Kapitel 61: Die Mutter aller Geheimnisse
Pünktlich um sieben Uhr klingelt es an der Haustüre und ich springe vom Sofa auf, als hätte es mir einen Schlag verpasst. Mit zügigen Schritten und einem beklommenen Gefühl haste ich aus dem Wohnzimmer und zur Haustüre.
„Hey ... ähm ...", sagt Alex, der nun vor mir steht, leicht stotternd, nachdem ich ihm das Tor durch Knopfdruck geöffnet habe und er die Auffahrt hochgefahren ist, und ich spüre förmlich seine Nervosität zur Tür hereinflattern.
„Ähm hey.", antworte ich ebenso verlegen und meide es dabei in seine Augen zu blicken.
Alex lacht nervös auf und sieht dann weg, als wäre es ihm zu unangenehm sich meinem Blick zu stellen.
„Komm doch rein.", murmle ich nach einer kurzen unbehaglichen Stille und trete einen Schritt von der Tür zurück.
Er lacht erneut sein nervöses Lachen, räuspert sich und tritt dann ein.
„Also das ist wirklich-", beginnt Alex grinsend, wird aber von einer mächtigen Stimme, vom wertvollen Marmor verstärkt, übertönt.
„Jennifer!", dröhnt meine Mutter über das Geländer gelehnt und sieht auf uns beide majestätisch herab.
Alex öffnet erschrocken den Mund, schließt ihn jedoch wieder, öffnet ihn dann erneut, schließt ihn, und dann, indem er sich anscheinend mühsam daran erinnert, wie man spricht, öffnet er ihn ein letztes Mal und krächzt, als würde es ihm seiner aller letzten Kraft erfordern, diese Worte zu sagen: „M-Mrs. Thomas? Elizabeth?"
Für eine Sekunde erstarrt meine Mutter, als sie Alex entdeckt, ihre roten Lippen immer noch in der lächerlich hochmütigen Position und ihre grauen Augen gierig geweitet.
Dann, so plötzlich, dass ich es fast nicht bemerke, tritt ein rotes Flimmern in ihre Augen und verschwindet im nächsten Augenblick wieder so schnell, wie es aufgetaucht ist.
Das Grau ihrer Augen scheint nun leer und vollkommen ausdruckslos, als würde in ihr etwas zerbrechen.
„D-Du ...", flüstert sie und zum ersten Mal, dass ich es erlebe, liegt etwas Verängstigtes in ihrer sonst so dominanten Stimme. Sie räuspert sich und kommt dann mit wackligen Schritten die Treppe nach unten.
Sie bleibt nur einige Zentimeter vor Alex stehen und ich spüre die unausgesprochene Spannung im Raum zwischen ihnen verharren. Die beiden starren sich jedoch weiterhin wortlos an, bis zu meinem Schreck meine Mutter die Lücke zwischen ihnen schließt und Alex unter Tränen in die Arme fällt.
Völlig verdattert beobachte ich das Geschehen vor mir, aber keiner der beiden scheint sich daran erinnern oder erinnern zu wollen, dass ich direkt neben ihnen stehe.
„Es tut mir so Leid, Sandy. Alles. Ich wollte nicht gehen, aber ... ich konnte nicht anders.", schluchzt sie aufgelöst und tätschelt dabei unbeholfen Alex' Arm.
„Ich weiß ...", seufzt Alex leise, der, seiner kehligen Stimme zu folge, scheinbar selbst den Tränen nahe ist.
„OKAY.", sage ich laut und die beiden springen auseinander, als wäre ihnen eben wieder eingefallen, dass ich auch noch da bin, „Würde mir bitte einer erklären, was zur Hölle hier vor sich geht?!", zische ich halb zornig halb verwirrt und stemme die Hände in die Hüften, während ich Alex und meine Mutter mit zu Schlitzen verengten Augen böse anfunkle.
Meine Mutter schluckt und sieht mir dann offen ins Gesicht.
„Setzten wir uns am besten ins Wohnzimmer, würde ich vorschlagen.", antwortet sie leise und schwebt mit flatterndem Haar den Gang uns voraus.
Alex und ich folgen ihr, während ich ihm immer noch misstrauische Blicke zuwerfe. Im Wohnzimmer angekommen lasse ich mich als erste auf den gemütlichen Lehnstuhl neben der Couch fallen, weshalb ich einen empörten Blick von meiner Mutter kassiere. Im Moment ist es mir aber ziemlich schnuppe, was meine Mutter scheinbar bemerkt, denn sie und Alex setzten sich schließlich zögernd auf die Couch und meiden es offenbar mich anzusehen.
Ich räuspere mich laut und setzte ein falsches bösartiges Lächeln auf, dass eher zu der blonden Frau mir gegenüber als zu mir selbst passt.
„Nun.", fauche ich einigermaßen fuchsig, als mir schließlich der Geduldsfaden reißt, „Was ist jetzt-"
„Bevor ich deinen Vater kennengelernt habe, war ich verheiratet.", beginnt meine Mutter immer noch recht leise für ihre Verhältnisse und setzt sich noch ein wenig steifer hin.
Ich sehe sie stirnrunzelnd an und lache dann. Ich kann nicht anders, denn das ist vollkommen lächerlich.
„Ich weiß. Du warst vier Mal verheiratet.", ich kneife ein wenig meine Augen zu und denke nach, „Der erste war der Football Spieler, Will. Der zweite, dieser Louis, glaube ich, der mit dir in Harvard war.", sage ich und zähle sie dabei an den Fingern ab, „Danach kam Brian, der beste Freund von Dad und dann-"
„Ich war 5 Mal verheiratet.", unterbricht mich meine Mutter so leise, dass ich es fast nicht höre.
„Du ... was?"
„Bevor ich mich in Christopher verliebt habe, ging ich für drei Jahre nach Miami, um dort für eine große Anwaltskanzlei zu arbeiten. Ich habe mich mit einer meiner Kolleginnen angefreundet.", sie sieht zu Alex, „Sie heißt Isabelle und wurde zwei Jahre später Sandy's Mutter."
„Sandy?", wiederhole ich skeptisch und deute auf Alex.
„Alexander - Sandy.", erwidert meine Mutter in einem Anflug ihrer üblichen Ungeduld.
„Als ich sie und ihren Mann eines Abends zum Abendessen besuchen kam", fährt sie seufzend fort, „lernte ich dort den Bruder ihres Mannes kennen, Lorenzo. Dr. Lorenzo Thomas."
„Ich kenne ihn!", rufe ich plötzlich und springe auf, während ich mich an den Arzt mit den ozeanblauen Augen, wie die von Alex, der mich nach dem katastrophalen Halloween-Erlebnis behandelt hat, wieder erinnere, „Er ist Arzt!"
Meine Mutter sieht mich stirnrunzelnd an.
„Woher weißt du das?", fragt sie verwundert, aber ich schlackere nur ungeduldig mit meinen Fingern herum.
„Ist jetzt auch egal. Erzähl weiter.", erwidere ich aufgeregt und lasse mich wieder in den Sessel plumpsen.
Immer noch skeptisch sieht sie mich an, beginnt dann jedoch zu meiner großen Erleichterung wieder an zu sprechen:
„Er ist tatsächlich Arzt. Als ich ihn kennenlernte, hatte er gerade seinen Abschluss an Yale gemacht, wenn ich mich recht entsinne.", sie seufzt erneut, „Wir haben uns verliebt und kein ganzen Jahr später haben wir geheiratet, weil ich schwanger wurde."
Ich reiße erschrocken meine Augen auf und starre meine Mutter entsetzt an.
Gerade als ich etwas sagen will, bildet sich auf ihren Zügen ein unendlicher Schmerz und ihre Augen füllen sich erneut mit Tränen.
„Ein Tag nach meiner Hochzeit, verlor ich mein Kind.", flüstert sie so leise und emotionslos, als würde sie es selbst nicht glauben können.
Ich rühre mich nicht von meinem Platz.
Das kann nicht sein.
Meine Mutter hatte stets ein perfektes Leben gehabt. Sie selbst erzählt mir jedes Mal, wie viel perfekter sie ist als ich. Wie viel perfekter ihr Leben ist. Aber ist das vielleicht der Grund, warum sie genau das versucht? Warum sie versucht, stets ihr perfektes Leben Aufrecht zu erhalten.
„Nach drei weiteren Fehlgeburten gaben wir es auf.", sagt sie trocken und ich schlucke schwer.
Zum ersten Mal in meinem Leben empfinde ich etwas wie Mitgefühl für die Frau, für die ich sonst nichts als Verachten und Hass übrig hatte. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, einen echten Menschen vor mir sitzen zu haben, anstatt einer unechten, in die Jahre gekommenen und Botox gespritzten Mode Puppe. Ihre sonst durch das Gift, sei es nun Botox oder ihr natürliches Blut, gestraffte Haut, scheint merkwürdig zu erschlaffen und ihre Augen verdunkeln sich immer mehr, sodass ihr sonst helles Grau, fast schwarz erscheint. Ihre Augenbrauen ziehen sich langsam zusammen und schließlich, als würde es aus ihr herausplatzen, sagt sie schnell:
„Und dann eines Tages, ich bin gerade vom Arzt nach Hause gekommen, der mir mitgeteilt hat, dass ich nie Kinder bekommen könnte, finde ich Lorenzo im Bett mit einer fremden Frau vor."
Ich schlage die Hand vor den Mund, aber bevor ich etwas erwidern kann, bellt meine Mutter so plötzlich, dass Alex und ich zusammen zucken: „Ich habe mich von diesem miesen Schwein scheiden lassen und bin zu meiner -"
Sie bricht ab und atmet einige Male beruhigend durch, bis sie schließlich in sanfterem Ton sagt:
„Ich bin wieder zurück nach Hause gegangen."
Ich sehe Alex an, der jedoch nur traurig drein sieht und dann schüchtern ihren Rücken tätschelt.
„Ich blieb mit Isabelle und ihrem Mann, Laurence, befreundet und habe sie oft besucht. Selbst als ich mit Christopher verheiratet war; trotzdem hielt ich es für besser, es geheim zu halten."
„Warum?", frage ich tonlos.
Sie zuckt mit den Schultern und sieht mich stirnrunzelnd an, als wäre es das erste Mal, dass sie tatsächlich darüber nachdenkt.
„Ich denke, ich wollte ihm nicht von meiner Vergangenheit mit den ...", sie hält inne, „Babys", flüstert sie.
Ich warte darauf, dass sie den Satz beendet, aber sie scheint zu sehr in Gedanken zu sein, als dass es sie gekümmert hätte, dass ihr Verb fehlt.
Ich nicke schließlich.
„Und dann", sie stöhnt laut auf und sieht Alex mit trauriger Miene an, „passierte diese fürchterliche Sache und Laurence-"
„Das genügt.", dröhnen die Worte plötzlich aus Alex heraus und ich zucke zusammen, als er flugs vom Sofa aufspringt, sodass dieses ein leisen Knarzen von sich gibt, und sieht mit Wut verzerrter Miene abwechselnd meine Mutter und dann mich an.
Er ringt einige Sekunden mit sich und sagt dann schließlich abgehackt:
„Ich muss gehen."
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Hey meine Lieben!♥︎
Tja, das hättet ihr jetzt nicht gedacht, oder? Aber da unsere Geschichte sich dem Ende zuneigt, muss schließlich doch noch so einiges gelüftet werden ... aber nicht alles, ich will mir schließlich noch etwas für den zweiten Teil aufheben ;)♥︎
Ich hoffe sehr, dass es euch gefallen hat und ich würde mich wahnsinnig über einen Kommentar und Vote von euch freuen. Positive und negative Kritik empfange ich beides mit offenen Armen!!♡♥︎
Bis bald, Eliana
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