Kapitel 71: Voller Hass
Ich sehe wieder in dieses Grün.
Mein Körper zittert.
Durch die hohen Schuhe ist er nicht mehr ganz so viel größer wie ich, was mir auf seltsamer Weise mehr Selbstbewusstsein einflößt. Ich richte mich zu meiner vollen Große auf und stemme die Hände in die Hüfte, während ich ihn durch zusammengezogene Augen von Kopf bis Fuß mustere. Er trägt eine schwarze Hose, ein weißes Hemd, wobei er die oberen Knöpfe aufgemacht hat und ein schwarzes Sakko. Seine dunklen Haare sind etwas ordentlicher als gewöhnlich und seine Haut gebräunter.
In seinem Blick liegt etwas trauriges und ... enttäuschtes?
Ich versuche etwas zu sagen, aber keine Worte wollen aus meinem Mund kommen.
Alles was ich spüre, ist die Erinnerung wie eine tiefe Narbe in meine Seele geschnitten. Ich spüre das Gefühl von seinen großen Händen an meinem Körper, seine weichen Lippen auf meine gepresst ... und Schmerz.
Ein stechender, Übelkeit erregender Schmerz, der mich innerlich schreien lässt.
Ich blinzle und sehe weg. Dann hebe meine Tasche von Boden auf und gehe mit großen Schritten an ihm vorbei. Einfach nur weg. Weg von dem Schmerz.
Bevor ich aber auch nur zwei Schritte machen kann, packt mich Nate am Handgelenk und dreht mich um.
Ich sehe ihn an und versuche angestrengt Nate's unglaublichen Geruch nicht wahrzunehmen. Ich will ihn immer noch.
So sehr.
"Hör auf zu rauchen, Jennifer.", knurrt er plötzlich so leise und doch bedrohlich, dass sich eine Gänsehaut auf meinem Haut ausbreitet.
Ich sehe ihn verblüfft an.
Seine Augen sind nicht kalt oder stählern, wie sie so oft waren - sie wirken, als wäre dieses Grün in Flammen.
Bevor ich etwas unternehmen kann, reißt mir Nate die Zigarette aus den Fingern und zerdrückt sie am Boden unter seinem Schuh.
Wie als wäre die Trance gebrochen, wache ich plötzlich auf.
"Geht's noch?", rufe ich wütend und funkle ihn an.
"Die Jennifer, die ich kannte, hätte nie geraucht oder sich ihre Haare lila gefärbt!", ruft er zurück, lässt mein Handgelenk los und er tritt dafür einen Schritt auf mich zu, "Sie hätte niemals diese Klamotten getragen, sie-"
"Du hast sie zerstört! Sie ist weg! Ich bin nicht mehr, die, die du damals gekannt hast."
Ich schnaube wütend und streiche mir mit den Fingern durchs Haar. Wut koch in mir Hoch, bevor ich es überhaupt merke.
Ich sehe ihm offen ins Gesicht.
"Du hast kein Recht, hier aufzukreuzen und zu denken, dass alles vergeben und vergessen wäre. Ich vergesse nicht. Ich vergebe nicht.", sage ich ruhig.
Ich hole tief Luft und fahre fort, wobei ich mich beherrschen muss, nicht zu schreien.
"Du hast kein Recht, mir irgendwas zu befehlen. Du hast kein Recht, mit mir zu sprechen oder mich anzusehen. Damals war ich vielleicht zu schwach, aber solltest du jemals wieder auch nur ein Wort zu mir sagen, heißt das Krieg, Nathaniel Dylan. Und glaub mir, ich bin bereit, sehr sehr weit zu gehen, um dich am Boden zu sehen. Ich werde mit allen Mitteln kämpfen und vertrau mir, ich werde nicht fair kämpfen."
"Du liebst mich, Jennifer. Tief in deinem Inneren.", flüstert er und in seiner Stimme steckt so viel Hoffnung.
Ich hole tief Luft und spreche dann die Worte aus, die mir innerlich wieder das Herz brechen:
"Ich hasse dich. Ich hasse dich so sehr, wie ich dich vorher geliebt habe."
Mit diesen Worten lasse ich ihn stehen. Mit großen Schritten eile ich zu meinem Auto und steige ein. Ohne Zeit zu verlieren starte ich den Motor und brause die Ausfahrt hinunter auf die Hauptstraße.
Erst als die Schule zwei Straßen zurück liegt, kann ich aufatmen. Ich drehe das Radio laut auf und nehme mir eine Zigarette aus der Schachtel, die auf dem Beifahrersitz liegt.
Ich hebe sie an die Lippen und zögere kurz.
Das hier wird mich umbringen.
Irgendwann werde ich bereuen, geraucht zu haben.
Mit diesem Wissen zünde ich sie mir an und genieße das Gefühl des tödlichen Rauches.
Ich bin frei.
-
"Hey Kleines!", ruft mein Vater die Sekunde, dass ich das Haus betrete und ich seufze laut auf.
Ich bleibe einigermaßen belustigt stehen und zwei Sekunden später kommt er auch schon mit drei prall gefüllten Tüten aus der Küche gehechtet. Meine Mutter klackert ihm in ihren hochhackigen JimmyChoo Schuhen ängstlich hinterher.
Ein Geruch nach Fett und ungesundem Fast Food steigt mir in die Nase und ich verziehe das Gesicht.
"Was ist das?", frage ich leicht angewidert.
"Tacos, Burritos und Nachos vom Mexikaner, ChickenNuggets, Burger und große Pommes von deinem Lieblings Burger Restaurant und schließlich Tiramisu und dieser Schokoladenkuchen von der Konditorei. ", strahlt er und deutet nacheinander auf die Tüten.
Das muss doch wohl ein Witz sein.
"Also Zucker, Weizen, Fett und um das ganze noch abzurunden noch mehr Fett? Willst du mich eigentlich umbringen?", sage ich höhnisch und lache laut auf.
"Ich haben gesagt, sie nicht wollen wird.", schnarrt eine Stimme und ein Moment später erscheint Marisol im Türrahmen der Küche.
"Wir machen uns wirklich Sorgen um dich, Kleines.", sagt mein Vater eindringlich, aber ich verdrehe nur die Augen.
"Si! Miss Jennifer ist zu dünn! No, no, no. Das gehören sich nicht für so eine hübsche Chica!"
Ich schnaube.
Ich sehe auf ihre Rundungen und ihr breites, doch freundliches Gesicht.
Gerade als ich etwas verletzendes erwidern will, entscheide ich mich anders.
Ich gehe nicht darauf ein, sondern stürme aus dem Foyer und dann die Treppe hinauf zu meinem Zimmer. Ich knalle die Türe hinter mir zu und verriegle sie. Dann nehme ich mein Handy und mache so laut es geht die Musik an.
Ich lasse mich aufs Bett fallen, ziehe meine Schuhe aus und schmeiße sie achtlos in Richtung meines Kleiderschranks.
Ich atme tief durch, um mich zu beruhigen, und genieße die laute Musik.
Mein Blick fällt auf eine Karte, die gegen meine Lampe gelehnt auf dem Nachttisch steht.
Ich nehme sie zum tausendsten Mal in die Hand und fahre mit dem Finger über das dicke cremefarbene Papier.
Ein großes, elegantes Blumenmotiv in zarten Wasserfarben aus blauen Orchideen und weißen Tulpen ziert das Banner darauf, in dem in goldener Schrift heißt: "Fiona & George "
Ich lese nicht weiter, sondern lege die Hochzeitseinladung wieder auf meinen Nachttisch.
In nur zwei Wochen findet die Hochzeit in Miami statt. Am Liebsten würde ich absagen, um Nate nicht sehen zu müssen, aber schließlich waren Fiona und George so herzlich zu mir und haben sich sichtlich gefreut, dass ich kommen würde - was also würden sie sagen, wenn ich jetzt einfach absage? Sicher ... sie würden vermutlich verstehen, weshalb ich Nate nicht mehr sehen will, aber will ich ihnen wirklich all das anvertrauen? Wenn ich das tuen würde, würde ich eine Familie auseinander reißen, die sich eben erst neu zu sich gefunden hat ... will ich das wirklich?
Nein.
Ich werde gehen. Ich werde ein Lächeln auf meinem Gesicht tragen, während ich die Zeremonie ansehe, begeistert strahlend werde ich dem frischen Ehepaar gratulieren und ihnen mein Geschenk geben. Strahlend werde ich es durch die 8 Gänge schaffen. Gut gelaunt werde ich als einer der ersten die Party verlassen und ins Taxi einsteigen, das mich zum Flughafen bringt. Und dann endlich nehme ich meine Maske ab.
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