Kapitel 22: Wem die Stunde schlägt
"Das Thema ist unglaublich interessant nicht wahr? Stell dir das mal vor-", fange ich an, als es zum Stundenende klingelt.
"Wir kauen den Unterricht nicht nachher noch durch, Jenny!", unterbricht mich Scar in einem tiefen Seufzen, "Es reicht ihn einmal erlebt zu haben.", mault sie und schwingt sich ihre Tasche über die Schulter.
"Ist ja gut,", erwidere ich augenrollend, "Scarlett.", füge ich zuckersüß hinzu und stolziere mit einer keifenden Scar im Schlepptau durch das Klassenzimmer.
Draußen angelangt beginnt wieder das Getuschel und Gegaffe, aber ich versuche es so gut es geht zu ignorieren, indem ich mich Scar zuwende.
"Also, wer ist es?", dränge ich sie während wir durch den totenstillen Flur gehen und ihre Miene gefriert augenblicklich.
"Ich kann es nicht sagen, Jen.", erwidert sie entschuldigend und ich ziehe eine Augenbraue hoch.
"Also kenne ich ihn?", hake ich gerade nach als mich jemand plötzlich am Arm packt und ich herum wirble.
"Was willst du?", fauche ich den großen Jungen mit dunkelblonden Haaren und ozeanblauen Augen an und sehe zu wie er Scar einen bedeutungsvollen Blick zuwirft.
"Ich muss mit dir reden, Jenny. Scar, du hast doch nichts dagegen.", erwidert er und ohne ihre Antwort abzuwarten, schleift mich, meinen Protest ignorierend, den Gang hinunter und schubst mich schließlich in ein leeres Klassenzimmer.
"Was?", brülle ich wütend, aber er zuckt nicht einmal mit der Wimper.
Stille. Dann:
"Meine Großmutter ist gestorben.", sagt er ruhig und ich spüre wie die Wut langsam abflaut.
"W-Wie bitte?", frage ich völlig verwirrt und er seufzt.
"Sie ist in der Nacht gestorben als wir auf der Party von Logan waren. Ich habe den Anruf bekommen als du gerade mit Scar getanzt hast und ... es tut mir wirklich Leid, dass ich dich einfach so alleine gelassen habe, aber ... i-ich konnte es einfach nicht-", seine Stimme bricht und ich könnte schwören zu sehen, dass seine Augen glasiger werden.
"Standet ihr euch nahe?", flüstere ich und er sieht mir flüchtig in die Augen.
"Sie hat mir durch eine schwere Phase meines Lebens geholfen. Die schwerste.", krächzt er und ich seufze.
"Es tut mir so Leid, Alex.", sage ich mitleidig und spüre mein schlechtes Gewissen wachsen.
Ich gehe auf ihn zu, er sieht verwundert zu mir herunter, aber bevor er etwas sagen kann, schlinge ich meine Arme um ihn und halte ihn fest.
"Es tut mir Leid, dass ich es nicht gleich gesagt habe, Jen.", flüstert er in die Umarmung hinein und ich lächle.
"Es tut mir Leid, dass ich so ein Idiot war und dich sofort gehasst habe.", gluckse ich und löse mich von ihm.
Er lächelt und sagt dann die Worte, die mich komplett aus der Haut fahren lassen:
"Hast du eigentlich nicht Unterricht?"
Völlig außer Atem und nur ein paar Minuten zu spät, komme ich schlitternd vor der Tür des Englisch Klassenzimmers zum Stehen. Ich kneife kurz die Augen zusammen und klopfe dann zwei Mal bevor ich eintrete.
Sobald ich den Fuß über die Schwelle des Raums gesetzt habe, beginnt die gesamte Klasse wie auf Kommando an zu tuscheln, als würden sie sagen wollen: "Willkommen in der Hölle, Jenny."
Ich sehe zu der Lehrerin.
"E-Es tut mir Leid, i-ich ...", stottere ich, aber sie bleibt stumm, was mir nur noch mehr Angst einjagt. Ihr Gesicht nimmt mehr und mehr die Farbe einer viel zu reifen Tomate an und ihr schmaler Mund zieht sich zusammen, sodass er die schmalste aller schmaler Linien bildet. Kurz gesagt: Ich bin nicht in der Hölle. Die Hölle wäre angenehmer.
Ihr Blick wird plötzlich weicher und viel mädchenhafter als sie schließlich sagt:
"Ein Aufsatz mit 4 Seiten, Miss Clark. Sie dürfen sich setzten."
Ich nicke kurz, da ich weiß, dass Widerstand oder Protest die Sache nur viel schlimmer machen würde und gehe die Reihen entlang. Durch den durchdringenden Blick von Nate schnürt es mir die Luft ab, sodass ich kaum atmen kann. Mein Herz rast und meine Knie zittern fürchterlich. Mit Mühe wende ich den Blick ab und setzte mich mit gesenktem Kopf neben den dunkelhaarigen Jungen.
"So, wie ich gerade sagte", sagt Mrs. Brown gerade und augenblicklich wenden sich alle Köpfe wieder nach Vorne.
"Musst du immer zu spät kommen?", knurrt eine raue, leise Stimme neben mir und ein Schauder läuft mir den Rücken hinunter.
"Offensichtlich.", zische ich zurück ohne ihn jedoch anzusehen. Stattdessen hebe ich meine Hand.
"Was gibt es noch, Miss Clark?", fragt die immer noch puterrote Mrs. Brown in einem Versuch ihre übliche honigweiche Stimme zu treffen, funkelt mich allerdings mit ihren kleinen, wässrigen Augen böse an.
"Ich wollte nur fragen, über was der vier-seitige Aufsatz gehen soll, M'am.", antworte ich geduldig und betone dabei das letzte Wort extra deutlich.
"Warum es inakzeptabel ist, zu spät zu kommen und jetzt, da sie gefragt haben, würde ich gerne einen fünf-seitigen Aufsatz daraus machen.", sagt sie barsch und dreht mir und der Klasse den Rücken zu.
Ich starre sie, oder besser gesagt ihren Rücken, entsetzt an.
"Kann dieser Tag noch schlimmer werden?", frage ich mich.
Die Schulglocke klingelt und alle anderen springen auf und hasten aus der Tür. Auch ich stehe auf und verlasse endlich den Klassenraum. Ein Gutes kann man über die Stunde wenigstens sagen, nämlich, dass es keine doppelte war. So schnell es geht, ohne dabei zu rennen, eile ich erst den langen Korridor und dann die schmale Treppe hinunter, ohne dabei die scheinbar eingefrorene und murmelnde Schülermenge zu beachten.
An den Spinden angelangt, lege ich meine Tasche hinein, da ich jetzt eine Freistunde habe und nicht überall meine schweren Bücher und Aufzeichnungen mitschleppen möchte. Ich schließe ab und will mich gerade umwenden, als mich jemand von hinten anrempelt. Ich wirble herum und sehe mich plötzlich einem riesigen und enorm breiten Jungen gegenüber.
"Hast du mich eben geschubst, Jungfrau?", ertönt die laute Stimme des blonden Jungen. Erschrocken reiße ich die Augen auf. Ich kenne ihn von Scar's Party, Ian. Im Stehen wirkt er hünenhaft und ähnelt mehr und mehr der Statur von einem Dudley Dursley aus Harry Potter, jedoch um ein Vielfaches sportlicher.
"Ehm ... Entschuldigung.", piepse ich. Zugegeben, dieser Junge jagt mir wenn ich nüchtern bin eine unheimliche Angst ein.
"Ach, ach. Nicht so schüchtern!", sagt er mit gedehnter Stimme und lacht dabei heiser.
Ich will ihm gerade den Rücken kehren und einfach gehen, aber da werde ich von zwei starken Armen wieder zurückgerissen.
"Ich habe nicht gern verklemmte Jungfrauen um mich herum . . . Du bist ein Schandfleck der Schule, Clark, ein Ungefickter. Geh einfach wieder lernen, Nerd, oder suchst du vielleicht nach einer anderen Party, wo du dich vor Allen übergeben kannst?", sagt er und ich spüre wie Tränen in meine Augen steigen.
"I-Ich", stottere ich und er keckert laut.
"Worauf wartest du, Klein Jenny? Da drüben ist die Bibliothek - oder wollt ihr der Jungfrau noch Tschüss sagen?", brüllt er den letzten Satz in den vor gaffenden Leuten versammelten Korridor.
Ich reiße mich los und renne zum Ausgang, während mir das Gegröle der Schüler hinterher jagt. Tränen laufen mir die Wange hinunter, aber ich beachte sie nicht, sondern springte aus der Schule hinaus und renne weg. Ich renne immer weiter und weiter. Jegliches Gefühl von Zeit verloren. Einfach nur weit, weit weg.
Ich habe keine Ahnung wie weit oder wie lang ich gerannt bin, als ich schließlich kraftlos und völlig außer Atem an einem großen Baum mitten auf einer Wiese neben der Straße Halt mache. Mein ganzer Körper zittert. Erschöpft lasse ich mich gegen die Rinde des Baums sinken und fange heillos an zu weinen.
Warum ich?
Mir ist es egal, ob mich Leute hier an einem Baum kauernd weinen sehen, es ist mir egal, welche Schwierigkeiten ich in der Schule bekommen werde, dadurch, dass ich einfach weggerannt bin, mir ist gerade einfach alles egal. Ich blende vollkommen die Realität aus und spüre nur die Tränen, die in Fluten über mein Gesicht strömen. Ich versuche erst gar nicht meine Tränen zu unterdrücken, sondern gebe mich ganz meinen Emotionen hin, lasse mich von ihnen verschlingen, wie von einem hungrigen Monster.
Irgendwann, als ich schließlich nicht mehr weinen kann, beschließe die einzige Person anzurufen, die mir jetzt helfen kann: Kimberly. Mein Fels in der Brandung.
Ich ziehe mein Handy aus meiner Hosentasche und suche ihre Nummer aus meinen eingespeicherten Kontakten heraus. Ich halte mir das kleine Gerät an's Ohr und lausche dem beruhigendem Tuten.
Nach ganzen 10 Sekunden meldet sich endlich Kimberly's Stimme:
"Hallo?", höre ich ihre weiche Stimme.
"Hey Kimmy, ich b-"
"Hallooo?? Ach nur'n Scherz! Hier ist leider nur die Mailbox aber sprecht mir einfach-", unterbricht sie mich mich und ich lege auf.
"Wie oft muss ich noch auf diesen miesen Trick reinfallen?", frage ich mich verzweifelt und überlege.
Letzten Endes entscheide ich mich dazu, Matt anzurufen und warte dann nervös am Handy
"Bitte geh ran! Bitte!!", flehe ich.
"Hey hier ist Matt. Sprecht einfach was nach'm Piep.", ertönt die dumpfe Stimme von Matt und ich seufze laut auf.
Verdammt.
Nach langem Zögern halte ich mir schließlich noch einmal mein Handy an's Ohr.
"Jenny?", dringt diese tiefe, weiche Stimme an mein Ohr.
"Hey. Ehm i-ich ...", stottere ich und versuche gegen meine zurückkehrenden Tränen anzukämpfen.
"Was ist los?"
"Kannst du mich abholen? Bitte?", schluchze ich.
"Wo bist du?"
"Ich weiß es nicht ... ich hab nicht aufgepasst ..."
"Sieh dich um! Steht da irgendwo ein Straßenschild?"
"Nein hier ist nichts!"
"Okay. Bleib ruhig-"
"Ich bin ruhig!", brülle ich, "Tut mir Leid."
"Also ... du hast doch Internet auf deinem Handy oder nicht?"
"Ja und?", erwidere ich leicht verwirrt.
"Du kannst über GoogleMaps deinen Standort sehen. Schickt mir dann eine SMS wo du bist, ja?"
"Okay ... danke. Beeil dich bitte.", nuschle ich.
"Mach ich."
Ich drücke den roten Knopf und tue wie mir geheißen. Dann warte ich wieder.
"Was zur Hölle machst du da, Jenny? Steig ein!", ruft eine Stimme nach etwa fünf Minuten und ich sehe zu dem Auto am Straßenrand, von dem die Stimme herkommt.
Ohne das Ganze mal wieder einmal tot zu analysieren, rapple ich mich auf, haste zu dem silbernen Auto und setzte mich auf den Beifahrersitz neben den zufrieden grinsenden Alex.
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So noch Kapitel, weil ihr so lang warten musstet☆
Ich hoffe sehr, es hat euch gefallen! Ich würde mich wie immer sehr über jegliche Rückmeldung von euch freuen♥︎ Also nicht vergessen, zu voten und zu kommentieren! :)
Ich hoffe, ihr hattet ein schönen Wochenende :)♥︎
x Eliana
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