Kapitel 30: Ein Stückchen Wahrheit
"Um Gottes Willen, Alex! Was ist mir dir passiert?", kreische ich laut und trete einen Schritt auf ihn zu um mir seine Wunden im Gesicht besser anzusehen.
Ich stöhne auf. Er sieht fürchterlich aus. Sein rechtes Auge ist rot und geschwollen, sodass er durch das dicke Lied das Auge nur bis zu Hälfte öffnen kann und seine Lippe ist aufgeschlagen und noch immer ein wenig blutig.
"Ach", er macht eine abfällige Handbewegung, "Das ist nichts."
"Nichts?", schrille ich und sehe ihn alarmiert an, "Das ist kein Nichts, Alex! Sag mir jetzt, was passiert ist!"
Er sieht mich gequält an, fängt sich jedoch wieder relativ schnell und sagt dann:
"Glaub mir, es ist wirklich nicht schlimm und ich bin sicherlich nicht hier um mit dir darüber zu reden, OK?"
Ich starre ihn verwirrt an.
Er seufzt und fährt sich gedankenverloren durch die Haare.
"Tut mir Leid, so war das nicht gemeint.", nuschelt er und ich ziehe eine Augenbraue hoch, "Ich wollte eigentlich nur fragen, wie es dir geht und ... naja, was Mr. Sheehan gesagt hat und so"
Ich stöhne auf. Allen bei dem Gedanken an meinen Verweis wird mir schlecht.
"Es geht mir gut und ich habe einen Verweis bekommen.", sage ich schnell.
Verbitterung liegt in meiner Stimme, was Alex offenbar bemerkt, da er jetzt in sehr viel mitfühlenderem Ton sagt:
"Das tut mir ehrlich Leid, Jen. Du darfst dich von Lex nicht provozieren lassen."
Ich nicke kurz und sehe ihn dann wieder an.
"Bist du wirklich nur deswegen hier, um nach mir zu sehen oder hab nur ich das Gefühl, dass du noch etwas anderes willst?", frage ich leise und ziehe die Mundwinkel nach oben.
Auf Alex' Gesicht breitet sich ein verschmitztes Grinsen und ein einigermaßen ertappter Gesichtsausdruck aus. Ich lächle ahnungsvoll.
"Naja ... also nein ... i-ich wollte fragen, ob du vielleicht gerne etwas Ablenkung hättest und mir ist aufgefallen, dass-"
"Ja.", unterbreche ich sein Gestotter schnell ohne überhaupt darüber nachzudenken.
"Oh ... also ... ehm du bist sicher, dass du nicht lernen möchtest? Ich will nur nicht, dass ich dich von wichtigen Dingen abhalte.", sagt er besorgt und wie so oft kommt mir in den Sinn, was für ein perfekter Freund er doch ist.
"Wenn du noch ein einziges Wort sagst, überlege ich es mir vielleicht doch noch anders.", warne ich ihn eher scherzend und er lacht laut auf.
"Na wenn du das sagst...", grinst er und ich grinse zurück.
"Wie hast du denn vor mich abzulenken?", erkunde ich mich und sehe ihn gespannt an.
"Wie wäre es mit einem Filme-Abend/Nachmittag bei mir?", schlägt er vor und mein Lächeln wird breiter
"Klingt wunderbar."
Ich runzle die Stirn. Erst jetzt fällt es mir auf.
"Ich glaube, ich war noch nie bei dir."
"Stimmt. Dann wird es aber mal Zeit!", lacht er und ich lächle.
"OK, ich hole mir schnell mein Handy und die Schlüssel von oben und dann können wir gehen."
Er nickt kurz, aber ich warte keine Antwort ab, sondern flitze auch schon die Treppe nach oben in mein Zimmer oder besser gesagt sofort in meinen begehbaren Kleiderschrank und entledige mich in Windeseile meiner Bluse und der Kaki-Shorts. Rasch ziehe ich eine hübsche, etwas enger anliegende Dreiviertel Jeans an, die mir Kimberly vor einem Jahr zum Geburtstag geschenkt hat. Es bereitet mir ein Stechen in meiner Magengrube, wenn ich an meine ehemals beste Freundin und ihr breites Grinsen auf den Lippen als sie mir die Jeans überreicht hat, denke. Ich schiebe den Gedanken beiseite und mache mich auf die Suche nach einem hübschen Oberteil. Schnell werde ich fündig: Ein brombeerfarbenes, kurzärmliges T-Shirt mit Rundhalsausschnitt, das ich so gleich überziehe und noch einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel werfe.
"Du siehst hübsch aus.", sagt Alex wenige Minuten später und ich erröte leicht.
"Danke", murmle ich während ich mir hektisch meine Schuhe anziehe.
"Sollen wir?", fragt er als ich mich wieder aufrichte und ich nicke lächelnd.
Ich sehe aus dem Fenster des Autos. Obwohl es gerade einmal halb fünf am Nachmittag ist, ist es bereits fast gänzlich dunkel. Der wolkenlose azurfarbene Himmel scheint durch das dämmrige, warme Licht auf seltsamer Weise unecht, fast aufgeklebt. Der Horizont ist in einem warmen, sanften orange getränkt, der die fernen Baumwipfel näher erscheinen lassen als sie tatsächlich sind. Alles scheint ruhig und friedvoll. Erschöpft lege ich meinen Kopf auf die kühle Fensterscheibe und beobachte den immer dunkler werdenden Himmel. Es entspannt mich auf gewisse Weise, zuzusehen, wie der Horizont immer mehr und doch so unbeschreiblich langsam die azurblaue Farbe des restlichen Himmels annimmt. Es entspannt mich so sehr, dass ich lange die bekannte Umgebung mit ihren vielen eleganten Hochhäusern nicht erkenne. Erst als wir um eine weitere Kurve biegen, dämmert es mir allmählich.
"Moment ...", ich starre Alex mit weit aufgerissenen Augen an, "Wohnt hier nicht..."
"Nate?", vollendet er meinen Satz und ich nicke eifrig, "Ja, er wohnt sogar im selben Gebäude wie ich."
Mein Magen dreht sich bei seinen Worten um und mir wird langsam übel.
Ich sehe ihn von der Seite aus die Stirn runzeln
"Aber woher-"
"Wir mussten mal ein Referat zusammen machen.", würge ich ihn schnell ab und er nickt.
"Hör mal, ich weiß, dass da irgendetwas zwischen euch gelaufen ist, ich bin schließlich nicht blind und ich weiß auch, dass du ihm jetzt aus dem Weg gehst."
Ich starre ihn halb empört, halb protestierend an und er seufzt.
"Was ich damit sagen will, ist, dass du dir keine Sorgen machen musst, dass wir ihm über den Weg laufen. Er ist eigentlich die meiste Zeit in seinem Panthouse und kommt nur für Partys oder Schule raus.", sagt er trocken und ich nicke etwas beruhigt.
"Ich will ihn nicht sehen, Alex.", flüstere ich und eine Gänsehaut breitet sich auf meiner Haut aus als ich an das durchdringende Grün von Nate's Augen denken muss.
"Ich weiß.", murmelt er und sieht mich kurz an bevor er wieder den Kopf wendet und aus der Windschutzscheibe sieht.
Wir fahren kaum weitere zwei Minuten bis wir vor dem bekannten Hochhaus aus Sandschein und Glas ankommen und Alex in die zugehörige Tiefgarage fährt. Als wir aussteigen, komme ich nicht umhin zu bemerken, dass Nate's roter Tesla neben anderen sündhaft teuren Wägen und merkwürdigerweise einem ebenso rotem Truck, der ganz und gar nicht zu den restlichen Autos passt, nur wenige Meter von Alex' Auto geparkt ist. Die Vorstellung, Nate außerhalb von meinem Schutzgebiet der Schule zu sehen, bereitet mir Angst. Nicht weil ich vor ihm Angst habe, sonder vor mir. Ich habe Angst davor diese Gefühle zu fühlen, wenn ich in seiner Näher bin, die mich zu einer anderen Person plötzlich machen. Ohne Kontrolle über mich selbst.
Alex nimmt meine Hand und führt mich zu einem der eleganten Aufzüge und drückt den Kopf, sodass sich nur wenige Sekunden später die schmiedeeisernen Türen öffnen und den kleinen Raum dahinter freigeben. Wir treten ein und ich erinnere mich, dass, als ich hier zum ersten Mal war, der griesgrämige Portier einen Code eingeben musste damit mich der Fahrstuhl zu Nate bringen konnte, jedoch tut Alex nichts der gleichen. Er zieht einen kleinen, schlichten, goldenen Schlüssel aus der Hosentasche und steckt ihn in das zugehörige Schlüsselloch neben der leuchtenden Zahl 29. Er dreht ihn um und mit einem Klick! schließen sich die Türen des Aufzugs und der Fahrstuhl steigt nach oben. Lächelnd zieht Alex den Schlüssel wieder aus dem Schlüsselloch und sieht mich dann kurz von der Seite aus an.
"Also ... auf welchen Film hast du Lust, Prinzessin?", fragt er und ich muss unweigerlich grinsen.
"Und ... was meinst du?", frage ich begeistert und Alex schaltet den Fernseher aus.
Er lächelt einigermaßen gezwungen und ich verziehe die Mundwinkel.
"Du hättest mir doch sagen können, dass er dir nicht gefällt."
"Er hat dir gefallen, das ist die Hauptsache.", sagt er sanft und prompt färben sich meine Wangen scharlachrot.
Ich sehe kurz auf meine Armbanduhr und reiße die Augen auf. Zwei einhalb Stunden sind vergangen und ich habe immer noch nicht meinen Geschichts-Aufsatz fertig, der morgen fällig ist.
"Vielen Dank für die Ablenkung, Alex.", murmle ich, "Aber ich sollte jetzt wirklich gehen."
"Natürlich", Alex springt auf und holt seine Schlüssel von einem nahen Abstelltisch, "Wag es ja nicht, Jen. Ich dulde kein Wort der Widerrede.", warnt er mich als ich ihm einen protestierenden Blick zuwerfe und ich kichere.
In mich hinein lächelnd stehe ich von der Couch auf und gehe zu Alex, der bereits am Aufzug auf mich wartet. Ich sehe ihn an.
"Danke.", flüstere ich, "Danke, dass du so ein unglaublich toller Freund bist. Ich weiß wirklich nicht, womit ich so jemanden wie dich verdient habe."
Er sieht mich verblüfft an ohne etwas zu sagen.
"Warte.", sagt er plötzlich als ich die Hand ausstrecke um den Aufzugsknopf zu drücken. Ich starre ihn verwirrt an.
Er seufzt.
"Ich bin nicht so ein toller Freund, wie du denkst, Jenny.", sagt er traurig und lässt den Kopf hängen.
"Wie meinst du das?", frage ich schnell und meine Augen weiten sich vor Angst.
Ich sieht auf. In seinen ozeanblauen Augen steht deutlich die Schuld geschrieben. Ich schlucke schwer.
"Du hast mich vorhin nach meinen Verletzungen gefragt", beginnt er und nicke wortlos, "Naja ... ich wollte es dir nicht erzählen, weil ... es ist im Prinzip meine Schuld."
Ich starre ihn an.
"Wie kann es deine Schul sein, wenn dich jemand derartig verprügelt?", frage ich verständnislos, jedoch weiß ich aus irgendeinem Grund, dass es doch etwas mit ihm zu tun hat.
Er wirft mir einen ängstlichen Blick zu als hätte er Angst, noch ein einziges Wort zu mir zu sagen und sieht dann auf seine Füße.
Ich schnaube genervt und sage dann in etwas angriffslustigem Ton:
"Also. Wenn du mir jetzt nicht sagst, was-"
"Ich habe Nate erzählt, dass wir miteinander geschlafen hätten.", sagt er ganz leise und ich breche jäh ab.
Mir bleibt die Luft weg.
"Hat er das gerade tatsächlich gesagt?", frage ich mich und versuche mich zum atmen zu erinnern.
"Du hast was?", flüstere ich und atme schwer, "DU HAST IHM WAS ERZÄHLT, ALEX?", donnere ich und sehe zu wie Alex ängstlich einen Schritt nach Hinten zurückweicht.
"Du hättest ihn hören sollen, Jenny! Er-"
"Es gibt keine verdammte Erklärung, die das rechtfertigen könnte, du Lügner!", brülle ich und drücke den Aufzugsknopf.
"Ich muss hier weg. Einfach nur weg von ihm.", denke ich fieberhaft und drücke erneut ungeduldig auf den Knopf.
"Es tut mir wirklich Leid, das musst du mir glauben! Ich weiß wirklich auch nicht, was mich da geritten hat, aber-"
"Tu mir einen Gefallen und halt den Mund!", schneide ich ihm mit vor Wut bebender Stimme das Wort ab und genau in dieser Sekunde öffnen sich mit einem lauten Pling! die Aufzugstüren.
Erleichtert mache ich einen Schritt nach Hinten ohne jedoch vorher ins Innere zu sehen und blicke direkt in Alex' vor Schreck geweitete Augen bevor ich mich langsam mit immer lauter schlagenden Herzen umdrehe.
Ich sauge scharf den Atem ein und ich habe wie so oft das Gefühl, die Luft würde sich zwischen uns sofort elektrisch aufladen.
Stille bricht aus. Die Sorte, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Meine Knie beginnen zu zittern, aber dennoch kann ich mich unmöglich auch nur einen einzigen Millimeter bewegen. Ich versuche zu atmen, jedoch ist mir die Kehle zugeschnürt.
Wir starren uns gegenseitig an - Braun in Grün.
Die Aufzugstüren schließen sich hinter uns geräuschlos.
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Willkommen zu meinem 1. Kapitel meiner Lesenacht! Ich hoffe sehr, dass es euch gefallen hat! ♥︎ Ich würde mich sehr über ein Vote und einen Kommentar freuen! ;)
Bis in einer 3/4 Stunde!♥︎
x Eliana
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