Türchen 2: Invasion der Kobolde

(POV Ben)

Die Crucis segelte friedlich den Sternen nach in Richtung Süden. Ich genoss die sanften Bewegungen unseres Zuhauses, als ich den alten Kahn in der tiefen Nacht auf Kurs hielt. Über mir strahlte das Sternbild der Waage auf mich herab und ich lächelte glücklich. Ich hatte mich freiwillig für die Nachtwache gemeldet, um Scorpio etwas Ruhe zu verschaffen, der in letzter Zeit fast immer angespannt war, damit es ihm nicht entging, würde Orion ihnen auflauern. Glücklicherweise sorgte mein kleiner verrückter Skipper für etwas Ablenkung. Erst gestern hatte er Alea zum Kekse machen gebracht, was schließlich in einer Mehlschlacht geendet hatte.

„Ich kann nicht schlafen, was dagegen, wenn ich übernehme?", ertönte plötzlich eine Stimme und ich seufzte auf.

Wenn ich ehrlich war, hätte mich eine vollständige Nachtwache auch gewundert. Langsam drehte ich den Kopf und erblickte Lennox schräg hinter mir. In der Nacht sah er beinahe zum Fürchten aus, wie er mit seinen wehenden schwarzen Haaren und den azurblauen Augen aufrecht im Mondlicht stand. Ein wahrer Krieger.

„Scorpio, wieso ruhst du dich nicht einen Tag aus, du hast doch schon die letzten Wachen übernommen?", versuchte ich einen verzweifelten Versuch, meinen besten Freund doch noch zurück auf sein Schlafsofa zu verbannen, allerdings blieb der Oblivion stur.

„Mir geht's gut, Ben. Geh schlafen, ich bleibe hier. Ich liebe sternklare Nächte, das weißt du genau, es macht mir also nichts aus.", sagte Lennox und lächelte mich an.

In seiner Miene erkannte ich aber auch eine tiefe Erschöpfung und große Sorge. Lag es daran, dass Orion uns jagte? Es beunruhigte uns alle, auch wenn wir lernten, mit der Situation zu leben. Niemand würde unsere Mission aufgeben, selbst wenn dieser Verbrecher sie über alle Weltmeere jagte. Lennox beschütze die Alpha Cru. Für Alea würde er sogar ohne zu zögern sein Leben geben. Ich konnte bloß hoffen, dass dieser Moment niemals eintreffen würde.

„Na schön, aber morgen wirst du die Nacht durchschlafen, mein Freund. Und dann dulde ich keinen Widerstand, schließlich bin ich immernoch der Kapitän.", gab ich schließlich nach und verließ meinen Platz am Steuer.

Als ich an Lennox vorbeiging, legte ich ihm eine Hand auf die Schulter.

„Du trägst die Verantwortung über unsere Freiheit nicht allein, Lennox. Bitte setze dich nicht so sehr unter Druck, momentan droht uns keine Gefahr vor Orion. Und wenn es wieder gefährlich wird, werden wir Seite an Seite kämpfen. Zusammen ist die Alpha Cru nunmal am stärksten. Auch wenn du Alea beschützen willst, vergiss bitte niemals, dass wir eine Familie sind, Scorpio."

Mit diesen Worten ließ ich unseren Krieger allein und machte mich auf den Weg zur Jungskajüte. Sammy hatte sich mal wieder in Aleas Bett verkrochen, denn sein Bett war leer. Laut gähnte ich. Eine Mütze Schlaf würde mir wohl auch ganz gut tun.

Schnell zog ich mich um und legte mich ins Bett. Dann schlief ich mit dem Gedanken an meine Freunde ruhig ein.

Ich träumte von meinem ersten Abenteuer auf der Crucis.

Zumindest bis mich ein Schrei aufschrecken ließ...

(POV Tess)

Unsere kleine Nervensäge hatte sich mal wieder zu Alea begeben. Zu allem Überfluss hatte er auch noch seine Hupe dabei. Mir wären beinahe die Ohren abgefallen, weshalb ich mich in die Küche verzog. Lennox' Sofa war leer, wahrscheinlich übernahm er erneut Bens Wache.

Ich setzte mich und grübelte. Meine Gedanken fanden ziemlich schnell ihren Weg zu Kit, wie eigentlich immer, wenn ich allein war. Ich vermisste sie unfassbar und war zugleich dermaßen stolz auf sie, dass ich es nicht in Worte fassen konnte.

Ich nahm mir einen von Aleas Keksen, die sie vor kurzem gebacken hatte und schon mir das Gebäck genüsslich in den Mund. Backen konnte unsere Elvarion wirklich excellent.

Mon Dieu, wie viele Talente konnte man haben?

Als ich nach einem weiteren Plätzchen greifen wollte, fasste ich jedoch ins Leere. Überrascht stellte ich fest, dass die Keksdose bloß noch einige Krümmel enthielt. Aber wie konnte das sein, gestern war sie immerhin noch voll?

Plötzlich hörte ich ein seltsames Geräusch. Es kam von Lennox' Schlafsofa! Langsam ging ich auf den Laut zu und setzte zur Sicherheit mein Pokerface auf. Falls das ein Scherz von Sammy sein sollte, konnte der was erleben!

Es klang wie ein Schmatzen, allerdings konnte ich nichts erkennen. Erst jetzt bemerkte ich, dass überall auf dem Boden kleine Keksstücke verteilt waren, die mehrere Spuren in verschiedenen Richtungen bildeten. Ich folgte einer Krümmelspur zum Sofa und beugte mich leise über die Lehne.

Auf einmal schoss etwas kleines auf mein Gesicht zu und warf mich um. Ich stieß einen lauten Schrei aus, als ich auf dem Boden landete und starrte auf das Wesen, welches nun auf meiner Brust saß. Es war ein roter Kobold und er sah mich bedrohlich an. In der Hand hielt er zwei von Aleas Keksen.

(POV Lennox)

Come in the mighty sea
And swim under the wind with me
My heart is open for your love
Bring its light back where it was.

Die Zeilen waren mir unter dem Sternenhimmel zugeflogen und nun sang ich sie leise vor mich hin. Vielleicht würde irgendwann ein Song daraus werden.

In der Nacht fühlte ich mich, als würden die Schatten mich verschlingen. Manchmal legten sie sich wie eine Decke um meinen Körper und spendeten Wärme und Sicherheit, doch ab uns an drohten sie mich auch zu verschlingen. Die Dunkelheit war sowohl Freund als auch Feind für mich. Auf der Straße waren sie meine Verbündeten, ein Komplize zum Stehlen und Verstecken, allerdings lehrten sie mich auch, stets mit anderen Gestalten zu rechnen, welche von den Schatten verschleiert wurden.

Doch die Stille der Nacht wurde von einem lauten Schrei jäh durchbrochen. Tess! Sie würde niemals grundlos schreien! Panik kochte in mir hoch und ich aktivierte den Autopilot. Und stürmte auf dem Deckshaus. Bevor ich allerdings die Tür zum Salon aufstoßen konnte, schlang sich plötzlich etwas um meinen Körper und riss mich zu Boden. Ich versuchte mich zu befreien, doch dadurch schränkte sich meine Bewegungsfreiheit bloß noch mehr ein. Dann spürte ich auf einmal einen Ruck und konnte mich kein Stück mehr rühren. Ein scharfes Material schnitt mir in die Haut und ich knurrte wütend. Jemand hatte meine Unachtsamkeit ausgenutzt und mich in einem Netz gefangen. Eiskalt lief es mir den Rücken herunter. Angst löste einen Sturm in mir aus. Hatte Orion uns etwa überfallen? Ich drehte den Kopf und stellte überrascht fest, dass das Netz aus einem grünen Material bestand. Es erinnerte mich irgendwie an...Seetang?

„Ha, damit hast du wohl nicht gerechnet, was Oblivion?!", ertönte eine Stimme neben mir.

Jetzt erkannte ich endlich die Angreifer. Verwunderung durchflutete meinen Körper, als ich unfassbar viele Kobolde an Bord sah. Einer der Magischen stand direkt vor mir und funkelte mich an.

„Was zum...! Was soll das! Wieso greift ihr uns an?", fragte ich gereizt auf Hajara.

Ich konnte mir nicht vorstellen, wieso uns die Magischen angreifen sollten.

„Die Gefahr haben wir eliminiert, jetzt können wir reden.", verkündete ein grüner Kobold.

Dann öffneten die Kreaturen die Tür zum Salon und stürmten in den Raum. Ich versuchte noch immer, irgendwie aus dem Netz freizukommen, ohne Erfolg. Im Gegenteil, je mehr ich mich wehrte desto stärker zog sich das Netz zusammen. Ich hatte keine Chance.

„Rührt meine Freunde nicht an!", schrie ich ihnen nach, doch keiner reagierte.

Stattdessen zerrten sie mich plötzlich mit sich, bis ich im Salon lag, mit mindestens dreißig Kobolden auf mir, die mich zusätzlich zu Boden drückten. Das Licht wurde entzündet und erhellte den kleinen Raum. Da entdeckte ich Tess auf dem Boden, auf deren Brust ein roter Kobold saß. Ihr Blick schoss zu mir und ihre Augen weiteten sich geschockt.

„Lennox!", rief sie.

Dann stürmten auch die anderen Mitglieder der Alpha Cru in den Raum.

(POV Erzähler)

Alea, Sammy und Ben betraten den Salon und erstarrten augenblicklich bei dem Bild, das sich ihnen bot. Überall befanden sich Kobolde, Lennox lag in einem Netz gefangen auf den Boden, viele Kobolde auf sich und Tess lag geschockt vor Lennox' Schlafsofa. Im ganzen Raum waren Kobolde im allen Farben, allerdings wirkten sie nicht grade freundlich.

„Was ist denn hier los?", fragte Ben, der sich am schnellsten gefasst hatte.

Aleas Kopf schaltete in den Elvarion-Modus, als sie ihren Krieger bewegungsunfähig am Boden sah.

„Ihr Kobolde, weshalb überfallt ihr uns, wir stehen doch auf der selben Seite?", fragte sie in der Wassersprache und übersetzte danach schnell für die Landgänger unter ihnen.

„Wir sind der Clan des Sjó und sind gekommen, um diese Schande hier zu beseitigen. Wir lassen nichts zu, dass die Kinder der See wie dieser Abschaum werden, der unsere Heimat zugrunde richtet!", sagte ein orangener Kobold stolz, der auf Lennox Kopf stand.

Die Alpha Cru wechselte geschockte Blicke.

„Was redet ihr da. Ihr sprecht mit der Elvarion der letzten Generation und ihren Freunden! Wir kämpfen für die Meere! Wir alle! Auch die Landgänger unter uns. Wir würden unserer Heimat nie schaden!", meldete sich Lennox wütend zu Wort.

Alea war beeindruckt vom ihrem Krieger. Sie selbst hatte es nicht geschafft, etwas Passendes auf die Worte des Kobolds zu erwidern, doch Lennox verteidigte sie mit allen Mitteln.

„Wir sind nicht blöd, dharrkon, euch vertrauen wir, aber ihnen nicht!", sprach der orangene Kobold.

Als wäre dies ein geheimes Zeichen, stürzte sich der Sjó Clan auf die Landgänger.

„STOP!", donnerte plötzlich eine laute Stimme durch den Raum und die Magischen erstarrten.

Alle Blicke richteten sich auf Alea. Auf die Elvarion der letzten Generation, der Person, die dazu bestimmt war, die Meerwelt zu retten.

Sie stand aufrecht im Raum, ihre klargrünen Augen strahlten förmlich und sie hatte die Hände vor der Brust verschränkt.

„Jetzt hört mir mal zu, ihr Magischen. Ich bewundere euren Einsatz für die Meerwelt, aber ihr könnt nicht alle Landgänger als Abschaum bezeichnen. Doktor Orion und viele andere mächtige Menschen verpesten die Meere und fast niemand tut etwas dagegen. Doch es gibt auch Landgänger, die für die Ozeane kämpfen! Meine Freunde kämpfen gegen den Gretzerkönig und haben schon mehrmals ihre Leben für die Meerwelt riskiert! Es gibt niemanden, der treuer ist und der See gegenüber so loyal wie sie! Diese Landgänger sind Helden! Diese Landgänger sind meine Familie! Und ihr glaubt allen Ernstes, ihr könntet mich von ihr trennen? Ihr glaubt wirklich, es würde der Meerwelt helfen, wenn ihr meinen Krieger überfallt, meine Freunde attackiert und einen Rachefeldzug gegen sämtliche Landgänger dieser Welt führt?! Ich bin Alea Aquarius, die Elvarion letzter Generation und ich brauche meine Freunde, meine Familie, um den Gretzerkönig und sein Gefolge zu besiegen!"

Es herrschte Stille. Die Kobolde schienen zusammengeschrumpft zu sein und zogen zerknirschte Gesichter.

„Sie haben...ihr Leben für...die Meerwelt...riskiert?", piepste ein gelber Kobold und Alea nickte.

Etwas regte sich. Dann ließen die Kobolde von den Landgängern ab und gingen auch von Lennox runter, woraufhin Alea sofort zu ihm stürmte.

„Gesprochen wie eine wahre Anführerin, Yavani.", wisperte der Oblivion und grinste.

„Lass den Mist, du hättest echt nicht die ganze Zeit da rumliegen müssen, wir wissen beide, dass du dich einfach hättest befreien können!", neckte Alea.

Die Kobolde blickten sie fragend an.

„Er wollte, dass wir eine Chance zum Reden bekommen, ist es nicht so?", fragte Alea an ihren Krieger gewandt.

Lennox schmunzelte, dann zerriss er ruckartig das Netz. Er hatte zugelassen, dass es ihm in die Haut schnitt, damit Alea die Kobolde überzeugen konnte. Und sie schien Erfolg gehabt zu haben.

„Aber, wieso...wie...was?", stammelte ein magentafarbener Wasserkobold und hüpfte auf Lennox zu.

„Ihr seid unsere Freunde, wieso sollte ich euch bekämpfen?", antwortete Lennox sanft.

„NEEEIIIIIIIN! SIE HABEN MEINE WUNDERBÄRIGEN WUNDERKEKSE AUFGEGESSEN!", schrie der Bandenjüngste auf einmal, womit er alle zum Lachen brachte.

„Keine Sorge, ich habe noch genügend Zutaten um neue zu backen. Ihr Kobolde, bleibt doch etwas und esst mit uns.", sagte Alea.

Die Kobolde strahlten und nickten eifrig.

So hatte diese Nacht doch noch eine gute Wendung genommen. Nun saß die Alpha Cru mit den Kobolden zusammen im Salon der Crucis und sie lachten gemeinsam, während sie genüsslich Kekse verspeisten.

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