Horror
Ewigkeiten flogen sie in Orions engen Hubschrauber an einen unbekannten Ort, aber Alea war sich sicher, dass sie sich nicht länger in Italien aufhalten würden, denn dafür dauerte ihr Flug viel zu lang.
Bestimmt war es draußen auch schon dunkel, aber so genau konnte Alea das nicht ausmachen, denn im hinteren Teil des Hubschraubers, in welchem sich die Alpha Cru befand, gab es keine Fenster. Lediglich ein funzeliges LED-Licht an der Decke spendete ihnen ein wenig Helligkeit. Beinahe war es, als befände die Alpha Cru sich in einer kleinen Kammer eines Hauses, wäre da nicht das Donnern der Rotoren, welches den Boden unter ihren Füßen vibrieren ließ und Alea wie ein Mahnmal daran erinnerte, was genau ihnen widerfahren war.
Immer wieder spielte sich der Erinnerungsfilm vor ihrem inneren Auge ab, als hätte er sich genau dort eingebrannt.
Reglos lag Alea auf dem Boden, den Kopf auf Lennox' Knie, der inzwischen genauso sehr zitterte wie sie selbst. Zeirus stand steif neben ihnen, aber die mitleidigen Blicke, die er ihnen zuwarf verrieten Alea, dass er nichts lieber getan hätte, als sie aus ihrer von Verzweiflung geprägten Situation zu befreien.
Aber Alea veruchte gar nicht erst, zu hoffen, dass ihnen aus heiterem Himmel jemand zur Flucht verhelfen würde – nicht nur, dass die Darkoner dem Herrenschwur hilflos augeliefert waren. Die Alpha Cru befand sich zudem in mehreren hundert Metern Höhe, und selbst die stärksten Kämpfer unter ihnen waren entweder gefesselt oder bewusstlos. Eine Flucht war mehr als nur unwahrscheinlich. Sie war unmöglich.
Alea schloss die Augen. Das brachte sie nicht weiter.
Mit einem schmerzhaften stechen in der Brust gestand sie sich ein, dass sie keine andere Wahl hatten, als zu kooperieren.
Aleas Blick glitt wieder zu Cassaras. Während der vergangenen Stunden hatte sie häufig zu ihm geschaut und gehofft, dass er ein kleines Lebenszeichen von sich gab. Jedoch war nichts dergleichen geschehen. Lediglich seine schwache Atmung deuteten darauf hin, dass er noch am Leben war.
Aleas Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen wenn sie daran dachte, dass der Nixenprinz womöglich an den Folgen des unperfektionierten Magischenvirus sterben würde. Immerhin war genau das Teil von Orions Plan gewesen, und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann er den Prinzen dem Virus aussetzen würde.
Aleas Atmung ging schneller.
Wenn Orions Forschung erfolgreich war und er es schaffte, Cassaras so aus dem Weg zu räumen, verloren sie nicht nur einen wertvollen Verbündeten.
Denn sobald der Virus perfektioniert worden war, würde Orion ihn auch in den Gewässern aussetzen, und somit das Ende der Magischen bewirken. Und damit auch das Ende der Meere. Die Ozeane würden am Dreck der Landgänger ersticken und untergehen.
Alea wurde speiübel. Das war die Vision der Talassiopa gewesen. Und sie marschierten in großen Schritten geradewegs darauf zu.
Alea entfuhr ein leises Wimmern.
Hatte sie doch versagt? Hatte sie als Elvarion den Weg eingeschlagen, der ihre Heimat in den sicheren Untergang führte?
Nein, sprach sie in Gedanken zu sich selbst.
Überall, wo Dunkelheit herrscht, gibt es ein kleines Licht der Hoffnung.
Diese Weisheit hatte sie von ihrer Pflegemutter Marianne gelernt, und daran hielt Alea sich nun fest.
Ihre Lage musste ihr für diesen Moment aussichtslos erscheinen, doch Alea versuchte fest daran zu glauben, dass es irgendwo dort draußen tatsächlich noch Hoffnung gab.
Nur wenig später bemerkte Alea, wie der Hubschrauber langsam an Höhe verlor. Sofort kam ihre lähmende Angst, die sie in den vergangenen Minuten hatte in Schach halten können, zurück.
Angespannt verkrampfte sie ihre Hände ineinander, sodass ihre Fingernägel sich tief ins Fleisch bohrten.
Als der Hubschrauber sanft landete hörte Alea, wie Orion mit lauter Stimme seinen Darkonern Anweisungen gab und sie dabei zutiefst demütigte.
Wut kochte in Alea hoch. Sie wusste, dass Orion sich in seiner Rolle außerordentlich gut gefiel und das oftmals auf Kosten anderer zeigte, aber Alea fand sein Verhalten einfach nur ekelhaft. Wie hatte sie nur jemals in diesem Mann einen Freund sehen können?
Da öffnete sich plötzlich eine Tür zu ihrer linken. Im Licht des Mondes erkannte Alea mehrere Darkoner, die sich breit wie ein Schrank davor aufgebaut hatten und sie offensichtlich von jeglichen Fluchtversuchen abhalten sollten.
„Aussteigen", brummte einer von ihnen, und Zeirus zog Alea unsanft am Arm in die Höhe.
Ein anderer lief zu Thea, die noch immer an der Wand lehnte, packte sie an den Schultern und stellte sie ebenfalls auf die Beine.
Erst jetzt sah Alea das Gesicht ihrer Schwester.
Ihre Wangen waren gerötet, und aus ihren verquollenen Augen liefen Tränen, die zuvor die Knie ihrer Hose ganz nass gemacht hatten.
Doch der Blick, den sie den Darkonern nun reihum zuwarf, sprach von nichts als Zorn.
Wortlos versuchte der Darkoner, sie aus dem Hubschrauber zu drängen, aber Thea wollte sich wohl nicht widerstandslos abführen lassen, denn sie blieb stocksteif auf der Stelle stehen.
Doch mit einem Mal holte sie weit mit ihrem Bein aus, und traf den Darkoner hart in den Rücken. Mit ihren gefesselten Fäusten schlug sie ihm zudem wie in einem Boxkampf gegen die Rippen und verpasste ihm einen heftigen Kinnhaken, doch der Darkoner tat, als könnten ihm ihre Schläge nichts anhaben. Geradezu gelangweilt umschlang er ihre Hüfte und hob sie in die Höhe, als wolle er sie dann eben aus dem Helikopter tragen.
Doch das schien Thea fuchsteufelswild zu machen, denn sie schlug und trat nun noch heftiger um sich und schrie dabei einige Male sogar laut auf.
Aber ihre Kampfkünste konnten nichts gegen den Griff des Darkoners ausrichten.
In ihrer Verzweiflung versuchte Alea, den Darkoner mit Beintritten zu bearbeiten um ihrer Schwester zu helfen. Zeirus hielt ihre Hände noch immer fest, aber Aleas Füße waren frei.
Doch nun zog der Darkonerchef sie weiter weg von ihrer Schwester, die sich noch immer schreiend vor Wut gegen den Darkoner wehrte.
„Ihr solltet besser aufhören, bevor noch jemand zu Schaden kommt", ertönte hinter ihnen plötzlich die eiskalte Stimme von Orion.
Sofort hielt Alea inne, aber Thea schlug weiter heftig um sich, da sie den Doktor natürlich nicht gehört hatte.
Der lief nun in aller Seelenruhe auf die kämpfende Walwanderin zu, als wüsste er, dass Thea ihm nicht schaden konnte. Mit einer entspannten Geste bedeutete er dem Darkoner, Thea loszulassen.
Doch bevor diese auch nur zur Flucht ansetzen konnte, baute er sich direkt vor ihr auf, packte sie mit beiden Händen an den Schultern und drehte sie mit einem heftigen Ruck in Cassaras' Richtung.
Als sie den Prinzen erblickte, wurde sie blass.
Entsetzt blickte Thea den Doktor an und schien unfähig, sich weiterhin zu wehren.
Mit einem eiskalten Lächeln ließ Orion Aleas Schwester los, und der Darkoner führte sie diesmal ohne Widerstand an Alea vorbei auf ein großes Haus zu.
Alea war es zuvor gar nicht aufgefallen, doch nun betrachtete sie es genauer.
Es war definitiv sehr alt, an einigen Stellen platzte der Putz ab, und die Fensterläden wirkten nicht, als könnten sie ihrem Zweck noch nachgehen.
Alea vermutete, dass es sich bei dem Haus um ein ehemaliges Hotel oder eine Jugendherberge handelte. Sie schluckte. Dort drinnen wollte der Doktor sie unterbringen?
Doch ehe sie sich's versah, schob Zeirus sie grob darauf zu, aber Alea stolperte mehr über den mit Unkraut übersähten Weg, als dass sie lief.
Thea und der andere Darkoner waren bereits im Inneren des Hauses verschwunden.
„Für den Oblivion brauchen wir mehr Darkoner als für den Rest dieser Bande", hörte sie Orion plötzlich hinter sich rufen. Alea riss die Augen auf.
Lennox!
Mit einer unbändigen Bewegung wirbelte sie unter Zeirus' Griff herum und blickte mit rasendem Herzen zurück zum Hubschrauber.
Dort wurde Lennox gerade von mindestens fünf Darkonern aus der Tür bugsiert, während er selbst nach Leibeskraft versuchte, von ihnen loszukommen.
„Lennox!", schrie Alea zu ihm zurück.
Lennox' Kopf wirbelte zu ihr herum und er vergaß für einen Moment, weiterzukämpfen.
Sofort nutzten die Darkoner ihre Gelegenheit, drehten ihm die Hände auf den Rücken und stießen ihn weiter vorwärts.
„Lennox!", schrie Alea erneut, aber Zeirus schob sie bereits schroff weiter.
„Nein! Nein! Lennox!", brüllte Alea panisch und wollte sich von Zeirus losreißen, doch der ließ sie nicht entkommen und zog sie inzwischen durch eine alte Tür. Alea versuchte mit letzter Kraft, sich am Türrahmen festzuklammern und sah gerade noch, wie die Darkoner den Oblivion auf den Boden drückten.
„Nein!"
Der Darkonerchef griff nach der Türklinke, riss Alea vom Rahmen los und zog sie zu.
Bevor die Tür jedoch ins Schloss fiel, hörte Alea noch, wie Lennox ihr etwas zurief.
„Ich finde einen Weg für uns, Yavani!"
Dann krachte die Tür mit einem lauten Poltern zu.
Sofort wich jegliche Kraft aus Alea, und sie sank auf die Knie.
„Lennox...", flüsterte sie noch einmal.
Tränen bahnten sich ihren Weg, und rannen über ihr Gesicht. Alea schluchzte auf.
„Lennox!"
Was würde Orion mit ihm anstellen? Wo brachte er ihn überhaupt hin? Die Darkoner waren mit ihm nicht in ihre Richtung gelaufen!
Tiefe Verzweiflung und ungemeine Trauer trafen sie unvorbereitet mitten ins Herz. Alea erkannte, dass sie auf sich allein gestellt war. Hier war niemand an ihrer Seite, dem sie vertrauen konnte.
„Steh auf. Du kannst jetzt nichts für ihn tun", brachte Zeirus kühl zum Ausdruck und wollte sie wieder auf die Beine hieven.
Aber Alea konnte nicht.
Sie hatte keine Kraft dafür.
Mutlos schlug sie sich die Hände vors Gesicht, und schluchzte in ihre Handinnenflächen. Sie bemerkte, wie der Darkonerchef sich neben sie kniete und sie grob auf den Armen weitertrug, aber Alea nahm kein einziges Mal die Hände herunter.
Erst als Zeirus eine quietschende Tür öffnete, hob sie den Blick und wischte sich unbeholfen über die Augen.
Sie standen in einem dunklen Flur, und es roch alt und muffig.
Die Tür, welche Zeirus soeben geöffnet hatte, führte hinunter in einen verlassenen Keller.
Alea erschauderte.
Keller hatte sie noch nie gemocht, und die Aussicht, nun in einem eingesperrt zu werden, gefiel ihr ganz und gar nicht. Aber sie konnte nichts dagegen tun, und im nächsten Augenblick trug Zeirus sie die Stufen hinunter, einen kalten Gang entlang zu einer weiteren Tür.
Dahinter lag ein großer, leergeräumter Raum. Es gab kein Licht, nur durch ein kleines, mit Gittern versehenes Kellerfenster fiel ein wenig Mondlicht, das auf dem rissigen Betonboden einen gespenstisch leuchtenden Kegel warf.
Zeirus setzte sie ohne weiteres auf dem Boden ab.
„Da drüben ist eine Decke", sagte er noch.
Dann schlug er die Tür zu und sperrte ab, ohne überhaupt Aleas Fesseln zu lösen.
Alea erzitterte.
Hier drinnen war es eiskalt, und Wände und Böden bestanden aus nichts als altem Stein und Beton. Dazwischen ächzten uralte Holzbalken unter ihrem Gewicht, und der Wind pfiff laut durch undichte Ritzen.
Alea zog die Knie an.
Doch dann stand sie etwas zitternd auf, lief mit wackeligen Schritten auf die Decke zu und verkroch sich in einer dunklen Ecke.
Das hier war ein lebendiger Horrorfilm.
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