Die Familie der Nelani und des Keblarr
Viel zu schnell war ihr Walritt auch schon wieder zu Ende, und sie mussten sich von den Walen verabschieden. Von weitem sah Alea bereits die Hercules, die ihre Freunde in der Zwischenzeit zu Wasser gelassen haben mussten, damit sie ihr Schiff problemlos wiederfinden konnten. Widerstrebend ließ sie die Finne des jüngeren Wals los, und auch Thea tat es ihr mit traurigem Gesichtsausdruck gleich. Die kleine Walfamilie schien zu wissen, was das bedeutete denn sie stießen einen langen und wehmütigen Klang aus, machten kehrt und schwammen davon. Schweren Herzens sah Alea ihnen nach. Es fühlte sich einfach nicht richtig an, ihnen nachzusehen und sich nicht vom Fleck zu rühren. Gedankenversunken kletterte sie an der Außenleiter an Bord und hob ihr Handtuch vom Boden auf, welches sie hatte fallen lassen, bevor sie ins Wasser gesprungen war. Inzwischen schien bereits der Mond hell am Himmel, umgeben von unzähligen kleinen Sternen, die wie Glitzerpartikel um ihn herum verteilt waren. Beinahe wie von selbst suchte Alea nach ihrem Stern – Polaris. Doch wie sie ihrem Kopf auch drehte und wendete – heute konnte sie ihn nicht am Himmel ausmachen. Sie schlang das Handtuch um ihren Körper und stapfte wortlos unter Deck, gefolgt von ihrer Schwester. Lennox und Cassaras blieben. Im Salon entdeckte Alea Tess, mit Aleas Handy in der Hand. Wahrscheinlich telefonierte sie mit Kit, denn ihr altes Handy hatte keine Videofunktion und an ihrem Smartphone klebte kein Skorpionfisch, anders als bei Alea. Als sie die beiden Schwestern bemerkte, sah Tess lächelnd auf. „Du wolltest Thea doch unbedingt kennenlernen", erzählte sie dann, ohne auf den Bildschirm zu sehen. Nun wusste Alea eindeutig, dass es sich bei der Person am anderen Ende um Kit handelte. Ohne ein weiteres Wort drehte Tess Aleas Handy herum, sodass die Kamera nun auf sie und Thea gerichtet war. Kit fiel die Kinnlade herunter.
„Das ist Anthea?", fragte sie dann ungläubig. Thea trat näher an Tess heran, um wohl von Kits Lippen lesen zu können. Dann nickte sie und lächelte freundlich. Kit lachte und fuhr sich durch die raspelkurzen Haare.
„Meine Güte, was hast du denn mit deinen Haaren angestellt?"
Theas Lächeln wurde breiter.
„Abgeschnitten", antwortete sie dann knapp, und Alea übersetzte automatisch für sie.
„Das sehe ich!", erwiderte Kit noch immer lachend. „Aber es ist auch mal interessant zu sehen, wie Alea mit kurzen Haaren aussehen würde. Bisher kenne ich sie ja nur mit langen."
„Und das wird auch so bleiben!", warf Alea entschieden ein. Thea trat noch näher an Aleas Handy heran und schien nun auch Kit zu mustern.
„Du bist Kit, richtig? Die Brim?", fragte sie dann. Kit nickte.
„Deine Frisur ist cool", komplimentierte Thea. „Ich mag kurze Haare."
Die Brim lächelte verlegen. „Deine Frise ist auch.. ziemlich abgefahren. Hätte ich, ehrlich gesagt, nicht erwartet."
Diesen Satz verstand Thea wohl nicht ganz, denn sie drehte sich bittend zu Alea. Die wiederholte, was Kit gesagt hatte so gut sie konnte in Gebärdensprache. Thea nickte daraufhin und wandte sich wieder Kit zu. „Warum bist du nicht hier an Bord?"
Kit seufzte. „Ich wurde bei einer Demo in Marseille von der Polizei geschnappt", erklärte sie kurz.
Thea setzte eine betroffene Miene auf. „ Das ist nicht gut."
Aber Kit winkte ab. „Ach was, ich musste nicht zurück zu meinen Pflegeeltern, sondern bin in einem betreuten Wohnheim eingezogen. Hier wohnt auch der Opa von Ben und Sammy, Opa Ernst. Er ist gehörlos, wie du."
Thea schnappte nach Luft. „Deshalb können die beiden so gut gebärden? Weil ihr Opa gehörlos ist?", hakte sie dann nach. Die Brim nickte. „Ja, wenn du willst, kann er mal per Videochat mit dir sprechen. Jetzt schläft er aber wahrscheinlich schon."
Theas Augen funkelten. „Ich würde ihn gerne mal kennenlernen", antwortete sie dennoch freudig überrascht.
„Apropos kennenlernen", schaltete Alea sich ein, denn ihr war etwas eingefallen. „Ich würde gern Nelani und Keblarr anrufen, damit sie mit Thea sprechen können."
Tess nickte. „Ich werde unser Gespräch gleich beenden, dann könnt ihr eure Eltern kontaktieren."
Thea wirbelte herum. „Du willst unsere Eltern anrufen?", gebärdete sie aufgeregt und mit weit aufgerissenen Augen.
Alea nickte. „Ja, das möchte ich."
Kaum hatte sie das gesagt, stürmte Thea an ihr vorbei in die Mädchenkajüte und knallte die Tür hinter sich zu.
„Wow, das ging aber flott", kommentierte Kit. Alea lächelte nur. Sie konnte die Aufregung ihrer Schwester sehr gut nachvollziehen. Insgeheim war sie selbst auch ein wenig aufgeregt, denn in wenigen Minuten würden sie das erste Mal zu viert wieder miteinander sprechen.
„Ich ziehe mich auch schnell um", verabschiedete sie sich von Kit, winkte in die Kamera und verschwand ebenfalls in der Mädchenkajüte. Dort hatte Thea bereits einige ihrer eigenen Kleidungsstücke aus dem Rucksack herausgezogen, denn sie lagen ausgebreitet vor ihr und Thea musterte jedes einzelne genauestens. Alea tippte sie an.
„Du kannst auch etwas von meinen Sachen anziehen", schlug sie vor und öffnete nebenbei ihren Kleiderschrank. Thea lugte hinein. Was sie sah, gefiel ihr offensichtlich denn sie stellte sich augenblicklich davor und begann zu wühlen.
„Du hast echt cooles Zeug", gebärdete sie währendessen. Alea lachte und schlüpfte leise ins Bad. Ihre eigene Kleidung lag hier noch immer, und sie machte sich daran, sich selbst auch umzuziehen. Als sie wenig später wieder in die Kajüte trat, hielt Thea gerade eine schwarze zerissene, mit Perlen bestickte Jeans von Alea in der einen, und ihr eigenes, neonorangefarbenes T-shirt in der anderen Hand. Ratlos glitt ihr Blick über Aleas Kleiderchaos.
„Ich trage immer Jacken zu meinen Outfits, weißt du? Aber ich habe keine Ahnung, welche das dieses Mal sein soll", erklärte sie gebärdend in Aleas Richtung. Offenbar hatte sie aus dem Augenwinkel bemerkt, wie Alea aus dem Badezimmer gekommen war. Alea stellte sich neben sie und besah sich ebenfalls ihrer Kleiderhaufen. Dann zog sie eine petrol-karierte Hemdjacke aus einer der hintersten Ecken.
„Wie wäre es damit?", fragte sie ihre Schwester. Thea nahm ihr das Kleidungsstück vorsichtig aus der Hand und probierte es an.
„Nicht schlecht", erwiderte sie dann zufrieden. „Aber es fehlt noch etwas."
Sie schien kurz zu überlegen und ging an ihren Rucksack. Eine Weile kramte sie darin herum, doch dann zog sie mit einem triumphierenden Ha! eine Bakerboy-Mütze aus schwarzem Jeansstoff hervor und setzte sie sich leicht schief auf den Kopf. Beeindruckt sah Alea sie an. Sie öffnete eine kleinere Schublade im inneren ihres Schrankes und nahm mehrere Perlenketten heraus, die sie Thea schließlich entgegenhielt. Die nickte und legte sich eine nach der anderen um, bis sie schließlich fünf Ketten in allen möglichen Längen um den Hals trug.
„Hammer", kommentierte Alea, sobald Thea sich stolz hin und her gewendet hatte. Die zwinkerte.
„Wir sind halt Fashionistas", gebärdete sie, wobei sie das Wort Fashionistas buchstabierte. Glücklich legte Alea einen Arm um ihre Schulter.
„Jetzt fehlen nur noch Nelani und Keblarr." Feierlich sah sie ihre Schwester an, und im Gleichschritt maschierten sie zur Tür hinaus, zurück in den Salon zu Tess. Die beendete dort gerade ihr Videotelefonat mit einem „Au revoir, ma chérie." Dann legte sie auf und hielt Alea ihr Handy entgegen.
„Viel Glück", wünschte sie noch, stand auf und verschwand nach oben. Nervös setzte Alea sich auf Lennox' Schlafsofa, und Thea nahm neben ihr Platz. Zitternd wählte Alea die Nummer ihrer Eltern, dieselbe, von welcher sie auch am vergangenen Tag angerufen worden war. Mit klopfendem Herzen stellte sie die Videofunktion ein und wartete, dass die Verbindung hergestellt wurde. Thea neben ihr verkrampfte aufgeregt die Finger im Stoff des Sofas und setzte sich kerzengerade hin. Das Handy wählte. Nehmt ab, flehte Alea in Gedanken und hoffte inständig, dass ihre Eltern noch nicht schliefen. Das taten sie nicht. Denn kurz nachdem Alea das gedacht hatte, wurde der Anruf angenommen, und Nelani und Keblarr erschienengemeinsam auf dem Bildschirm. Alea sah, wie Nelani fröhlich zu einer Begrüßung ansetzte, doch als sie Thea neben ihrer Tochter erblickte, erstarrte sie augenblicklich. Keblarr öffnete den Mund und schien etwas sagen zu wollen, aber es kam kein Ton heraus. Lange starrten sie einander alle vier einfach nur an und die bedeutsame Stille prickelte wie Elektrizität auf Aleas Haut. Und dann, von einem Moment auf den anderen, begann Thea zu weinen. Tränen strömten über ihr Gesicht und sie schluchzte immer wieder zittrig. Sofort nahm Alea sie in den Arm, aber sie spürte, wie auch in ihr Tränen aufstiegen und sie haltlos zu schluchzen anfing. Weinend vor Glück umklammerten sie sich gegenseitig während Alea zudem darauf achtete, nicht ihr Handy fallen zu lassen. Ihre Schwester vergrub ihr Gesicht in Aleas Felljacke. Alea legte ihren Kopf seitlich auf Theas und betrachtete durch Tränen hindurch ihre Eltern. Nelani weinte stumm, denn ihr Gesicht war Tränenüberströmt und in Keblarrs Augen glitzerten ebenfalls Tränen.
„Meine Töchter", flüsterte er dann erstickt und es schien, als könne er selbst noch gar nicht glauben, sie wahrhaft wieder vereint zu sehen. Alea lächelte mit zitternder Unterlippe und strich mit einer Hand über Theas Rücken, die noch immer hemmungslos an ihrer Schulter weinte. Doch dann drehte diese den Kopf zur Seite, sodass auch sie wieder mit geröteten Augen in die Kamera blickte.
„Nie-Niemals hätte ich gedacht - oder besser gehofft...", begann Nelani mit bebender Stimme, doch dann unterbrach sie sich selbst und schluchzte heftig auf. „Niemals hätte ich mir träumen lassen, euch beide irgendwann wieder gemeinsam zu sehen", weinte sie dann und stützte sich auf die Schulter ihres Mannes. Thea schüttelte heftig den Kopf, als hätte sie das auch nicht getan.
„Und jetzt - jetzt sitzt ihr so plötzlich zusammen vor der Kamera", fuhr Nelani bewegt fort und wischte sich die Tränen weg. Alea lachte bewegt auf, und selbst Thea brachte ein kleines Lächeln zustande.
„Ich kann das gar nicht glauben", sagte Nelani und presste sich die Hand aufs Herz.
„Das musst du", flüsterte Alea und wischte sich ebenfalls die Tränen aus ihrem Gesicht. Nelani lachte perlig und zugleich erstickt.
„Ja, das muss ich wohl."
Thea hob die Hände und schien etwas gebärden zu wollen, aber dabei zitterte sie so heftig, dass Alea nichts verstand und sie bat ihre Schwester, den Satz zu wiederholen. Aber auch diesmal klappte es nicht.
„Jetzt bräuchten wir Cassaras als Übersetzer", brummte Alea in sich hinein.
Nelanis Augen wurden zu Schlitzen. „Ist er nicht mehr da?" fragte sie. Alea nickte jedoch.
„Doch, aber er ist wahrscheinlich mit Lennox an Deck."
Nelani neigte den Kopf. „Ich würde nachher nämlich gern mit ihm sprechen", erklärte sie.
„Wir können ihn später dazuholen", versprach Alea sofort. „Ja, später. Jetzt geht es erst einmal um euch beide", ergänzte Nelani und sah dabei Thea an. Die schluchzte inziwschen zwar nicht mehr, über ihr Gesicht liefen allerdings nach wie vor Tränen.
„Ich dachte immer, meine Eltern sind tot", begann Thea nun weniger zitternd zu erzählen, sodass Alea übersetzen konnte.
„Aber das sind wir nicht. Jahrelang habe ich nach euch beiden gesucht, und dann...dann kam Aleas Wanderernachricht durch Zufall bei mir an", entgegnete Nelani. „Hätte ich gewusst, dass du in Orions Händen landen würdest..."
Wieder wurde sie von Schluchzern geschüttelt. Keblarr legte tröstend einen Arm um sie und drückte sie seitlich an sich.
„Oder hätte ich gewusst, dass ich den Virus überleben würde, dann hätte ich euch beide niemals fortgegeben! Aber ich..."
„Du dachtest, du musst sterben", vollendete Thea den Satz. Nelani nickte traurig.
„Anstatt zu sterben, habe ich überlebt. Und scheinbar ist meine Immunität euch beiden vererbt."
„Zum Glück!", mischte Alea sich wieder ein. „Sonst hätten wir eben nicht schwimmen gehen können." Überrascht hob Nelani die Augenbrauen. „Ihr wart zusammen schwimmen?"
„Ja!", erklärten die Zwillinge gleichzeitig, wobei Thea natürlich gebärdete. Abwechselnd erzählten sie ihren Eltern nun von ihrem spontanen Ausflug nach Atlantis, und wie sie schließlich auf Walen wieder zurückgeritten waren.
„Ihr seid auf Walen geritten?", fragte Keblarr nun erstaunt. Alea und Thea nickten gleichzeitig.
„Wir haben unsere Anker schon davor gesetzt", beruhigte Alea ihren besorgt wirkenden Vater sogleich. Keblarr nickte erleichtert. „Ohne Anker zu wandern ist in eurem Alter verdammt gefährlich", fügte er dann mehr zu sich selbst hinzu.
„Ich weiß. Aber wir hatten Begleitung", stimmte Alea ihrem Vater zu und Nelani lächelte als wüsste sie, wer diese Begleitung war. Dann richtete sie das Wort wieder an Thea. „Seit wann bist du wieder bei deiner Schwester?", fragte sie einfach. Thea lächelte und begann zu erzählen. Aber sie begann nicht erst bei diesem Abend, sondern sie fing mit ihrer ersten Begegnung in Sankt Goarshausen an. Davon, wie sie eine Woche lang sehnsüchtig auf ihre Audienz bei der Loreley gewartet hatte und wie plötzlich Alea aufgetaucht war, als sie gerade mit dem Nixenprinzen Selbstverteidigung geübt hatte. Völlig neu waren Alea die Kampfkünste ihrer Schwester nicht, aber sie hatte nicht gewusst, dass der Prinz sie ihr scheinbar so ernsthaft antrainiert hatte. Mit schnellen Worten erzählte Thea, was bei der Loreley und in der Fischhalle geschehen war und wie Orion sie letztenendes doch wieder geschnappt hatte und mit ihr nach Italien gegangen war. Dort wurde sie jedoch bereits nach wenigen Tagen von Cassaras und "einem entzückenden Kobold" befreit, wie sie Sweeney in ihrer Erzählung nannte. Die Gruppe der Magischen war aber leider nicht mit ihr und dem Prinzen gekommen, sondern bei Orions Pension geblieben. Schließlich berichtete Thea noch von ihrem Wiedersehen mit Alea, und wie sie all die anderen Bandenmitglieder endlich kennenlernen und die Crucis betreten durfte. Nelani schnaufte.
„Ich bin so froh, dass Orion dir nichts schlimmes angetan hat", stieß sie dann hervor. Thea schüttelte den Kopf. „Das würde er nicht. Das schlimmste, das er mir jemals angetan hat, war, mich aus falschen Gründen wegzusperren und mir mein gesamtes Leben lang vorzugaukeln, ich sei bei meinem leiblichen Vater." Ihr Blick richtete sich auf Keblarr. „Ich wusste nicht, dass du eigentlich ganz in der Nähe warst..."
Keblarr lächelte traurig. „Ich wusste es auch nicht, mein Kind."
Da betrat Lennox den Salon. Als er Alea mit dem Handy in der Hand sah, schien er sofort zu wissen, was das zu bedeuten hatte. Alea winkte ihn zu sich.
„Komm her", bat sie ihn. Da fiel ihr auf, dass sie gerade einen Imperativ benutzt hatte und korrigierte sich schnell: „Nein, ich meine, du darfst herkommen, wenn du möchtest." Entschuldigend lächelte sie ihn an. Lennox tat, als wäre nichts gewesen und setzte sich einfach neben sie. „Hi", sagte er dann in die Kamera. Keblarr hob die Hand zum Gruß, aber Nelani strahlte ihn förmlich an.
„Hallo Lennox", begrüßte sie ihn mit einem breiten Lächeln. „Seit wir das letzte Mal gesprochen haben, ist wohl einiges passiert", fuhr sie dann mit Blick auf Thea und Alea fort. Lennox rieb sich über die Stirn. „Hmm, das kann man so sagen."
Nelani lachte. „Auch wenn gerademal vierundzwanzig Stunden dazwischen waren."
Lennox lächelte. „Bei uns wird es eben nie langweilig."
„Bei uns auch nicht. Erst heute wurden wir beinahe von einem Sicherheitsangestellten entdeckt. McDonnahall konnte ihn aber im letzten Moment weglocken", berichtete Nelani.
,,Wie weit bist du eigentlich mit deinen Forschungen?", fragte Alea sie. In all dem glücklichen Beisammensein hatte sie das ganz vergessen!
„Nun, ich habe große Fortschritte! Bereits die dritte Kultur hat auf den Virus angeschlagen!", antwortete Nelani mit Begeisterung in der Stimme.
Alea jauchzte auf.„ Wirklich?"
Nelani nickte. „Ja, ich bin kurz davor, ein Gegenmittel zu finden", versicherte sie Alea. Doch dann zog sie die Stirn kraus.
„Was den Magischenvirus angeht, stehe ich allerdings fast noch am Anfang", bedauerte sie. Da fiel Alea etwas ein. „Wir vermuten, dass Orion den Virus mit Cassaras DNA entwickeln will, denn er hat ihm mehrmals Blut abgenommen. Vielleicht hat er noch Proben im Labor", stellte sie vage in Aussicht. Nelani stöhnte. „Darauf hätte ich auch von selbst kommen können", murmelte sie.
„Worauf hättest du von selbst kommen können?" bohrte Alea nach.
„Ich habe vor ein paar Tagen gekühlte Blutproben gefunden. Deine waren es nicht, das habe ich getestet. Aber ich konnte mir keinen Reim darauf machen", erklärte Nelani.
„Wahrscheinlich sind das die von Cassaras!", rief Alea und war froh, dass Orion scheinbar noch einige Proben zurückgelassen hatte. Nelani nickte zustimmend.
„Wo ist er eigentlich?", fragte sie dann.
„Er steht immer noch oben", antwortete Lennox. „Wieso fragst du?"
„Weil ich mit ihm sprechen möchte und dachte, er kommt gemeinsam mit dir herunter", erwiderte Nelani. Lennox nickte und stand auf.
„Ich kann ihn schnell holen." Mit diesen Worten drehte er sich um und lief, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf. Keine zwanzig Sekunden später war er auch schon wieder zurück. Hinter ihm stiefelte der Nixenprinz mit verschlossener Miene, aber als er Theas tränenüberströmtes Gesicht sah, runzelte er besorgt die Stirn.
„Was ist passiert?", fragte er mit seiner tiefen Stimme und gebärdete nebenbei für Aleas Schwester. Wortlos drehte Alea ihr Handy zu ihm herum. Cassaras zog die Brauen in die Höhe.
„Ihr habt eure Eltern angerufen?"
Thea nickte und klopfte auf den freien Platz neben sich.
„Setz dich zu uns."
Zögernd tat der Prinz, was sie wollte und ließ sich langsam auf dem Sofa nieder. Alea drehte den Handybildschirm wieder in ihre Richtung und sah ihre Mutter an.
„Du wolltest..", begann sie und wies mit ihrer freien Hand auf Cassaras. Nelani nickte und wandte sich an den Nixenprinzen.
„Danke", stieß sie mit aufgewühlter Stimme hervor. Augenblicklich sah Cassaras fort. Alea wusste, dass der Prinz es gar nicht leiden konnte, wenn sich jemand bei ihm bedankte, aber Thea boxte ihn mit dem Ellbogen seitlich in die Rippen.
"Sieh sie an!", gebärdete sie mahnend. Langsam richtete Cassaras den Blick wieder in die Kamera, aber Alea hatte das Gefühl, dass er eher auf die Wand gegenüber starrte als auf ihr Display. Nelani schien das jedoch relativ egal zu sein, denn sie fuhr einfach fort.
„Danke, dass du Thea da raus geholt hast. Ich weiß nicht ob... sie ohne dich noch ein Meermädchen wäre." Cassaras schnaubte nur und wollte ihren Dank wohl eher als völlig übertrieben abtun. Thea trat ihm auf den Fuß und warf ihm einen bösen Blick zu, aber der Prinz tat, als würde er sie nicht bemerken und starrte einfach weiter geradeaus. „Hmmm", brummte er abwesend und schien nicht mehr dazu sagen zu wollen.
„Wie lange bleibst du?", wollte Nelani von ihm wissen. Sie hatte ihn das wenige Wochen zuvor schon einmal gefragt, doch damals wusste niemand, dass er Thea kannte und mit ihr befreundet war.
Aber diesmal antwortete Cassaras richtig. „Bis ich nicht mehr gebraucht werde."
Überrascht zog Nelani eine Augenbraue in die Höhe und auch Keblarr sah ihn an, als glaubte er, sich wohl verhört zu haben. Der Prinz zuckte jedoch nur mit den Schultern.
„Und wann wäre das?", bohrte Nelani trotzdem nach.
„Das entscheide nicht ich", entgegnete Cassaras kühl und wollte das Gespräch wohl damit beenden, denn er stand auf. „Wer entscheidet das?", fragte nun Alea, denn das wollte sie um jeden Preis wissen. Der Prinz drehte sich aber nicht zu ihr um, sondern lief in die Küche.
„Du nicht", zischte er dann in seinem üblichen Ton. „Sondern deine Schwester."
Den letzten Satz sprach er kaum hörbar aus, aber Alea hatte ihn trotzdem verstanden. Ihr stockte der Atem. „Meine Schwester?!", rief sie schrill und sprang auf, aber Cassaras knallte zur Antwort bloß die Tür hinter sich zu. Vollkommen baff stand Alea da. Der Prinz hatte gerade indirekt erklärt, dass er die Alpha Cru nicht mehr verlassen wollte. Und das, obwohl er wochenlang betont hatte, mit ihnen nichts am Hut haben zu wollen! Wie konnte das sein? Hatte sein Sinneswandel sein Denken derart umgestellt, dass er freiwillig bleiben wollte? Moment, schaltete sich ihr Verstand ein. Wahrscheinlich blieb er in erster Linie für Thea. Er wollte sie beschützen, und das wohl nicht nur vor Orion. Zudem war Lennox seine einzige Verbindung zu seiner Familie, denn sowohl seine Mutter als auch sein Vater und Halbbruder waren tot. Und vielleicht war genau das, das Gefühl Teil einer Familie zu sein etwas, das ihn dazu bewegte bei ihnen zu bleiben. Würde er gehen, wäre er wieder genauso einsam wie früher und ganz bestimmt wollte er das nicht. Zwar zeigte er das nicht offen, aber Alea hatte inzwischen den Eindruck, den Nixenprinzen gut genug zu kennen um zu wissen, dass es genau so war. In diesem Moment räusperte sich Thea hinter ihr und Alea fuhr, aus ihren Gedanken gerissen, zu ihr herum.
„Kannst du mir bitte erklären, was passiert ist?", bat ihre Schwester sie und Alea bemerkte, dass sie schon länger nicht mehr gebärdet hatten, um das Gespräch für Thea verständlich zu machen. Also gab sie ihr schnell das Handy mit dem Videocall und fasste die vergangenen drei Minuten knapp zusammen. Als sie endete, schüttelte Thea den Kopf.
„Ich will und ich werde das auch nicht entscheiden", beschloss sie. „Das muss er selbst tun." Das war Alea klar. Auch sie hasste es, über andere Entscheidungen treffen zu müssen, weswegen sie in ihrem Kopf in jeder freien Minute nach einer Lösung für den Herinnenschwur suchte. Bisher ohne Erfolg. Orion war nicht einfältig, er musste alle möglichen Lösungen in seinem Serum verhindert haben, damit genau so etwas nicht passieren konnte. Allerdings hatte er wohl nicht damit gerechnet, dass Lennox Alea den Schwur leisten würde, und nicht ihm. Der Gedanke an den Herinnenschwur frustete Alea zwar, aber sie beschloss, dass jetzt nicht der richtige Augenblick war, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
„Ein äh ... schwieriger Charakter", meldete sich plötzlich Keblarr zu Wort.
Thea widersprach. „Eigentlich ist er total in Ordnung, wenn man ihn mal besser kennt." Daraufhin sah Keblarr sie an, als hielte er das für sehr unwahrscheinlich, aber er widersprach nicht. „Bleibt ihr noch lange in Orions Villa?", wollte Thea nun wissen. „So bald kommt er nämlich bestimmt nicht..."
Nelani schüttelte den Kopf. „Nein. Bis das Gegenmittel fertig ist, kann es sich nur noch um ein bis zwei Tage handeln. Länger wollen wir auch nicht mehr bleiben."
Ein glückliches Lächeln stahl sich in ihre Mundwinkel. „Ganz besonders jetzt, wo ihr beide auf uns wartet, möchte ich keine Sekunde zu viel hier verbringen."
„Lasst euch Zeit. Wir bleiben hier, bis ihr zu uns kommt", mischte sich nun auch Alea wieder ein. Aber der Gedanke, dass ihre Eltern so bald schon wieder zu ihnen stoßen würden, machte sie innerlich ganz wuschig. Denn mit ihrer Ankunft würde endlich mehr als nur ein lang ersehnter Traum in Erfüllung gehen: die Rückkehr der Meerwelt und die Wiedervereinigung von der Familie der Nelani und des Keblarr. „Lasst uns morgen wieder telefonieren. Ich bin nämlich gespannt zu wissen, wie denn euer Rom-Plan verlaufen ist", schlug Nelani nun schmunzelnd vor. Das Gespräch neigte sich merklich dem Ende. Etwas traurig stimmten die Zwillinge dem Vorschlag ihrer Mutter zu. Der schien der Gesichtsausdruck ihrer Töchter nicht zu entgehen und sie sagte ermunternd: „Ihr schafft das. Ihr seid meine Mädchen, Alea und Anthea. Und wenn wir gemeinsam wieder bei euch sind, kann nichts und niemand je wieder dafür sorgen, dass uns etwas trennt." Das brachte Alea zum lächeln. „Möge euch stets guter Wellenschlag begleiten", flüsterte sie, während Thea neben ihr in die Kamera winkte. Dann verschwanden Nelani und Keblarr, und der Bildschirm wurde schwarz.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top