Kapitel 3 (Teil 1)
Die Leichen wurden mehr, desto näher wir dem Dorf kamen. Zuerst waren es mehr Männer, eben jene, die als erstes aus den Häusern gekommen waren um zu verteidigen, aber nun kamen auch Frauen, und was am schlimmsten war, Kinder dazu.
Ich versuchte nicht allzu genau hin zu sehen aber ich konnte mich nicht davon abhalten, dass meine Augen ein kleines Mädchen fixierten, dass mit einer Stoffpuppe in der Hand und die leeren Augen in den Himmel gerichtet auf der Erde lag.
Sie sah aus als wäre sie bloß hingefallen, den Fuß leicht verdreht als hätte sie noch versucht aufzustehen. Aber was auch immer all diese Menschen getötet hatte, hatte auch vor ihr keinen Halt gemacht. Wenigstens gab es hier keine Spuren eines Kampfes, für das Mädchen war es wohl schnell gegangen.
Keiner von uns sprach, das einzige Geräusch kam von den Krähen, die wir aufschreckten, wenn wir ihnen zu nahekamen.
Selion ließ uns in etwas Abstand um das Dorf herum gehen. Dann erst kamen wir näher. Es war kein Lebenszeichen zu sehen. Das große, hölzerne Tor stand offen, und die Straße, die dahinter erkennbar war lag leer und kalt vor uns. Man hatte das Gefühl vor einer Geisterstadt zu stehen, obwohl die Häuser neu waren und erst seit drei Tagen keine Besitzer mehr hatten.
"Wir gehen jetzt hinein." Beschloss Honighaar als wir in der Nähe des Eingangs stehen blieben. "Wenn jemand auch nur eine kleine Bewegung sieht will ich sofort davon wissen. Wir gehen vorsichtig vor, es könnte noch immer jemand hier sein." Schärfe er uns ein.
Aber er lief nicht los, stattdessen zog er Stofffetzen aus seiner Tasche und gab jedem von uns zwei. Sofort beugten sich alle nach unten und banden den Filzstoff um ihre Schuhe. Ich tat es ihnen gleich. In diesem Punkt, das musste ich zugeben, hatte Selion gut mitgedacht. Der Stoff würde unsere Schritte dämpfen, die sonst auf den Pflastersteinen gut zu hören gewesen wären.
Dann ging es aber wirklich los. Es war ein seltsamer Moment, als wir Tegal betraten. Als hätten wir eine Schwelle übertreten, die uns in eine verbotene Welt brachte.
Wir verließen die Hauptstraße in dem Moment, als wir eine Abzweigung sahen. Der Anblick, der sich uns hier bot, die friedlich wirkenden Häuser, entstellt durch die weit geöffneten Türen und die in der Hast umgeworfenen Gegenstände, ließen mir einen Schauer über den Rücken laufen.
Wie konnte so etwas bloß passieren?
Auch hier ließ nichts auf einen Kampf schließen. Es war nichts zerstört, kein Blut war zu sehen und kein einziger Mensch, tot oder lebendig, schien außer uns in diesem Dorf zu sein.
Wir liefen alle Nebenstraßen ab, aber überall bot sich uns das gleiche Bild. Mit der Zeit wurden wir unvorsichtiger, immer wieder bewegte sich jemand von der Gruppe weg um kopfschüttelnd wieder zu rück zu kommen.
Schließlich standen wir wieder an der Hauptstraße, sie vor uns eine Biegung auf einen kleinen Platzt machte. Unsere Vorsicht war wieder etwas zurückgekehrt, denn wir gingen langsam und an der Wand entlang weiter.
Und doch hatten wir nicht mit dem gerechnet, etwas Außergewöhnliches zu sehen, als das Ende des Platzes in Sicht kam. Es waren Barrikaden errichtet worden, die es unmöglich machten auf die andere Seite zu kommen, wenn dort aktiv verteidigt wurde. Die Mauer aus Möbeln und anderen Gegenständen war so ineinander verkeilt und ausgeklügelt, dass sie unmöglich auf die Schnelle errichtet sein worden konnte. Das seltsamste aber war, dass auch hier kein Zeichen eines Kampfes zu finden war. Die Barrikade war vollkommen in Takt. Keine Durchbruchsstelle oder ähnliches war zu erkennen.
"Das ist aber schon der einzige Weg hier rein, oder?" Fragte einer der anderen. Wir nickten langsam. Keine der anderen Straßen hatten auf den Platz geführt.
"Wie ist das möglich?" Flüsterte jemand hinter mir. "Wir haben doch immer irgendwelche Spuren gefunden!"
"Und wir werden auch hier welche finden." Selion klang so entschlossen, dass ich mir sicher war, dass er auch nicht mehr Anhaltspunkte gefunden hatte als wir.
Auch als wir uns das ganze genauer ansahen fanden wir nichts, was uns nur den kleinsten Hinweis auf das Geschehen geben konnte. Keine Toten unserer vermeintlichen Gegner, keine Waffen, rein gar nichts.
Plötzlich fühlte ich mich beobachtet. Schnell schaute ich herum aber niemand der andern sah mich an. Und doch sagte mir mein Bauchgefühl, dass etwas nicht ganz in Ordnung war. Ich suchte Selions Blick aber er bemerkte mich nicht. Oder doch? Für einen Moment war ich mir sicher gewesen, dass sich unsere Blicke getroffen hatten. Es war Absicht, wurde mir klar. Selion wollte nicht, dass unsere Beobachter wussten, dass wir von ihrer Anwesenheit wussten.
Ich bemühte mich unauffällig zu benehmen und tat so als würde ich einen der Tische vor mir untersuchen.
Die Bewegung zu meiner rechten hatte ich nur bemerkt, weil ich danach gesucht hatte. Jemand -oder etwas- verbarg sich im Schatten eines Hauseingangs ungefähr zehn Meter von mir entfernt. Ich wollte nach meinem Schwert greifen aber das würde mich nur verraten.
In diesem Moment tauchte eine schwarz gekleidete Person aus den Schatten auf. Sie war so plötzlich und lautlos gekommen, dass ich sie erst bemerkte, als sie schon den halben Weg bis zu mir zurückgelegt hatte. Sofort war ich kampfbereit, meine Sinne waren geschärft und alles Unwichtige wurde ausgeblendet. Aus den Augenwinkeln erkannte ich weitere der Gestalten, die den Rest unserer Gruppe fokussiert hatten. Ich wollte mein Schwert ziehen doch in diesem Moment spürte ich schon eine Hand auf meinem Arm.
Ich wurde zurückgerissen, meine Arme wurden gepackt um mich fest zu halten und jemand presste mich gegen seine Brust. Wütend versuchte ich mich zu befreien aber mein Angreifer trat mir von hinten in die Knie, sodass ich kaum noch stehen konnte.
Ich riss den Kopf herum und sah in das Gesicht eines jungen Mannes, dass von einem Mundschutz und einer Kapuze halb verborgen war.
"Ruhig." Sagte er. "Wir müssen nur testen wer ihr seid." Sagte er und lockerte den Griff um meinen Arm etwas.
Ich zischte etwas Unverständliches. Mein Ärger über die Situation steigerte sich mit jeder Sekunde in der ich hier fest saß. Aber meine Beine fühlten sich immer noch unsicher an und verhinderten jeden Fluchtversuch.
Ich hatte damit gerechnet, dass zumindest Selion längst Widerstand geleistet hatte aber er stand still und locker, den Kopf leicht zu dem Mann gedreht der ihn fest hielt. Dann wurde er losgelassen. Einer nach dem anderen wurde unsere Gruppe wieder frei gelassen und sie begannen sich mit unseren Angreifern auszutauschen. Nur ich wurde noch festgehalten. Selion kam auf uns zu.
"Sie ist sicher." Wies er den jungen Mann an, der sofort von mir abließ.
"Kommandant, wir halten hier jetzt schon seit Tagen die Stellung aber sie kommen nicht mehr." Er schüttelte sich und sah dann betreten weg. "Wir konnten gar nichts tun, es war furchtbar."
Selion nickte bloß. "Es ist nicht eure Schuld, wir haben es mit einem unbekannten Feind zu tun." Dann stapfte er davon.
"Also ihre seid die Verteidigungstruppe, die hier her gesandt wurde um Tegal zu sichern?" Fragte ich um meinen Verdacht zu bestätigen. Immer noch war ein Funken Wut in meiner Stimme zu hören denn das Gefühl nichts tun zu können hatte mich hart getroffen.
"Ja." Antwortete er matt. "Und wer bist du?" Fragte er halbherzig.
"Darelya Lasendra." Antwortete ich ihm und suchte nach einem Anzeichen, dass erwusste wer ich war.
"Lejon." Sagte er nur knapp. Er hob den Kopf um zum Sprechen anzusetzen aber dann überlegte er es sich wohl doch anders denn er schüttelte sich kurz und ging nach einem schwachen Nicken in meine Richtung davon.
Ich stand da, unschlüssig was ich nun tun sollte. Um mich herum hatten sich Gruppen gebildet. Selion stand zusammen mit einem braunhaarigen Mann etwas abseits der Gruppe. Die beiden schienen leise zu reden, denn sie hatten die Köpfe zusammengesteckt. Gerade als ich wieder weg sehen wollte schienen sie das Gespräch beendet zu haben. Selion trat einen Schritt zur Seite aber dann lies er sich von dem braunhaarigen in ein eine Umarmung ziehen. Es war nur ein kurzer Moment bevor sie wieder auseinandertraten und Honighaar in die Mitte des Platzes trat.
"Alle herkommen!" Rief er, sofort setzten sich die Gruppen in Bewegung und auch ich beeilte mich näher zu kommen.
"Wir gehen zurück in unser Lager. Hier finden wir nichts mehr." Die Nachricht löste ein genervtes Murren in unserer Gruppe aus aber Selion schien nicht halb so enttäuscht wie der Rest.
"Immerhin haben wir unseren Schutztrupp wieder!" Meinte er und ich stellte fest, dass er leiht grinste. Die Menge rief zustimmend und einige der Männer klopften sich gegenseitig auf den Rücken.
Als wir unseren Lagerplatz erreichten hatte sich nichts verändert. Ich meldete mich freiwillig die Pferde zu holen da Lija sich in der Nähe versteckt hatte und sobald ich das Zeichen gegeben hatte, tauchte das braunhaarige Mädchen schon zwischen zwei Sträuchern auf.
"Hey." Sagte sie und auch wenn ihr Ton fröhlich war konnte ich Erleichterung darin erkennen. "Habt ihr was gefunden?"
Auf dem Rückweg erzählte ich ihr alles was passiert war und als wir im Lager eintrafen war bereits alles zur Ruhe gekommen.
Zwei Männer hatten sich nun doch getraut ein Feuert zu machen und kochten etwas zu Essen. Wir waren lange über Mittag unterwegs gewesen und jetzt wo die Anspannung zu Ende war spürte ich den Hunger umso mehr.
Ein kleiner Kreis hatte sich in der Mitte des Lagers gebildet und ich konnte Selion, Lejon und den braunhaarigen unter ihnen erkennen. Genau dieser hatte unser Näherkommen bemerkt und sah nun Selion fragend an. Ich setzte mich in den Kreis, Lija neben mir.
"Und wer ist das?" Hörte ich noch seine Frage an Selion.
"Das sind Darelya und Lija." Erklärte dieser genervt lächelnd und ich konnte mir denken, dass es mittlerweile nur noch gespielt war.
"Die Vielleicht-Prinzessin? Ich wusste nicht, dass deine Eltern mittlerweile eine Stadtwachen-Mission einer normalen Vorstellung vorziehen." Sagte Selions mir unbekannter Freund.
"Oh, das war nicht auf ihren Willen hin. Aber sobald ich ihr einmal von der ganzen Sache erzählt hatte wurde ich sie nicht mehr los." Sagte Honighaar Augenrollend.
"Ist das nicht jemand, der genau zu dir passen könnte, so als zukünftige Frau?" Fragte braunhaar unschuldig, was in diesem Moment nicht provozierender hätte klingen können.
"Ich weiß nicht, du könntest recht haben." Jetzt grinsten beide und auch wenn sie sich nicht wirklich ansahen schienen sie genau zu wissen was der andere dachte.
"Ich hasse es, wenn sie das tun." Sagte Lejon halblaut. "Manchmal frage ich mich, ob sie nicht schon längst eine Gedankenverbindung aufgebaut haben mit der sie lautlos kommunizieren können."
Alle begannen zu lachen, von manchen hatte ich nicht einmal gewusst, dass sie dem Gespräch gefolgt waren. Die beiden angesprochenen hoben die Augenbrauen und taten so als wüssten sie nicht von was die anderen Sprachen.
"Was seid ihr zwei eigentlich? Habe ich was verpasst und ihr seid in Wahrheit Brüder die tragisch bei der Geburt getrennt wurden?" Fragte Lejon spaßhalber.
"Wir sind Freunde". Kam es von Selion und braunhaar gleichzeitig.
"Das ist doch kaum möglich" Sagte Lejon kopfschüttelnd doch er lachte auch. Leiser wandte er sich zu uns: "Selion und Nechol sind unzertrennlich, sie machen fast alles gemeinsam und um ehrlich zu sein habe ich noch nie so ein gutes Team gesehen."
Ich betrachtete die beiden. Nechol hatte ich mir noch nie genauer angesehen. Er hatte dunkelbraune, fast schwarze Augen und kurze, braune Haare, die spitz nach vorne aufgestellt waren. Er sah nicht so muskulös aus, was natürlich täuschen konnte. Seine schwarze Uniform war genau wie die der anderen aber bei ihm schien sie eher eng anzuliegen.
Er und Selion lachten gerade mit den anderen. Anscheinend hatten sie es geschafft sich aus dem Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu ziehen.
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