Kapitel 105
Alice P.O.V.
Pünktlich zu den Charity-Events, die ich mit organisiert habe, bin ich mit den ersten zwölf Schwangerschaftswochen durch und darf wieder fliegen. Sonst wäre es jetzt auch mehr als schwer, mich für das erste Event von Los Angeles nach London zu bekommen. Aber so bin ich jetzt in London, schon einen Tag vor dem Event, und warte in Nialls Haus darauf, dass er auch hier ankommt. Seit etwas mehr als anderthalb Monaten haben wir uns nicht gesehen, also auch nicht mehr, seit ich herausgefunden habe, dass ich schwanger bin.
Als die Haustür aufgeht, würde ich am liebsten direkt aufspringen, um zur Tür zu laufen, aber ich kann mich nicht so schnell aufraffen, wie Niall bei mir am Sofa steht. „Babygirl.", kommt von ihm zur Begrüßung, dann bin ich schon auf seinem Arm und er stellt mich ab, um mich vernünftig umarmen zu können. „Ich habe dich vermisst – euch vermisst.", nuschelt er in meine Haare und mein Herz schlägt ein kleines bisschen schneller. „Ich habe dich auch vermisst, Love."
Noch immer weiß niemand außer Paul davon, dass ich schwanger bin, denn wir wollten bis nach der zwölften Woche warten und es so vielen Leuten wie möglich gemeinsam sagen. Okay, und Lucie weiß es, weil sie für mich nach Los Angeles geflogen ist, als ich ihr gegenüber geäußert habe, dass ich den Verdacht habe, ich könnte schwanger sein, und meine Hand gehalten hat, als ich auf das Ergebnis vom Test gewartet habe. Sie ist bei mir geblieben, bis ich abends zu Niall gegangen bin, und hat in meiner Wohnung darauf gewartet, dass ich ihr bestätige, dass alles gut ist, bevor sie wieder geflogen ist.
Morgens wache ich davon auf, dass Niall meinen Bauch streichelt und leise vor sich hin summt. Zwar sieht man noch lange nichts davon, dass ich schwanger bin, aber das müssen wir ja auch nicht, um uns über das kleine Wunder zu freuen, das da in mir heranwächst.
Aber so friedlich unser Morgen auch war, als meine Stylistin ankommt, um mich für den roten Teppich fertig zu machen, bekomme ich schlagartig Schmerzen in all den Stellen, wo Felix mich verletzt hat. Mein Körper befindet sich komplett im Panikzustand und reflexartig bringe ich es nicht über mich, meine Hände von meinem Bauch wegzunehmen. Zu stark ist das Bedürfnis, mein Baby zu schützen.
Natürlich bekommt Niall alles mit, was mit mir ist, und ohne meine Einwände anzuhören, informiert er Paul darüber, dass er erst mit mir zusammen auf dem roten Teppich sein wird, statt mit dem Rest seiner Band. Ich bin ihm wirklich dankbar dafür, denn ich wüsste nicht, wie ich den Teppich sonst überstehen sollte. Aber es wird natürlich auch für Gerüchte sorgen, auf die ich gut verzichten könnte.
Auch im Auto schaffe ich es nicht, mich weiter zu beruhigen, und Niall drückt noch einmal sanft meine Hand, bevor die Tür geöffnet wird und es für mich an der Zeit ist, den Wagen zu verlassen. Ab jetzt ist Körperkontakt tabu, darauf haben wir uns vorher geeinigt, und ich atme beim Aussteigen tief durch. Ich kann das schaffen.
Meine Schritte fühlen sich sehr unsicher an, als ich mich das erste Stück vom Wagen entferne. Ich spüre Nialls Blick in meinem Rücken, sobald er ebenfalls ausgestiegen ist, und ein weiteres Mal atme ich tief durch, bevor ich mich ins Blitzlicht begebe. Jetzt gibt es wirklich kein Zurück mehr.
Ich achte darauf, meine Bewegungen so elegant wie möglich zu halten, und ignoriere die Schmerzen so gut wie möglich. Es sind nur Phantomschmerzen, es ist alles gut. Ich wiederhole den Satz immer und immer wieder in meinem Kopf, während ich mich bemühe, nach außen hin alles zu überspielen. Trotzdem gucke ich immer wieder zu Niall, der einige Schritte hinter mir bleibt und mich aufmunternd anlächelt.
Die Interviews halte ich bewusst kurz, ich bin zu sehr damit beschäftigt, meine Fassung zu waren. Meine längst verheilten Verletzungen schmerzen und ich bilde mir ein, dass mein Gesicht immer weiter anschwillt, je länger ich auf diesem dämlichen Teppich stehe. Ich möchte hier weg.
Niall kommt wieder dichter, ihm ist genau bewusst, dass es mir nicht gut geht. Seine Nähe gibt mir etwas mehr Kraft und ich bringe auch das letzte Interview so würdevoll wie möglich zu Ende.
Am Ende des Teppichs wartet Harry auf mich, One Direction war direkt vor uns dran. „Das hast du gut gemacht, Alice. Ich bin stolz auf dich.", sagt er mir direkt, als ich bei ihm ankomme, und ich falle ihm um den Hals. „Es war unendlich nervenaufreibend.", informiere ich ihn und er nickt, er weiß eh genau, wie ich mich fühle. Erst nach einer Weile lasse ich ihn wieder los und zusammen mit Niall gehen wir nach drinnen.
„Also eigentlich reicht es mir auch schon wieder für den Abend.", stelle ich fest, sobald auch Liam und Louis mich begrüßt haben, und ernte ein wissendes Schmunzeln von den vier. „Ein bisschen musst du jetzt aber noch durchhalten.", kommentiert Louis und ich zucke mit den Schultern. „Das werde ich wohl schaffen."
Alice Gardner beeindruckt bei zweitem roten Teppich ihrer Karriere!
Obwohl Alice Gardner bereits seit knapp fünfeinhalb Jahren Teil der Modebranche ist und es wohl niemanden mehr gibt, der noch nie von ihr gehört hat, war sie bis jetzt nur ein einziges Mal auf einem roten Teppich – bis heute.
Gemeinsam mit verschiedenen gemeinnützigen Organisationen arbeitete sie in den vergangenen Monaten an einem umfangreichen Projekt, das über häusliche Gewalt aufklären soll. Heute fand die erste von zwei abschließenden Charity-Events statt, bei denen viele hochkarätige Gäste teilnehmen.
Zwar war Alice sichtlich nervös und hat in einem Interview selbst gesagt, dass sie für heute einfach nur froh ist, wenn die Veranstaltung vorbei ist, aber sie war doch unglaublich stark. Bei ihrem ersten und letzten roten Teppich wurde sie nur wenige Stunden vorher von ihrem damaligen Partner geschlagen und konnte nur teilnehmen, weil sie mit Schmerzmitteln vollgepumpt war. Heute gab sie zu, dass sie ähnliche Schmerzen hat wie damals – Phantomschmerzen, eine Traumareaktion.
Doch Alice musste auch nicht alleine durch die Veranstaltung, ihr guter Freund Niall Horan, der ihr damals bereits geholfen hat, aus ihrer Beziehung rauszukommen, war mit ihr auf dem roten Teppich und hat sie immer wieder ermutigt, wenn sie unsicher war. Darauf angesprochen sagte er einem wartenden Reporter nur, dass er unglaublich stolz darauf sei, dass sie heute hier steht.
Wir freuen uns – genauso wie Alice – auf die zweite Veranstaltung übermorgen in Toronto!
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Waren wir wirklich so blind die ganze Zeit, dass wir nicht realisiert haben, dass Alice und Harry was miteinander haben könnten?
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#Harice ????
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Okay aber Alice und Harry wären auch ein wirklich süßes Paar
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Wie süß ist das bitte, dass Niall bei ihr geblieben ist und die ganze Zeit einfach nur im Hintergrund stand, damit sie da nicht alleine durch muss??
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Niall P.O.V.
Zwei Tage später sind wir alle zusammen in Toronto und ich kann nicht anders als Alice in ihrem Kleid zu bewundern. Heute ist sie vor uns auf dem roten Teppich und stolz beobachten Harry und ich sie dabei, wie sie erst für die Fotographen posiert und dann Interviews gibt. Alice ist schon deutlich entspannter als vorgestern und meistert wirklich alles mit Bravour.
Diesmal gebe ich auch wirklich Interviews und eine Reporterin hat sehr großes Interesse an mir. „Niall, ich habe gehört, dass du Vater wirst, herzlichen Glückwunsch!", eröffnet sie direkt und verwirrt gucke ich sie an, während sie weiter nachfragt, wann es denn so weit ist. „Also ich frage mich wirklich, wo du sowas gehört haben solltest.", entgegne ich erstmal nur und fahre mit einer Hand durch meine Haare, „Es ist auch nichts Derartiges geplant, ich würde mal sagen, ich werde Vater, wenn meine V... wir so weit sind und uns dazu entscheiden, ein Kind zu bekommen." Louis mustert mich von der Seite, während die Reporterin natürlich nachfragt, was es mit meinem kleinen Versprecher gerade auf sich hat. „Ich wollte eigentlich sagen ‚meine Freundin', aber da ich keine Ahnung habe, an welchem Punkt es überhaupt soweit wäre, ob es bis dahin nicht vielleicht sogar eine Verlobung oder Hochzeit gegeben hätte, habe ich mich korrigiert.", erkläre ich ihr und tue so, als wäre das die logischste Aussage überhaupt. „Hast du denn eine Freundin?", möchte sie natürlich wissen und ich verneine entschieden. „Schade, es klang gerade fast so."
Zu meinem Glück lenkt Louis das Gespräch ziemlich zielstrebig in eine andere Richtung und ich atme tief durch, sobald der Fokus nicht mehr weiter auf mir liegt. Der Abend wird noch aufreibend genug.
Wir sind noch nicht lange drinnen, als ich Hailee entdecke. Alice hat sie eingeladen, nur um ihr auf die Nase zu binden, wie viel schlimmer ihre Aussage damals alles gemacht hat. An sich stört es mich nicht, dass sie hier ist, aber ich bin auch nicht unbedingt glücklich darüber. „Niall, lange ist es her.", begrüßt sie mich, als sie mir gegenübersteht. „Das stimmt wohl, Hailee.", entgegne ich nur, mit einer gewissen Skepsis in meiner Stimme. Ich habe nicht damit gerechnet, dass sie mich anspricht.
„Es tut mir leid, was ich damals gesagt habe, Niall. Ich weiß, dass du mich nie betrogen hättest, aber ich... ach keine Ahnung, ich wollte einen Grund haben, dir die Schuld in die Schuhe zu schieben. Es war eine Lüge, die vielleicht ein wenig zu glaubhaft war." Auf Hailees Entschuldigung kommt keine wirkliche Reaktion von mir, zumindest fürs erste nicht. „Du hast mit deiner Lüge meinen Ruf, meine Karriere und zwei Leben aufs Spiel gesetzt, Hailee.", erinnere ich sie dann nur und sie nickt. „Ich weiß."
Eine Weile herrscht angespannte Stille zwischen uns, bis ich schließlich seufze. „Du konntest es ja nicht wissen." „Das macht es nur nicht besser. Ich hätte es einfach nie sagen sollen." Nach ihrer Entgegnung verfallen wir beide wieder in Schweigen, bis ich Alice entdecke. „Ich glaube, da verdient noch jemand eine Entschuldigung von dir, Hailee.", kommentiere ich dann und sie folgt meinem Blick. „Ich glaube auch, ja.", ist quasi ihre Verabschiedung, bevor sie mir zunickt und sich auf den Weg zu meiner Verlobten macht.
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Alice' Rede heute Nacht wird mich für den Rest meines Lebens verfolgen, fürchte ich
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„Und man verbringt den Rest seines Lebens damit, vor manchen plötzlichen Bewegungen weg zu schrecken, Berührungen abzuweisen, Angst zu haben, vor Menschen, bei denen man weiß, dass man ihnen vertrauen kann. Menschen, die einen lieben, die man selbst liebt, denen man, ohne zu zögern, das eigene Leben anvertrauen würde.
Erfahrungen mit häuslicher Gewalt verändern einen Menschen nachhaltig und selbst mit Therapie und Zeit werden die Narben nie ganz verblassen. Sie liegen unter der Haut, unsichtbar und auch nicht immer spürbar. Vorgestern war ich in genauso starken Schmerzen wie direkt nach den Schlägen. Mein Gesicht hat gebrannt und meine Arme konnte ich kaum bewegen.
Ich habe Niall, Harry und noch viele andere liebe Menschen, denen ich mein vollstes Vertrauen entgegenbringe. Ich weiß, dass sie mich nie verletzen würden. Aber trotzdem passiert es, dass ich vor einer Umarmung von Niall weg zucke oder Angst habe, wenn Harry seine Haare richtet. Sie haben mir das Leben gerettet und trotzdem kann ich nicht anders. Ich habe eine Therapeutin, die die letzten Wochen nahezu tagtäglich mit mir auf einem roten Teppich in ihrem Behandlungszimmer geübt hat, wie ich darüber laufe. Konfrontationstherapie oder so.
Als mir das erste Mal nach der Trennung gesagt wurde, dass mich jemand liebt, habe ich eine Panikattacke bekommen. Inzwischen höre ich das sogar wieder ganz gerne. Denn ich habe trotz allem so viel Liebe in mir. Sie gibt einem so viel Kraft, Dinge durchzustehen, und ich bin mir sicher, dass es am meisten hilft, sich selbst und andere zu lieben.
Wenn jemand in der Lage dazu ist, dich zu verletzen, egal auf welche Weise, und es nicht augenblicklich bereut und sich bessert, ist es keine Liebe. Und das sollte sich jeder bewusst machen." – mein liebster Auszug aus Alice' Rede
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Diese zwei Abende waren so unendlich turbulent, ich brauche fünf bis neun Werktage, um das zu verarbeiten
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Ich fühle mich fast schon schlecht, dass das mein erster Tweet zum heutigen Abend ist, aber was war das für ein Versprecher von Niall?
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Und dann sind wir auch schon beim letzten Teil des heutigen Abends, ich hoffe, es hat euch gefallen! Ich werde mich jetzt wohl ins Bett verkrümeln, zum jetzigen Zeitpunkt weiß ich nämlich noch nicht, ob ich morgen einmal quer durch Deutschland fahre, um meinen kleinen Neffen kennenzulernen oder nicht, aber sollte es dazu kommen, wird der Tag mehr als anstrengend.
Ich wünsche euch eine wunderschöne Nacht und denke mal, dass ihr euch darauf einstellen könnt, dass wir diese Geschichte nächste Woche beenden werden!
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