Kapitel 38: Hinter der Maske

Nate starrt mich einige Sekunden mit wieder einmal unergründlicher, aber doch eiskalter Miene an. Ich spüre die Mauern, die jäh hinter seinen Augen in die Höhe schießen und die merkwürdige Ferne, die uns beide in eben diesem Moment trennt.

"Warum hast du in meinen Sachen gewühlt?", fragt er schließlich in gefährlichem Ton und ich beiße mir nervös auf die Unterlippe.

"Ich habe nicht gewühlt. I-Ich ...", ich werfe dem Regal einen liebevollen Blick zu, "... konnte nur nicht widerstehen.", flüstere ich ganz leise und sehe Nate flüchtig in die Augen, die jetzt wieder ausdruckslos und leer scheinen.

Ich nehme meinen restlichen Mut zusammen und sage dann mit etwas verärgerter Stimme:

"Aber das ist gar nicht der Punkt. Mir ist nur aufgefallen, dass du dieses Buch doppelt hast und ich habe-"

"Geschnüffelt.", beendet er in schneidendem Ton meinen Satz.

Ich verenge meine Augen zu Schlitzen.

"Wer ist Teresa Caroline Fell?", frage ich erneut mit vor Wut bebender Stimme.

Ohne zu antworten, reißt mir Nate das Buch samt Karte aus der Hand und kehrt mir den Rücken zu, um es wieder an seinen Platz ins Regal zu stellen.

"Erwähne Tess nie wieder.", murmelt er leise und dreht sich wieder um.

"Wie bitte-"

"Ich sagte, ERWÄHNE TESS NIE WIEDER, HAST DU VERSTANDEN?", brüllt Nate plötzlich so laut, dass ich einen Satz in die Höhe mache.

"Nate, a-aber...", setzte ich mit zitternder Stimme an, aber wieder unterbricht er mich.

"Ich bin nicht der Richtige für dich, Jennifer. Du solltest jetzt gehen.", schreit er in etwas gemäßigterem und rauft sich dabei verzweifelt die Haare.

Ich schlucke. Ich spüre, wie sich meine Augen mit Tränen füllen und senke dann meinen Kopf, um sie vor Nate zu verbergen. Das letzte, was ich jetzt will, ist, vor ihm zu weinen.

Ohne zu antworten, mache ich auf dem Absatz kehrt, schnappe mir beim Vorbeigehen meine Tasche von der Couch und verlasse mit großen Schritten den Raum. Ungeduldig und mit vor Tränen vernebelter und immer wieder verschwimmender Sicht traktiere ich unaufhörlich den Knopf des Aufzugs, als würde er dadurch schneller kommen.

Heiße Tränen laufen in Strömen über meine Wange, als sich die eisernen Türen öffnen und ich ohne einen Blick in den riesigen Spiegel des Aufzugs zu riskieren, einsteige.

Ich drücke den Knopf zum Erdgeschoss und sehe zu, wie sich die Türen langsam, wie in Zeitlupe, vor meinen Augen schließen.

Und dann passiert genau das, von dem ich am wenigsten gerechnet und doch am meisten gehofft hatte, es würde passieren: Kurz bevor sich der Aufzug schließt, erhasche ich einen kurzen Blick durch den Spalt zwischen den sich schließenden Türen auf Nate's grüne Augen.

Es reicht diese eine Sekunde und ich habe plötzlich das Gefühl, den wahren, unmaskierten Nathaniel Dyllan vor mir zu haben. Seine Augen sind mit Tränen gefüllt und strahlen etwas aus, von dem ich es nie für möglich gehalten, es je an Nate zu sehen: Schwäche. Seine Lippen zittern, als er folgende Worte sagt und dann sein Gesicht hinter den stählernen Aufzugstüren verschwindet:

"Es ist meine Schuld."

Ich atme rasselnd aus und werfe einen letzten Blick in den Autospiegel, bevor ich schließlich meinen gesamten Mut zusammennehme, meine Tasche vom Beifahrersitz hieve, die durch die vielen, schweren Bücher aus der Bibliothek sogar angeschnallt werden musste, so schwer ist sie und ich aus meinem Auto aussteige.

"Ich schaffe das. Ich werde ihn ignorieren.", flüstere ich mir selbst zu, während ich mit zügigen Schritten auf das kalte Gebäude der Havard-Westlake School zugehe, "Er hat keinerlei Wirkung auf mich."

Erstaunlich, wie gut ich doch im lügen geworden bin, sodass ich es fast selber glaube, wenn man bedenkt, dass ich es erst seitdem Nate in meinem Leben ist, tue.

"JEN!!", kreischt plötzlich ein Mädchen neben mir und ehe ich's mich versehe, befinde ich mich in einer der stürmischsten Umarmungen, die die Welt je gesehen hat.

"Hey, Scar.", sage ich lächelnd, als sie mich wieder loslässt und spähe über ihre Schulter, nur um ein paar Meter weiter ihre "Clique" versammelt zu sehen.

Ich runzle die Stirn und gehe noch einmal die Gesichter ab. Lexi, die wie immer unter ihrer Maske von Make-Up zu verschwinden scheint, Kaylee, wie immer mit dem gleichen, dumm-verwirrten Gesichtsausdruck, der hühnenhafte Junge, Ian, Rotschopf Logan, Alex ignoriere ich gekonnt und ... kein Nate.

Ich spüre wie ein Teil in mir erleichtert aufseufzt, während ein wesentlich größere Teil anfängt, sich Sorgen zu machen.

"Hoffentlich geht es ihm gut. Was, wenn er einen Unfall hatte? Was, wenn er krank ist?"

"Nate schwänzt vermutlich wieder.", beantwortet Scar meine unausgesprochene Frage und ich richte meinen Blick wieder auf sie.

Sie seufzt.

"Tut mir Leid.", murmle ich und senke traurig meinen Blick.

"Schon gut.", sagt sie eher trocken und ich sehe sie überrascht an.

"Schau nicht so verdutzt!", fährt sie mich harsch an, "Mir wurde so oder so ziemlich schnell nach unserem Gespräch klar, dass es zu spät ist. Du liebst ihn eh schon."

Ich sehe sie mit großen Augen an, dann schüttle ich den Kopf, sehe ihr dabei jedoch unter dem Vorwand meinen Spind zu schließen nicht an.

"Jen ... es geht mich zwar nichts an, aber es ist ziemlich offensichtlich, meinst du nicht?", sagt sie langsam und lehnt sich lässig gegen die Spindwände, sodass sie mit ihrer Lederjacke, der schwarzen Skinny Jeans und den hohen Pumps fast in eine dieser (lahmen und kitschigen) Teenager-Serien passen würde.

"Nein ist es nicht.", fauche ich zurück, hebe meine schwere Tasche vom Boden auf und werfe sie mir über die Schulter.

Wütend marschiere ich los und höre Scar schon hinter mir seufzen.

"Jetzt warte doch!", ruft sie mir beleidigt hinterher und holt mich schnell wieder ein.

"Ist ja gut! Ich sage schon nichts mehr, zufrieden?", sagt sie schließlich etwas keuchend, um mit mir Schritt zu halten, aber ich schnaube nur.

"Sehr.", gebe ich leicht sarkastisch zurück und betrete vor ihr das Klassenzimmer.

"Okay ... vergessen wir es einfach und lass uns wieder Freunde sein, ja?", bettelt sie, als wir uns in eine der Reihen gesetzt haben und schenkt mir einen ihrer Hundeblicke. Ich lache.

"Was denn?", verteidigt sie sich schulterzuckend und lächelt dann, "Ich muss dir nämlich was erzählen."

Ich verstumme und hebe interessiert eine Braue.

"Hat es etwas damit zu tun, dass ich dich mal gefragt habe, ob du verliebt bist und du gemeint hast, dass du mir nicht sagen kannst, wer es ist?", frage ich langsam und sehe sie erröten.

Sie nickt stumm.

"Aber ich kann es nicht mehr verheimlichen. Ich muss es dir einfach erzählen.", platzt sie plötzlich heraus und sieht mich halb nervös, halb begeistert an, "Du musst mir aber versprechen, dass du es niemandem, wirklich niemandem, niemandem erzählst, hörst du?"

Ich runzle die Stirn.

"Ja, natürlich, aber-"

"Es ist er.", flüstert sie und ich folge verwirrt ihrem Blick.

Nur ist da ist niemand. Nur Mr. Jesper, der gerade seine Mathematik Unterlagen aus seiner Aktentasche nimmt und ein halbes Dutzend - Moment.

"Du meinst doch nicht Mr. Jesper, oder?", frage ich bedrohlich und werfe Scar einen warnenden Blick zu, die jetzt noch stärker errötet, sodass ihr Gesicht mehr der Farbe einer viel zu reifen Tomate ähnelt.

Wieder nickt sie stumm.

"Mr. Jesper?", flüstere ich vollkommen perplex und werfe dem hageren Mann in ordentlicher Hose, Hemd und V-Pullover mit seinem hellbraunem Haar und der Hornbrille einen entsetzten Blick zu.

"A-Aber ...Scar, e-er ist ... a-alt.", stottere ich immer noch entsetzt, wofür ich einen beleidigten Blick ernte.

"Er ist nicht so alt, Jen!", zischt sie empört, aber ich werfe ihr nur einen missbilligenden Blick zu.

"Ach, also wie 20 sieht er aber nicht aus.", fauche ich zurück und bemerke, wie Scar die Augen verdreht.

"Er ist 29, aber das ist überhaupt nicht der Punkt! Uns macht das Alter nichts aus."

"Oh Scar, das kann richtig übel ausgehen. Er könnte dafür ins Gefängnis-"

"Ich bin 18!"

"Das ist egal! Du bist seine Schülerin, um Gottes Willen!"

"Ich weiß.", gibt sie leise zurück und sieht mich traurig an.

"Ich liebe ihn. Ich kann es nicht beenden oder willst du mir sagen, du könntest dich einfach so von Nate fern halten, wie du es mir eigentlich auch versprochen hattest?"

"Ja, könnte ich.", gebe ich mit fester Stimme zurück, "Ich liebe Nate so sehr, dass ich es irgendwie schaffen würde, ihn gehen zu lassen, weil ... weil ich weiß, dass ich ihn ruinieren könnte."

Ich halte bei dem Klang meiner Worte Inne und spüre, wie sich mein Herzschlag um das doppelte beschleunigt. Ein merkwürdiges Glücksgefühl sickert allmählich in mich hinein und ein Kribbeln breitet sich auf meiner Haut aus.

Scar sieht mich traurig an.

"Was, wenn er mich so sehr liebt, dass es ihm egal ist, dass ich ihn zerstören könnte, weil er alles auf Spiel setzten würde, um mit mir zu sein?", fragt sie und zum ersten Mal, seit ich Scar kenne, entdecke ich ein leichtes Funkeln in ihren dunklen Augen, wie eine kleine, hell lodernde Flamme.

Ich blinzle kurz.

Dann begreife ich plötzlich.

Nate.

Er hat die Macht, mich zu zerstören.

Er hat versucht - was auch immer das zwischen uns ist - zu beenden.

Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag.

E r empfindet etwas für mich - Und doch hat er Angst. Wovor, weiß ich nicht, aber ich bin mir sicher, dass es nicht nur darum geht, seinen Ruf als "Playboy" zu zerstören, indem er sich zu mir bekennt. Nein. Seine Angst liegt tiefer, viel tiefer als ich zunächst gedacht hatte und ich könnte schwören, dass dahinter nur ein einziges Wort steckt, das mir zum ersten Mal, seitdem mich Nate gestern aus seiner Wohnung geschmissen ist, herzlichst egal ist: Tess.

In der Sekunde, als es mir bewusst wird, weiß ich auch, dass ich am komplett falschen Ort bin.

"Ich muss zu ihm.", denke ich fieberhaft und schlage damit alles in den Wind.

Meine Prinzipen, meine Prioritäten und mein jetziges Leben.

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TADA hier ist es ... endlich. :)

Ich hoffe wirklich, es hat euch gefallen! Wenn ja, würde ich mich sehr darüber freuen, wenn ihr dem Kapitel ein Vote gebt und kommentiert! ♥︎♥︎

Habt noch einen schönen Abend (das nächste Kapitel kommt am Wochenende)!

Bis bald, Eliana

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