Die Tätowierung IV
"Warum tust du das?", fragte Pen. Sein Atem ging stoßweise.
Vanessa blickte zwischen Pen und der zierlichen Frau, die im Türrahmen stand hin und her.
"Kennt ihr euch?", fragte sie und trat von einem Bein auf das andere.
"Bald", antwortete die Blonde. Dann betrat sie den Raum. Pen wollte auf den Sessel zurück sinken. Er fühlte sich schwach. Doch er nickte sie nur an. Dann verschwanden sie im hinteren Ladenbereich. Bevor Pen aber um die Ecke trat, sagte er zu Vanessa:" Verschwinde! Ich will dich heute Nacht hier nicht sehen!"
"Bist du übergeschnappt?", Vanessa tippte sich an die Schläfe. "Du bist verletzt und was ist das überhaupt für eine komische Frau?"
"Ich befehle dir, als dein Boss...", seine Stimme klang kratzig und um Jahre gealtert. "..., dass du jetzt Feierabend machst! Sonst fliegst du. Das ist mein voller Ernst!"
"Nein, mit dir stimmt was nicht und es liegt an dieser blonden Tussi!", Vanessa wurde laut und wollte sich an Pen vorbei schieben, um die mysteriöse Frau zur Rede zu stellen. Er hielt sie an den Schultern zurück.
"Du gehst", wiederholte er. Diesmal klang es wie eine Aussage. "Und du wirst auch niemanden herschicken. Nicht in dieser Nacht! Hast du das kapiert?"
"Ja", murrte sie leise, versuchte aber einen Blick auf das Mädchen zu erhaschen.
"Wiederhol' es!"
"Niemand wird dich heute Nacht stören."
"Gut", stellt Pen fest und lächelte. Entsetzt stellte Vanessa fest, dass ihm Blut aus der Nase lief. Er schob sie von sich.
"Du wirst mal eine großartige Künstlerin!", prophezeite er. Dann kehrte er ihr den Rücken zu.
Vanessa saß auf ihrem Bett im Zimmer ihrer WG, während aus einer Musikbox neben ihr Musik schallte. Der Raum war klein, wirkte aber durch die hellen Wände, die mit Postern und Fotos geschmückt waren, lebendig. Eine Social-Media-Benachrichtigung poppte auf ihrem Handybildschirm auf. Abwesend tippte Vanessa ein wenig auf dem fremden Profil herum. Aada_Järvinen5, 22, Work&Travel. Dies stand zwar da, Vanessa entfiel das Gelesene allerdings sofort wieder. Die Frage, weshalb sich Pen so seltsam verhalten hatte, ließ sie nicht los. Er war nicht nur ihr Boss, sondern auch ein Freund, der sicher eine Menge mit sich herum trug, aber Angst vor einer zierlichen Frau zu haben, passte nicht zu ihm. Oder Pen steckte in irgendetwas Illegalem. Sie knabberte an ihrem linken Zeigefinger. Nahm ihn aber gleich wieder aus dem Mund, als sie die Graphitrückstände des Bleistifts darauf entdeckte. Die Zeichnung lag unvollständig auf dem dunklen Schreibtisch, den sie vom Sperrmüll gerettet hatte. Sie konnte sich nicht konzentrieren. Das Lied wechselte. Diese Warterei war doch schwachsinnig. Ruckartig stand sie auf, sodass die Box um fiel und die Melodie nur noch dumpf zu hören war. Vanessa schaltete sie aus und stellte sie neben die Zeichnung. Dann steckte sie ihr Handy in die Gesäßtasche ihrer schwarzen Jeans und klopfte bei ihrem Mitbewohner. Als kein Widerspruch ertönte, betrat sie den Raum. Faiyaz saß an einem Billig-Schreibtisch, der durch gestapelte Bücherhaufen, leere und angetrunkene Energydrinks, sein Laptop und eine schäbige Tischlampe, die ihre besten Tage wohl niemals gehabt hatte, an den Rand seiner Tragfähigkeit gebracht wurde. Davor hockte er auf einem Stuhl, sein Gesicht durch den Bildschirm bläulich beleuchtet.
"Hey, wir wär's mit 'nem kleinen Ausflug?", fragte Vanessa ohne Umschweife.
"Ich muss das hier fertig machen", er trank einen Schluck aus der Dose.
"So viel Energy wie du säufst, müsstest du längst im Kreis rennen. Bitte, komm' mit, ich will nicht allein gehen."
"Frag' doch, Silas!"
"Der ist nicht hier. Den würde ich hören", antwortete Vanessa und trat von einem Bein auf das andere.
"Gott, ja, was der immer für Dubstep-Scheiß aufdreht"
"Lenk' nicht ab!"
"Warte", sagte Faiyaz und leerte die Dose in seiner Hand. "Ich musste das hier beenden"
Dann grinste er und Vanessa verzog ihr Gesicht zu einem gequälten Lächeln.
"Wo willst du denn hin?"
"Zum Studio", antwortete Vanessa, um bereits auf dem Absatz kehrt zu machen. "Ich habe das Gefühl, es geht um Leben und Tod!"
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