Zukunftstraum
In der Nacht träumte Alea von ihrer Familie – Nelani, Keblarr und Thea. Sie alle waren gemeinsam unterwegs im Meer, begleitet von ihrer Walfamilie, den Kalemsopeka-Orcas. Doch sie waren nicht allein: Lennox, Sammy Ben und Tess waren bei ihnen, letztere drei umgeben von einer magischen Glitzerblase, die ihnen Luft zum Atmen bot. Selbst Cassaras war dabei – zwar sehr mürrisch und verschlossen wie immer, aber er hatte sich ihnen angeschlossen. Das Ganze war so harmonisch und fantastisch gewesen, dass Alea in dem Moment, wo sie aufwachte das Gefühl hatte, die Welt wäre in Ordnung. Doch nur wenige Sekunden später realisierte sie, dass gar nichts in Ordnung war – zumindest noch nicht.
In wenigen Stunden, wenn sie Orion in ihrer Gewalt hatten, würde es das aber vielleicht werden...
Aufseufzend drehte Alea sich zur Seite, und blickt in die wachen, azurblauen Augen von Lennox. Sie hatte in dieser Nacht bei ihm auf einem der beiden Schlafsofas übernachtet und Thea ihre Koje überlassen.
Lennox lächelte liebevoll. „Guten Morgen, Yavani", flüsterte er und küsste sie auf die Schläfen.
„Morgen", murmelte Alea und rieb sich die Augen. Erst da fiel ihr auf, wie unromantisch sie sich gerade angehört hatte, und schob schnell nach: „Yavani."
Lennox Lächeln verwandelte sich in ein breites Grinsen. „Morgenkonversationen sind nicht gerade deine Stärke", neckte er sie belustigt, und Alea boxte ihn spielerisch in die Seite.
„Gar nicht wahr!", lachte sie. „Ich bin morgens nur etwas äh..."
„Verschlafen? Geistesabwesend?", schlug Lennox vor, aber Alea suchte nach einem anderen Wort.
„Verträumt", korrigierte sie ihn dann. Lennox lachte leise. „Verträumt, ja?", zog er sie frech grinsend auf. Alea nickte heftig.
„Jaja, verträumt", beharrte sie und hob dabei den Zeigefinger, als wolle sie Lennox eine wichtige Lektion lehren. Nun lachte Lennox lauter. „Das kommt definitiv von Sammy!"
Alea zuckte die Schultern. „Ohne Sammy wäre die Welt längst nicht so bunt! Und etwas Optimismus kann ja nicht schaden", erklärte sie.
Lennox entgegnete nichts, doch er grinste sie auf eine Art und Weise an, die Bände sprach.
Alea nickte, als wolle sie so seine unausgesprochenen Gedanken bestätigen.
„Wunderbärchen", setzte sie dann noch hinzu, denn genau das hätte auch Sammy in diesem Moment gesagt.
„Habe ich da etwa gerade mein Wort gehört?", ertönte da plötzlich die Stimme von genau diesem, und einen Augenblick später schlurfte der Bandenjüngste auch schon in seinem Schlafanzug zu ihnen in den Salon. Sein Haar stand wirr in alle Richtungen ab und erinnerte Alea ein wenig an die Frisur von Kobolden, während der goldfarbene Lidschatten vollkommen verschmiert war und ihm nun überall im Gesicht hing. Tess hatte ihn am Vorabend nicht mehr abschminken können, denn Sammy war kurz nach ihrer Ankunft auf seinem Klamottenberg eingeschlafen. Doch nun wirkte er trotz seines wilden Aussehens wieder putzmunter und fröhlich wie immer.
„Schneewittchen, du weißt was es heißt, wenn jemand ohne meine Erlaubnis mein Wort benutzt", mahnte er und wackelte dabei tadelnd mit dem Zeigefinger. Sein Gesichtsausdruck wirkte, gegensätzlich zu seinem Ton, alles andere als so entrüstet, wie er gerade tat. Alea öffnete bereits den Mund um etwas zu sagen, denn sie wusste ganz genau, was die Benutzung von Wunderbärchen kostete, aber Sammy ließ sie gar nicht zu Wort kommen. „Jetzt musst du mir dreizehntausend Milliausen Kekse backen!", rief er und schien sich richtig in Ekstase zu freuen, denn er hüpfte auf und ab und klatschte dabei in die Hände. Alea hob beschwichtigend die Hände.
„Soweit ich weiß, habe wir weder Zucker noch Mehl da. Mit dreizehntausend Milliausen Keksen wird es also nichts", bremste sie ihn aus. Aber Sammy hüpfte einfach weiter. „Doch doch, Schneewittchen! Tess hat gestern mit mir zusammen alles eingekauft, weißt du noch?", klärte er sie währenddessen auf, und sein Kopf lief von der Anstrengung knallrot an. „Es hilft nichts! Du musst backen!"
Seufzend gab Alea sich geschlagen, schlug die Decke zurück, die Lennox fürsorglich über ihr ausgebreitet hatte, und stand auf.
„Vielleicht hilft mir ja ein bestimmter Drache dabei, meine Schuld zu belgeichen?", schlug sie dem Bandenjüngsten vor. Sammys Augen begannen zu leuchten.
„Au ja!", schrie er begeistert. „Und Scorpio macht auch noch mit!"
Lennox verzog das Gesicht, als hätte er eigentlich noch andere Dinge zu tun. Gleichzeitig war ihm aber wohl bewusst, dass er gegen Sammys eisernen Willen nicht ankam.
„Wie du willst, Samuel Draco", brummte er und lief an ihnen vorbei in die Küche. Sammy packte Alea am Arm und zog sie ebenfalls in den kleinen, aber urgemütlich eingerichteten Raum.
„So." Zufrieden sah er von Alea zu Lennox und dann wieder zu Alea.
„Was braucht man alles für deine Bestkekse?"
Lächelnd wandte Alea sich von ihm ab und öffnete den Vorratsschrank, wo sie zuerst Mehl, Zucker und etwas Backpulver hervorzog.
„Das brauchen wir als erstes", antwortete sie und deutete auf die Zutaten in ihrer Hand.
Sofort schnappte Sammy ihr die Packungen weg und schmiss sie wuchtig auf die Arbeitsfläche. Dann holte er eine veraltete Waage aus einem der Schränke und begann, die Zutaten abzuwiegen. In einer Schüssel überreichte er Alea dann die exakt benötigte Menge, und Alea verrührte alles. Lennox räumte währenddessen neben ihnen auf, reichte ihnen neue Zutaten aus den Vorratsschränken und formte schlussendlich gemeinsam mit ihnen kleine Anker aus dem Teig, wie Alea es auch immer tat. Dabei wurde er ganz genau von Sammy beobachtet, damit er auch ja alles richtig machte.
„Doch nicht so!", rief Sammy entsetzt, als Lennox gerade einen ziemlich schiefen Anker formte.
„Die müssen gerade sein! Auf welchem Schiff gibt es schon einen Anker, der aussieht wie ein schlechter Enterhaken?"
Lennox knetete seinen Anker noch einmal zusammen, und machte einen Neuen.
„Besser so?", fragte er dann. Der Bandejüngste begutachtete sein Werk kritisch, doch dann nickte er.
„Viel besser." In diesem Moment kam Tess herein. „Morgen", brummelte sie und füllte bereits Leitungswasser in den Wasserkocher.
„Draco, warum schreist du hier die ganze Zeit schon wieder rum? Die Leute schlafen noch!", meckerte sie dann schon wieder Sammy an, der in diesem Moment Aleas Kekse unter die Lupe nahm. Der Bandenjüngste winkte ab.
„Um diese Uhrzeit schläft doch keiner mehr", entgegnete er dann. „Ben ist schon seit einer Stunde wach und telefoniert mit Niki, Siska habe ich noch gar nicht gesehen und du stehst gerade hier in der Küche und kochst Wasser ab." Er warf Tess einen Blick zu, der Alea ein wenig an Sherlock Holmes erinnerte, wenn er gerade einen Fall löste. „Cassaras schläft im Meer und Thea ist ohnehin gehörlos. Ich darf also rumschreien, wie ich will", schlussfolgerte er dann. Tess starrte ihn lange an und Alea wusste, dass ihre Freundin gerade nach Gegenargumenten suchte. Als sie offensichtlich keine fand, gab sie mit einem „Du bist doch bescheuert" auf. Dann widmete sie sich wieder dem Wasserkocher, in dem das Wasser inzwischen heftig blubberte und stellte mehrere Becher davor ab, über deren Rand Teebeutel mit ihrer speziellen Chai-Mischung hingen. Alea und Lennox hatten inzwischen den gesamten Teig zu kleinen Ankern verarbeitet und schoben nun das Blech in den Backofen. Während Alea sich die Hände wusch, wischte Lennox ihren Arbeitsplatz sauber, und Alea fragte : „Schläft Thea eigentlich noch?"
Eigentlich hatte sie Tess diese Frage gestellt. Doch statt ihr antwortete eine dunkle Stimme: „Nein. Wahrscheinlich hat sie die ganze Nacht in diesen Büchern gelesen."
Als Alea sich langsam umdrehte, lehnte der Nixenprinz lässig am Türrahmen und band sich seine nassen Haare zusammen. Um seine Füße war eine kleine Pfütze entstanden, und auch seine schwarze Kleidung war klatschnass. Doch dann kam er langsam herein und nahm sich einen der Becher, die Tess bereits mit kochendem Wasser gefüllt hatte.
„Aber nicht hinsetzen! Sie sind ja noch komplett nass!", warnte Sammy vorlaut. Cassaras verdrehte die Augen.
"Ich bin doch nicht blöd!", schnauzte er und blieb einfach am Herd stehen. Schweigend musterte er einen nach dem anderen. Schließlich blieb sein Blick an Alea hängen.
„Wie wollt ihr heute Orion überfallen?", wollte der Prinz wissen und bedachte Alea mit einem stechenden Blick. „Äh...", stammelte sie, denn sie fühlte sich von der plötzlichen Frage etwas überrumpelt. Cassaras zog eine Augenbraue in die Höhe und schien zu warten, dass sie etwas sagte. Da schaltete sich mit einem leisen Klick der Elvarion-Modus ein, und Alea hatte sofort eine glasklare Antwort parat: „Ich habe in einer Silbervision gesehen, wie wir Orion heute Vormittag am Kolosseum überraschen. Wenn er nicht mit uns rechnet, kann er sich nicht gegen uns wehren und wir sind ihm überlegen. Einer allein kommt nicht gegen eine ganze Gruppe an."
Der Prinz legte den Kopf schief, als würde er diesen Plan noch einmal überdenken und auf sicherheitstechnische Schwachstellen prüfen.
„Er könnte die Darkoner rufen", wandte er dann ein. Einen Moment lang suchte Aleas Hirn nach einer Antwortmöglichkeit, aber Sammy kam ihr zuvor.
„Geht nicht. Bevor er die Darkoner rufen kann, haben wir das armselige Würstchen schon plattgemacht! Wir haben doch drei Superkrieger im Team!" Stolz strahlte Sammy den Prinzen an. Der energisch schüttelte den Kopf.
„Ich bin für Theas Schutz da. Ich beschütze weder Alea noch einen von euch, sollte es nötig sein. Thea hat Vorrang", machte er sofort unmissverständlich klar und verschränkte dabei die Arme vor der Brust. Alea war gedanklich jedoch damit beschäftigt, eine Lösung für die Darkoner zu finden. Es stimmte, Orion könnte sie zu sich rufen. Da sie ein sehr gutes Gehör besaßen, konnten sie über Kilometer hinweg Geräusche hören. Andererseits hatte es in der Vision nicht den Anschein gehabt, als hätte Orion eine Möglichkeit, sie zu rufen. Selbst wenn er nach ihnen schrie, würde seine Stimme wahrscheinlich in der Menge untergehen. Nein, Orion konnte die Darkoner nicht zu sich rufen.
„Was machen wir eigentlich, wenn Orion gefangen wurde?", riss Tess sie plötzlich aus ihren Gedanken. „Wir lassen ihn richten, von Grarmathacht. Ich werde die magische Transportmuschel mitnehmen, dann können wir sofort zu ihr kommen, wenn wir Orion haben", antwortete Alea prompt. „Und danach?", bohrte Sammy nach. Alea zog die Brauen zusammen. „Danach entlassen wir ihn wieder in die Freiheit, machen den Virus unschädlich und die Meerkinder können nach Hause."
Sobald sie die Worte jedoch ausgesprochen hatte, wurde ihr klar, weshalb Sammy diese Frage gestellt hatte. Er wollte wissen, was Alea, Lennox und Thea tun würden, wenn sie wieder im Meer leben könnten. Für Alea war die Antwort klar. Sie wollte mit ihrer Familie auf Wal-Trosk gehen, aber weder Sammy, Ben oder Tess zurücklassen müssen. „Was ist mit uns? Wird die Alpha Cru aufgelöst?", fragte Sammy da auch schon weiter. In seiner Stimme lag mit einem Mal unverholene Traurigkeit. Schnell schüttelte Alea den Kopf. „Nein, Nein! Auf gar keinen Fall! Wir sind eine Familie, und Familien lassen sich nicht im Stich! Wir...finden schon eine Lösung", widersprach sie hastig und spielte bereits mit dem Gedanken, ihre Landgängerfreunde in die Meerwelt mitzunehmen.
„Und was wäre eine mögliche Lösung?", meldete sich Cassaras sarkastisch zu Wort. „Du kannst sie nicht unter Wasser atmen lassen."
Alea kniff die Augen zusammen. „Vielleicht doch."
Überrascht neigte der Prinz das Kinn und wollte offensichtlich, dass Alea weitersprach.
Die holte tief Luft, bevor sie mit ihrer Erklärung begann. „Gilfen könnten dafür sorgen, dass Sammy, Ben und Tess in einer Glitzerblase Luft zum Atmen bekommen."
Der Nixenprinz blickte skeptisch drein. „Solche Blasen halten nicht ewig. Außerdem dringt nichts durch sie hindurch. Wie sollen sie bitte Nahrungsmittel zu sich nehmen?"
„Wir könnten einen Gilf mitnehmen, der die Blasen immer wieder erneuert und aufpasst, dass sie nicht kaputtgehen!", rief Sammy dazwischen. „Und essen können wir auf der Crucis."
Cassaras lachte, als hätte Sammy etwas grundlegendes übersehen. „Und wie soll euer Schiff über die Meere segeln, wenn ihr doch unter Wasser lebt?"
Sammy öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch dann hielt er inne und schien über das Argument des Prinzen nachzudenken.
„Jemand könnte die Crucis ziehen...", überlegte er dann mit leerem Blick weiter.
„Und wer?", wollte Tess von ihm wissen. Sie hatte sich mit einem Becher zu ihm an den Tisch gesetzt und mit grüblerischer Miene hineingestarrt. Doch nun erwachte sie aus ihrer Starre und schien sich am Gespräch beteiligen zu wollen.
Sammy hob die Schultern. „So groß ist die Crucis gar nicht. Vielleicht reicht es, wenn ein Tasfar sie zieht..."
Alea fand die Idee gar nicht mal schlecht, wusste aber, dass sie sich zu einem anderen Zeitpunkt Gedanken darüber machen sollten.
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