Sicht von Tess
Leise spielte ich auf meinem Akkordeon. Vor ein paar Tagen war mir diese Melodie in den Kopf gekommen und vielleicht hätte sie Potenzial für einen weiteren Song, den wir auch alle zusammen spielen könnten.
Draco stand im Deckshäuschen am Steuer und hörte Musik mit Kopfhörern.
Mit dem Rücken lehnte ich an der Reling, so hatte ich einen Blick auf die Sitzbank am Heck, auf der Alea lag und schlief. Ein wenig betrachtete ich sie. Schon seit einer Weile war ich in sie verliebt.
Seit wann genau wusste ich nicht, aber relativ zu Anfang, als sie neu an Bord war.
Doch nun war sie mit Lennox zusammen. Natürlich freute ich mich für sie, wenn sie glücklich war, aber ab und zu schien sie sich mit Lennox zu streiten.
Sie war gestern ziemlich erschöpft gewesen. Es war als wäre sie in einen Rausch verfallen, als sie gestern im Wasser mit den Walen geschwommen war. Unsere Rufe hatte sie nicht wahrgenommen, sie war wie in Trance.
Es war ziemlich unheimlich.
Da bemerkte ich, wie sie langsam aufwachte und sich um sah.
„Hey", rief ich ihr zu. „Wie geht es dir?"
„Mittelprächtig", antwortete sie und lachte rau. „Ich glaube, ich habe mich gestern total verausgabt."
Kein Wunder, ihr Walritt ging über mehrere Stunden. Obwohl, sie war ja nicht selbst geschwommen.
Ich gesellte mich zu ihr. „Willst du darüber reden? Das mit den Walen war echt unheimlich."
Etwas erstaunt fragte sie: „Wieso?"
„Manchmal sind wir mit dem Schiff ziemlich nah an dir und den Walen dran gewesen und habe so laut geschrien, wie wir konnten. Du hättest uns eigentlich hören müssen, aber du hattest nur dieses...Seligenlächeln im Gesicht und hast uns überhaupt nicht bemerkt. Du warst irgendwie gar nicht richtig da. Voll gruselig!
Aber wieso meinst du, du hättest dich verausgabt? Du bist ja die meiste Zeit auf den Walen geritten! Wenn sich einer verausgabt hat, dann Scorpio. Er ist den ganzen Tag lang hinter dir und den Walen hergeschwommen."
„Es tut mir wirklich leid für ihn, dass er gestern nicht mein strahlender Held sein konnte. Er...", sie brach ab.
„Ich glaube, Lennox hat vor Frust richtig gekocht."
„Glaub ich auch."
„Das ist irgendwie... nicht richtig", kam es von Alea.
Wie meinte sie das?
Alea schien in Gedanken zu versinken und ich begann wieder zu spielen.
„Was ist das für ein Lied?", fragte sie.
„Das ist von mir."
„Im Ernst? Du hast noch ein Lied geschrieben?"
Ich lächelte. „Ja, es ist allerdings noch nicht fertig. Ich habe bisher nur diese Melodie, aber noch keinen Text."
Als ich vorschlug, den Text gemeinsam zu schreiben, wirkte sie zuerst aufgeregt, meinte dann aber, dass wir es ja Mal versuchen könnten.
Während wir überlegten, worüber wir schreiben wollten, spielte ich weiter. Die Melodie klang traurig, wehmütig und sehnsüchtig. Wahrscheinlich hatte ich ein paar meiner Gefühle hineingearbeitet.
Ich gab ihr den Tipp, dass man über seine Gefühle schrieb. Damit spielte ich auch auf meine eigenen an.
Schließlich sagte sie etwas schüchtern: „Ich hätte da was. Das habe ich bisher noch niemandem erzählt, und es ist sehr persönlich."
„Das werden immer die besten Texte!", ermunterte ich sie.
Sie ging erneut in sich, bevor sie sprach: „Nachts, wenn ich nicht schlafe, träume ich mich fort zu dir..." Ihre Sopranstimme klang wunderschön und glasklar. Es klang sehr sehnsüchtig, passend zur Melodie.
Wie elektrisiert starrte ich sie an. Konnte es sein, dass sie von mir sprach? Erwiderte sie meine Gefühle vielleicht? War sie mit Lennox doch nicht so glücklich?
Rasch schnappte ich mir einen Notizblock und einen Kugelschreiber und notierte die Zeilen.
„Weiter!", forderte ich sie auf. „Wie geht es weiter?"
Eine Weile feilten wir an dem Text und tauschten immer wieder Wörter, bis wir zufrieden waren mit dem Lied. Es hieß Zu dir.
„Ahnst du was...", zitierte ich mit bewegter Stimme. Langsam begann ich mit meinen Gefühlen herauszurücken. „Ich...weiß, wie das ist...wenn man sich fragt, ob jemand, den man mag, dasselbe fühlt."
„Das kann ganz schön doof sein, oder?", fragte Alea vorsichtig. Anscheinend wollte sie mich nicht unter Druck setzen, doch sie sollte die Wahrheit erfahren.
Zitternd legte ich nun den Block zur Seite. „Ja... Ich...hätte nicht gedacht, dass du auch", kam es aus mir hervor. ‚Ich hätte nicht gedacht, dass du auch solche Sehnsucht verspürst und meine Gefühle erwiederst', vervollständigte mein Kopf den Satz.
Alea runzelte leicht die Stirn. „Dass ich auch weiß, wie sich Sehnsucht anfühlt? Doch, natürlich, und zwar ganz schön stark. Aber das hab ich dir noch nie erzählt, oder?"
Ich kam nicht dazu zu antworten, denn sie sprach bereits weiter. „Wegen Lennox war alles so komisch zwischen uns. Aber meine Gefühle sollen kein Geheimnis sein oder so."
„Ich kann es gar nicht glauben...", brachte ich hervor. „Alles in dem Lied ist wahr?", hakte ich nach.
Alea wirkte etwas irritiert, nickte jedoch.
Ich war fassungslos. Hatte das Mädchen, in das ich mich verliebt hatte, eben mit diesem Song ihre Gefühle für mich gestanden?
Mir war fast nach Weinen zumute. Da zog Alea mich in eine Umarmung. Ich hielt sie ganz fest. Auch wenn ich kein Knuddeltyp war, diese Umarmung tat ziemlich gut.
Schließlich löste ich mich von ihr und stammelte: „Ich hätte das nie gedacht. Ich bin so froh. Überrascht froh! Glücklich!"
Ich lachte.
Alea lächelte mich an. Dann lehnte ich mich strahlend vor und küsste sie.
Doch abrupt wich sie zurück und starrte mich ungläubig an.
Laut zischend holte Alea Luft und schlug sich die Hand vor den Mund.
Was war mit ihr los? Hatte ich etwas falsch gemacht? Ging es ihr zu schnell?
Ein ungutes Gefühl beschlich mich.
„Was ist los?", fragte ich etwas unsicher.
Sie sprang auf und starrte mit weit aufgerissen Augen auf etwas neben dem Deckshäuschen.
„Lennox!", gellte sie dann und mein Blick schoss zur Seite.
Lennox taumelte rückwärts und sprang über die Reling ins Wasser. Sammy kam zu uns. „Was hab ich verpasst?", erkundigte er sich, doch er bekam keine Antwort.
Plötzlich war ich vollkommen irritiert. Hatte ich etwas missverstanden? Aber...dieser Songtext...
„Alea...ich...Du hast doch gesagt...dass deine Gefühle für mich nicht länger ein Geheimnis sein sollen....", weiter kam ich nicht, denn meine Stimme versagte.
Offenbar hatte ich etwas gründlich falsch verstanden.
Dann erklärte mir Alea, dass sie den Text für ihre Zwillingsschwester geschrieben hatte.
Es war als würde mein Herz in Stücke reißen.
Aber dann kam wieder die Verwirrung. „Aber du hast doch gesagt, dass das mit Lennox irgendwie nicht richtig wäre! Gerade eben erst! Und dann hast du diesen Text geschrieben!"
Alea stellte jedoch klar, dass ihre Verbindung zu Lennox tiefer wäre, als dass Beschützerprogramm zu ihm.
Meine Augen wurden feucht. Ich hatte ihr meine Gefühle verschwiegen und nun dachte ich, ich hätte vielleicht doch eine Chance, aber ich hatte es komplett falsch aufgenommen.
„Es tut mir leid." Tränen liefen über meine Wangen. „Ich hatte mir vorgenommen, es dir niemals zu sagen. Ich dachte, ich hätte sowieso keine Chance bei dir. Aber eben, als du..."
Ich begann zu schluchzen. „Dieser Text! Ich habe wirklich gedacht, du würdest nachts heimlich von mir träumen..."
Alea setzte sich schweigend neben mich. Nach einem Augenblick wischte ich meine Tränen weg. „Bitte lass uns einfach vergessen, was gerade passiert ist, ja?"
Flehend blickte ich sie an. „Lass uns einfach Freundinnen sein wie vorher. Bitte!"
Nervös fuhr ich mit den Fingern durch meine Dreadlocks. „Du brauchst wahrscheinlich erst mal Zeit, um... Ich gehe besser."
Schnell floh ich unter Deck.
Ich hoffte inständig, dass zwischen uns alles wieder gut werden konnte. Vielleicht konnten wir ja alles klären und hoffentlich würde sie sich mit Lennox wieder vertragen.
Sie sollte glücklich sein und sich nicht mit Lennox wegen mir streiten.
Doch einfach so und auf einen Schlag konnte man seine Gefühle nicht einfach so verdrängen geschweige denn sie vergessen.
Etwas rumpelte an Deck. Lennox war zurückgekehrt.
Er war bestimmt sauer auf mich, aber auf einem Schiff konnte man sich schlecht aus dem Weg gehen.
Sammy erklärte ihm, dass Alea wohl ebenfalls über Bord gesprungen war, um nach ihm zu suchen.
Mit einem Satz war Lennox wieder im Wasser.
Wie würde es jetzt wohl weitergehen? Würden wir eine zerstrittene Bande sein?
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