Kapitel 21

„Erzähl mir von Thujia!" forderte ich Max auf beim Frühstück auf. Wir schlürften den Rest der Suppe und aßen dazu Fleisch. Beides kalt. Wir hatten uns entschlossen möglichst schnell weiter zu kommen. Brot konnte ich erst wieder zubereiten, wenn ich ausreichend Körner gesammelt und gemahlen hatte. Ein halbes Säckchen hatte ich am Morgen schon aufgelesen, und dabei tatsächlich Spuren des Kampfes zwischen Max und Thujia gefunden.

„Was willst du wissen?" fragte mein Begleiter. Er hatte kein Fieber mehr und er war schon wieder ganz munter.

„Warum ist sie so biestig?" wollte ich wissen.

„Ist sie gar nicht" kam sofort zur Antwort. „Sie ist nur auf dich sauer. Und sie hat viel verloren im Leben. Das hat sie hart und unerbittlich gemacht."

„Tatsächlich?" grinste ich und erhob mich, um unsere Habseligkeiten zusammenzupacken. „Ich habe auch schon viel verloren im Leben. Wie eigentlich jeder, der mir je begegnet ist. So ein hinterhältiges Miststück ist aber nur Thujia geworden. Was habe ich ihr getan?"

„Sie gibt dir die Schuld am Tod ihrer Familie" sagte Max.

Abrupt richtete ich mich auf und starrte ihn an.

„Mann und Kinder?" fragte ich, denn ich konnte mich leider an so manchen Fall erinnern, bei dem ich zu spät kam, um noch helfen zu können.

„Eltern und Geschwister" sagte Max.

„Ist wohl schon 'ne Weile her, was?" bemerkte ich, ohne eine Antwort zu erwarten. „Was glaubst du" wollte ich von Max wissen „wie viele Menschen liegen wohl gerade im Sterben, denen ich helfen könnte, wenn ich vor Ort wäre?"

Max zuckte mit den Schultern.

„Genau!" nickte ich. „Los jetzt: du schneidest vom Schaf, was wir als Proviant brauchen können und ich hole die Waffen aus dem Keller" forderte ich meinen Begleiter auf.

In der Nacht hatte Max schon vorgearbeitet und Fleisch am Feuer gedörrt. Sehr gut. Jetzt schnitt er Essbares von dem Kadaver und wickelte es mit seinem Salz zusammen in die Blätter der Esskastanie, die in der Nähe stand. Leider waren deren Früchte noch nicht reif genug. Ich holte das Fell aus der Erdkuhle und rollte es zusammen. Sobald ich wieder im Boot sitzen würde, würde ich es zum Trocknen ausrollen. Und sobald ich aus der Gegend verschwunden war, würde ich es gerben. Ich dachte darüber nach, ob es sinnvoll wäre, ein paar mehr Lederstücke zusammenzunähen und als Zeltdach für mein Boot zu verwenden. Und ich grübelte darüber, wie ich meine Klette wieder loswerden konnte. Spätestens am Boot mussten wir uns trennen. Das war ein kleiner Nachen, in den passten keine zwei Erwachsenen.

Am frühen Nachmittag erreichten wir meinen Anlegeplatz. Ich blieb stehen und schaute auf mein gut im Gestrüpp verborgenes Boot. Max trottete einfach weiter. Sollte es so einfach sein? – Nein, leider nicht. Er kam zurück.

„Alles in Ordnung?" fragte er besorgt.

„Ja, aber hier trennen sich unsere Wege. Wenn du zurück zur Salzstadt willst, dann folge dem Fluss weiter nach Südosten. Er wird nach einiger Zeit schmal werden und du findest sicherlich eine Furth. Du musst aber nicht drüber. Irgendwann kommst du dann an die Elbe. Es gibt flussaufwärts ein paar alte Brücken. Die sind zwar zusammengestürzt, aber bei Niedrigwasser kann man an ihnen entlang den Strom queren. Wenn du dich immer nach Südost hältst, kommst du zur Salzstadt. Vielleicht besuche ich dich dort mal."

Max schaute mich verständnislos an „Und du?"

Ich zeigte ins Gebüsch: „Ich steige hier in mein Boot und fahre stromaufwärts zurück in die Stadt" dabei zeigte ich in die entgegengesetzte Richtung, als die, die ich ihm vorher gewiesen hatte.

Max' Enttäuschung rührte mich. Aber ich wollte mich nicht von ihm aufhalten lassen, stieg zum Boot runter und enttarnte es. Alles war noch an seinem Platz.

Mein Begleiter schaute mir stumm zu.

Schließlich seufzte er tief: „Kann ich nicht bei dir bleiben? Ich bin verletzt. Und es ist doch auch für dich von Vorteil nicht allein zu sein. Einer kann Wache schieben. Wenn ich wieder gesund bin kann ich jagen und fischen.... Bitte, nimm' mich mit."

Stumm zeigte ich auf das kleine Schiffchen.

Max gab nicht so schnell auf: „Wir könnten ein Floß bauen. Dann stößeln wir. Und dein Boot hängen wir hinten dran. Schau, hier wachsen genug junge Birken mit geraden Stämmen. Und eine kleine Axt haben wir auch..."

Irgendwie muss mein Gehirn eine komplette Blockade gehabt haben, denn ich sah ihn eine Weile an und nickte dann.

Ich habe genickt.

Ich habe zugestimmt, dass er bei mir bleiben kann. Was war nur in mich gefahren?

Jedenfalls verbrachten wir die nächsten Stunden abwechselnd mit dem Fällen und Entasten junger Birken und mit dem Drehen von Seilen. Max schlug sich tapfer, trotz seiner Verletzung.

Immer wieder unterbrachen wir die Arbeit und sicherten uns ab, dass niemand uns gefolgt war. Ich würde erst wieder ruhiger sein, wenn wir diesen Strom überquert hatten.

Am Abend hatten wir 14 Stämme zur Wasserkante gebracht und sie mit den Seilen zu einem schmalen Floß zusammengeknotet. Das sollte uns erst einmal genügen, um das Ufer zu wechseln. Fast wären wir daran gescheitert, das fertige Floß ins Wasser zu bekommen. Es wog so viel, dass wir es nichtmehr bewegen konnten. Max war am Ende seiner Kräfte und mit mir war nach dem anstrengenden Tag auch nicht mehr viel anzufangen. Schließlich gelang es aber doch, denn ich hebelte mit Ästen, die ich in den nassen Sand rammte, die Plattform Zentimeter um Zentimeter weiter, bis sie endlich schwamm.

Da wir weder Stangen zum Stößeln, noch einen Mast oder Segel hatten, beschloss ich, dass erst einmal mein Boot vor das Floß kam und ich uns und die Habseligkeiten rudernd über den Fluß schleppen würde. So machten wir es und es funktionierte erstaunlich gut.

Glücklicherweise hatten wir die wichtigen Dinge in meinem Kahn verstaut, denn ich hatte schon damit gerechnet, dass die Jungfernfahrt unseres Floßes nicht ganz reibungslos verlaufen würde. Immerhin hatten weder Max noch ich jemals ein Floß gebaut. Es wäre einem Wunder gleichgekommen, wenn es auf Anhieb geklappt hätte.

Um möglichst viel Wegstrecke zwischen uns und etwaige Verfolger zu bringen, ließ ich uns mit der Strömung treiben, steuerte nur gelegentlich gegen und brachte uns damit wieder auf Kurs, bis es dunkel wurde. So kamen wir im letzten, spärlichen Licht des Tages mit einem Versatz von mehreren Kilometern heil auf der anderen Seite an und Max war auch nicht komplett nass geworden.

Die Seile hatten sich im Wasser gedehnt und die Kraft der Strömung hatte die Stämme auseinander gedrückt. Aber unsere Arbeit war stabil genug gewesen, dass wir keinen der Stämme eingebüßt haben. Wir zogen Boot und Floß soweit aufs Ufer, wie es unsere Kraft noch ermöglichte, und legten uns erschöpft schlafen.

Max klapperte noch im Schlaf mit den Zähnen. Er tat mir Leid. Ich kämpfte eine Weile mit mir, der Dunkelheit und der Bequemlichkeit, erhob mich dann noch einmal, tastete mich in stockfinsterer Nacht zum Kahn zurück. Ich holte das Schaffell und noch eine verschlissene Decke, die im Bug lag und meine Lebensmittelvorräte abdeckte. Damit kroch ich zu Max und deckte ihn zu. Er hatte wieder Fieber bekommen. Kurzzeitig war ich in Versuchung, mich zu ihm zu legen. Er war so schön warm. Aber ich krabbelte einen Meter weiter, rollte mich wieder in meinen Mantel und schlief endlich ein.

Als ich wieder erwachte, stand die Sonne schon recht hoch am Himmel und wärmte mich. Max rührte sich nicht. Ich kniete mich kurz zu ihm und prüfte seine Atmung. Alles in Ordnung, er schlief noch.

Ich schaute mich um und fand, dass wir trotz der gestrigen Dunkelheit einen fast perfekten Landungsplatz gefunden hatten. Das Ufer lief seicht aus, das Hinterland war flach. Wir befanden uns in einer kleinen Bucht zwischen zwei Landzungen, die dicht bewachsen waren. Ein guter Sichtschutz. Und zudem eine Landungsstelle für Treibholz. Es gab reichlich hohes Schilfrohr, deren dunkle Dolden eine prima Anzündhilfe waren. Hier konnten wir notfalls ein paar Tage bleiben, uns ausruhen und das Floß in Ordnung bringen. Von den Landzungen aus würde es sich wohl gut angeln lassen. Und es gab im geschützten Hinterland einige Jagdbeute, wie ich vermutete.

Nachdem ich genug von dem weißen, trocknen Treibholz zum Lagerplatz geschleppt, einen Steinkreis aufgebaut und darin ein Feuer entfacht hatte, weckte ich Max.

„Was stinkt hier so?" war seine erste Frage.

„Du?" mutmaßte ich und ging an ihn heran. Tatsächlich stank es ganz furchtbar. Das war mir vorhin, als ich nach ihm gesehen hatte, nicht aufgefallen.

„Alana" flüsterte Max „da ist was neben mir. Es hat Fell!"

„Und es stinkt nach Katerpisse" grinste ich.

Tatsächlich fanden wir einen rotgetigerten Kater unter der Decke, als ich diese vorsichtig anhob. Verschlafen blinzelte das Tier aus gelben Augen, drehte sich um und machte keinerlei Anstalten, sich aus dem Staub zu machen.

„Wie süß!" stieß der ausgewachsene Mann hervor. „Was meinst du, kann ich sie behalten?"

Ich schnaubte vor unterdrücktem Lachen. „Nein! Aber wenn du Glück hast, behält der Kater dich. Dann beschwer dich aber nicht, wenn ich müffel."

„Im Ernst" fragte Max und schälte sich vorsichtig unter der Decke heraus, um den Kater nicht zu verscheuchen „ist das so eine Art Männerabwehrstrategie bei dir?"

„Blödmann!" war mein einziger Kommentar dazu.

Als wir kurz darauf am Feuer saßen und Fleisch aßen, dachte ich aber schon darüber nach, ob da was dran sein könnte. Immerhin hatte ich keinerlei Interesse daran mit einem X-beliebigem Kerl ein Kind zu zeugen. Mein Wunsch nach einer Vergewaltigung hielt sich auch in Grenzen. Und bis hierhin hatte die Strategie ganz gut funktioniert. Es hatte Momente gegeben, da musste ich meine Unberührtheit mit einer Waffe verteidigen, ja, aber diese brenzligen Situationen waren selten. Vielleicht hatte Max Recht.

Als ich aufsah, saß der Kater artig neben meinem Begleiter und wurde von ihm mit Fleischstückchen gefüttert.

Nachdem wir zusammen das Floß repariert und die Seile nachgezurrt hatten, machte Max sich daran eine Angelrute zu bauen und sich Regenwürmer zu suchen. Derweil sammelte ich Saaten, schaffte Feuerholz herbei und begann damit, eine Kuhle für das Fell auszuheben. Als ich nach einem Stück Holz griff, um mir das Graben zu erleichtern, fiel mir auf, dass wir mitten im Spülsaum campierten. Nicht gerade eine Meisterleistung. Ich beschloss, dass unser Lager landeinwärts ziehen musste und suchte nach einer geeigneten Stelle. Die fand ich auf einer kleinen Anhöhe, die mit Buschwerk bestanden war. Es würde schwierig werden, mitten in den Wurzeln ein Loch für das Suppenfell auszuheben, ansonsten konnte das Buschwerk sehr gut als Wetterschutz dienen.

Gerade wollte ich mich auf machen, um nach Max zu suchen, als dieser bei mir angetrabt kam.

„Meine Steinklinge ist für die Fische nicht scharf genug. Leihst du mir dein Messer?" wollte er wissen.

Ich reichte es ihm.

„Ich habe schon fünf kräftige Brocken rausgezogen. Guter Platz zum Angeln." Stellte er fest.

„Na, dann pass' ma auf, dass der Kater sich nicht die Filetstücke klaut" grinste ich. Max stutze, stieß ein „Oh, scheiße!" aus und humpelte, so schnell er konnte mit meinem Messer davon. Ich rief ihm nach, dass wir umziehen würden. Zur Antwort, dass er verstanden hatte, hob er nur kurz den Arm. „Und wir brauchen noch Seile!" brüllte ich hinter ihm her.

Ich begann damit, die Vertiefung für das Fell noch einmal, diesmal dreißig Meter landeinwärts, auszuheben. Ich legte das Fell hinein, goss Wasser auf. Ins Wasser schmiss ich die Wurzeln, die ich ausgegraben hatte, vom Fleisch und einige Kräuter, die ich frisch pflücken konnte. Und natürlich vom kostbaren Salz. Mit Hilfe einer stabilen Astgabel trug ich zwei der heißen Feuerstellensteine herbei und kochte mit ihrer Hitze die Suppe. Dann begann ich damit, mit der Axt die Büsche auszulichten, so dass eine Höhle entstand. Die abgeschnittenen Stöcke steckte ich als Sicht- und Windschutz zwischen die verbliebenen Äste.

Max kam zurück. Im Gepäck sechs anständige Fische, die bereits geköpft und ausgenommen waren und ein fast fertiges Tau, dessen ausgefranste Enden hinter ihm her schliffen. Und der rote Kater, der sich das Mäulchen schleckend damit vergnügte, nach den Seilenden zu tatzen.

Nachdem unser Umzug beendet und die Suppe geschlürft war, zogen wir Boot und Floß weiter aufs Land, vertäuten sie an einem Baum und tarnten beides mit Ästen, Laub und Gräsern.

Die Feuerstelle am ersten Lagerplatz war derweil soweit abgekühlt, dass auch die Steine transportiert werden konnten. Max baute das Lagerfeuer in unserem Höhlenhaus neu auf und entfachte es. Bis zur Abenddämmerung schnitt ich Reet und verknotete es zu kleinen langen Bündeln, die ich als Regenschutz über das Astwerk legte und damit verflocht. Darüber kamen noch einmal blattreiche Äste zur Tarnung. Max half mir so gut er konnte. Der Kater sah uns zuerst noch zu, legte sich dann im Unterschlupf ans brennende Feuer und schlief.

Wir blieben fünf Tage an diesem Ort, jagten, fischten, sammelten Saaten und Beeren, erholten uns. Wir räucherten Fisch und Fleisch. Ich buk Brote. Max drehte Taue und flocht eine Matte aus Schilf, die er als Segel am Floß anbringen wollte. Ich genehmigte mir eine Portion Skepsis, ob das Floß mit Mast und Segel zu versehen war, und ob das Ganze dann auch den Elementen standhielt. – Aber, ich wurde eines besseren belehrt. Max war ein geschickter Handwerker. Es gelang ihm, einen Mast am Floß zu montieren und so abzuspannen, dass die Sache mit dem Segel tatsächlich funktionierte.

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