Beute

Kinderlachen tönt die Straße hinunter. Graf Dracula, Frankensteins Braut und ein Zombie klingeln an Haustüren und halten ihre orangefarbenen Sammelbeutel auf. Weiter vor ihnen läuft eine andere Kindergruppe, die allerdings von einem Erwachsenen begleitet wird. Während diese sich weiter entfernt, vermutlich nach Hause geht, bleiben die Monster in der Nachbarschaft, um noch mehr Leckereien zu sammeln. Als sie bei Mrs. Harper klingeln, stehen sie mit dem Rücken zur Parkseite. Dieser ist eingezäunt, aber für Wesen ihrer Größe, findet sich immer ein Schlupfloch. Anders verhält es sich mit dem Mann. Er ist so groß und kantig gebaut, dass er Mühe hat, sich hinter den jungen Buchen versteckt zu halten. Er wagt kaum zu atmen, obwohl die Gruppe mindestens dreizehn Meter von ihm entfernt ist. Schwer wiegt der dunkle Gegenstand in seiner rechten Hand. Sehnsüchtig hat er sich auf Halloween vorbereitet, trotzdem bilden sich Schweißperlen auf seiner Stirn. Er wischt sich darüber. So leise er nur kann, setzt er sich in Bewegung.

Mrs. Harper öffnet die Tür. Sie steht nach vorn gebeugt, als drückten schwere Lasten auf ihren Schultern sie zu Boden.

"Nein, wie entzückend ihr ausseht!", meint sie.

"Süßes oder Saures!", fordern die Monster. Ihre Stimmen werden durch die Masken dumpf verzerrt.

Mrs. Harper wendet sich von den Kindern ab, um die Süßigkeitenschale vom Beistelltisch zu nehmen. Die Gruppe ist zu sehr auf die Leckereien fixiert, sonst hätten sie das Geräusch von Turnschuhen auf Asphalt sicher bemerkt. Der Mann gibt sich äußerste Mühe sich außerhalb des Lichts der Straßenlaternen zu bewegen. Als Mrs. Harper sich den Monstern wieder zu dreht, kniet der Mann hinter der linken Hauswand, späht aber immer wieder zu der Kindergruppe. Frankensteins Braut kratzt sich am Ansatz ihrer tupierten Haare, die das nasskalte Wetter zu einem starren Wirrwarr an Strähnen geformt hat. Sie ist das erste Mal mit ihren Brüdern unterwegs und tippt sich ungeduldig auf die Oberschenkel. Sie kann es kaum erwarten, endlich naschen zu dürfen. Ihre Brüder, die sie flankieren, warten geduldig, fast bewegungslos. Als Mrs. Harper in die Schale greift öffnen die drei ihre Sammelbeutel.

Gleich wird er es tun. Es ist die einzige Nacht des Jahres, in der er eine reelle Chance hat, die Kinder zu überraschen. Wochenlang hat er sie beobachtet und sich mit ihren Verhaltensweisen vertraut gemacht. In seinem Opel Movano, einem weißen Kleintransporter, liegen sogar noch einige Notizen.

Mrs. Harper lässt die Bonbons in die Tüten fallen, die ein schmatzendes Geräusch verursachen.

"Dürfen wir reinkommen?", fragt Dracula.

"Wieso das denn, mein Kind? Eure Mutter wäre sicher nicht erfreut, wenn sie wüsste, dass ihr zu einer Fremden ins Haus geht."

"Ich muss mal auf die Toilette!", meldet sich Frankensteins Braut zu Wort.

"Also gut", gibt Mrs. Harper nach und tritt langsam zur Seite.

"Heißt das, dass ich ins Haus kommen darf?"

"Ja, gute Güte, du darfst hereinkommen!", Mrs. Harper verschränkt die Arme hinter dem Rücken, um sich aufzurichten.

"Meine Brüder auch?"

"Die auch. Mach aber schnell!"

"Selbstverständlich, Ma'am", sie wirft ihren Brüdern einen stolzen Blick zu. Unter der Maske formt sich ein breites Grinsen.

Damit hat er nicht gerechnet. Erwartet hat er bösartige Streiche das Haus betreffend, die die Drei sonst in der Nachbarschaft treiben. Auch auf seinem Grundstück. Er hat sich als Serienmörder verkleidet, um den verdammten Rotzgören einen gehörigen Schrecken einzujagen. Er beobachtet, wie die Monster im Haus verschwinden. Er richtet sich auf. Dann hört er ein markerschütterndes Knurren, das ihn zusammenzucken lässt. Gefolgt von spitzen Schreien. Er glaubt an einen Halloweenstreich. Man hat ihn doch bemerkt und jetzt wollen sie ihn hereinlegen. Eiligen Schrittes tritt er an die Tür heran. Das Knurren ist abgeschwollen und einem Geräusch gewichen, das sich am besten wie Hände im Matsch beschreiben lässt. Im Flur liegen die Masken auf dem Boden, wie Mrs. Harper. Über ihrem aufgerissenen Brustkorb hocken die drei Monster und kauen hastig. Die Augen des Mannes weiten sich. Das ist kein Streich. Wie auf Kommando reißen alle Drei ihren Kopf hoch. Ihre Augen sind schwarz wie Kohlestücke.

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