Vorbereitungen
Nach dem Abendessen setzten Alea und Lennox sich noch einmal an den veralteten Laptop der Cru und arbeiteten an der Melodie von Ocean's Heart. Ben und Sammy standen im Deckshäuschen und erklärten Siska, die pünktlich zum Abendessen bei ihnen angekommen war, gerade die Regeln an Bord und Tess machte in der Küche den Abwasch.
„Hat Cassaras dir eigentlich schon geschrieben?", fragte Alea Lennox.
Seit ihrem Telefonat waren mehrere Stunden vergangen und es war beinahe völlig dunkel. Cassaras hatte Thea also wahrscheinlich bereits befreit.
Lennox rieb sich über die Stirn, als denke er angestrengt nach.
„Hm, ich glaube nicht.", meinte er dann und starrte weiter auf den aufgeklappten Bildschirm.
„Echt nicht?"
Lennox schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Yavani. Ich habe vorhin schon nach dem Abendessen geschaut, aber es sind keine neuen Nachrichten angekommen."
Alea zog die Stirn kraus. „Meinst du, dass vielleicht etwas schiefgegangen ist? Oder dass Orion wieder abgehauen ist, bevor Cassaras Thea befreien konnte?"
Unruhig rutschte sie auf dem Sofa hin und her. Zwar sähe es Cassaras ähnlich, sich einfach nicht zu melden, aber immerhin war er es, der ihnen versprochen hatte, bescheid zu sagen wenn alles in Ordnung war. Seufzend stellte Lennox den Laptop beiseite und legte einen Arm um Aleas Schulter.
„Cassaras weiß, was er tut. Ich gehe nicht davon aus, dass etwas schiefgegangen ist. Wahrscheinlich wartet er einfach nur, bis Thea schläft, damit sie keinen Verdacht schöpft."
Lennox' Worte klangen tröstend und waren Balsam für Aleas Seele. Dennoch machte sie sich Sorgen. Sie wusste, dass der Prinz ein guter Kämpfer war und es gewiss auch mit dem ein oder anderen Darkoner aufnehmen konnte, aber nicht gleich mit zwei Dutzend! Denn laut Thea bewachten derzeit alle Darkoner ihre Pension, um etwa solch eine Rettungsaktion zu verhindern. Zudem waren sie genetisch optimiert und konnten über Kilometer hinweg Geräusche hören. Das leiseste Knacken könnte den gesamten Plan des Prinzen zerstören.
Alea schüttelte sich. So durfte sie gar nicht erst denken! Wenn sie immer nur vom Schlimmsten ausging, würden sie Orion niemals besiegen! Entschlossen straffte sie die Schultern, setzte sich aufrecht und zog den Laptop auf ihren Schoß. Lennox nahm den Arm von ihrer Schulter und fokussierte sich ebenfalls wieder auf ihr Lied. Doch sie hatten nur wenige Takte aufgestellt, als es an Deck plötzlich laut polterte. Erschrocken zuckte Alea zusammen, während Lennox neben ihr aufsprang und sich schützend vor sie stellte, als rechnete er damit, sie vor einem unerwünschten Eindringling verteidigen zu müssen. Selbst Tess trat aus der Küche und sah Stirnrunzelnd nach oben. Dann warf sie Lennox und Alea einen fragenden Blick zu, aber Lennox bedeutete ihr mit einem kurzen Wink, wieder in die Küche zu gehen. Da hörten sie Bens Stimme.
„Bist du noch ganz bei Trost, einfach so das Seil loszulassen?", schimpfte er.
Erleichtert ließ Lennox die Hände sinken, und auch Alea entspannte sich. Sie wurden nicht angegriffen, sondern scheinbar hatte Sammy irgendetwas angestellt. Im nächsten Moment stiefelte dieser auch schon barfuß die Treppe zu ihnen hinunter. Doch er war nicht allein: Auf seinem Arm trug er stolz eine kleine Robbe, die sich neugierig im Raum umsah, als wäre sie dort zum ersten Mal. Fussel Fuhrmann war wieder an Bord.
„Seht mal, wer da ist!", krähte Sammy da auch schon und hob Fussel in die Luft, als wolle er sie einem großen Publikum präsentieren.
Siska stand hinter ihm und ihr war anzusehen, dass sie nun völlig an Sammys Verstand zweifelte. Mit weit aufgerissenen Augen und einem fassungslosen Gesichtsausdruck starrte sie auf die kleine Robbe, die von Sammy wie eine Königin behandelt wurde. Der legte Fussel nun sanft auf dem Boden ab und versprach ihr eine große Ladung Fisch. Sobald er in der Küche verschwunden war, wandte Siska sich an Lennox und Alea.
„Ihr habt eine Robbe?!", flüsterte sie hinter vorgehaltener Hand. Lennox nickte und lächelte schief.
„Wir sind sehr schräge Vögel. Statt eines Hundes oder einer Katze besitzen wir eine Möwe und eine Robbe.", antwortete er, und sein Lächeln verwandelte sich in ein schelmisches Grinsen. Entgeistert sah Siska ihn an. Doch dann schien sie sich kurz zu sammeln und fragte schließlich in gefassterem Ton:
„Hat sie denn einen Namen?"
Diesmal antwortete Alea.
„Fussel. Fussel Fuhrmann, Sammy hat sie vor ein paar Wochen zum Bandenmitglied gemacht."
„Sie heißt Fussel?", hakte Siska nach. Alea nickte.
„Sammy hat sie nach seiner Fusselsammlung benannt. Für jeden schönen Moment sammelt er eine Fluse und ordnet sie dann nach einem bestimmten System an. So wie du deine Geräuschdateien", erklärte sie.
„Sehr schön erklärt, Schneewittchen", ertönte Sammys Stimme aus der Küche, während Tess ihn auf französisch anmotzte.
„Hat die Möwe auch einen Namen?", erkundigte sich die Darkonerin. Wieder nickte Alea.
„Tante Hildegard wurde im Sommer von Tess wieder gesund gepflegt. Seit dem ist sie regelmäßig hier an Bord." Siska nickte, als würde sie verstehen.
„Interessant", murmelte sie in sich hinein.
Da kam Ben die Treppe herunter. In der Hand hielt er einen Notizblock und einen Stift. „Crubesprechung", erklärte er kurz angebunden und deutete auf das Schlafsofa gegenüber.
„Och Menno! Kann das nicht noch warten? Ich will erst Zeit mit Fussel verbringen! Ich hab sie doch so lange nicht gesehen!", maulte Sammy, der in diesem Moment mit einer großen Box aus der Küche kam, und sah seinen Bruder flehentlich an.
Aber Ben schüttelte den Kopf.
„Du wirst noch genug Zeit mit Fussel haben. Jetzt ist Besprechung."
„Aber-!", setzte Sammy an, doch der Skipper unterbrach ihn.
„Kein aber!", antwortete er streng und deutete mit dem Kuli auf das Sofa. Murrend stellte Sammy die Box beiseite und setzte sich mit einem Schmollmund auf den Boden. Ben beobachtete seinen kleinen Bruder mit einer hochgezogenen Augenbraue, sagte aber nichts und nahm Platz.
„Wir müssen noch unsere Songauswahl für den morgigen Abend treffen", kündigte er an und legte den Block vor sich.
Fragend sah er in die Runde. Tess war die Erste, die etwas sagte.
„Ich finde, wir sollten auf jeden Fall Meeresleuchten spielen", schlug sie vor und sah zu Alea und Lennox.
„Wenn das für euch in Ordnung ist...?"
Schnell nickte Alea. Meeresleuchten war ein Song, den sie zusammen mit Lennox geschrieben hatte, als sie auf Capraia gemeinsam Teil dieses Naturspektakels geworden waren. Auf Capraia war so vieles passiert... Dort hatte sie eines der wohl romantischsten Erlebnisse gehabt. Nur Lennox und sie. Innig. Für immer...
„Hallo? Erde an Alea!", hörte sie plötzlich Bens Stimme, während er mit der Hand vor ihrem Gesicht wedelte.
Alea blinzelte überrascht.
„Was ist?"
„Boah, du warst gerade richtig in einer anderen Welt, oder?", lachte Sammy und wirkte gar nicht mehr beleidigt, sondern wieder wie ... Sammy.
Alea wurde rot.
„Ja ich... hab wohl nicht richtig zugehört", nuschelte sie verlegen und sah auf ihre Hände.
Ben ging jedoch gar nicht erst darauf ein, sondern fuhr unbeirrt mit ihrer Besprechung fort.
„Es geht darum, ob wir auch No longer silent spielen sollen", erklärte er.
Alea wurde flau im Magen, denn No longer silent sang sie ganz allein. Entschlossen ignorierte sie jedoch das Gefühl der Angst in sich und nickte selbstsicher.
„Klar."
Ben lächelte. „Sehr gut."
Zufrieden zückte er seinen Kuli und kritzelte schnell etwas auf den Blog. Alea erhaschte einen kurzen Blick darauf und sah, dass bereits einige Lieder feststanden, allesamt für den Umweltschutz geschrieben. Das brachte sie auf eine Idee.
„Ich hätte da noch ein Lied", begann sie verlegen und holte tief Luft, bevor sie weitersprach.
„Lennox hat in Venedig einen Song geschrieben, über das Herz des Ozeans. Ocean's Heart.Dabei wird auch ein paar mal erwähnt, dass die Meere im Sterben liegen und ich finde, wir sollten das auch spielen."
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Lennox ihr einen überraschten Blick zuwarf. Vermutlich hatte er nicht damit gerechnet, dass Alea freiwillig ein Lied vorschlug, bei dem sie die Hauptstimme sang.
Ben wiegte den Kopf. „Wenn ihr uns mal eine Songprobe gebt..."
Auffordernd sah er sie an. Lennox sprang bereits auf, um seine Gitarre zu holen und Alea hoffte inständig, keine Zeile zu vergessen. Im Kopf ging sie noch einmal den Text durch und war sich sicher, nichts ausgelassen zu haben.
Da kam Lennox bereits mit seiner schwarzen Gitarre zurück. Lächelnd setzte er sich neben Alea und sah sie abwartend an. War sie bereit? Alea nickte ihm kurz zu, und Lennox stimmte die ersten Akkorde an. Über Aleas Rücken kroch eine Gänsehaut. Ocean's Heart berührte sie tief in ihrem Herzen, denn sie hatte das Gefühl, dass es sowohl eine Warnung als auch Hoffnung in sich trug. Hoffnung auf Hilfe und die Wendung zum Guten. Tief in Gedanken versunken sog Alea den Klang der Melodie in sich auf – und verpasste beinahe ihren Einsatz. Schnell setzte sie sich kerzengerade hin und begann mit dem Text, verhaspelte sich in ihrer Eile jedoch beinahe und wurde krebsrot. Sammy grinste sie belustigt an und Alea schloss schnell doe Augen, um nicht noch mehr von dem Lied zu verhauen. Doch während sie sang spürte sie, wie sie innerlich ruhiger wurde, wie der Orkan von Gedanken in ihrem Kopf zu einer leichten Brise wurde und schließlich verschwand. Entspannt tauchte sie in der Magie des Liedes ab und hörte die Stimmen ihrer Freunde, die bereits beim zweiten Refrain eifrig mitsangen, wie von weit weg, als befänden sie sich hinter einer Wand. Erst als Lennox die Melodie langsam ausklingen ließ, öffnete sie die Augen und blickte in vier ergriffene Gesichter.
„Sir Scorpio, ich glaube das war das beste Lied, das du jemals geschrieben hast", flüsterte Sammy und schien auf positive Weise fassungslos zu sein.
Lennox neigte leicht den Kopf, als wolle er sich im sitzen verbeugen.
„Danke", sagte er nur, während er die Gitarre beiseite legte.
In diesem Moment erwachten auch Ben, Tess und Siska aus ihrer Starre, und Ben schnappte sich seinen Notizblock. „Das kommt auf jeden Fall mit ins Programm", murmelte er. Dann sah er auf.
„Dein Lied beinhaltet alles, was wir an diesem Tag als Botschaft überbringen wollen", lobte er Lennox, sichtlich überrascht und glücklich.
Lennox lächelte nur, während Alea ihn stolz anstrahlte. Er war einfach umwerfend, ein Krieger und Poet zugleich. Er war ihr Lennox. Auf ewig.
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