Kapitel 40: Wer bist du?

Fröstelnd, obwohl es eine warme Novembernacht ist, schlüpfe ich aus dem Bett, achtsam darauf bedacht, so leise wie möglich zu sein, um Marisol ein Stockwerk tiefer nicht aufzuwecken. Ich tapse auf Zehenspitzen zur Tür, öffne sie und schleiche schließlich die Treppe hinunter.

"Wieso bist du nicht angezogen?", knurrt Nate verärgert, nachdem ich das Tor durch Knopfdruck geöffnet und die schwere Mahagonitür geöffnet habe.

"Guten Morgen. Mir geht's auch gut, dafür, dass du mich um Vier Uhr Nachts geweckt hast, danke der Nachfrage.", gebe ich sarkastisch zurück und lächle gespielt freundlich.

"Zieh dich sofort an, Jennifer.", befielt Nate barsch und ich hebe überrascht eine Augenbraue.

"Bitte.", fügt er in eher flehendem Ton hinzu und ich stöhne leise auf.

"Sag mir erst, was diese Überraschung ist.", sage ich leicht verdrießlich und verschränke die Arme vor der Brust.

"Das wirst du nicht erfahren, wenn du dich nicht anziehst und mitkommst.", erwidert er ungeduldig, aber sein Blick schweift über meinen Körper und bleibt schließlich an meinen karierten Pyjama-Shorts hängen.

"Versteh' mich nicht falsch, diese Panties, sind unbeschreiblich heiß, aber ich bezweifle, dass ich mich so mit dir in meinem Auto beherrschen kann . . .", sagt er mit einem anzüglichen Grinsen und ich schlage ihm entsetzt auf den Arm.

"Als ob du jemals auch nur in die Nähe davon kommen würdest!", fauche ich beleidigt und funkle ihn böse an.

"Und ich dachte, da war ich schon längst.", erwidert er immer noch feixend, "Oder muss ich dich an gestern erinnern?"

Meine Augen weiten sich bei den Erinnerungen, die mich in einem gewaltigen Schwall überrumpeln und ich spüre wie mein Gesicht scharlachrot anläuft.

"I-Ich ... D-Du ... Du bist gemein.", sage ich schließlich mit trotziger, kindlicher Stimme und senke beschämt den Kopf.

Nate bricht in schallendes Gelächter aus.

"Shh!! Willst du ganz Beverly Hills aufwecken?", flüstere ich panisch, aber Nate rollt nur mit den Augen, wofür er von mir einen zornigen Blick erntet.

"Nein, aber ich will, dass du dich jetzt anziehst, damit du in mein Auto steigst und ich nicht durch deine mangelnde Bekleidung abgelenkt werde.", erwidert er lächelnd und erst jetzt wird mir klar, wie selten sein Lächeln oder gar Lachen ist.

"Und wieso sollte ich überhaupt in dein Auto steigen?", stelle ich bemüht genervt die Gegenfrage.

"Damit du siehst, warum ich dich um Vier Uhr aufwecke. Also geh dich anziehen, Jennifer.", antwortet er sofort und sein Lächeln ist wie weggewischt.

"Nein. Ich werde mich weder anziehen, noch mit dir irgendwo hinfahren. Entweder du sagst mir jetzt, was du vorhast oder du lässt es bleiben."

Ich sehe ihn streng an, während seine Miene hingegen wieder zu unergründlich und maskenhaft wie eh und je ist.

"OK, wenn du es so willst. Wir sehen uns dann später in der Schule.", erwidert er emotionslos und wendet sich zum Gehen.

Mein Herz beginnt zu rasen und meine Gedanken überschlagen sich in einem Mal. Obwohl ich noch so stur bleiben möchte, weiß ich tief in meinem Inneren, dass ich ihn jetzt niemals gehen lassen und solch eine Chance verpassen würde, ganz davon abgesehen, dass ich viel zu neugierig bin, um nein zu sagen.

"Du bist gemein.", sage ich abermals, mache auf dem Absatz kehrt und lasse die Tür hinter mir ins Schloss fallen.

Ich schleiche mich die Treppe hinauf in mein Zimmer, wo ich zunächst das Licht anschalte. Träge blinzle ich in das dämmrige Licht der Energiesparlampe und husche dann in meinen begehbaren Kleiderschrank, wo ich rasch meine Schlafsachen gegen eine beige, knielange Shorts, eine fliederfarbene Bluse und ein paar Halbschue eintausche. Ich begutachte mich kritisch in dem großen Spiegel und frage mich zum ersten Mal, was Nate eigentlich an mir findet.

Mein Kleidungsstil ist eher konservativ, bequem und nicht so sexy, wie der von Scar. Ich bin weder so dünn, noch so sportlich wie Kimberly. Ich bin alles andere als perfekt ... was also habe ich, dass er mag?


"Na endlich. Das hat ja gedauert.", meckert Nate zehn Minuten später, als ich in seinen roten Tesla einsteige und mustert mich stirnrunzelnd.

"Sind ... sind das deine Sachen?", fragt er langsam und ich spüre seinen Blick über meinen Körper gleiten.

"Ehm ... ja. Wieso?", frage ich nervös und bereue doch gleichzeitig, mich wieder umgezogen zu haben.

Sein Blick huscht von den bequemen Turnschuhen, zu der für meine Verhältnisse verboten kurzen Jeans-Shorts, die mir Kimberly einst geschenkt hat, bis schließlich zu dem beerenfarbenen T-Shirt mit Aufdruck auf der Brust.

"Nein ... nur, du siehst anders aus.", sagt er schließlich und ich bemerke, wie er sich auf die Unterlippe beißt.

Ich senke peinlich berührt den Blick, um mein knallrotes Gesicht zu verbergen, Nate jedoch, hebt mit seinen Fingern leicht mein Kinn an, sodass ich keine andere Wahl habe, als in seine grün-funkelnden Augen zu sehen.

"Du sollst dich niemals für jemanden verbiegen, hörst du, Jennifer? Du bist wunderschön. Genau so wie du bist."

Ein Lächeln breitet sich unwillkürlich auf meinem Gesicht aus und ich habe das Gefühl ich würde schweben. Meine Haut steht in Flammen und in meinem Bauch scheinen sich die kleinen Schmetterlinge in eine gewaltige Explosion verwandelt zu haben. Ich höre das Blut in meinen Ohren rauschen und schnappe verzweifelt nach Luft, da sich meine Kehle zugeschnürt hat. Genau in dem Moment, als ich die Lücke zwischen mir und Nate schließen will, um ihn küssen, lässt er jedoch mein Kinn los und wendet den Blick ab.

Mein Inneres schreit, krümmt sich, dass Nate sofort seine Hand zurücknehmen soll, aber mein Äußeres bleibt still. Geknickt senke ich wieder den Blick.

"Gute Entscheidung.", murmelt schließlich Nate nach einer langen Pause und deutet auf meine Turnschuhe, "Wo wir hingehen, wirst du sie brauchen."

Ich runzle die Stirn.

"Und wo ist das?", frage ich und versuche so neutral wie nur möglich zu klingen.

"Stell keine Fragen, Jennifer.", knurrt er ohne mich anzusehen und ich seufze.

Ich lasse mich entnervt gegen die Rücklehne fallen und schnalle mich an, während Nate den Motor startet.


"Sind wir endlich da?", quengle ich zehn Minuten später und sehe ungeduldig zu Nate, der immer noch konzentriert auf die Straße sieht.

"Bald.", gibt er knapp zurück und bricht dann wieder in sein übliches Schweigen aus. Ich seufze und sehe dann wieder gelangweilt aus dem dunklen Fester.

"Wir sind da.", sagt Nate ein paar Minuten später und ich spähe abermals nach draußen.

Ist ist nicht mehr ganz so finster, sodass ich den dichten Nadelwald erkennen kann, der sich hinter den Scheiben des Autos erstreckt.

"Bereit?", fragt Nate und sieht mich durchdringend mit diesen unvergleichlich grünen Augen an.

Unsicherheit flackert kurz über sein Gesicht und seine Augen scheinen heller denn je zu leuchten.

"Ich weiß nicht mal, für was ich bereit sein muss.", kritisiere ich ihn, lächle dann jedoch aufmunternd.

Er nickt abwesend und steigt dann aus. Stirnrunzelnd tue ich es ihm nach und folge ihm dann durch den Wald. Mit jedem Schritt, den ich mache, wächst meine Neugier und mein Puls scheint sich jedes Mal um das Zehnfache zu verdoppeln.

"Was zur Hölle hat er vor?", frage ich mich unaufhörlich, während sich Nate scheinbar ziellos durch Blätter und Gestrüpp zu schlagen scheint.

Und doch, folge ich ihm. Blind. Ohne es zu hinterfragen.

"Wir sind da.", sagt Nate plötzlich und bleibt so abrupt stehen, dass ich gegen seinen Rücken remple und ins Straucheln gerate.

Bevor ich jedoch hinfallen kann, ziehen mich seine kräftigen Arme wieder ins Gleichgewicht.

"D-danke.", stottere ich und mein Blick fällt auf die Szenerie, die sich hinter Nate's Rücken abspielt.

Meine Augen weiten sich und meine Kinnlade klappt herunter. Ich trete ein paar Schritte näher und schließe kurz die Augen, um den Moment zu genießen.

Salz steigt mir in die Nase, ich höre das Meer leise und beruhigend rauschen und die Wellen am harten Fels aufschlagen.

Ich öffne sie wieder und blicke vom Rand der Klippe in die leuchtenden und schimmernden Farben des unglaublichsten Sonnenaufgangs, den ich je gesehen habe, der sich glitzernd im Meer spiegelt.

Der sonnengelbe Horizont, die rosa-violetten Wolken und schließlich die einzelnen hellblauen Sonnenstrahlen, die dem pinken Wasser einen leichten Blauschimmer verleihen, machen es zu dem Schönsten und Unglaublichsten, was ich je gesehen habe. Sie scheinen mich in eine andere Welt zu versetzen, eine reine und perfekte Welt.

"Wow.", bringe ich schließlich nach einigen Minuten hervor und sehe zu Nate.

Er wirkt erleichtert und doch nervös - eine weitere, so seltene Facette an ihm.

"Ich dachte mir, dass es dir gefallen würde.", sagt er mit sanfter Stimme und sieht mich mit weichem Blick an.

"Wer bist du und was hast du mit dem Nathaniel Dylan gemacht, den ich dachte, zu kennen?", schießt es mir durch den Kopf, aber ich kommentiere es nicht weiter.

"Danke, Nate.", hauche ich.

Ein schüchternes Lächeln ziert seine Lippen, als er ebenfalls in den immer heller werdenden Himmel sieht und einen Arm um meine Schultern legt.

"Als Kind war ich oft hier.", sagt er leise und ich runzle die Stirn.

"Ich dachte du kommst aus Miami?", frage ich verwundert.

"Ja, das stimmt auch.", antwortet er, den Blick immer noch gegen Himmel gerichtet, "Aber Alex' Vater musste immer wieder geschäftlich nach LA und hat mich und Alex mitgenommen.", erwidert er und sieht verträumt in den mittlerweile zart violett-blauen Himmel.

"Oh achso."

"Du erinnerst mich an diesen Ort", flüstert er plötzlich und ich sehe ihn verdutz an. Seine Augen scheinen sich in die meinen zu bohren und zum ersten Mal, seit ich ihn kenne, genieße ich es.

"Immer wenn ich in deine Augen sehe, habe ich das Gefühl in eine andere Welt einzutauchen.", haucht er kaum hörbar und auf einmal entdecke ich eine neue Facette an ihm, die ich bei ihm nie für möglich gehalten hätte: Schwäche.

"Eine schöne, helle Welt.", fügt er etwas verbittert hinzu.

"Warum?", flüstere ich zurück, ohne den intensiven Blickkontakt zwischen uns auch nur durch ein Blinzeln zu unterbrechen.

Seine Augen weiten sich.

Ohne auf meine Frage zu antworten, tritt er näher an mich heran, sodass uns nur noch Millimeter von einander trennen. Langsam nimmt er mein Gesicht in seine großen Hände und sieht mir tief in die Augen. Mein Puls beschleunigt sich augenblicklich und mein Atem geht immer schneller und heftiger, während diese leichte, sanfte Berührung von ihm, von der Stelle aus, wo seine Hände mich berühren, kleine Blitze und Schmetterlinge durch meinen Körper schießen lassen.

Sein Blick wandert hinunter zu meinen Lippen und langsam, fast quälend langsam beugt er sich zu mir herunter. Ein riesiges Feuerwerk scheint in meinem Bauch loszugehen, als sich seine warmen Lippen sanft auf die meinen legen und er mich zärtlich, auf eine so intime Weise küsst.

Normalerweise sind unsere Küsse geprägt von der Lust, Gier und dem Verlangen, während dieser hier voller Zuneigung, Leidenschaft und ... Liebe ist.

Als wir uns voneinander lösen, sehen wir uns wieder in die Augen und ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um ihn wieder zu küssen.

"Jennifer.", murmelt er in den Kuss hinein und löst sich von mir.

"Was ist?", frage ich ein wenig enttäuscht.

"Du weißt, dass ich das nicht für dich sein kann, oder? Ich kann nicht lieben oder eine Beziehung führen ...", haucht er und ich spüre seinen stoßartigen, unregelmäßigen Atem gegen meine Lippen prallen.

"Du kannst lieben, Nate. Ich weiß es, auch wenn du es nicht tust.", wispere ich.

"Jennifer ...", beginnt Nate, aber ich lasse ihn verstummen, indem ich meine Lippen hungrig gegen seine presse.

Ich weiß, er kann lieben.

Ich weiß auch, dass er mich nicht liebt.

Ich weiß, dass es mich nicht kümmert, obwohl es das sollte, weil ich weiß, dass ich ihn liebe.

Nur weiß ich nicht, dass je mehr meine unbändige Liebe zu ihm wächst, der Schmerz, der mich am Ende des Tunnels erwartet, umso unerträglicher wird.

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So, das war's leider wieder, aber ich hoffe sehr, dass es euch gefallen hat!

Ich freue mich wie immer sehr über jegliches Feedback von euch und wünsche euch noch einen schönen Dienstag! :) 

Bis Bald, 

-x Eliana

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