Kenny IV
Mit großen Augen sah ich Grandpa an.
"Geboren im Feuer", murmelte er nur.
Kopfschüttelnd lief ich zur Tür. Da es eine Glastür war, konnte ich mein Glück kaum fassen. Mein Kenny war zurück gekommen. Er kratzte unablässig am unteren Holzrahmen. Aber er sah krank aus. Das Fell war glanzlos, stand starr vom mageren Hundekörper ab. Ich zog die Tür auf. Der Geruch der mir mitsamt Tier entgegen sprang, ließ mich das Gesicht verziehen und mit der Hand verdecken. Letzten Sommer war unser Kühlschrank kaputt gegangen und das Fleisch hatte ungekühlt nach ein paar Stunden genau so gerochen.
"Kenny, Fuß!", befahl ich, denn mein Hund war gleich weiter gelaufen. Statt, dass er herbei lief, hörte ich Granpa rufen. Blitzschnell machte ich auf dem Absatz kehrt.
"Feuer! Feuer!", rief Grandpa. Er stand mit dem Rücken zur Wand, während Kenny mit gefletschten Zähnen an ihm hoch sprang. Grandpa hielt den Blick starr nach vorn gerichtet und murmelte etwas vor sich hin. Ich packte Kenny, doch er ließ sofort von Grandpa ab und schnappte nach mir. Seine Zähne gruben sich in meine Hand. Grandpas Gemurmel verstärkte sich.
Die Sprache, die sprach, verstand ich nicht. Dass es sich aber um einen Anishinabe-Dialekt handelte, lag nah. Meine Grandma, ich hatte sie kaum kennengelernt, gehörte dem Stamm an und Grandpa hatte sie sehr geliebt. Es war ein schwerer Schlag für ihn gewesen, als bei ihr Krebs diagnostiziert worden war. Nach ihrem Tod war er nicht mehr derselbe gewesen.
Schreiend spürte ich wie Kennys spitze Fangzähne auf meine Mittelhandknochen trafen.
"Grandpa, tu doch was!", schrie ich. "Kenny las mich los!"
Ich versuchte ihn von mir wegzudrücken, wollte ihn allerdings nicht weiter reizen. Grandpa löste sich taumelnd von der Wand und sein melodisches Gemurmel erreichte einen unerwarteten Höhepunkt. Und ebenso abrupt öffnete Kenny seine Kiefer und ich zog meine blutüberströmte Hand aus seinem Maul. Unter drohendem Knurren zog er sich zurück.
"Scheiße!", schluchzte ich, während sich Blut und Tränen auf dem Boden vermischten. Grandpa beugte sich über meine Hand. Er sah, dass Kenny die Haut vom Daumen bis zum Ringfinger aufgerissen hatte und das etwas Fleisch fehlte, denn ich konnte tatsächlich meine Knochen sehen. Mir war übel. Richtig übel. Der Schmerz war nicht dumpf, wie so gern beschrieben wird. Es brannte wie Essig in einer Schnittwunde.
"Ich glaube, ich muss mich übergeben", keuchte ich und zwang mich meinen Blick abzuwenden. Grandpa wankte indes an mir vorbei. Etwas Räuberisches lag in seinem Blick.
"Grandpa, was soll ich...?", er hörte mir nicht zu. Mein nächster Gedanke galt der Küche. Mit einem Geschirrtuch wollte ich meine Hand abbinden und dann Mum oder den Notarzt wählen oder wer auch immer für zerfetzte Hände zuständig war.
"Nii onjinazh a'aw giday, zaka'!", hörte ich Grandpa sagen. Zumindest klang es so ähnlich.
Wie sich heraus stellte, brauchte ich mir keine Gedanken zu machen, wen ich schlussendlich anrufen würde. Meine Familie kam zurück, während ich ein verwaschenes Handtuch um meine Hand wickelte. Als ich die wenigen erklärenden Sätze hervorgepresst hatte, schickte Mum uns sofort alle aus dem Haus. Dad raste mit meiner Schwester, Barney, der noch im Kofferraum steckte, und mir ins Krankenhaus. Mum wollte Grandpa vor dem Hund in Sicherheit bringen. Was war bloß mit ihm geschehen? Wo war er gewesen? Niemals zuvor hatte Kenny auch nur nach mir geknurrt. Nach überhaupt keinem Menschen. Er war der liebste Hund, den ich kannte. Eigentlich. Gewesen. Etwas Schreckliches musste ihm widerfahren sein, dass er so feindlich reagierte.
Ich verbrachte ein paar Tage im Krankenhaus, wurde immer wieder auf Tollwut und ähnliche Krankheiten getestet, zeigte aber keine Symptome und wurde schließlich entlassen. Kenny war wieder verschwunden. Irgendwie musste er sich durch ein offen stehendes Fenster gequetscht haben. Meine anfängliche Angst vor ihm aber, legte sich. Ich konnte es mir selbst nicht erklären, aber ich war nicht böse auf ihn.
Es war schon spät, als es begann. Ich wurde unruhig und ein Blick auf Barney, der mir in letzter Zeit kaum von der Seite gewichen war, bestätigte, dass ich mit diesem Gefühl nicht allein war. Er tigerte vor der Tür auf und ab. Unsere Blicke trafen sich und er drehte seine Ohren nach hinten und kratzte an der Tür. Mich hielt es nicht mehr im Bett, wobei ich beschloss, etwas zu essen aus dem Kühlschrank zu holen. Bedächtig öffnete ich die Tür, um kein Geräusch zu verursachen. Dann schlüpfte ich aus meinem Zimmer. Barney folgte mir nicht. Das wunderte mich tatsächlich ein wenig. Ich schlich die Treppe hinunter. Der Mond tauchte den Raum in ein gespenstisches Weiß und mein Verband leuchtete ebenfalls ein wenig. Ich kratzte mich am Oberarm und betrat die Küche. Der Blick in den Kühlschrank enttäuschte mich allerdings. Etwas Beeren-Pie war noch da, aber der Sinn stand mir nicht nach 'süß'. Ich schob ein paar Gläser beiseite. Hinten fand ich eine Box mit Fischfilets, die auftauen sollten. Ich zog sie heraus und aß sie. Eins nach dem anderen. Im Inneren waren sie noch fest. Kalt. Mir war auch kalt. Und ich hatte immer noch Hunger. Hastig durchwühlte ich die Gefriertruhe, in der ich ein paar gefrorene Steaks fand. Ich versuchte darauf zu beißen, aber meine Zähne fanden einfach keinen Halt. Deshalb hielt ich sie in der Spüle unter warmes Wasser. Das ließ zumindest die Oberfläche etwas tauen. Das Blut rann meine Fingerspitzen hinab. Kitzelte mich. Ich leckte es ab. Ich hatte so einen Hunger. Ich durfte nichts verschwenden.
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