reihe freier Stühle auf der anderen Seite des Tisches. Marten, der gerade seine Jacke ausgezogen hatte, warf sie demonstrativ auf den Stuhl zu seiner rechten.
„Schön, dass Sie auch hergefunden haben."
Eine rundliche Frau, Marten schätzte sie um die Fünfzig, war freundlich lächelnd an das Grüppchen herangetreten.
„Klar, Frau Sonnental. Wir lassen uns doch Nios Elternabend nicht entgehen", erwiderte er betont verantwortungsbewusst.
„Heute ist es besonders wichtig, dass möglichst viele dabei sind", sagte sie. „Vielleicht können Sie ja dazu beitragen, dass es eine gelungene Runde wird."
Nika zog eine Augenbraue hoch, doch noch bevor sie nachhaken konnte, wie sie diesen Kommentar einzuordnen hatte, betrat ein weiteres Elternpaar das Zimmer und Frau Sonnental huschte zu ihnen herüber.
„Komm, wir setzen uns mal", forderte Tobi und schob Caro zu ihren Plätzen. Nika legte ihre Jacke unterdessen über die Lehne eines freien Stuhls und setzte sich. Marten ließ sich neben sie fallen. Sie warf Frau Sonnental einen flüchtigen Blick zu, ehe sie sich ein Stück zu Marten herüberbeugte.
„Hat sie uns gerade durch die Blume gesagt, dass sie mehr Engagement von uns erwartet?", zischte sie, runzelte die Stirn und schaute ihm ratlos ins Gesicht. Er zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung. Du bist mit der befreundet, nicht ich", raunte er ihr ins Ohr.
„Ich bin einfach nur gut erzogen."
Marten lachte.
„Wenn das deine Eltern gehört hätten...", kommentierte er amüsiert und entlockte damit auch Nika ein Schmunzeln. Auch nach den vielen Jahren war das Verhältnis zu ihren Eltern mal mehr, mal weniger gut. Seit Nios Geburt bemühten sie sich darum, den Kindern zuliebe miteinander auszukommen. Ihr Vater hatte es aufgegeben, ihnen ein Haus bauen zu wollen und das Geld stattdessen auf einem Sparbuch für die Kinder angelegt; einer Geste, mit der Marten sich ziemlich lang schwergetan hatte. Doch inzwischen hatte er akzeptiert, dass er den Großeltern seiner Kinder zugestehen musste, sich in irgendeiner Art in ihrem Leben breitzumachen, ganz gleich, ob er sie um eine derart große finanzielle Unterstützung gebeten hatte oder nicht. Dennoch konnte es nicht schaden, Lia und Nio möglichst gute Startvoraussetzungen ins Leben zu ermöglichen, wenn sie erst einmal alt genug waren, um ihren eigenen Weg zu gehen. Also akzeptierte er inzwischen, dass Hajo noch etwas zu dem beisteuerte, was er im Hintergrund für seine Familie aufbaute – solang er nicht eines Tages versuchte, Lia oder Nio in ihre Lebensplanung hineinzureden, so, wie er es einst bei Nika getan hatte.
„Schön, dass Sie alle hergefunden haben", riss ihn Frau Sonnentals Stimme aus den Gedanken. Mittlerweile stand die Erzieherin am Kopf des Tisches und blickte fröhlich in die Runde. Automatisch linste Marten auf die Uhr an seinem Handgelenk.
„Wird auch Zeit, dass die mal anfängt", raunte er Nika zu; offenbar ein bisschen zu laut, denn Frau Sonnental drehte ihm stirnrunzelnd den Kopf zu und musterte ihn mit einem angriffslustigen Funkeln in den Augen. Es war offensichtlich, dass ihr sein bissiger Kommentar nicht entgangen war.
„Herr von Frieling?"
Plötzlich waren alle Blicke auf ihn gerichtet. Nika drückte sich zähneknirschend neben ihm in die Stuhllehne. Es tat ihm leid, dass er sie wieder mal in eine unangenehme Situation brachte. Manchmal fragte er sich, ob es überhaupt Momente gab, in denen er sie nicht öffentlich blamierte oder ob sie immer so angespannt war, wenn sie sich als Paar einfügen sollten. Zwar gab er sein Bestes, sich außerhalb seines Straßen-Kosmos' angemessen zu benehmen, doch es wollte ihm einfach nicht gelingen. Mittlerweile zweifelte er an, dass er der Aufgabe, seinen Kindern ein Vorbild in Sachen notwendige gesellschaftliche Anpassung zu sein, jemals wirklich gewachsen sein würde. Sie sprachen nicht darüber, aber es war einer seiner wunden Punkte und er schämte sich dafür. Das war der eigentliche Grund dafür, dass er solchen Veranstaltungen wie Elternabenden weitestgehend fernblieb.
„Ja?", erwiderte Marten also und versuchte, den heiklen Moment mit jenem entwaffnenden Lächeln zu überspielen, das die Mädchen im Dolls reihenweise zum Schmelzen brachte. Dem verkniffenen Gesichtsausdruck der Erzieherin nach schien sie seinem Charme allerdings nicht zu erliegen.
„Wenn Sie häufiger mal beim Elternabend dabei wären, wüssten Sie, dass wir immer das akademische Viertel abwarten – falls noch jemand nachkommt. Also, falls ihnen das ein Begriff ist...", sagte Frau Sonnental spitz, nicht wissend, dass sie bei ihm dabei seine Schwachstelle traf. Als sein Blick sich schon fast automatisch verfinsterte, wurde es plötzlich mucksmäuschenstill im Raum. Während seine Gesichtszüge sich verhärteten, schnellten Martens Augenbrauen in die Höhe. Auch, wenn er negativ aufgefallen war, hatte Frau Sonnental nicht das Recht, ihn vor allen anwesenden zu kritisieren. Dass sie ihn regelrecht bloßstellte, brachte sein Blut zum Kochen.
Doch bevor er etwas erwidern konnte, legte Nika besänftigend ihre Hand auf seine, um ihn zu bremsen. Unter anderen Umständen hätte er den Kommentar nicht einfach auf sich sitzenlassen, aber ihr zuliebe schluckte er eine Antwort herunter. Als die Erzieherin die Eltern über die Themen des heutigen Abends informierte, drückte Nika seine Finger sanft zusammen und schenkte ihm einen mitfühlenden Seitenblick.
Er sank lautlos seufzend gegen die Stuhllehne. Frau Sonnental philosophierte in der Zwischenzeit minutenlang darüber, dass die alte Elternvertretung aus gesundheitlichen Gründen ihr Amt aufgeben musste und wie wichtig die Beteiligung der Eltern für die funktionierende Demokratie in der Einrichtung war. Ihr Gerede machte ihn so nervös, dass er unruhig mit dem Fuß wippte. Erst, als Nika ihm besänftigend die Hand auf den Oberschenkel legte, hörte er damit auf.
Er atmete innerlich erleichtert auf, als die Erzieherin endlich zum eigentlichen Thema des Abends kam: der Wahl der neuen Elternvertretung. Frau Sonnental notierte zunächst die Namen der Eltern, die sich für die Wahl aufstellen lassen wollten. Danach reichte sie einen Stapel kleiner Zettelchen in die Runde, damit jeder sich einen nehmen konnte.
„Schreiben Sie bitte den Namen des von ihnen gewählten Vertreters auf den Zettel und reichen ihn an mich zurück."
„Sollen wir nicht einfach per Hand abstimmen?", fragte Nika stirnrunzelnd. Auch sie hatte nach dem schweren Start nur wenig Lust, mehr Zeit als nötig hier zu verbringen. Frau Sonnental schüttelte entschieden den Kopf.
„Das geht nicht. Allein schon, weil sich einige damit nicht wohlfühlen würden, wenn bekannt wird, für wen sie gestimmt haben", antwortete sie. Kommentarlos nahm Marten Nika den Stift aus der Hand, den sie gerade aus der Tasche gekramt hatte.
„Ich dachte ja bloß... würde viel schneller gehen", sagte sie.
„Warum stellen Sie sich eigentlich nicht zur Wahl?"
Nika warf der stämmigen Dame mit den schwarzen Haaren ihr gegenüber einen skeptischen Blick zu. Als sie erkannte, dass der Vorschlag durchaus ernstgemeint war, hob sie abwehrend die Hände.
„Ich denke nicht, dass das eine gute Idee wäre", lächelte sie. Schließlich hatte sie mit zwei kleinen Kindern und ihrer Selbstständigkeit schon genug zu tun.
„Ich finde die Idee ganz hervorragend", widersprach ihr eine weitere Mutter. „Sie hatten schon beim letzten Mal gute konstruktive Ideen."
„Ach ja?", fragte Nika überrascht. Die Dunkelhaarige nickte.
„Wenn wir ehrlich sind, hat niemand von uns große Lust, länger als nötig hier herumzusitzen. Da finde ich zeitsparende Vorschläge wie Ihre phantastisch und ich bin mir sicher, dass Sie eine gute Elternvertretung abgeben würden", fuhr die Dame fort.
„Wenn das so ist, setze ich Sie gern mit auf die Liste", grätschte Frau Sonnental lächelnd dazwischen und schrieb Nikas Namen zu den anderen. Nika warf Marten unterdessen einen skeptischen Seitenblick zu. Der schenkte ihr ein zuversichtliches Lächeln.
„Keine Sorge. Dich wählt eh keiner", flüsterte er. Ihr Blick verfinsterte sich.
„Danke für nichts, Penner", zischte sie und entlockte ihm ein freches Grinsen.
„Heißt das, wir stimmen jetzt per Handzeichen ab? Ganz schnell und unbürokratisch?", hakte Nika nach, doch die schüttelte energisch den Kopf.
„Das geht nun wirklich nicht."
„Warum machen wir nicht direkt ne Briefwahl, Datenschutz und so...", nuschelte Marten kopfschüttelnd vor sich hin, während Nika einen Namen auf den Zettel kritzelte.
Ich hoffe, ihr mochtet es. Ich hatte irgendwie Bock, es zu schreiben :D
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