Kapitel 66: Die ganze Geschichte - Teil 1
Ich starre geschockt dem Auto nach.
„Tess.", flüstere ich.
Ich versuche einen klaren Gedanken zu fassen. Eine ganz logische Erklärung zu finden, dass die ehemalige beste Freundin von Nates "Nicht-Ex-Freundin" plötzlich vor meiner Schule auftaucht und eine merkwürdige Warnung ausspricht.
Die Geschichte soll sich nicht wiederholen.
Was hat das nun wieder zu bedeuten?
Und welche Geschichte? Meinte sie den Tod von Tess' Mutter? ... Aber nein! Das kann nicht sein! Niemand außer Fiona und mir weiß die dunkle Wahrheit über das, was tatsächlich jenen Abend geschehen ist.
Ich kralle meine Fingernägel plötzlich in das Leder des Lenkrads und reiße die Augen auf. Mir ist nicht einmal aufgefallen, dass ich ins Auto gestiegen bin, jedoch kümmert mich das gerade auch nicht weiter, denn auf einmal ist mir ein Licht aufgegangen.
Tess.
Teresa Caroline Fell.
Ich schließe die Augen, um mich zu erinnern.
Meine Seele spannte weit ihre Flügel aus,
Dem Licht entgegen.
Du wirst immer in unseren Herzen weiterleben.
Ruhe in Frieden.
Mit der Wucht einer Kanonenkugel trifft es mich.
Tess ist tot.
Es ist, als würde ich diese Tatsache zum ersten Mal wirklich begreifen.
Ein Schauder läuft mir den Rücken hinab und ein ungutes Gefühl breitet sich in mir aus wie ein dunkler Schatten.
Bevor ich es merke, ja bevor ich es überhaupt selbst verstehen kann, kocht die Wut in mir hoch.
"Ich hätte es wissen müssen.", denke ich.
Ich werfe einen kurzen Blick in den Rückspiegel, bevor ich mit einem gefährlichen Flimmern in den Augen den Motor starte.
„Ich bin auf der Liste und nein, ich kenne den Code.", fauche ich dem verdutzt schauenden Portier zu, während ich an der Rezeption vorbei brause und schließlich ungeduldig oft den Knopf für den Aufzug drücke.
Ich spüre den missbilligenden Blick des Portiers in meinem Rücken und tatsächlich:
„Aber Miss ...", höre ich den Mann leise winseln, doch seine Stimme ist so leise, dass ich leicht so tun kann, als hätte ich ihn nicht gehört.
Doch bevor der Mann einen weiteren Versuch starten kann, mich von meinem Vorhaben abzubringen, schwingen die Türen des Aufzug mit einem beruhigenden „Pling!" zur Seite.
Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, stampfe ich in den Aufzug und gebe schnell den Code für das Penthouse ein, bevor er mich noch weiter nerven kann. Die Türen schließen sich und für einen Moment, verpufft die ganze Wut, die sich in mir während der Autofahrt angestaut hat, und ich stehe nur da. Verängstigt und enttäuscht.
Ich dachte die Geheimnisse und Lügen hätten ein Ende, nach allem, was bereits passiert ist.
„Du wusstest immer schon, dass er nur Ärger bedeutet ...", flüstert mir meine Innere Stimme zu, aber ich ignoriere sie.
Nate und ich sind füreinander geschaffen. Ich weiß das - er ist meine Luft zum Atmen. Ich brauche ihn. Ich brauche uns.
„Pling!"
Die eisernen Türen öffnen sich und zum ersten Mal, erwartet mich nicht Nate bereits dahinter. Stirnrunzelnd trete ich aus dem Aufzug und sehe mich um.
Laute Stimmen dringen aus dem Wohnzimmer an mein Ohr.
"Willst du mich etwa erpressen?", brüllt Nate's Stimme und ich halte den Atem an, um kein Geräusch zu machen.
"Du kannst es sehen, wie du willst.", sagt eine andere, bekannte Stimme in genugtuendem Tonfall. Alex.
"Wieso?", ruft Nate mit immer noch erhobener Stimme und ich höre diesmal etwas Verzweifeltes mitschwingen.
"Wie kannst du mir das nur antun?"
Ein Lachen ertönt, das mir alle Nackenhaare aufstellen.
"Hahaha ... weil ich es kann, du Idiot!", erwidert Alex ruhig.
Ich höre das Geräusch eines Schrittes, sodass ich aus Angst ich würde, wie ich an der Tür gekauert dastehe und wie gebannt dem Gespräch lausche, entdeckt werden einen schnellen Sprung auf die Seite mache.
Stille. Dann: "Hör zu, ich sage es dir nicht noch einmal.", höre ich Alex sagen und ich atme erleichtert auf, dass sie mich nicht gehört haben.
"Denkst du wirklich ich würde einfach so dabei zu sehen, während du wieder einmal das Leben eines Mädchen zerstörst?", sagt er und diesmal klingt seine Stimme verbittert, "Denkst du es reicht nicht, dass sich ein Mädchen in den Tod gestürzt hat wegen deinem abscheulichen Egoismus?"
Ein kaum hörbares Geräusch wie das eines verhaltenen Schluchzers ertönt und ich wage einen halben Schritt auf die Tür.
"Bitte.", schluchzt Nate so leise, dass ich mich wundere, es durch das laute Rauschen in meinen Ohren überhaupt gehört zu haben.
"Du musst es ihr sagen.", flüstert Alex halblaut, "Das hat Jen verdient."
"Was musst du mir sagen?", ertönt plötzlich meine eigene Stimme und ich sehe entsetzt, wie meine Gedanken aus meinem Mund platzen.
Schritte und wenig später reißt jemand die Türe auf.
Nate.
Sein dunkles Haar ist in alle Richtungen zerzaust, wie als hätte er sich die Haare gerauft und in seinen Augen liegt purer Schmerz, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Seine Lippe ist aufgeplatzt und blutet stark. Ich sehe rote Abdrücke auf seinem Hals, als hätte ihm vor kurzem jemand ringsherum um seine Kehle Knutschflecke verpasst, nur dass die Male nicht Blau, sondern noch rot sind. Dann erkenne ich, dass ihn jemand gewürgt hat.
"Um Gottes Willen! Was ist mit dir passiert?", kreische ich und ziehe ihn näher zu mir heran.
Hinter seinem Rücken vernehme ich deutlich ein hämisches Lachen.
Nate dreht sich zu dessen Quelle um und ich schlüpfe schnell an ihm vorbei und durch dir Tür. Mit wütendem Blick sehe ich Alex an, der immer noch lacht.
"Du bist unglaublich, Jen. Unglaublich.", lacht Alex, der ebenfalls einigermaßen mitgenommen aussieht und jetzt verstehe ich weshalb.
Ich habe so eben etwas belauscht, das ich nicht hätte hören sollen und hier stehe ich, während ich mich um meinen Freund Sorgen mache, weil er so aussieht, als hätte er sich geprügelt, wenn ich ihn eigentlich wütend anschreien sollte.
Aber ich liebe Nate mehr als ich es jemals in Worte ausdrücken könnte.
Ich lasse mich durch Alex' Gehabe nicht einschüchtern, sondern fahre diesmal in ruhigem Ton an Nate gewandt fort: "Warum habt ihr euch geschlagen?"
Nate sieht mich nicht an, sondern blickt schweigend auf seine Socken herab, die ich nun da ich vor ihm stehe und meine Hände in die Hüfte stemme, brennend zu interessieren scheinen.
"Wenn du es mir nicht sofort sagst", drohe ich und meine Stimme wird bei jedem Wort lauter, " Gehe ich. Und ich verspreche dir-"
"Ich habe ihm eine verpasst, weil er mich mit", er wirft Alex einen kurzen Blick zu, der ihn schräg ansieht, "... weil er mir klar gemacht hat, dass ich dir gewisse Dinge sagen muss."
Ich spüre Alex' Gesicht auf mir haften und ich blicke ihn an. Für einen Moment flackert ein Grinsen über seine Lippen, wie als hätte man ihm gesagt, Weihnachten würde drei Monate früher kommen, doch als ich ihn richtig ansehe, macht er eine traurige Miene.
Verwirrt wende ich mich wieder Nate zu.
"Was für Dinge, Nate?", blaffe ich ihn an und sehe zufrieden, wie er unter meinem Blick zu einem kleinen Häufchen zu schrumpfen scheint.
Er sieht schließlich von seinen Füßen auf und wirft mir einen schmerzvollen Blick zu, der mir beinahe das Herz bricht.
"Sag es ihr endlich.", gellt es von Alex her und ich werfe ihm einen vernichtenden Blick zu.
"Halt du dich da raus, Alex!", rufe ich noch lauter, "Niemand tut so etwas meinem Baby an und-"
Zum zweiten Mal werde ich unterbrochen: "Deinem Baby?", lacht Alex keckernd.
Ich sehe zu Nate, der mit zusammengebissenen Zähnen da steht und so aussieht, als hätte er Alex am liebsten noch eine reingehauen.
"Du meinst deinen Schnuckiputzi, der dich seit er dich getroffen hat, angelogen und dir die meiste Zeit nur etwas vorgespielt hat?"
"Was meinst du?", frage ich schnell und blicke abwechselnd zwischen den beiden umher.
Nate holt tief Luft, als würde er sich auf das schlimmste vorbereiten, dann sagt er langsam:
"Als ich nach LA umzog habe ich mir geschworen, alles würde sich ändern. Mein Leben würde sich ändern. Ich würde mich ändern.", ich wirft mir einen kurzen, liebevollen Blick zu, "Ich war entschlossen, den ganzen Mist, meine unschöne Vergangenheit in Miami zu lassen ... bis du aufgetaucht bist."
Er lächelt.
"Ich kann mich so gut an den ersten Schultag erinnern, als ich vor der Klasse stand und dann plötzlich du hereingeplatzt bist. Ein Blick hat genügt und da wusste ich ...", er atmet tief ein, "Ich wusste, dass ich mich von dir fern halten muss, damit ich nicht in ... in alte Muster falle."
Ich starre ihn verblüfft und irritiert an.
"Was für alte Muster?", frage ich tonlos, aber Nate schweigt nur, während seine Augen ein wenig glasiger werden und er schnell wegsieht.
Ich sehe Alex an, dem scheinbar selbst ein wenig unwohl ist und dann schließlich nach einer langen Stille antwortet:
"Wir hatten eine Clique in Miami und je älter wir wurden, desto schneller versuchten wir erwachsen zu werden. Und mit erwachsen zu werden, meine ich Sex. Wir waren alle Jungs im selben Alter, aus angesehenen Familien und vor allen Dingen: Wir hatten alle so viel Geld, dass ich dachten, uns würde die Welt zu Füßen liegen. Es gab schließlich eine Zeit, wo wir wirklich jede haben hätten können und aus diesem Grund wurde uns schnell langweilig. In einer wilden Party Nacht, wir waren alle stark betrunken, haben wir uns eine Challenge überlegt: Die Jungs suchen ein Mädchen aus, das am schwierigsten zu knacken", bei diesem Wort hebt er beide Hände hoch, als würde er Anführungsstriche in die Luft malen, "ist. Dann hat derjenige die Aufgabe, in einer bestimmte Zeit mit ihr zu schlafen."
Er seufzt laut und sieht mich traurig an.
"Aber bald war uns auch das nicht genug. Wir wollten nur noch Kandidatinnen, die, wie wir aus sicheren Quellen wussten, Jungfrauen waren, nur um sie nachher wieder abzuservieren."
Ich stoße einen kurzen Schrei aus und schlage mir die Hand vor den Mund.
"Bitte.", schluchzt Nate an meiner Seite, aber ich sehe unverwandt Alex an, der mit ruhiger Stimme fortfährt:
"Und dann ging alles schief."
Er seufzte erneut und ich spüre, wie sich Nate neben mir regt.
Ich schließe kurz die Augen, um einen kühlen Kopf zu bewahren und drehe mich langsam zu dem am ganzen Leibe zitternden Nate um. Ich sehe ihm offen ins Gesicht, als ich endlich das Offensichtliche frage:
"Tess war eine von ihnen, nicht war?"
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