Der Wanderer und die Liebe (4+1)
Viermal wurde Cassaras mit der Liebe konfrontiert. Einmal darf er sie selbst erfahren.
Gewidmet cassarasisdabest17.
Warnungen: erwähnter Kindesmissbrauch, Beleidigungen und homophobe Sprache
1.
Seine erste Konfrontation mit der Liebe hatte Cassaras schon als Junge. Den großteil seiner Zeit verbrachte er mehr bei seiner Mutter. Wie er schon bald erfuhr, hatte sie als Königin der Nixen viele Pflichten und manchmal nahm sie ihn zu Audienzen mit. Schon früh wurde Cassaras auf seine Rolle als Thronfolger vorbereitet. Zudem lernte er zu kämpfen, mit Pfeil und Bogen, sowie den Speeren umzugehen und das Geschenk der Musik zu schätzen. Musik wurde in der Meerwelt als hohes Gut angesehen, besonders von den Magischen, die weder singen noch ein Instrument spielen konnten.
Cassaras durchstreifte viele Orte in der Meerwelt und nahm die unterschiedlichen Klänge und wundervollen Melodien war. Die besten saugte er mit seinem Leierkasten ein, um sie immer wieder zu hören. Seine Mutter bemühte sich immer sehr, für ihn da zu sein, doch der Platz auf dem Thron nahm vielen Anspruch.
Haruko war eine schöne, freundliche, hilfsbereite und anmutige Königin. Das Volk der Nixen liebte sie. Nur Cassaras liebten sie nicht. Schon bald erfuhr warum. Die nächsten verachteten ihn. Er war der einzige Mann, unter einem Volk aus Frauen.
Im Gegensatz zu ihnen besaß er keinen Nixenschwanz, sondern Beine. Seine Haut war von einem nordischen Landgängerweiß geprägt. Das einzige, was ihn als Sohn des Meeres auswies, waren seine Kiemen, seine Schwimmhäute und seine Nixenmale.
Oft begannen sie ihn zu verspotten, machten ihm deutlich, dass er nicht zu ihnen gehörte, es niemals tun würde, egal, wie er sich bemühte. Irgendwann gab er es auf, zu hoffen, sie würden ihn als einen von ihnen ansehen. Sie hörten jedoch nicht auf. Jeden Tag aufs Neue begannen sie mit ihren Beleidigungen, kaum dass er ihren Weg kreuzte.
Eine Nixe schien es sich zur Hauptaufgabe gemacht haben, ihren Hass auf ihn zu verdeutlichen und die anderen zum Mitmachen zu animieren. Cassaras kannte sie gut, sie war Mura, eine Wachnixe und eine der ältesten in der Nixenhauptstadt Gat'Nambeessa.
„Oh seht, der kranke Abschaum lässt sich blicken. Dass so eine Schande überhaupt hinaus darf! Absolut erbärmlich. Seht ihn euch nur an, dieser dreckige Landgänger bildet sich ein, er könne eine Nixe werden, wenn er nur die Kunst des Bogenschießens beherrscht", höhnte sie in einer Versammlung und drehte sich erwartungsvoll zu der Menge um.
Einige Nixen stimmten in ihr Gelächter ein, zunächst halbherzig, doch schon bald erklangen von überall die abscheulichsten Beleidigungen. Cassaras hielt sich die Ohren zu, er wollte es nicht hören, er konnte es nicht länger ertragen. Unter dem dröhnenden Lärm der ihm entgegenschall, Schwamm mal so schnell es ging aus dem Saal. Mura blickt ihm mit zufriedenem Grinsen hinterher.
Mittlerweile war kaiserras sehr geschickt darin, sich in den Schatten zu verbergen. Er verzog sich gerne an ruhige, abgelegene Orte, fern von all dem Spott.
Langsam näherte sich ihm eine Gestalt. Rasch wischte er sich über die Augen, um mögliche Tränen wegzuspülen, auch wenn er nicht weinte. Das tat er nie. Tränen ließen ihn nur noch mehr zum Gespött werden. „Prinz Cassaras?", fragte die zarte Stimme von Shiro. "Geht es euch nicht gut?", erkundigte sie sich.
Sie war eine der wenigen, die auf Muras Bemerkungen nicht einging. Stattdessen war sie bemüht, sich ihm gegenüber stets höflich und respektvoll zu verhalten. Immer wenn sie ihn sah, grüße sie ihn, benutzte sein offiziellen Titel. Ihr Lächeln wirkte stets ehrlich und freundlich, sie war nie voller Hass.
Doch nach all der Ablehnung die Cassaras erfuhr, konnte er auf Freundlichkeiten nicht eingehen. Selbst seine Mutter war nicht glücklich über ihn, weder als rechtmäßiger Nachfolger, noch als Sohn. Denn eine Nixe konnte nur ein einziges Kind in ihrem Leben bekommen. Anders als die anderen hatte Haruko mit einem Mann ein Kind gezeugt und es war nicht in ihr selbst entstanden.
So bekam sie Cassaras, ein männliches Kind, ein seltsames Zwischenwesen mit Beinen und Kiemen. Innerhalb der Jahre hatte Cassaras einen unsichtbaren Schutzwall um sich errichtet.
Er vermiet Treffen und Kontakte, wo er nur konnte und zog sich immer weiter zurück. Wenn er Beleidigungen hörte, begann er sie an sich abprallen zu lassen und zu ignorieren. Auch wenn er, nachdem er die Nixen eine Weile beobachtet hatte, feststellen musste, das ist doch einige gab, die ihm wohl gesonnen waren. Doch er schüttelte nur den Kopf. Er wollte es nicht sehen, er konnte es nicht. Ohne ein Wort ließ er Shiro zurück, die im traurig nachsah. Sie waren doch alle gleich. So hatte er für sie alle nur böse Blicke übrig.
Wenn sie nicht verspotteten, schauten sie mitleidig auf ihn herab. Das brachte sein Blut aufs Neue zum Kochen. Niemand half ihm, niemand versuchte, Mura zu stoppen, wenn sie ihr Gift verbreitete. Warum sollte er ihnen also Respekt zollen, wenn sie jegliche Form davon versagten?
Seine letzte Chance ihn zu gewinnen, bestand darin, mit dem Silberumhang, der ihm als rechtmäßiger Erbe zustand, den Nixenthron zu besteigen und König zu werden. Aber Haruko schien erpicht darauf zu sein, ihm auch diese letzte Möglichkeit wegzunehmen. Sie entschied sich, in der Elvarion der letzten Generation zukommen zu lassen, damit sie, in ein paar Jahrzehnten, die Ozeane retten konnte. Vorher würde die silberne Kostbarkeit viele Jahre verschwunden bleiben.
Cassaras schnaubte. Auch seine Mutter schien ihn nicht für würdig zu halten. Wäre er tatsächlich eine Prinzessin, wie gewünscht, sähe die Sache sicherlich anders aus. Beim Findungs-Bindungsritual kam es zu einer letzten Auseinandersetzung zwischen Mutter und Sohn, als Cassaras sich den Umhang holen wollte.
Er glaubte, Haruko noch nie so wütend gesehen zu haben, als sie bemerkte, dass ein Rilling, der als magischer Kompass fungierte, fehlte. In der Nacht darauf verschwanden Haruko und ihr Gefolge, um den Umhang auf dem besagtem Landgängerschiff aus der Legende zu platzieren.
Niemand sah oder hörte wieder von ihnen, seitdem rankten sich zahlreiche Legenden und ihren Aufenthaltsort. Cassaras hielt nichts mehr im Meer. Er nahm Bogen, Pfeilköcher und Leierkasten und verließ seine Heimatstadt als ein einsamer verbitterter Mann und titanischer Krieger, wie er genannt wurde, begab er sich an Land. Er blieb, wo es ihm gefiel, lernte verschiedene Sprachen und Kulturen kennen.
Aber nirgendwo fühle er sich zu Hause. Bald kannte er die unterschiedlichsten Formen von Beziehungen, begegnete den unterschiedlichsten Paaren. Doch sie alle hatten etwas gemeinsam. Sie waren durch ihre Liebe verbunden.
Nur er blieb allein und ungeliebt.
2.
Sein Vater Alessandro war schon immer ein schwieriger Mensch gewesen. Dass seine Eltern getrennt waren, war eine Tatsache, die Cassaras schnell akzeptiert hatte.
Besonders in seiner Kindheit besuchte er seinen Vater mehrmals im Jahr. Zum Beispiel, wenn seine Mutter mit der Vorbereitung für die mehrtägige Tellos-Versammlung beschäftigt war. Zwar hatte Cassaras gesagt, er könne ohne Probleme eine Zeit alleine verbringen, aber Haruko war der Meinung, er solle auch seine landgängerischen Wurzeln kennenlernen.
Alessandro war ganz anders als Elternteile, denen Cassaras begegnet war. Aber genauso unterschied er sich auch davon, wie in die Nixen behandelten. Von ihnen kannte er Spott und Häme, von seinem Vater die Gewalt.
Allerdings schien auch Alessandro von Inakzeptanz geprägt zu sein. Als Cassaras im jugendlichen Alter war, saß sein Vater ihm mit qualmender Zigarre gegenüber. Cassaras verzog das Gesicht. Er hatte diesen Geruch schon immer gehasst. „Also“, begann sein Vater das Gespräch. „Ich hoffe doch sehr, dass du dich wie mein Sohn verhältst und dich nicht zu einer widerlichen Schwuchtel entwickelst.“
Er spuckte aus. Homosexualität war am 19. Jahrhundert in den gesellschaftlichen Kreisen weitläufig nicht akzeptiert, dass sich die Menschen gezwungen sahen, ihre Liebe im Verborgenen zu halten.
„Du interessierst dich doch für Frauen nicht wahr?“ Die kalten Augen seines Vaters bohrten sich in Cassaras'. Der zuckte mit den Schultern. Bisher hatte er sich keine Gedanken darüber gemacht. Er kannte nicht viele Frauen und die, die er kannte waren nicht besonders nett zu ihm. Die Reaktion seines Vaters folgte sogleich.
Cassaras' Wange lief rot an vom Schlag. Natürlich hätte sich Cassaras verteidigen können. Nur wusste er nicht, was er entgegnen sollte. Er war kein großer Redner. Nun offenbar etwas beruhigter, lehnte sich Alessandro im Sessel zurück und zog an seiner Zigarre.
Der Dampf stieg auf, vernebelte den Raum, haftet an den Vorhängen und hing schwer in der Luft.
„Bald wirst du ein nettes Mädchen kennenlernen, Cassaras", fuhr er fort. „Und wenn ihr erstmal verheiratet seid, wird sie dir schon bald einen Erben schenken.“
Cassaras verstand es nicht.
Warum musste er unbedingt mit einem Mädchen ausgehen? Wieso sollte er sie heiraten? Weshalb musste er Kinder bekommen? Seine Eltern waren ja auch nicht zusammen. Er war das Ergebnis einer kurzen Romanze.
Sein Vater erklärt ihm unterdessen dass entstehen eines Babys im Detail, aber Cassaras schaltete ab. Er wollte es nicht hören. Die Landgänger pflanzten sich ganz anders fort, als die Nixen. Nixen bekamen ihre Kinder, wenn sie bereit dazu waren. In selbstzufriedenem Ton berichtete Alessandro nun von dem jungen Mädchen, dass ihm bald einen zweiten Sohn und Cassaras einen Halbbruder schenken würde. Cassaras' Innerstes zog sich bei dieser Erwähnung schmerzhaft zusammen. Er wusste, dass er nicht der Sohn war, den Alessandro sich gewünscht hatte. Dass er nicht so war, wie er sein sollte. Anders. Ein Freak. Das war alles, was die Leute sahen.
Er war es gewohnt, seiner Mutter als Erbe nicht zu genügen. Er konnte nicht einmal leugnen, dass es ihn unendlich schmerzte. Darum hatte er seine Hoffnung auf seinen Vater gesetzt. Aber der verkündete ihm nur, dass er in einem halben Jahr einen Ersatz für ihn haben würde.
Bald darauf wurde Francesco geboren. Schweigend betrachtete Cassaras den Jungen, mit dem man nun offenbar die Hälfte seiner Gene teilte, der ihm von Alessandro stolz präsentiert wurde, als wolle er sagen ‚Sieh nur, wie perfekt er ist. Er ist keine Enttäuschung wie du‘.
Ihn hatte sein Vater nie so liebevoll angesehen.
Die einzigen glücklichen Momente, an die er sich erinnerte und die in ihm Hoffnung auf die Zuneigung seines Vaters aufstiegen ließen.
Es waren die, in denen Alessandro Lando auf seiner Mandoline spielte. Er war ein Künstler, ein Virtuose. Er spielte so schön, das Cassaras auf der Stelle stehen blieb, um zu lauschen und später die Stücke in seinen Leierkasten aufzunehmen.
Francesco war nicht still, er war viel lebhafter und quirliger als Cassaras. Etwas, was Alessandro gut gefiel. Immer wieder betonte er, wie unglaublich perfekt Francesco doch war und wie stolz er ihn machte, während Cassaras als Außenseiter im Lob seines Vaters zurück blieb.
So begann Cassaras wieder zu akzeptieren. Sein jüngerer Halbbruder würde immer der Liebling sein. Er würde immer geliebt werden.
Doch schon kurz darauf erfuhr Cassaras, wie sehr er sich täuschte.
Als Musiker verdiente Alessandro nie besonders viel Geld. Und das bisschen, was er hatte, kam nie seiner Familie zu gute. Er war Alkoholiker und gab sein gesamtes Vermächtnis stets in der nächsten Kneipe aus. Waren die Flaschen zu Hause alle leer, wurde aggressiv. Er packte Cassaras und brüllte ihm ins Ohr: „Ich habe dir doch gesagt, du sollst neue kaufen.“ „Von welchem Geld denn?“, schrie Cassaras zurück.
An den folgenden körperlichen Schmerz, der ihn durchfuhr, als Alessandro ihn schlug, würde er sich nie gewöhnen. „Werd nicht frech, du verdammter Rotzbengel“, drohte Alessandro und Cassaras konnte sein alkoholischen Atem riechen. Dann stieß er ihn zu Boden, Cassaras rappelte sich jedoch gleich wieder auf.
Francesco stieß zwei schweigend zu ihm, als Cassaras mit düsterer Miene auf die blauen Flecken starrte, die seine Arme und seinen Körper gut sichtbar prägten. Auch sein Bruder bliebt vom Zorn ihres Vaters nicht verschont, wenn diesem wie so oft die Hand ausrutschte. Eine enge Beziehung hatten die beiden nicht. Man konnte nicht von brüderlicher Liebe sprechen. Eigentlich vielen Cassaras emotionale Bindungen schwer, doch er bemühte sich sehr zu lernen, wie er ein verantwortungsbewusster Bruder für Francesco sein konnte.
Nicht selten hatte er Schläge für ihn eingesteckt.
Einmal war Cassaras durch ein lautes Scheppern und Klirren aus dem Schlaf hochgeschreckt. In der Küche hatte Francesco in den Scherben eines zerbrochenen Glases gestanden. Unglücklicherweise war Alessandro genau in diesem Augenblick von der Kneipe nach Hause gekommen. Als er die Scherben erblickte, brüllte er sofort: „Wer war das?“
„Ich“, antwortete Cassaras sofort, der den kleinen Francesco zittern sah und stellte sich schützend vor ihn. Sein Bruder schrie, als Cassaras die Schläge über sich ergehen ließ. Im Nachhinein konnte Cassaras unglaubliche Dankbarkeit in seinem Blick erkennen. Auch, wenn Francesco sie nie aussprach, denn dieser Vorfall war keine Ausnahme.
Casados seufzte und zündete sich eine Zigarette an. Eine seltene, schlechte Angewohnheit. Er versuchte, die unangenehme Erinnerungen zu verbannen. Ihre Kindheit war alles andere als schön gewesen und wie so oft hatte Cassaras auf die Liebe seiner Eltern verzichten müssen.
3.
Seit Alea im Kleinkind Alter zu ihrer Pflegemutter kam, überwachte Cassaras sie auf Schritt und Tritt. Sie musste alt genug werden, damit er durch sie den Silberumhang bekommen konnte.
Sie war die Elvarion der letzten Generation. Ihr hatte Haruko den Umhang vermacht, nicht ihrem Sohn, dem er rechtmäßig zustand, nein, einem kleinen Mädchen, das mit gerade mal einem Jahr an eine Landgängerin übergeben wurde. Mit leicht verbissenem Gesicht verfolgte Cassaras all die Jahre, in welch behütetem und liebevollem Zuhause Alea bei ihrer Pflegemutter Marianne aufwuchs. Wieso durfte er das nicht haben?
Marianne gab gut auf Alea 8, hielt sie vom gefährlichen, kalten Wasser fern, sang mit ihr Lieder, begleitete sie auf den Spielplatz. All solche schönen, einfachen Dinge, die Cassaras nicht hatte. Eine Mutter oder einen Vater, ein Elternteil, dass sich so um ihn kümmerte. Alea hatte das Glück, so eines zu haben. Ihre wahre Herkunft lag im verborgenen, denn vermutlich waren ihre leiblichen Eltern auch an dem Virus gestorben, der vor einigen Jahren hunderttausende von Meermenschen dahin raffte.
Unzählige Kinder wurden von ihren verzweifelten Eltern an Landgänger übergeben, in der Hoffnung, sie würden ihn ein gutes Leben bieten. Die Kinder wurden alle geliebt! Viele Eltern liebten ihre Kinder. Cassaras' gehörten wohl zu der Sorte, die es NICHT taten.
Trotz des Schmerzes, den Cassaras verspürte, wenn er das kleine Mädchen so glücklich sah, blieb er dennoch in ihrer Nähe, um für sie zu sorgen. Er sich musste schließlich darum kümmern, dass sie überhaupt alt genug werden konnte, damit sie den Umhang bekamen. Oft brachte sie sich unbewusst in Gefahr, so dass er sie retten musste. Mal spielte sie auf einem zugefrorenen See und war kurz davor einzubrechen, ein anderes Mal lief sie fast vor ein Auto. Jedes Mal war Cassaras da um sie zu retten.
Wann immer ein Regenschirm benötigt wurde, sorgte Cassaras dafür, dass wir von zauberhand einer vorhanden war. Als Alea die Alpha Cru traf und sich schnell die Freundschaften bildeten, die Gruppe wuchs und sich Liebende zusammenfanden, verspürte Cassaras umso mehr die Sehnsucht nach Liebe, Sehnsucht, die Einsamkeit hinter sich zu lassen, auch wenn ihm das nach all den Jahrzehnten schwer fiel.
Unauffällig begleitete Casa rasier auf all ihren Reisen in verschiedene Länder. Beobachtete, wie sie über sich hinaus wuchsen, sich ihr Zusammenhalt stärkte, sie in den Liedern darüber sangen, wie sie liebten.
Auch wenn sie stritten, blieben sie nie ewig in zweit, sie sprachen sich aus und fanden wieder zusammen. Cassaras konnte nicht leugnen, dass er von ihnen beeindruckt war. Sie verhielten sich auch in Schwierigkeiten nicht wie Kinder. Manchmal ertappte er sich dabei, wie leicht er Neid in ihm aufstieg.
Jeder aus der Alpha Crew hatte jemanden, der ihn oder sie liebte Punkt nicht bloß auf platonischer oder familiärer Ebene.
Alea Aquarius hat der Lennox Scorpio. Die Verbindung der beiden schien wahrhaftig etwas Besonderes zu sein. Es schien mehr als Lennox' Drang zu sein, Alea um jeden Preis zu beschützen, egal ob es sein Leben kostete. Hingebungsvoll nannten sich die beiden Yavani, was auf Hajara „Meine ewige Liebe“ bedeutete.
Lennox ging sogar so weit, dass er Alea in vollstem Vertrauen den Herrenschwur leistete. Leider führte dieser beinahe zur Trennung, nachdem Alea Lennox einen Befehl erteilt und damit ihr Versprechen gebrochen hatte. Ihre überraschende Verwandtschaft ließ Cassaras nicht unberührt. Er wusste, dass Lennox' Vater ähnlich war, wie sein eigener. Auch Lennox hatte gelitten. Und er hatte erkannt dass Cassaras einsam war. So entschied sich Cassaras einzuschreiten.
Der Skipper Benjamin Libra hatte ebenfalls Glück in der Liebe. Cassaras hatte seine Freundin nur zweimal gesehen. Beim ersten Mal in einer Silberfadenvision und danach, als Alea ihm den Umhang überreichte. Besonders viel wusste er nicht. Mittlerweile hatte er herausgefunden, dass die beiden zwei Jahre getrennt waren. Erst regelmäßige Telefonate während der Zeit, als die Alpha Cru ihren gedächtnisverlust hatte, brachten die beiden wieder zusammen. Niki war, wie die anderen Mitglieder der Crew, Teil der Organisation Ocean Knights. Natürlich gab er es nicht offen zu, aber innerlich freute sich Cassaras über das Engagement der Landgänger. Sie schienen das Meer über alles zu lieben und taten viel, um seine Heimat zu schützen.
Die Französin Tess schien Aleas beste Freundin zu sein. Manchmal war Cassaras doch erstaunt, was er alles über das Meermädchen wusste und herausfand. Fast konnte man sagen, dass er sie kannte. Viele Sachen fand er tatsächlich nur durch Zufall heraus. Auch Kit, Tess' Freundin, hatte er nur einmal getroffen oder sie aus der Entfernung gesehen. Doch er hatte die verliebten Blicke bemerkt. Die Kusshände und zärtlichen Gesten die sie tauschten, den liebevollen Spitznamen „Traumfrau“. Selbst die erzwungene, räumliche Trennung der beiden konnte die Beziehung nicht erschüttern. Kit war eine Ausreißerin, sie war in freiheitsdrang vor ihrer Pflegefamilie weggelaufen.
Bei einer Demonstration in Marseille stellte sie sich schließlich der Polizei, um Alea zu helfen. Nach einigen Gesprächen durfte Kit dann in einem Mehrgenerationenheim in Köln ziehen. Seitdem telefonierten die beiden täglich miteinander, soweit Cassaras mitbekam. Aber er war sich sicher, dass sie sich bald wiedersehen würden. Seine Rilling hatte es ihm verraten. Das würde eine schöne Überraschung werden.
Und dann war da noch der Bandenjüngste. Der lebhafte, quirlige, neunjährige Samuel Draco und von Cassaras anerkannte Nervensäge. Der Junge war stets gut gelaunt und seine hauptaufgabe schien zu sein, überall positive Stimmung zu verbreiten. Dank ihm war Cassaras auch Bandenmitglied, obwohl der es immer auf das Schicksal schob
Für Cassaras war die Nummer mit dem Bandennamen zunächst nichts weiter als Tasfarengewäsch. Doch musste Cassaras zugeben, dass auch der Junge keine einfache Vergangenheit hatte. Mit fünf Jahren war er zum Waise geworden.
Es war überraschend, dass er trotzdem so fröhlich war. Vielleicht weil er nicht alleine war? Weil jemand für ihn da war? Cassaras hatte nie eine enge Bezugsperson. Er konnte mit niemandem über seine Probleme sprechen. Sammy hatte seine Freunde, seinen Bruder, seinen Großvater und seinen Onkel. Zunächst schien Sammy wie ein überdrehter Junge, der gerne zum Spaßvogel und Poet mutierte. Aber dann wurde er vom König der Schweige-Schamiere höchstpersönlich zum Wächter des Schatzes ernannt. Der Schatz war der Goldumhang. Ein magisches Gewand, das Gegenstück zum Silberumhang, mit dem man in die Vergangenheit blicken konnte. Somit nahm er eine wichtige Rolle ein.
Immer wieder war Cassaras geplättet, wie viel Liebe der junge Mann in seinem Herzen trug. Manchmal übertrieb er es natürlich mit seinem: „Ich bin total verliebt in dich.“ Das „dich“ bezog sich dabei auf Fusseln, von denen er eine beachtliche Sammlung besaß, Gewitterstürme, sämtliche Mitglieder der Alpha Cru, sowie eine Ringelrobbe.
Ohne es verhindern zu können, zog sich Cassaras' Herz wieder zusammen. Die Crew war verbunden durch romantische lieben und tiefe Freundschaften. Sie waren wie eine wachsende, nicht sehr reiche, aber doch unglaublich glückliche Großfamilie.
Zudem war es auch die Musik, die sie vereinte. Bei ihren öffentlichen Auftritten war die Magie, die in der Luft lag, förmlich zu spüren. Nicht selten sagte Cassaras die Lieder schon vorher, bei den Proben ein. Wenn er sie hörte, schloss er ie Augen, spürte die Gefühle, die in ihnen steckten, lauschte den Geschichten, die sie erzählten. Von trauriger Vergangenheit, über Mut und Freundschaft, bis hin zur wahren Liebe, die von Unsicherheit, Überwindung der Ängste und Geborgenheit sprachen.
Ein erneutes Seufzen der Sehnsucht kam über Cassaras' Lippen. In seinen 153 Lebensjahren hatte er noch nie so verständnisvolle Menschen getroffen, Kinder, so von Akzeptanz erfüllt. Ganz im Gegensatz zu den Nixen und seinem Vater, die offensichtlich nicht offen für Sachen und Personen waren, die nicht den Gewohnheiten und Normen entsprachen.
In der Alpha Cru hingegen waren alle willkommen, niemand wurde ausgeschlossen. Bei ihnen musste sich keiner Sorgen machen, dass er nicht vollständig war. Ob Landgänger, Meermensch oder magisches Wesen. Jede Hautfarbe wurde akzeptiert. Cassaras wusste, er wäre auch mit nixentürkis bei ihnen kein Ausgestoßener.
Glaube, Religion, Form der Ernährung, all das spielte keine Rolle. Alle setzten sich mit dem Herzen für etwas ein, zogen gemeinsam an einem Strang. Keiner störte sich ein queerer Liebe. Ob jemand nicht binär war oder trans, alle akzeptierten sämtliche Geschlechter und Geschlechtsidentitäten, unterstützten sie. Ebenso jeden, der sich outete ob schwul, lesbisch oder wie, pansexuell oder ungelabelt.
Niemand musste Angst haben. Alle liebsten, wir alle wurden geliebt.
Nur Cassaras, ihn liebt niemand.
4.
Die Silberfadenvision mit Alea und dem Silberumhang, vor der herrschaftlichen Villa, die in einer malerischen Bucht gelegen war, verleitete Cassaras, sich umgehend auf den Weg nach Island zu machen. Und mit Doktor Aquilius Orion ein Bündnis einzugehen.
Cassaras sah die Abscheu und den Ekel im Gesicht des Doktors, wann immer sie sich trafen. Auch wenn sie sich später immer um höfliche Gespräche und neutrale Gesichtsausdrücke bemühten.
Beim ersten Mal, als sie sich kennenlernten, bemerkte Cassaras Orions Furcht vor den Magischen, die Hintergründe erfuhr auch schon bald.
Mura hatte ihn verflucht als er in die heilige Schatzkammer der Nixen einbrach um zu stehlen.
Ihr Fluch schloss ihn für alle Zeiten von der Magie des Meeres aus und alleine der Gedanke sollte ihn auf ewig in Angst und Schrecken versetzen.
Zudem würden die Magischen sein Untergang sein.
Aber offenbar hatte Orion eingesehen, dass man Cassaras lieber zum Verbündeten als zum Feind hatte. Dabei hatte Cassaras' eigene Abneigung seinem Volk gegenüber wohl eine entscheidende Rolle gespielt. Orion war höchst interessiert, als Cassaras ihm von seiner Suche nach der Elvarion und seinen magischen Möglichkeiten berichtete. Er selbst hatte es damals geschafft eine wertvolle Buchmuschel aus der Schatzkammer zu entwenden.
Diese enthielt die Legende von der Nixenkönigin Haruko und beinhaltete außerdem einen Gipsabdruck der elvarion. Und die Elvarion der letzten Generation hätte Orion nur allzu gerne als rechte Hand an seiner Seite gewusst. Durch seine Arbeit verdiente sich Cassaras den Status des „Alliierten.“
Orions teuflische Machenschaften blieben ihm nicht lange unbemerkt. So wusste er, dass Aquilius Orion für den Virus verantwortlich war, der einst die Meermenschen nahezu vollständig auslöschte. Des Weiteren hatte er die besten Darkoner zum Herrenschwur überredet und sie durch Tricks und Manipulation seinem Kommando unterstellt.
Dadurch waren sie auf ewig an ihn gebunden und sie waren seine Sklaven. Zu keinster Zeit konnten sie sich ihm oder seinen Befehlen widersetzen.
Cassaras äußerte den einst stolzen Männern gegenüber nie sein Mitleid, denn es würde ihnen sowieso nicht helfen. Der Schwur war nicht zu brechen und die da Kona wurden gezwungen, ihre Heimat zu zerstören. Oft waren sie es, die den Gretzern das Müllabladen erst ermöglichten. Doktor Orion organisierte regelmäßig Teams, die Restchemikalien, radioaktiven Müll, Bauschutt und anderen Dreck in die Gewässer abluden. Cassaras beteiligte sich nie an den Aktionen. Er war kein Gretzer.
Er wusste auch, dass Orion ihm gegenüber die Feindseligkeit niemals ablegte. Denn, auch wenn er diese Seite verabscheute, er war zur Hälfte eine Nixe. Die Nixen zählten für Orion zu einer der schlimmsten Sorten von Magischen. Regelmäßig hörte er den Doktor fluchen: „Du verdammtes magisches Vieh“ oder „Verdammter magischer Abschaum.“
Mit seinem Hass und seinen Beleidigungen versuchte er wohl, seine Furcht herunterzuspielen. Was ihm aber nicht sonderlich gelang. Aber Cassaras machte sich nichts aus der Verachtung. Er war nicht der erste und auch kein guter Freund, dass der Hass verletzend sein könnte. Trotzdem kamen die beiden zu einer Einigung.
Sie taten sich zusammen. Immerhin waren sie beide an der Elvarion interessiert, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Casaras würde seine jahrelange Suche nach dem Mädchen fortsetzen. Orion würde ihn dabei unterstützen, sein Arm reichte weit. Er hatte ein globales Netzwerk, viele gute Kontakte und Verbindungen. Für seine Dienste würde Cassaras zusätzlich noch bezahlt werden. Bei Orions Vermögen würde die Bezahlung sehr großzügig ausfallen. Eigenes Geld besaß Cassaras nicht, er sah auch nichts Falsches darin, Orions finanzielles Angebot anzunehmen, wo er es auch für seine Suche brauchte.
Sobald Cassaras Alea ausfindig machte würde er sie zu Orion nach Island bringen. Dann bekam Orion das Mädchen und er selbst endlich den Umhang. Damit wäre der Pakt auch beendet. In den folgenden Jahren reiste Cassaras immer wieder nach Island, um ihren Handel zu bestärken.
Dabei behielt er jedoch für sich, dass er Alea längst in Hamburg gefunden hatte. Er vertraute Orion nicht. Wie sich herausstellte zurecht, denn keiner von ihnen spielte mit offenen Karten. Beide spielten ein Doppelspiel. Cassaras erzählte oft, er würde eine brandheiße Fährte verfolgen, die sich letztendlich leider als Sackgasse herausstellte. Er wusste nicht, wie viel Orion ihm davon tatsächlich glaubte.
Auch wenn Cassaras weiterhin ein Einzelgänger war, in einem Punkt war er sich mit vielen einig: Orion war der Teufel höchstpersönlich. Die Magischen hatten ihm auch einen Spitznamen verpasst: Gretzerkönig. Orion war ein Teufel, ein Luxusliebender.
Immer wenn Cassaras in die Villa kam, begrüßte Orion mit ihm ihn mit einem gezwungen freundlichen: „Guten Tag.“
Jedes Mal fragte er: „Wie lange gedenken Sie zu bleiben?“ Orions Stimme klang, als hoffte er, dass Cassaras dann sofortiges Verschwinden ankündigen würde. Cassaras zuckte bei der Frage nur mit den Schultern. „Bis morgen.“ Er blieb nie länger als ein oder zwei Nächte. Orion nickte. „Giovanni hat Ihr Zimmer schon vorbereitet. Er wird Sie später dorthin bringen.“
Für das Abendessen wurde der große Tisch im Saal festlich gedeckt. Sowohl Cassaras als auch Orion bedienten sich ausschließlich an der Rohkostplatte. Die Getränke wurden in feinen Kristallgläsern serviert, die Orion wohl herausholte, um Eindruck zu schinden.
Ein paar Stunden später begleitete Giovanni Cassaras zum Gästezimmer. Es war ein großer Raum mit Meeresandenken dekoriert. Cassaras schnaubte. Das Meer war auch Orions Heimat und er schien es sehr zu mögen und trotzdem zerstörte er es.
In der Nacht wälzte er sich unruhig im Bett. Im Wasser konnte er besser schlafen. Durch die Villa schlich er sich nach draußen, in den Garten. Dort zündete er sich eine Zigarette an und beobachtete den klaren Sternenhimmel. Einige Minuten vergingen, bevor er sich wieder in das prächtige Anwesen verzog. Auf dem Rückweg kam er an Orions Zimmer vorbei. Die Tür war offen und es brannte noch Licht. Wahrscheinlich war der führende Kopf der modernen Medizin wieder mit seiner Forschung und seinen Experimenten beschäftigt. Er warf einen Blick in den Raum - und staunte nicht schlecht.
Orion und ein spindeldürer Mann, Jinx, standen dort, eng umschlungen und in einen Kuss vertieft. Cassaras begriff. Die beiden waren ein Paar! Wenn er sich recht überlegte, hätte er es schon früher bemerken können. Nicht nur wenn sie allein waren, legten sie ihre kalte Schale ab. Der Nixenprinz hatte sich schon gewundert, dass die beiden so liebevoll miteinander umgehen. Dass diese irren Schreckensgestalten zu so etwas in der Lage waren.
Wenn Orion sich aufregte, war Jinx zur Stelle, um ihn zu beruhigen und legte ihm die Hand auf die Schulter.
Die fast schon besitzergreifende Art, mit der Orion seinen Arm um Jinx schlang, besonders, wenn jemand in seiner Nähe war.
Die nahezu zärtlichen Blicke und das Lächeln, dass sie stets tauschten.
Wut stieg in Cassaras auf.
Dieser Gretzerteufel hatte alles.
Geld, Macht, Ruhm und sogar einen Partner.
Ihm wurde die Liebe gegönnt.
Nur Cassaras durfte sie nicht haben.
+1
Die Villa Konungur war so prächtig gebaut, dass man eher von einem Palast sprechen konnte. Marmorsäulen und Wasserspiele säumten die Auffahrt, bunte Kois schwammen in Teichen der riesigen Gartenanlage, in der Garage standen 14 teure Autos, Sportwagen und Limousinen, selbst die Tischtennisplatten waren aus Marmor.
Das herrschaftliche Gebäude war vom Efeu überwuchert. Innen gab es viele Flure, Zimmer mit luxuriösen Ausstattungen, wie im Thronsaal, in dem Orion wohl gerne Konungur spielte. Eine breite Glastreppe führte nach oben, unten drunter befanden sich viele Aquarien. In weiteren Räumen gab es Musikinstrumente und Gemälde zu bestaunen.
Jedes Mal machte Cassaras eine weitere Entdeckung. Mal ein enormes Schwimmbad, dann mehrere Jetskis oder auch die Anlage für das Bungee- Jumping. Das gesamte Grundstück musste ein Vermögen gekostet haben, doch bei Orion Reichtum, den dieser zum allergrößten Teil illegal verdiente, wunderte ihn das nicht. Die meiste Zeit ihrer Gespräche verbrachten sie im von Palmen gesäumten Wintergarten, der durch riesige Glaswände abgetrennt war.
Das einzige, das Cassaras gut gefiel war der Blick direkt auf dem Strand und das Meer.
Es gab sogar eine Sache an Orion, die Cassaras amüsierte. Soweit er wusste, war Orion Multimillionär.
Sein Aussehen ließ allerdings nicht darauf schließen. Statt sich in Markenkleidung zu kleiden, trug Orion einfache, weite Kapuzenpullover und schlabberige Jogginghosen.
Das in Kombination mit seinem wilden Lockenkopf und der großen, braunen Brille verharmloste seine äußere Erscheinung ungemein und ließ ihn wie ein unschuldigen Nerd wirken. Man konnte nie wissen, was sich hinter der heuchlerischen Lügenmine verbarg.
Er konnte die höflichsten Freundlichkeiten am Tag legen und sich gleichzeitig die abscheulichsten Dinge überlegen. Das war leider eine seiner Spezialitäten. Cassaras hatte bemerkt, dass immer, wenn er zu Besuch war, eine Tür verriegelt war. Ab und zu kamen Wachen vorbei. Unauffällig schließlich Cassaras zur abgeschlossenen Tür. Jahrelange Erfahrung half ihm, das Schloss binnen Sekunden zu knacken.
Verblüfft starrte ein junges Mädchen an, dass auf dem Boden saß und an einem Puzzle arbeitete, rund um sie herum viele Bücherstapel. Sie war Alea wie aus dem Gesicht geschnitten, abgesehen davon, dass die Haare das Mädchens deutlich kürzer waren als Aleas, kinnlang und mit knallpinken Strähnen.
Hatte Alea etwa eine Zwillingsschwester? Und wieso war das Mädchen hier eingesperrt? Und warum in einem Zimmer an Orions Villa? Provokativ legte die Kleine den Kopf auf die Seite und musterte ihn. Cassaras wusste, dass er nicht das war, was man unter einem täglichen, gewöhnlichen Anblick verstand.
Dann setzte sie zu seltsamen Handzeichen an. Was war das?
Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz. Es musste Gebärdensprache sein. Das Mädchen war wohl gehörlos.
Noch immer irritiert verließ er den Raum wieder. Das Mädchen ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Wer war sie? Wie kam Orion dazu sie einzusperren? Was wollte er von ihr?
Da stutzte Cassaras. Orion schien nie allzu enttäuscht, wenn Cassaras hat ihm erzählte, dass er die Elvarion noch nicht gefunden hatte.
Lag es womöglich daran, dass er dachte, sie wäre bereit in seiner Gewalt?
Er würde wohl noch einiges über sie an Erfahrung bringen müssen, auch wenn das hieß, mit ihr zu kommunizieren, und Kontakte mit emotionalem Hintergrund lagen ihm nicht.
Doch nicht nur aus Eigennutz wollte er mit ihr sprechen. Irgendwie wirkte sie...einsam und verloren.
So stand er am nächsten Tag wieder an ihrem Zimmer. Sie hob den Blick, als er sie antippte und lächelte. Freundlich. Cassaras wurde ein wenig warm ums Herz. So etwas erlebte er selten. Rasch holte er das Buch hervor, dass er ihr mitgebracht hatte und überreichte es ihr. Cassaras konnte die Dankbarkeit in ihrem Gesicht erkennen.
Als er sich zum Gehen wandte, zog sie an seinem Ärmel und deutete vor sich auf den Boden. Er verstand. Sie holte Stift und Papier und begann ihre Fragen zu notieren. Wer bist du? Er antwortete: Cassaras. Wie ist dein Name? Warum bist du hier eingesperrt?
Sie kritzelte wieder etwas. Ich bin Anthea, aber ich werde Thea genannt. Das zweite wüsste ich auch gerne. Meine Väter sagen immer, sie wollen mich nur vor etwas beschützen.
Schnell fand heraus, dass ihr Pa, Aquilius Orion und ihr Dad, sein Mann Jinx war.
Bei einem Unfall als Kleinkind hatte sie ihr Gehör verloren. Ein Angestellter ihrer Väter brachte ihnen die Deutsche Gebärdensprache bei. Immer öfter sperrten ihre Eltern sie ein, ohne guten Grund.
Gerade stand Cassaras für seinen dritten Besuch bei Thea vor der Tür. In dem Moment, als er bereit war, das Schloss zu knacken, kam ein breit gebauter, großer noch recht junger und sehr schöner Mann vorbei.
Er lächelte kurz, als er Cassaras sah und holte etwas aus seiner Tasche, dass er dem leicht verdatterten Prinzen in die Hand drückte. Ein Schlüsselbund! Mit dem Finger wies er auf einen von ihnen und deutete auf die Tür.
Es war der Schlüssel zu Theas Zimmer. Cassaras nickte ihm zum Dank zu. Der Mann gefiel ihm. Offenbar war er seinem Boss nicht so treu ergeben wie andere.
Der andere Mann streckte Cassaras nun die Hand entgegen, um sich vorzustellen.
Und so lernte Cassaras Hagen kennen.
Für ihn, ein ganz wunderbarer Landgänger, der half wo er nur konnte. Sehr interessiert an Literatur.
Regelmäßig schmuggelte er Bücher aus Orion Bibliothek von Theas Lieblingsgenre, Sagen, Mythen und Legenden, zu ihr. Durch ihn konnte Cassaras immer wieder unbemerkt zu Thea gelangen, denn Hagen konnte notfalls jemanden ablenken.
Manchmal saßen sie zu dritt im Raum, spielten Schach oder die beiden brachten ihm Gebärdensprache bei. „Du lernst schnell“, bemerkte Hagen erstaunt, als Cassaras eine weitere Übungsstunde erfolgreich beendete.
Mit der Zeit begann Cassaras sich immer mehr für den Landgänger zu interessieren. Hagen war nicht so wie sein Vater, nicht so, wie die Nixen Landgänger beschrieben. Cassaras bemerkte, dass seine Gefühle seltsam verrückt spielten.
Er war nicht bereit den ersten Schritt zu tun.
Er wusste nicht wie.
Er war unsicher.
Er hatte Angst vor der Ablehnung.
Hagen besaß den Mut und ging offen auf Cassaras zu. Der konnte es nicht glauben. Hagen erwiderte seine Gefühle? Er sollte wirklich geliebt werden?
Nach all den Jahren , in denen man ihm mit Hass, Abscheu, Spott, Verachtung und Mitleid begegnete, sollte es doch noch jemanden geben, der ihn wahrhaftig akzeptierte, so wie er war und ihn tatsächlich liebte?
Doch Hagen und Thea halfen ihm bei der Überwindung seiner Unsicherheit, bestätigten es ihm immer wieder.
Cassaras stand in der kühlen Nachtluft unter dem funkelnden Sternenhimmel und lächelte, als Hagen neben ihn trat und sich an ihn schmiegte.
Liebe war ein schönes Gefühl.
Das schönste, dass er je gespürt hatte.
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