Kapitel 20

Niall P.O.V.
Nachdem Alice mir vor einigen Monaten in Paris von Amila erzählt hat, habe ich mich etwas mehr mit ihr auseinandergesetzt und würde jetzt vermutlich so ziemlich jedes Lied von ihrem Album im Schlaf an den ersten paar Tönen erkennen. Also ist es auch nicht verwunderlich, dass ich direkt wie automatisch stehen bleibe, als ich im Central Park in New York einige Töne von „A Song For Everything" höre.
Es ist recht einfach, festzustellen, von wo die Musik kommt. Um ein Duo mit Geige und Gitarre hat sich eine kleine Menschentraube versammelt und die Töne kommen eindeutig aus der Richtung.
Da ich noch ein wenig Zeit habe, gehe ich kurzerhand auch hinüber und stelle mich ans hintere Ende der Ansammlung, um keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Allerdings berührt mich trotzdem ziemlich schnell jemand am Arm und erschrocken zucke ich zusammen. Mein Blick fällt dann allerdings auf Alice, die sich zu mir gestellt hat, und ihre Finger ruhen noch immer auf meinem Unterarm, während sie schon wieder in Richtung der beiden Musiker guckt.

„Hey, na. Wie geht's dir?", möchte ich wissen und sie guckt kurz zu mir, bevor sie ihre Finger von meiner Haut entfernt. „Oh, ganz gut soweit, nur etwas gestresst. Aber ich fahre bald mit meinen Eltern in den Urlaub, dann komme ich hoffentlich zur Ruhe.", erzählt sie und ich kann nicht anders, als sie so gut wie möglich nach blauen Flecken abzusuchen. Wir haben nie darüber gesprochen, aber ich kann und will auch gar nicht vergessen, was ich damals an ihrem Handgelenk gesehen habe. Aber, genau wie auch bei unserer Begegnung in Paris, muss ich feststellen, dass keine Verletzungen irgendwo sichtbar sind und es auch nicht danach aussieht, als würde sie etwas verstecken wollen.

Schweigend stehen wir nebeneinander dort, am hinteren Rand der Gruppe, und hören den Musikern zu, bis sie irgendwann aufhören zu spielen. Alice' Kopf lehnt an meinem Arm und ich kann nicht verhindern, dass mein Herz ein wenig schneller schlägt als es eigentlich sollte. Auch gegen das verräterische Kribbeln in meinem Magen kann ich nicht sonderlich viel machen. Sie hat immer noch einen Freund, erinnere ich mich selbst, auch wenn ich nicht sonderlich viel von ihm halte und sie ohne ihn deutlich besser dran wäre. Es liegt leider nicht an mir, das zu beurteilen, sondern ist ihre Entscheidung.

Das Mädchen, sie scheint noch ziemlich jung zu sein, vielleicht gerade einmal zwanzig, wenn ich es richtig einschätze, packt ihre Gitarre wieder in ihre Tasche und auch der junge Mann packt seine Geige weg. Fast schon etwas traurig darüber realisiere ich, dass sie jetzt wohl gehen werden und sich auch die Wege von Alice und mir wieder trennen werden.

Augenblicklich dreht mein Kopf sich zu ihr, als sie sich wieder komplett aufrichtet, und sie legt den Kopf leicht in den Nacken, um mich besser angucken zu können. „Was hältst du davon, wenn wir noch irgendwie was kleines essen gehen?", schlägt sie dann zu meiner Überraschung vor und wie automatisch schiebt sich ein kleines Grinsen in mein Gesicht. „Klingt gut.", sage ich, ohne darüber nachzudenken, dass das eventuell nicht meine beste Idee ist.

Mit einem Milchshake, Pommes und Burger sitzen wir schließlich an einem versteckten Tisch in einem kleinen, ruhigen Diner und ich höre zu, wie Alice von den Jobs erzählt, wegen denen sie gerade in New York ist, und dass sie gerade zwei Tage frei hat zwischendurch und wie sie es genießt, einfach nur die Stadt ein bisschen zu erkunden, weil sie noch nie wirklich für Freizeit hier war.
Die Art, wie begeistert sie von all den kleinen Dingen erzählt, lässt mein Herz ein wenig aufgehen, aber gleichzeitig fühlt es sich auch schwer an. Denn so, wie sie beim erzählen wirkt, kann sie sonst niemandem davon erzählen. Ich meine, wundern tut es mich nicht, Felix hält nichts davon, dass sie modelt, und mit Lucie oder einer Freundin hat sie ja vermutlich nicht so durchgehenden Kontakt, dass man sich von den Kleinigkeiten des Tages erzählt.
Aber mir kann sie all die Dinge gerne erzählen, ich höre ihr gerne zu und sehe dabei, wie ihre Augen vor Freude leuchten, während sie von den schönen Dingen erzählt, oder wie ihre Stirn sich ganz leicht in Falten legt, wenn sie gerade nachdenkt.
Ob Felix diese Sachen auch auffallen, wenn sie erzählt? Oder erzählt sie ihm schon gar nichts mehr, lässt eher ihn reden? So, wie ich es mitbekomme, wirkt es eher, als würde sie ihn einfach nur noch ertragen und möglichst nichts erwähnen, was ihn aufregen könnte, was dann quasi ihr gesamtes Leben wäre.

Verlegen wendet sie ihren Blick irgendwann auf ihre Pommes und unterbricht sich selbst beim Reden. „Tut mir leid, das interessiert dich vermutlich alles gar nicht.", murmelt sie, aber ich stupse leicht ihren Arm an, damit sie wieder hoch guckt. „Hey, Alice, ich höre dir gerne zu, wenn du erzählst, egal worüber du redest."

Ich hatte gestern meinen ersten Arbeitstag nach meinem Urlaub und ich bin einfach schon wieder genauso müde wie vor meinem Urlaub. Das hat sich ziemlich gelohnt, würde ich sagen... 

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