KAPITEL ZWEI
›Liebste Aria,
die Nacht war schrecklich. Ich schlief nicht, starrte bloß in die drei Zentimeter Nachthimmel, die ich durch die Metallstreben vor dem einzigen Fenster der Zelle erahnen konnte. Meine Gedanken und Gebete galten dir. Es kann sich nur noch um Minuten handeln, bis ich zum Galgen geführt werde. Seltsam... so kurz vor dem Ende kehrt mein Zeitgefühl doch wieder zurück... Man sagt, dass der Tod dort schmerzfrei ist ... Ich werde dir heute davon berichten können. Ich bin völlig ruhig und fühle mich frei, fast schon beschwingt.
Ich freue mich darauf, diese Welt zu verlassen. Ich hoffe, man beerdigt uns nebeneinander. Dann sind nicht nur unsere Seelen im Himmel vereint, sondern auch unsere sterblichen Überreste hier. Dieser Brief wird kurz, denn alles, was ich dir zu berichten habe, habe ich bereits getan. Ich möchte nur, dass du Folgendes weißt:
Du warst mir das Wichtigste im Leben. Du warst alles, was ich hatte. Und ohne dich hat eben jenes Leben keinen Sinn mehr. Ich bedauere nichts mehr, als verantwortlich dafür zu sein, dass dein Leben frühzeitig beendet wurde, aber ich bin fest davon überzeugt, dass du in jeder verbleibenden Sekunde meines Lebens neben mir weilst und mich begleitet. Ich liebe dich, Aria.
Deine Existenz war die Antwort auf eine Frage, die ich nie gestellt habe. Und mein Verschulden an deinem Tod war nichts als Dummheit.
Flieg, mein Engel. Flieg mit deinen eigenen Flügeln. Lass dich nie wieder von Ballast wie mir herunterziehen.
In ewiger Liebe und Schuld,
Valerian‹
Was danach passierte, zog wie ein Schleier an mir vorbei. Ich weiß nur, dass ich den Brief so fest an mich drückte, dass auch die Wärter ihn mir nicht entreißen konnten. Aber ich spürte dich in dieser dunkelsten Stunde meines Lebens an meiner Seite.
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