Kapitel 2.
Anuk sprintete durch den Wald. Ihre Harre wehten ihr ins Gesicht und Zweige zerkratzten ihre Arme. Sie genoss die frische Luft und sog immer wieder den Duft der Pflanzen und Beeren ein.
An einer großen Eiche, etwas abseits des Weges, hielt sie an. Mit dem Taschenmesser, das sie ihrem Bruder zuvor geklaut hatte, ritzte sie eine Zielscheibe in den dicken Stamm des Baumes und entfernte sich einige Meter von diesem. Nun nahm sie den Bogen ihres Vaters von der Schulter, legte einen Pfeil an und spannte die Sehne. Sie konzentrierte sich auf ihr Ziel, atmete ein, ließ den Pfeil los und traf genau in die Mitte ihrer Zielscheibe.
Als Anuk gerade den fünften Pfeil anlegen wollte, vernahm sie das Hufgeklapper von Pferden, die gerade den unebenen Weg hinauf galoppierten. Verwundert ließ Anuk den Bogen sinken und stellte fest, dass die in schwarz gehüllten Gestallten, die die Pferde ritten, ein Mädchen durch den Wald jagten, dass einen Rucksack umklammerte. Das Mädchen war nicht viel älter als Anuk, hatte rabenschwarze, lange Haare und graue Augen. Die Gestallten hatten das Mädchen jetzt eingeholt und der Vorderste holte mit seinem Großschwert zu einem tödlichen Schlag aus. Ohne nachzudenken legte Anuk den Pfeil an, spannt den Bogen, zielte und ließ den Pfeil fliegen. Er traf den vordersten Reiter direkt in den Hals, woraufhin dieser tot von seinem Pferd kippte. Erschrocken passte das Mädchen eine Sekunde lang nicht auf, stolperte über einen Ast, der auf dem Boden lag und fiel hin. Die Krieger aber waren so überrascht, dass sie nicht schnell genug reagieren konnten und an dem Mädchen vorbei preschten. Anuk warf den Bogen zur Seite und lief auf das am Boden liegende Mädchen zu.
"Bist du verletzt?", fragte Anuk sie.
"Nein, mir geht es gut. Warum hast du das getan?", entgegnete das Mädchen.
"Ein Danke hätte auch gereicht", beschwerte sich Anuk, "Ich wollte bloß helfen".
Das Mädchen setzte sich auf und musterte Anuk: "Moment, er bist du?".
"Ich bin Anuk".
"Und weiter?"
"Einfach nur Anuk".
"Ok, hör zu Anuk, die kommen wieder und werden nach mir suchen. Du musst verschwinden, sofort ich komme schon allein zurecht!"
"Aber", sagte Anuk, "Aber warum jagen die dich denn? Wer bist du?"
"Pass auf, ich habe keine Zeit für so etwas.."
Weiter kam das Mädchen nicht, da die schwarzen Gestallten zurückkamen.
"Na toll! Du musst mir jetzt einen Gefallen tun, hörst du. Du nimmst meinen Rucksack und läufst so schnell du kannst nach Hause. Ich komme den Beutel dann später wieder holen, klar?"
Anuk nickte, griff nach dem Beutel und ihrem Bogen: "Viel Glück dir!"
"Danke, ich bin Livia, Livia Alpha", mit diesen Worten lief das Mädchen los und lies die verwirrte Anuk zurück.
Anuk schaute sich noch einmal um, und lief dann so schnell es ging nach Hause.
~~~
„ANUK! Wo warst du?", wurde sie von ihrer Mutter begrüßt.
„Bitte, lass mich rein!"
„Nicht so schnell junge Dame, was hast du schon wieder angestellt?"
„Bitte, sonst erwischen die mich noch!"
„WAS HAST DU ANGESTELLT?!", schrie ihre Mutter sie an.
„GAR NICHTS , ICH MUSS NUR ETWAS BESCHÜTZEN!", brüllte Anuk zurück.
„Was musst du beschützen? Vor wem? Und woher hast du den Beutel?"
„Bitte Mama, ich erkläre alles, aber LASS MICH REIN!"
Widerwillig ließ Anuks Mutter sie eintreten und schloss die Holztür hinter sich.
An dem kleinen Holztisch, der in der Mitte unserer Hütte stand, saßen bereits ihr Vater und ihr größer Bruder Daun.
„Daun, kannst du uns kurz mit Anuk alleine lassen?", fragte ihre Mutter ihn.
„Okay", antwortete dieser verwirrt und warf Anuk einen fragenden Blick zu, den sie ignorierte.
Ihre Eltern flüsterten kurz irgendwas, bis Daun die alte, knarrende Holztreppe hinaufgestiegen war. Die Treppe führte direkt auf den Heuboden, der ihr und ihrem Bruder als Schlafzimmer diente.
„Anuk, setzt du dich bitte zu uns", wurde sie von ihrem Vater aufgefordert.
Wiederwillig setzte sie sich ihren Eltern gegenüber.
„Was wollt ihr?", fragte Anuk genervt.
„Junge Dame, zügle deine Zunge", warnte ihre Mutter sie.
„Anuk, was hast du im Wald gemacht und woher hast du diesen Beutel?", ergriff ihr Vater das Wort.
„Ich war lediglich Bogenschießen üben. Dabei habe ich ein Mädchen, namens Livia Alpha, getroffen. Die hat mir diesen Beutel gegeben, damit sie ihn später wieder abholen kann"
„Und wo befindet sich der Beutel jetzt?", fragte ihr Mutter.
„Oben", antwortete Anuk patzig.
„Da hast du dir ja eine nette Geschichte ausgedacht", meinte ihr Vater.
„Warum?"
„Du wirst niemals Livia Alpha, die Tochter von Lord Alpha von Wolfsthron, getroffen haben"
„Doch, warum sollte ich lügen?"
„Na schön, du darfst nach oben gehen", gab ihre Mutter letzten Endes nach.
Triumphierend stieg Anuk die Treppe hinauf.
„Was machst du da?", fragte Anuk erschrocken ihren Bruder, der den Beutel geöffnet hatte.
„Woher hast du das?", fragte dieser fasziniert.
„Das geht dich gar nichts an!"
„Weißt du überhaupt, was das ist?", fragte Daun.
Er holte behutsam einen türkisfarbenen Stein aus dem Beutel und zeigte ihn Anuk.
„Ein Stein", meinte Anuk nur.
„Du hast ja keine Ahnung! Wenn mich nicht alles täuscht, dann ist das ein Drachenei!"
„Ein Drachenei? Du liest eindeutig zu viele Geschichten, Daun. Drachen gibt es nicht, und daran wird sich auch nie etwas ändern, egal wie viel Hoffnung du dir machst"
„Woher willst du das wissen? Die Hoffnung stirbt zuletzt ! Und ich bin mir sicher, dass dir ein bisschen mehr Allgemeinwissen über das Königreich gut täte, dann wüsstest du auch, dass es Drachen gegeben hat und die vor über 300 Jahren ausgestorben sind", korrigierte Daun sie.
„Siehst du, es gibt keine Drachen mehr und das ist wahrscheinlich auch besser so"
„Warum soll das gut sein?"
„Drachen sind gefährlich!"
„Du hast ja wirklich gar keine Ahnung! Seit der Eroberung durch Alvar Velyron den Drachenreiter haben die Velyrons über Algerian geherrscht, mit ihren Drachen. Alle Velyrons können auf Drachen reiten und auch nur sie können das. Außerdem besagen die Geschichten, dass ein Drache auch nur schlüpft, wenn ein echter Velyron das Ei in der Hand hält", erklärte Daun.
„Und seit der schwarzen Nacht gibt es auch keine Velyrons mehr. Sie sind genauso ausgestorben, wie ihre Drachen. Also gib mir den Stein wieder her, damit das Mädchen ihren Beutel wieder abholen kann"
„Was für ein Mädchen?", fragte Anuks Bruder.
„Sie behauptete, dass sie eine gewisse Livia Alpha wäre. Unsere Eltern glauben aber, dass sie dabei gelogen hat", antwortete Anuk.
„Wie sah sie denn aus?"
„Was weiß ich. Ich glaube, sie hatte schwarze Haare und graue Augen"
„Dann hat sie vielleicht doch nicht gelogen", meinte Daun.
„Wie meinst du das?"
„Jedes Adelshaus kann man an seinen typischen Merkmalen erkennen. Bei dem Haus Alpha zum Beispiel sind es die grauen Augen und schwarzen Haare, wobei die Velyrons blaue Augen und platinblonde Haare haben", fuhr Anuks Bruder fort.
„Könnt ihr jetzt bitte schlafen gehen, wir brauchen euch morgen früh auf dem Feld, euch beide!", rief ihre Mutter von unten.
„Du hast sie gehört, gute Nacht", meinte Daun.
„Was ist eigentlich aus deiner Bewerbung bei der Stadtwache von Angsana geworden?", fragte Anuk.
„Ich habe es bisher noch niemandem erzählt, aber ich fange Morgen Abend an"
„Das heißt, du ziehst aus?", fragte Anuk.
„Ja, das heißt aber auch, dass unsere Eltern dich brauchen, auch auf dem Feld"
„Ich weiß, ich weiß, aber das macht keinen Spaß. Ich wäre auch lieber bei der Stadtwache, dann könnte ich dem Sohn des Metzgers mal zeigen, wo es lang geht"
„Erstens Anuk, du bist ein Mädchen, zweitens ist der ebenfalls bei der Stadtwache. Außerdem kann ich eh besser kämpfen als du"
„Kannst du nicht!", protestierte Anuk
„Kann ich wohl!", behauptete ihr Bruder.
„Ruhe jetzt da oben!", kam es wieder von unten.
„Jetzt geh aber wirklich schlafen, sonst werden die da unten noch zu Drachen", scherzte Daun.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top