Kapitel 5: Wer bist du?

„Eine Zwei!", ruft Lexi in kaltem Ton und wirkt dabei einigermaßen enttäuscht.

Wie zu einem Eiszapfen erstarrt sitze ich da, unfähig auch nur einen Finger zu rühren. Ich weiß nicht, ob ich erleichtert oder traurig sein soll, schließlich muss ich mich jetzt vor Allen in Unterwäsche zeigen, andererseits muss ich die nicht auch noch ausziehen.

Ich schiele zu Alex neben mir, der mich halb ermutigend halb tröstend ansieht, nehme dann all meinen übrigen Mut zusammen und stehe auf.

Ein paar Jungen johlen und rufen anerkennend und doch kann ich nicht anders, als in diese wunderschönen, fast hypnotisierenden, leuchtend grünen Augen zu sehen. Ich habe das Gefühl, als würde Nate mich mit seinem Blick röntgen wollen und dennoch entspanne ich mich dadurch irgendwie. Ohne den Blick von ihm zu wenden, zieh ich erst den einen Schuh aus, dann den anderen. Als ich schließlich den Saum meines Kleides anhebe, kneife ich kurz meine Augen zu und ziehe es mir ruckartig und so schnell es eben möglich ist über den Kopf. Ich bin mir plötzlich peinlich bewusst über meine breite Hüfte, der kleinen Speckrolle am Bauch und meinem kleinen Busen, außerdem, dass ich einen meiner schlechtesten, weißen BH's und eine schlichte, blaue Unterhose trage. Alle lachen, grölen und rufen irgendetwas unverständliches, während ich beschämt auf den Boden starre und mir wünsche am Liebsten darin versinken zu können. Ich warte noch eine gequälte Sekunde und stülpe mir dann das Kleid wieder über, schnappe mir meine Ballerinas und setzte zurück in die Lücke.

Erst jetzt, da sich wieder eine gespannte Atmosphäre aufgebaut hat, wage ich es den Blick zu heben. Ich beuge mich nach Vorne, widerstehe dabei jedoch der Versuchung zu Nate zu sehen, dessen Blick ich an mir haften spüre, und drehe die grüne Flasche. Sie bleibt bei einem der schwarzhaarigen Zwillige neben Logan stehen.

„Wahrheit.", sagt sie knapp und ich nicke.

Mein Kopf ist völlig leer und mein laut pochendes Herz macht es mir fast unmöglich einen klaren Gedanken zu fassen.

„Ehm ...", sage ich zögernd um vor allem Zeit zu schinden, „W-welchen Star findest du attraktiv?"

Die Runde stöhnt und ein paar Mädchen rufen „Langweilig!" aber ich zucke nur mit den Schultern.

„Dein Ernst? Wie öde ... keine Ahnung Zac Efron.", erwidert sie gelangweilt und ich nicke abermals.

Das Mädchen dreht die Flasche und auf unerklärlicher Weise werde ich jetzt noch nervöser als gerade, wo die Flasche bei mir gelandet ist, als jetzt, wo sie auf diesen Jungen mit den unglaublich schönen Augen zeigt.

„Also Nate, Wahrheit oder Pflicht?", flötet das Mädchen und klimpert mit den Wimpern.

„Pflicht.", sagt er trocken und ich könnte schwören, dass seine Augen für den Bruchteil einer Sekunde zu mir herüber blitzen. 

„Okay ... du musst Scarlett für ... hm ... sagen wir drei Minuten ohne Unterbrechung mit Zunge küssen. Ich werde die Zeit stoppen."

Nate sieht erst mich an, dann das Mädchen neben mir. Sie grinsen einander an. Erst als Nate langsam auf allen Vieren auf sie zukommt, fällt bei mir der Groschen. Sie ist Scarlett. Nate ist von ihr jetzt nur noch Millimeter entfernt und ich vernehme seinen unglaublichen Geruch, der mich schon seit dem ersten Mal in eine Art Trance versetzt.

„Und ... los.", ruft das andere Mädchen und tippt im gleichen Moment auf ihr Handy. Gleichzeitig dazu legt Nate seine vollen, geschwungenen Lippen auf die von Scarlett und beginnt sie zu küssen.

Augenblicklich bäumt sich eine Kreatur in meinem Bauch auf, von deren Existenz ich bis jetzt noch nie etwas erfahren habe, und beginnt wie verrückt an zu fauchen und so toben.

Ich ignoriere es und sehe auch diesmal weg, nicht weil mir dabei übel wird, wie bei dem Mal als sich Kaylee und Lexi geküsst haben, sonder weil ich aus irgendeinem Grund einfach nicht dabei zusehen kann.

Endlich - ich hätte nie für möglich gehalten, dass sich drei Minuten auch wie drei Stunden anfühlen können - ertönt das Piepsen des Handys, das das Ende der drei Minuten ankündigt, woraufhin sich Nate und Scarlett voneinander lösen. Kurz bevor er sich umwendet um wieder auf allen Vieren zu seinem Platz zurück zu kriechen beginnt, wirft er mir einen kurzen Blick zu. 

Seine Augen scheinen zu lodern, sodass mich in dieser einen Millisekunde jäh das Gefühl in Flammen aufzugehen durchzuckt, wie ich es noch nie zuvor gespürt habe. Mein Atem geht flacher, meine Haut prickelt und ich spüre das tiefe Bedürfnis in mir, ihn zu packen und seinen unglaublichen Duft noch stärker in mir aufzunehmen, wie ein Parfum, von dem man nie genug bekommen kann. Moment. Was?

Aber bevor ich meinem Instinkt nachgehen oder ihn eigentlich tiefer erkunden kann, sitzt Nate auch schon wieder neben den anderen im Kreis und dreht wieder die Flasche.


„Jenny!", ruft eine durch die dröhnende Musik gedämpfte, aber vertraute Stimme etwa eine Stunde später und schon bahnt sich ein aschfahler und kränklich wirkender Alex seinen Weg durch die tanzende Menge.

„Hör mal, es tut mir wirklich unheimlich Leid, aber wäre es okay wenn ich schonmal gehen würde?", ruft er laut aber ich verstehe nicht einmal ein Bruchteil von dem, was er gesagt hat.

„Was?", schreie ich zurück und sehe zu Scarlett, die mir bis eben noch versucht hat, erfolglos wohlgemerkt, das Tanzen beizubringen.

„Er fragt, ob es ok ist, wenn er schon mal geht!", brüllt mir Scarlett ins Ohr und unterdrückt dabei ein Hicksen.

„Was? Wieso? Aber wie komme ich denn dann nach Haus?", brülle ich zurück und starre ihn entgeistert an. 

Will er mich wirklich einfach so auf einer Party zurücklassen, wo ich noch nicht mal weiß, wie ich von hier nach Hause komme, geschweige denn, dass ich auch kein Auto habe?

„M-mir geht's irgendwie", Alex unterdrückt ein Würgen, „Tut mir Leid, Jenny. Ich bin sicher Scar kann dich nach Hause fahren. Nicht wahr?"

„Alex das kannst du unmöglich-", schreien wir beide im Chor, aber Alex hält sich nur abrupt die Hand vor den Mund und drängelt sich wieder aus dem Getümmel.

„Alex warte!", rufe ich verzweifelt und versuche ihm zu hinterherzurennen, was aber schwerer ist als man denkt, wenn der Raum, in dem man sich befindet, knüppelvoll mit betrunkenen Partygästen ist. Tollpatschig Leute anrempelnd quetsche ich mich durch die Menge und versuche Alex' braunemn Haarschopf am Ende des Raums zu erspähen, aber er ist wie vom Erdboden verschluckt.

„Hast du denn keine Augen im Kopf, Mädchen?", faucht der missgelaunte Kellner, der gerade noch mit seinem Tablet voll Häppchen durch den Raum stolziert ist, jetzt aber von mir umgerannt wurde und somit alle Viere von sich gestreckt mit einem kläglichen bisschen Senf auf der Nase am Boden liegt.

„Tut mir Leid!", rufe ich über die Schulter hinweg und dränge mich weiter durch die Leute.

Endlich - am Ende des Raums und im Foyer angekommen, spurte ich den langen Gang hinab, öffne die schwere Eingangstür und rase die Marmorstufen herunter. Aber bevor ich überhaupt in der Nähe der Parklücke bin, realisiere ich, dass der blaue Wagen von Alex bereits weg ist.

Für den allerkleinsten Teil einer Sekunde spüre ich nichts, rein gar nichts, bis ich wirklich begreife, was gerade geschehen ist und in welcher albtraum-artigen Situation ich mich befinde und plötzlich die ganze Angst, Wut und Trauer wie heftiger Regen oder gar Hagel auf mich herunter zu prasseln scheint.

Wie konnte Alex nur? Mich hier einfach so alleine lassen, obwohl ich hier rein gar niemanden kenne, außer vielleicht Nate, von dem ich mir aber wünsche, ihn weder zu kennen noch überhaupt kennengelernt zu haben. Ich hatte wirklich gedacht, Alex wäre ein Freund. Jemand, der sich um mich sorgt, der während dieser Party auf mich Acht gibt. Habe ich nur meine wertvolle Zeit verschwendet, die ich eigentlich ins Lernen hätte stecken können? Aber was mache ich jetzt? Wie komme ich nach Hause?

Ich wanke zurück zum Geländer, steige die Treppen jedoch nicht wieder hinauf, sondern setzte mich auf die Unterste Stufe und presse meine angewinkelten Beine fest an meinen Oberkörper, um mich so klein wie nur möglich zu machen. Bevor ich es merke, fließen die ersten heißen Tränen meine Wange hinab und wie als wäre es Schicksal oder Vorsehung, dass in exakt diesem Moment, meine Verzweiflung noch deutlicher gemacht werden sollte, bricht auf einmal der Himmel auf und es beginnt wie in Strömen zu regen. Ich lasse den Regen auf mich herunter trommeln, lege den Kopf auf meine Knie und weine in Einklang mit dem Himmel.

„Wir können auch einfach nach Oben gehen, Babe.", höre ich das leise Säuseln von Lexi aus dem offen gelassenen Spalt der Türe. Schritte werden in Richtung der Tür lauter und sofort wische ich mir meine Tränen weg, obwohl es eigentlich unmöglich ist, da immer weitere nachzukommen scheinen.

„Ich brauch' frische Luft, Lex. Wir sehen uns später.", erwidert eine harsche, arrogante Stimme, die ich nicht ganz zuordnen kann. 

Ein lautes Knarzen ertönt, was mir sagt, dass die Türe weit aufgestoßen wurde und ich wirble herum. Durch die all-verschlingende Dunkelheit und den prasselnden Regen erkenne ich nicht sofort die Person, die am Treppenabsatz von nur einem kleinen, flackernden Licht erhellt wird, aber tue es, als er sein Gesicht mir zu wendet und kurz das Licht auf seine unverwechselbaren Gesichtszüge mit den grünen Augen fällt.

„Was machst du da?", blafft er mich kaltherzig an und ich spüre wie mir weitere Tränen die Wange hinab kullern. Ich senke rasch den Kopf.

„Ist alles okay?", fragt er, diesmal mit etwas weicherer, besorgterer Stimme.

Ich hole rasselnd Atem und nicke dann.

„Ja.", sage ich in leiser, zitternder Stimme.

„Du weinst." Es ist eine klare Aussage, keine Frage.

„Ja und?", erwidere ich heiser lachend, obwohl mir rein gar nicht zum Lachen zu Mute ist.

„Das heißt, es geht dir nicht gut.", stellt er fest und ich recke das Kinn, um ihn böse anzufunkeln.

„Bravo, Sherlock, wieder einen Fall gelöst!", keife ich ihn in sarkastischem Ton an, "Was interessiert es dich denn schon, wie es mir geht, ha?"

„I-ich ...", stottert er sichtlich verwirrt.

„Hab ich mir schon gedacht. Also wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, ich würde jetzt gerne wieder hier draußen alleine", ich betone das Wort extra deutlich und mache eine ausladende Handbewegung, "auf der Treppe sitzen und weinen. Wieso gehst du nicht einfach wieder rein und gehst deiner üblichen Tätigkeit nach: Ein arroganter, selbstverliebter Idiot sein, wobei jeder Blinder sogar sehen kann, dass du ein Lappen, ein Feigling bist." 

Drückende Stille breitet sich aus, nachdem ich geendet habe und selbst ich bin von meinen eigenen Worten überrascht. Nate unterdessen starrt mich nur weiterhin durchdringend an, sodass ich abermals das Gefühl vermittelt bekomme, geröntgt zu werden.

„Du kennst mich nicht, Jennifer.", knurrt er und mein Herz macht einen Hüpfer, als er meinen Namen ausspricht.

„Stimmt. Und ich will dich auch nicht kennen, Nate.", erwidere ich ebenso bedrohlich und werde immer lauter. Wieder Stille, dann:

„Gut. Ich dich auch nicht." Verwirrt sehe ich Nate dabei zu, wie er die Treppe zu mir herunter kommt, ohne auch nur durch das plötzliche Nass des heftigen Regens mit der Wimper zu zucken. Er steht jetzt dicht vor mir, Zentimeter trennen mich nur noch von seinem muskulösen Körper in dem teuren schwarzen Anzug, der jetzt durch den Regen immer schneller durchgenässt wird und augenblicklich geht mein Atem flacher. In einer einzigen geschmeidigen Bewegung zieht er sein schwarzes Jacket aus, legt es mir über die Schultern und sieht mir dann wieder in die Augen.

„Ich hab es nicht gern, wenn Leute denken, sie sehen unter meine Maske und mein wahres Ich, vergiss das nie.", flüstert er, gleichwohl mit einem bedrohlichen Unterton in der Stimme, der mir das Blut in den Adern gefrieren lässt und doch mir einen angenehmer Schauer über den Rücken laufen lässt, „Und jetzt komm." 

Nate geht an mir vorbei und die Einfahrt an Autos entlang.

Ich blinzle verwirrt

„Wie bitte?", rufe ich ihm hinterher und er dreht sich um.

„Ich fahre dich nach Hause, du dummes Kind. Denkst du, ich lass' dich hier draußen einfach so im Regen sitzen?", antwortet er genervt und geht weiter. 

Kann ich ihm wirklich vertrauen? Woher weiß ich, dass das nicht eines seiner kindischen Spielchen ist? Aber habe ich eine andere Wahl? Natürlich habe ich die! Und zwar wieder hinein zu gehen, wobei ich patscht nass bin, vermutlich total verheult aussehe und dann noch irgendeinen Fremden bitten muss mich heimzufahren. Niemand, nicht mal Scarlett, die wirklich sehr nett scheint, würde mich so früh, von Kimmy weiß ich, dass die Party erst um etwa 12 die Party erst richtig losgeht, wieder nach Hause bringen.

„Kommst du Prinzesschen?", gellt Nate durch die Nacht und ich beiße mir auf die Unterlippe.

„Hör auf das ganze mal wieder tot zu denken, Jen!", flüstere ich mir selbst zu und laufe los um Nate einzuholen.

„Meine Güte macht der große Schritte", denke ich, als ich versuche neben ihm Schritt zu halten, wobei ich mindestens zwei für einen seiner riesigen Tritte brauche. Wir machen schließlich vor einem roten, ultra teuer wirkendem Auto halt, einen Tesla, so heißt es zumindest auf silbernen Lettern über dem Kennzeichenschild. Nate zückt den Autoschlüssel und klickt auf einen Knopf, wodurch die Lichter des Autos jäh zum Leben erwachen. Er geht zur Fahrertür und steigt ein während ich gleichzeitig zur anderen Wagentüre gehe, sie zwar öffne aber nicht einsteige.

„Worauf wartest du?" fragt Nate ungeduldig und schnallt sich an.

„Ehm ... i-ich ... kann ich dir vertrauen?", murmle ich zögernd und beiße mir auf die Unterlippe. 

Schlaue Frage, Jen. Hohe Achtung! Bald bist du noch schlauer als all die Idioten in den Horrorfilmen, die mitten in der Nacht ein Geräusch aus dem Keller hören, da natürlich sofort hinrennen ohne sich auch nur die Mühe zu machen, das Licht anzuschalten und dann ganz laut schreien: „Ist da wer?".

Nate lacht sein raues, tiefes Lachen.

"Ja, Jennifer, du kannst mir vertrauen. Ich werde dich weder entführen, umbringen noch vergewaltigen. Indianerehrenwort.", schwört er, indem er zwei Finger in die Höhe streckt, und ich muss lachen.

"Okay.", kichere ich und steige in das Auto.

„Und nur fürs Protokoll: Ich würde dich eh nie auch nur mit einer Kneifzange anrühren." 

Und mit diesen Worten startet Nate den Motor. 

________♡________

♥︎Danke für's Lesen♥︎

Wie hat es euch gefallen?

Ich freue mich wie immer riesig über Feedback! ♥︎ Mich würde auch echt interessieren, was ihr so von denkt, während ihr es lest :)

-x Eliana 



Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top