Der Babymonitor
Das Leben als Selbstständiger ist hart. Das Leben als Alleinerziehender ist härter.
Ich saß am PC und prüfte meine E-Mails. Rechts vom Bildschirm lag ein überfüllter dunkler Aktenordner, auf dem ein Babymonitor platziert war. Davor stand ein Glas, gefüllt mit fingerbreitem Johnny Walker. Der Jack war vor ein paar Tagen ausgegangen. Links befand sich ein Foto, schwarz eingerahmt. Ich konnte mich nicht erinnern, wer den Bilderrahmen ausgetauscht hatte und um ehrlich zu sein, machte er den Anblick nur schmerzhafter. Ich erinnerte mich genau an den Tag, als ich das Bild geschossen hatte. Es war ein perfekter Frühlingstag gewesen. Meine Frau und ich waren mit unseren beiden Töchtern im Park unterwegs gewesen. Auf dem Bild hielt sie Beide, die damals noch Babys gewesen waren, in den Armen und ihre Augen hatten vor Freude gestrahlt, dass ich nicht anders konnte, als diesen Moment für immer festzuhalten.
Ich seufzte und fuhr mir mit der linken Hand durch das strähnige Haar. Seit der Beerdigung hatte ich mich gehen lassen. Zudem hielten sich die Aufträge meiner kleinen Webdesign-Firma eher in Grenzen. Ich schloss die geöffneten Tabs mit der festen Vornahme, heute endlich das Haus zu verlassen. Ich hatte etwas frische Luft nötig, sonst würde ich noch völlig durchdrehen.
Mein Blick wanderte zum Babymonitor. Meine beiden Mädchen spielten im Wohnzimmer mit Holzklötzen und kletterten auf dem Sofa herum. Ich konnte lächeln. Ohne die beiden hätte ich die schwere Zeit nicht überlebt. Wortwörtlich. Doch ich musste für sie da sein. Dann weiteten sich meine Augen.
Sie waren nicht allein. Am Babygitter in der Tür stand ein dunkler Schatten. Die beiden schienen ihn nicht zu bemerken und ich glaubte schon an einen Übertragungsfehler, doch der Schatten bewegte sich. Es war deutlich eine gedrungene, kleine Gestalt zu erkennen, die ihre Arme austreckte und mit ihren Krallen die Gitterstäbe umfasste. Dort stand sie einige Sekunden regungslos. Doch dann wand sie langsam den Kopf in Richtung der Kamera. Das Bild zuckte auf dem Babymonitor, aber ich sah, wie mich das Wesen mit glühenden Augen anstarrte. Ich musste meine Mädchen beschützen war mein einziger Gedanke. Ich stürzte zum Wohnzimmer, doch das Ding war verschwunden.
"Ich kann doch nicht betrunken sein", murmelte ich zu mir selbst, öffnete das Gitter und untersuchte zur Sicherheit das Wohnzimmer. Nichts.
"Papa!", meine Kleine streckte fordernd die Arme aus.
In diesem Augenblick klingelte es an der Tür.
"Gleich ist Papa für dich da!", vertröstete ich sie und ging zur Haustür.
Durch den Spion erkannte ich einen Vertragspartner, den ich eigentlich erst heute Abend hätte treffen sollen.
Mir wurde heiß. Die Wohnung war unaufgeräumt, ich war ungewaschen und ich hatte keinen Babysitter, um mit ihm in ein Restaurant zu gehen.
"Guten Morgen, Herr Welschke", begrüßte er mich. Sein Lächeln war dünn. Unehrlich. Ich konnte ihn nicht leiden, aber ich brauchte ihn. "Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen."
Natürlich, dachte ich.
"Meine Haushälterin ist leider krank", antwortet ich, als sei es eine Entschuldigung. Abgesehen davon, hatte ich niemals eine Haushälterin beschäftigt.
"Ich verstehe", sagte der Mann und schob sich an mir vorbei in die Wohnung. Mit dem Rücken zu ihm biss ich die Zähne zusammen und schloss die Tür. Er lief schnurstracks in Richtung Wohnzimmer, von woher ich hörte, wie die Ältere glucksend einen Holzturm umstieß. Ich folgte ihm, war mir doch Gefühl zuwider ihn mit meinen Kindern allein zu lassen.
"Sehr niedlich", stellte er fest, zeigte sein schmales Lächeln und setzte sich neben die Jüngere auf das Sofa. Ich hatte das Gefühl, er sprach über ein paar Hundewelpen. Bevor ich ihn fragen konnte, was er um diese Uhrzeit hier tat, klingelte es erneut. Ich bewegte mich nicht von der Stelle.
"Wollen Sie nicht zu Tür gehen?", fragte er und runzelte die Stirn.
"Sicher", gab ich nur zurück und wandte mich ab. Mein Magen zog sich zusammen, aber es würden nur ein paar Minuten sein.
Dieses Mal öffnete ich die Tür ohne vorher durch den Spion zu sehen. Ein Fehler.
"Wir müssen reden, Matthias!", meine Frau stand da in einem Kleid, das ich nicht kannte, und duftete nach einem fremden Parfüm. Wir lebten getrennt.
"Du gehst nicht ans Telefon und reagierst auf keine meiner Nachrichten", fuhr sie fort. "Eigentlich wollte ich nur meine Anwältin schicken, aber ich hab mich dann doch dagegen entschieden. Ich würde das gerne mit dir in der Wohnung besprechen."
"Das ist gerade schlecht. Ein Kunde...", versuchte ich sie abzuwimmeln. Mir war klar, was sie wollte. Die Scheidung.
"Hör' mir mal zu!", forderte sie. Ihre Lippe zitterte. Sie kannte mich zu gut. "Ich vermisse die Mädchen so sehr wie du. Ich habe ein Jahr lang wie in einem Albtraum vor mich hin gedämmert, aber bin aus diesem schwarzen Loch heraus gekommen."
Tränen liefen ihr über die Wangen.
"Sie sind tot, Matthias", flüsterte sie. " Begreif' das doch endlich!"
Komm doch ins Wohnzimmer, dann siehst du sie, hätte ich ihr am liebsten ins Gesicht geschrien. Doch der Anblick hätte ihr vermutlich das Herz gebrochen. Ich hatte mich an das halbverweste Aussehen der Beiden gewöhnt, ich sah sie nur noch, wie sie mal gewesen waren. Und mein Besucher mit den glühenden Augen hätte ihr sicher nicht minder Angst gemacht.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top