Kapitel 45: Schlachtfelder
"Was willst du?", brummt Nate genervt und sieht kurz von seinem Handy auf, als ich die Tür zu seinem Zimmer aufreiße, "Kannst du nicht klopfen?", murrt er.
"Du bist auch einfach so ins Bad gekommen ohne Anzuklopfen.", äffe ich ihn mit hoher, zickiger Stimme nach und funkle ihn wütend an.
"Okay, was ist los, Jennifer?", fragt er ruhig und genau das, seine Ruhe und zugleich seine Kälte ist es, dass mich endgültig zum explodieren bringt.
"Was los ist?", flüstere ich mit zusammen gepressten Zähnen, "WAS LOS IST? ICH SAG DIR WAS LOS IST, DU VERLOGENER LÜGNER!", brülle ich und spüre wie die Wut Oberhand über meinen Körper gewinnt.
"Verlogener Lügner?", kichert er und abermals treibt dieser einfache Satz an den Rand der Weißglut.
"Wag es ja nicht, zu lachen, Nathaniel Dylan!", fauche ich und spucke dabei seinen Namen aus, als wäre er etwas widerwärtiges, schmutziges, woraufhin seine Augen gefährlich zu funkeln beginnen. Ich bemerke die schwarze Maske, die langsam wieder über seine Gesichtszüge kriecht, aber es ist mir egal. In diesem Moment ist mir gerade alles egal, da nur eines zählt: Nate anschreien. So lang und so laut es nur geht.
"WIE KONNTEST DU NUR? DU HAST ALLES PLANT GEHABT. ALLES! DAS HIER WAS KEIN SPONTANER TRIP ZU DEINER SCHWESTER! DAS HIER IST SCHON SEIT EWIGKEITEN GEPLANT!! Sag schon, wen hast du bestochen, dass du DAS ALS EIN PRAKTIKUM AUSGEBEN KONNTEST, HA?", schreie ich außer mich vor Zorn und am ganzen Leib zitternd.
"Nein, Jennifer.", sagt er kopfschüttelnd und sieht mich mit ausdrucksloser Miene an.
"Wie bitte?", sage ich vielleicht etwas zu gefährlich leise, da mein Ton stark vor unterdrückter Wut zittert.
"Ich sagte nein. Ich habe niemanden bestochen, um das hier für ein Praktikum auszugeben. Es ist ein Praktikum."
Ich öffne bereits den Mund, um etwas zu erwidern, aber Nate fährt fort, bevor ich antworten kann.
"Du hast Recht. Diese Reise ist lang geplant. ", er seufzt, "Das hier, ist wirklich ein Praktikum, ein Wirtschafts-Praktikum, Jennifer. Mein Vater hat es aus mehreren Gründen für mich geplant gehabt, bevor überhaupt das Schuljahr begonnen hatte, aber ich habe mich durchgehend geweigert zu kommen - auch aus mehreren Gründen. Mein Vater hat mir schließlich gedroht, den Geldhahn abzudrehen und dann wäre ich auf der Straße gelandet.", er zögert, "Also habe ich zugestimmt. Unter einer Bedingung: Dich mitnehmen zu dürfen. Als ich das mit meinem Vater besprochen habe, meinte er er kenne deinen Vater und hätte auch Geschäfte mit ihm gemacht, also hat er mit ihm geredet und-"
"Wann war das?", falle ich ihm in einer Mischung aus Wut und Neugierde ins Wort und sauge dabei scharf den Atem ein.
"Ein paar Wochen nach Schulbeginn.", seufzt er und ich reiße meine Augen auf.
"E-Ein ... ein paar W-Wochen?", frage ich ungläubig und starre ihn entgeistert an, "A-Aber ... da haben wir uns doch noch gehasst."
Er sieht mich durchdringend an, als würde er mich wieder einmal mit seinen Augen röntgen wollen und ich komme nicht umhin, das Schmerzvolles, das sich in seinen grünen Augen spiegelt, zu bemerken.
"Ich wollte, dass du mich hasst, Jennifer.", antwortet er leise und meine Augen werden nun noch größer.
"Aber warum?", flüstere ich verwirrt.
"WARUM?", ruft er laut und ich zucke zusammen, als er vom Bett aufspringt, das ein protestierendes Knarzen von sich gibt.
"Ich bin schlecht für dich und das weißt du genauso gut wie ich! Wir ...", er rauft sich verzweifelt die Haare und plötzlich sehe ich seine Maske fallen, wie in Zeitlupe und schließlich in tausend Splitter auf dem Boden zerbersten, "Wir sind so anders ... und ich wusste, dass ich ..."
Er sieht mich verzweifelt an und beißt sich nervös auf die Lippe.
"Es tut mir Leid, dass ich dich angelogen habe, aber ich ... es ist etwas zwischen uns, ich spüre es und ich weiß, dass du es auch spürst. Es ist etwas wie eine merkwürdige Bindung, i-ich ...", er holt tief Luft und sieht mir dann offen in die Augen, "Ich bin verrückt nach dir, verdammt nochmal und ... ich kann nichts dagegen machen. I-Ich musste einfach wissen, was das hier ist."
"Liebe.", hauche ich und bemerke wie sich seine Augen verängstigt weiten.
"Sag das nicht.", zischt Nate wütend und ich senke traurig den Blick, aber Nate hebt mein Kinn mit seinem Fingern an, damit ich dazu gezwungen bin, in seine Augen zu sehen.
"Ich bin dazu nicht fähig, Jennifer. Ich kann nicht lieben, glaub mir. Es hat nichts mit dir zu tun.", flüstert er flehend und legt seine Stirn gegen meine.
"Du kannst.", murmle ich kaum hörbar und kaue nervös auf meiner Lippe herum.
"Ich liebe dich, Nate. Ich glaube, ich liebe dich zu sehr.", denke ich, verkneife es mir aber.
"Was hat deine Schwester gemacht, dass du sie hasst?", frage ich stattdessen und bereue es doch sogleich.
"Etwas Unverzeihliches. Mehr musst du nicht wissen und geht dich nicht an.", sagt er kalt, maskenhaft wie eh und je und zieht sich von mir zurück. Er tritt zum Fenster und stiert mit böser Miene hinaus.
"Kannst du es ihr nicht verzeihen?", frage ich leise und komme ein paar Schritte auf ihn zu, aber er sieht mich nicht an.
"Nein.", erwidert er kalt.
"Ich bin mir sicher, dass wenn es so unverzeihlich war, sie es liebend gern ändern würde, aber das kann sie nicht. Und du auch nicht. Oder hast du noch nie etwas getan, das du am liebsten wieder rückgängig gemacht hättest? Es ist Vergangenheit, Nate. Lass sie ruhen."
Nate dreht sich abrupt um und sieht mich durchdringend an.
"Vergangenheit ist das, was uns ausmacht, unseren Charakter formt. Ich vergesse nicht.", er schluckt, "Niemals."
Nate POV
"Du hast Recht und ich sage auch nicht, dass du deine Vergangenheit verdrängen sollst, aber das heißt auch nicht, dass du nicht jemandem verzeihen kannst, dem es wirklich Leid tut.", sagt Jennifer kopfschüttelnd.
Sie versteht es einfach nicht.
Am liebsten würde ich ihr alles erzählen. Aber ... ich kann nicht. Ich kann es ihr nicht erzählen. Was Fiona damals getan hat, liegt jenseits allem, was Jennifer sich vorstellen kann und ich möchte es ihr nur sehr ungern erzählen. Es würde einfach alles ruinieren . . . Und dann ist da noch die Sache mit Tess.
Tess ...
Goldenes Haar und ein paar schmale, haselnussbraune Augen flackern kurz vor meinen Augen auf und ich schließe die Augen. Mein Atem geht schneller als gewöhnlich und ich spüre, wie meine Beine zu zittern beginnen. Ihr kindliches Lachen hallt in meinen Kopf nach und dann sehe ich sie vor mir. In ihrem lächerlichen Kleid mit kleinen Wassermelonen darauf und einem paar brombeerfarbener Kniestrümpfe. Sie trägt jeden Tag ein anderes Paar ihrer peinlichen Strümpfe und das in Miami, wo es die ganze Zeit über heiß ist!
Ich hasse diese Kniestrümpfe.
Ich hasse dieses Kleid.
Ich hasse ihr Lachen.
Ich hasse ihr blondes Haar.
Ich hasse ihre Augen.
Ich hasse die tausenden von Gedanken, die mich jeden einzelnen, verdammten Tag an sie erinnern.
"Nate? Nate?! Ist alles okay?", ertönt plötzlich eine besorgte Stimme in meinem Ohr und ich schlage die Augen auf.
Ich bin zu Boden gesunken, obwohl ich mich daran nicht erinnern kann und Schweiß hat sich auf meiner Stirn gebildet.
"A-Alles okay.", murmle ich schnell und rapple mich hoch.
"Nate, du bist aschfahl! Was war los? Geht es dir wirklich gut?"
Jennifer sieht mich besorgt an, aber ich beachte sie nicht, sondern reibe mir nur gedankenverloren übers Gesicht.
"Nate du-"
"Hör zu.", beginne ich mit hoffentlich etwas besänftigender Stimme und sehe in ihre schönen, dunkelbraunen Augen, "Ich ... kann einfach nicht. Es tut mir Leid. Das tut es mir wirklich, glaub mir. B-Bitte geh ... geh einfach.", zwinge ich mich schließlich zu sagen und beobachte, wie sich ihre Augen langsam mit Tränen füllen.
"Aber ..."
"GEH, JENNIFER.", brülle ich so plötzlich, dass es mich selbst überrumpelt und ihre Augen weiten sich erschrocken.
Eine Träne rollt über ihr Gesicht und ich würde sie am liebsten wegwischen und sie so heftig küssen, wie ich nur kann, aber da dreht sie sich bereits um. Ich würde sie am liebsten am Arm packen und sie zurückziehen, aber ich kann nicht. Ich bin wie gelähmt, während Jennifer wortlos das Zimmer durchquert. Sie schließt die Türe leise hinter sich und ich wünsche mir so sehnlich, dass sie hier bleiben würde, bei mir.
Ich wünschte, sie hätte mich angebrüllt wie vorhin. Sachen zertrümmert. Auf mich eingeschlagen. Egal was. Das alles hätte mir nichts ausgemacht, aber diese enttäuschte und verletzte Jennifer, so ruhig, wie ich sie noch nie zuvor erlebt habe, macht mir ... Angst.
Ich fühle mich schuldig ... wegen ihr. Ich habe nie an meinem Hass an meiner Schwester gezweifelt, nie meine Gründe in Frage gestellt, aber jetzt . . .
Bevor ich es überhaupt realisieren kann, kocht die Wut bereits in mir hoch und ich sehe mich - wie in einer anderen Welt - das Glas mit Zitronenlimonade vom Nachttisch nehmen und es mit voller Wucht gegen die Wand schmettern.
Ich werde mich nicht wegen einem Mädchen ändern.
Nie.
Nicht wegen Jennifer und auch nicht damals wegen Tess.
Schwer atmend gehe ich hinüber zu meinem Bett und lasse mich darauf sinken.
"Ich bin mir sicher, dass wenn es so unverzeihlich war, sie es liebend gern ändern würde, aber das kann sie nicht. Und du auch nicht. Oder hast du nie etwas getan, was du am Liebsten wieder rückgängig gemacht hättest? Es ist Vergangenheit, Nate. Lass sie ruhen.", erklingt Jennifer's sanfte Stimme in meinem Kopf und ich schlage wütend auf eines der Kissen neben mir.
Sie liegt falsch.
Gewaltig falsch.
Manche Menschen behaupten, die Vergangenheit wäre nicht mehr Teil unseres Lebens, es läge nicht in unseren Händen, das Geschehene zu verändern, und dass es, nun ja, Vergangenheit ist.
Aber sie irren sich. Ohne der Vergangenheit gäbe es weder Gegenwart noch Zukunft, also gehört sie zu unserem Leben und definiert uns als Menschen, als jemanden Einzigartigen.
Aber manchmal, ist diese Behauptung auch nur eine Ausrede für Menschen, um nicht mehr an die Vergangenheit zu denken und keine Schuldgefühle zulassen zu müssen.
Aber irgendwann muss sich jeder der Realität gegenüberstellen und wenn der Tag zu Ende geht, weiß jeder, welche Fehler er in seiner Vergangenheit begangen hat. Manche mehr, manche weniger. Und schließlich unterscheiden sich dann die Menschen, die die die Courage haben, sich selbst diese Fehler einzugestehen, von denen, für die es eben nur Vergangenheit ist, die man, bekanntlich nicht verändern kann.
Ich weiß nicht, ob ich jemals Fiona für ihre Tat vergeben kann.
Ich weiß nicht, ob ich mir jemals für meine Fehler vergeben kann.
Ich weiß nicht, ob ich mich jemals weniger hassen kann, als ich es eh schon tue.
Aber eines weiß ich doch, ob nun mit oder ohne Vergangenheit:
Das Leben ist kein Spiel - es ist ein einziges Schlachtfeld.
________♡________
Oh yeay, sie hat es getan ... sie hat doch tatsächlich ein Nate POV Kapitel geschrieben.
Hat es euch gefallen? ♥︎
♡Vielen dank fürs Lesen♡ UND für fast 15 Tausend Reads! Das ist echt der Wahnsinn!! ♥︎♡♥︎♡ Ich weiß, viele haben hier mehrere 100 Tausend oder sogar Millionen, aber für mich ist das trotzdem ein gewaltiger Meilenstein! Ich meine 15 Tausend! Das ist für mich irreee viel!
Vielen Dank dafür! Fühl DICH gedrückt, der das gerade liest ;)♥︎
x Eliana
P.S. Dieses Kapitel ist dir, BlackLady8, gewidmet, weil du einfach mal eiskalt mein Buch durchgevotet hast und wirklich sehr amüsante und nette Kommentare geschrieben hast UND mein Buch in 2 Leselisten gefügt hast ... der Wahnsinn. Fühl dich ganz besonders gedrückt.
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