Kapitel 17
Der nächste Morgen begann mit einem Schreck: es war schon hell, als ich erwachte und mein Schwert war weg. Ebenso Max.
„Na spitze" brummte ich und stand auf. Der Himmel hatte einen strahlendblauen Pastellton und versprach einen wundervollen Tag mit viel Sonne. In den Spinnennetzen hatten sich Tautropfen gesammelt und die Gräser schimmerten feucht. In der restlichen Glut des Feuers stand ein verbeulter Pott aus Metall. Darin köchelte eine dunkle Flüssigkeit und verbreitete einen aromatisch, bitter-süßen Geruch. Ich ging näher ran, schnupperte. Zichorie-Wurzel.
Ein angestrengtes Stöhnen drang an meine Ohren und ich richtete mich hoch auf, um das Geräusch besser zu orten. Da blinkte eine Schwertspitze kurz über die Mauerreste. Neugierig trat ich aus dem Hausfragment und um die Ecke. Max, barfuß und mit freiem Oberkörper, schwang mein Schwert in imaginärem Kampf, stieß zu, parierte, wich tänzelnd aus, fuchtelte derart wild damit herum, dass ich um sein Leben fürchtete. Es mussten mindestens vier Luftkrieger sein, gegen die er sich da gerade zur Wehr setzen musste. Es sah so seltsam aus, wie dieser Mann in den abgetragenen ledern-speckigen Hosen dort seinen einsamen Tanz vollführte, dass ich laut lachen musste.
Max schoss herum, erkannte mich als die Besitzerin seiner Waffe und lächelte verlegen. Schweiß lief ihm aus den dunklen Haaren und ließ seinen nackten Oberkörper glänzen. Attraktiver Bursche, ohne Frage. Er nahm das Kurzschwert an der Klinge und kam damit, den Griff zu mir gestreckt, auf mich zu. Dabei hatte sein Lächeln etwas Lausbubenhaftes, das mich augenblicklich in einen latenten Alarmmodus versetzte. Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass dieser Mensch Frau und Kinder verkauft hätte, wenn er sich davon einen Vorteil versprach. Falls er mir gestern keinen Bären aufgebunden, und überhaupt Familie hatte. So sicher war ich mir jetzt, im frühen Morgenlicht, nicht mehr. Am abendlichen Lagerfeuer hatte jede gute Geschichte viel mehr Wucht, als bei Tageslicht betrachtet.
„Hey, ich habe uns Zichi gekocht. Nur hab' ich keinen Honig, um das Zeug trinkbar zu machen" kicherte er mich schelmisch an, derweil ich meine Waffe wortlos wieder an mich nahm. Ich kehrte stumm zu der Feuerstelle zurück, wischte einen flachen Stein sauber, wickelte zwei der fertigen Teigklumpen aus und verknetete sie mit etwas von Max' Salz. Ich fegte die heiße Asche beiseite und legte den Teigklumpen zwischen die heißen Steine. Augenblicklich verströmte der Brotteig einen herrlichen Duft. Sicherheitshalber nahm ich noch einen dritten Batzen, nahm davon für den nächsten Teig einen Teil ab und platzierte auch diesen Teig an den Steinen. Irgendetwas sagte mir, dass ich Max eine Weile lang an der Backe haben würde.
Während das Brot buk, ging ich ein Stück in die Richtung, in der Max eben sein Kampftraining absolviert hatte. Da hatte ich ein paar Pflanzen entdeckt, die meine Aufmerksamkeit erregt hatten. Niederer Wuchs, breite Blätter an stabilen Stielen aus dem Boden ragend. Ich hatte mich nicht getäuscht: dort wuchsen süße Rüben. Da sie nicht in einer Reihe standen, ging ich davon aus, dass sie nicht gepflanzt worden waren und grub mir zwei große Zuckerrüben aus. Geputzt und geschält gaben sie eine leckere Beilage zum frischen Brot. Zudem konnte man die Zuckerrübenschnitzel gut mit der Zichorie-Wurzel zusammen auskochen.
Es wurde ein ungewöhnlich ausgiebiges Frühstücksmahl. Max erzählte lebhaft von den vergangenen Abenteuern seines Lebens. Ich beschränkte mich aufs Zuhören und lauerte darauf, ob er etwas über Thujia ausplaudern würde. Aber er mied das Thema.
Stattdessen berichtete er von einer Begegnung mit den Tunnelleuten. Er behauptete, er habe mal eine Weile da unten gelebt. Im Großen und Ganzen seien die Schachtmenschen aber harmlos. Solange man nicht versuchte sie aus ihren U-Bahntunneln zu vertreiben. Na gut, ein paar Macken hätten sie wohl. Und hässlich seien sie. Die wüssten schon, warum sie niemals Fackeln anmachen und lieber im Dunkeln hocken. Am Schlimmsten, und daran könne sich keiner, der im Licht lebt, je gewöhnen, sei der bestialische Gestank dort unten. Das war nun allgemein bekannt. Jeder, der sich mal einem der Tunnelausgänge zu weit genähert hat, wusste, dass es furchtbar roch aus den Abgängen. Was ich aber tatsächlich noch nicht in meinem eigenen Wissensschatz hatte, war, dass die Schachtmenschen sich selbst ein schwaches, obergäriges Bier brauten und dieses Gesöff ausschließlich tranken. Das machte sie, je nach Füllmenge, friedlich oder sehr streitlustig.
„Und was essen die?" wollte ich von Max wissen.
Er lachte kurz auf: „Lass' dich niemals auf eine Menü da unten einladen. Die züchten Ratten, die so groß sind wie Katzen." Dazu zeigte er mit den Händen die Größe einer sehr beeindruckenden Katze. „Sie füttern sie mit dem Zeug, das beim Bierbrauen als Feststoff übrig bleibt. Die Ratten sind zahm und gelehrsam. Und sie vermehren sich prächtig. So viele können die da unten gar nicht auffressen, wie da nachkommen."
„Danke für die Warnung" grinste ich. Zu den Schachtmenschen wollte ich nicht. Auf diese Begegnung konnte ich gut verzichten. Oberirdisch lief schon genug Gesocks herum.
Nach diesem gemeinsamen Mahl und nettem Geplauder machten wir uns auf, um der verlassenen Jungensiedlung einen Besuch abzustatten. Max konnte flott marschieren. Allerdings nervte er mich furchtbar, denn er pflegte einen seltsamen Humor.
Wir gingen gerade hintereinander durch eines dieser lichten Birken- und Kiefernwäldchen, die sich auf den ehemaligen Straßen ausgebreitet hatten, und kamen gut voran, als der Kerl mich mit einem Achtung-Warnruf von hinten ansprang, dabei meinen Hut von meinem Kopf fegte und mich zu Boden riss. Er zog mich in die Deckung einer frisch umgestürzten Birke und drückte mich zu Boden. Vor Schreck, dass mir eine akute Bedrohung entgangen war, klopfte mein Herz heftig, mein linker Arm, den ich zum Abfangen des Sturzes instinktiv ausgestreckt hatte, schmerzte in allen Gelenken und ich atmete schwer. Ich zog mein Messer aus dem Gürtel und wollte sehen, welche Gefahr uns drohte, als Max neben mir anfing zu kichern. Dann lachte er laut und unverschämt dreckig: „Du hättest dich sehen sollen. Das war saukomisch wie du ....oh, man, du hast echt gedacht... also, Okay, du bist sauer... könntest du bitte....nimm bitte das Messer von meinem Hals..."
Ich war außer mir vor Zorn. Meine Kopfhaut schmerzte, denn er hatte mir einige Haarsträhnen ausgerissen, als er mir meinen Hut wegriss. Fast hätte ich ihn verletzt. Lust dazu hätte ich gehabt. Nur ein klein wenig, mit der Klinge, bis sein Blut floß.... Aber, ich tat es nicht, was ich gleich darauf wieder bereute.
Und noch mehr kochende Wut brodelte in mir, als er lachend zusah, wie ich die diversen Utensilien, die ich aus den Manteltaschen verloren hatte, wieder einsammelte. Blödmann! Ich ärgerte mich gründlich über diesen Menschen. Vor allem, weil er immer wieder leise anfing zu kichern, während wir unseren Marsch fortsetzten. Nur wenig später kicherte er nicht mehr, sondern sprang mit einer Maske aus löchriger, schrundiger Birkenrinde vorm Gesicht laut schreiend um mich herum. „Ich bin ein Waldschrat! Buuuh" johlte er. Was mir dazu spontan in den Sinn kam, war alles nicht sehr nett, und so drehte ich nur die Augen gen Himmel und ging weiter.
Es war schon um die Mittagszeit, als wir den sanften Hang erreichten, an den sich einmal die Ansammlung von Bretterverschlägen gedrückt hatte. Wir hatten bestimmt dreimal so lange für die Strecke benötigt, als es normalerweise der Fall gewesen wäre. Nicht nur, dass Max sich gern mal ein Pinkelpäuschen gönnte, in der er zwar nicht pissen war, dafür aber ausgiebig Albernheiten von sich gab, nein, wir mussten unbedingt seine todsichere Abkürzung nehmen. Schon, als er sie ankündigte, war ich skeptisch. Die Richtung, die er einschlagen wollte, lag nicht gerade auf der direkten Route. Andererseits hatte er behauptet, dass er mal eine Weile in dieser Gegend gelebt hätte. Also sollte er sich auskennen, dachte ich. Später ärgerte ich mich gründlich, dass ich seiner genialen Idee gefolgt war und nahm mir fest vor, niemals wieder eine seiner Abkürzungen zu nehmen oder überhaupt auf ihn zu hören. Zwischendurch kam mir der Verdacht, er wolle mich absichtlich in die Irre leiten, oder er hätte ein Interesse daran, dass wir erst spät an der verlassenen Siedlung eintrafen.
Einmal hatte er sich ins Unterholz geschlagen. Ich war es leid, jedes Mal auf ihn zu warten und war einfach weiter gegangen. Da stürzte er mit lautem Geschrei von hinten auf mich zu. Ungerührt zog ich mein Schwert hervor und wollte den Quälgeist aufspießen, als ich sah, dass er im Gesicht blutete. Zumindest hielt ich es für Blut, das da zwischen seinen Fingern von seiner rechten Gesichtshälfte tropfte. Er hatte sich aber nur ein paar übrig gebliebene rote Beeren von einem Busch gepflückt und sich die zermatschten Früchte ins Gesicht geschmiert. Und wieder wollte er sich über meine kurz aufflammende Sorge und meine Reaktion ausschütten vor Lachen. Seltsam, aber ich werde nicht gerne ausgelacht. Dabei sollte man doch gerade bei so einem Typen darüber stehen. Der ist doch das ganze Ärgern nicht wert. Ich aber habe gekocht vor Wut. Und ich hatte mich nicht im Griff: als er kurz darauf dicht hinter mir her ging, wirbelte ich zu ihm herum und riss dabei den Ellenbogen hoch, traf seine Nase und es war das schönste Geräusch seit langem, als ich es knirschen hörte. Allerdings schaute ich nicht zu ihm, sondern zeigte in die Baumkronen und rief beglückt:
„Max! Wahnsinn, hast du das gesehen?" und drehte mich zu der gekrümmt dastehenden Gestalt um. Er hielt sich beide Hände vors Gesicht und diesmal war es echtes Blut, das da aus ihm tropfte. Ich tat zuerst, als hätte ich es nicht gesehen: „Nein, nicht da unten, du Dummi. Da oben, im Baum! – Hör auf, du glaubst doch nicht, dass ich zweimal auf deine blöde Beeren-Nummer reinfalle!" und damit ließ ich ihn stehen.
Vom Bretterbudendorf waren nur ein paar traurig in den strahlendblauen Himmel ragende Holzpfeiler und einige steinumsäumte Feuerstellen übrig geblieben. Unter dem hohen Kraut und Gras konnte man die Umrisse der Verschläge ahnen. Überrascht sah ich mich um. Kniete mich hier und da nieder, untersuchte Steine und Hölzer, fand alte, verkohlte Tierknochen, suchte, schaute, schnupperte. Nebenbei sammelte ich Körner und Samen aus den späten Gräsern ab, bis mein Getreidebeutel stramm gefüllt war. An diesem Platz waren die Samen prall und kräftig. Ich nahm mir vor, mir diesen Ort als zuverlässigen Körner-Speicher zu merken. Selbst in verregneten Sommern sollten auf diesem erhöhten Fleck genügend Gräser reifen und nicht vorzeitig verschimmeln.
„Woher hatten sie ihr Wasser?" wollte ich von Max wissen, denn ich konnte weder einen Brunnen noch einen Bach ausmachen. Max' Nase und Oberlippe war geschwollen und es klebten noch Reste von getrocknetem Blut in seinen Bartstoppeln. Sein lädierter Anblick befriedigte mich zutiefst.
„Da hinten" näselte er und zeigte in Richtung Westen, überlegte kurz, sah hin und her und lief dann in die angezeigte Richtung.
„Hier! Hier ist sie!" rief er von einer kleinen Anhöhe zu mir hin.
Skeptisch, ob das wieder einer seiner Scherze werden sollte, trat ich heran. Tatsächlich! Unter einem Stein heraus quoll, sich ein schmales Bett in den hellen Kies grabend, sprudelnd eine kleine Quelle. Das Wasser rann zwischen den Gräsern nur wenige Meter den Hang hinab und versickerte dann wieder im Boden. Max fing das Wasser mit der Hand auf und trank laut schlürfend davon. Dann gab er einen zufriedenen Urlaut von sich.
„Versuch's! Das ist wirklich gut" forderte er mich auf.
Misstrauisch schnupperte ich am Nass. Seine überzogene Reaktion ließ mich vorsichtig sein. Aber das Wasser roch normal. Da es auch keine auffälligen Verfärbungen an den Spülsäumen gab, kostete ich davon. Das Wasser war wirklich sehr gut. Frisch und leicht mineralisch schmeckend. Ich füllte meine Trinkwasserblase wieder auf und beobachtete meinen Begleiter dabei amüsiert.
Max war wegen meiner offen zur Schau gestellten Vorsicht beleidigt. Er verschränkte die Arme vor der Brust, drehte sich von mir weg und murmelte ständig etwas von „...kannst mir ruhig glauben, ... als wenn ich lügen würde..."
Meine Antwort war ein breites Grinsen.
Wir durchstreiften das Gras und suchten den Boden ab, ohne wirklich etwas zu suchen. Irgendwann fiel mir auf, dass es Flecke gab, wo das Gras farbiger, höher und saftiger schien. Zuerst dachte ich noch, es läge an der Quelle, aber dafür waren die Flecken zu ungleichmäßig verteilt. Mit einer dumpfen Ahnung bat ich Max, er möge mir mal zur Hand gehen. Aber sachte. Wir untersuchten einen der olivgrünen Flecken, teilten Grasbüschel, rupften Wegerich und Brennnesseln aus. Bis Max inne hielt. Er zeigte stumm ins braungrüne Geflecht. Etwas rundes, glattes, war da verborgen. Vorsichtig entfernte ich die sich zersetzenden Pflanzenfasern und den Sand und legte einen Kinderschädel frei. Wir buddelten das ganze Skelett aus. Ein Kind, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt. Es war nicht begraben worden, nur überwuchert, mit Blättern zugeweht, kompostiert. Der Kopf war von vorne, oben zertrümmert worden. Allerdings war für mich nicht zu erkennen, ob der Schädel vielleicht nach dem Tod zerbrochen war. Könnte ein Wanderer darauf getreten sein. Und das Knacken hat er vermutlich für einen berstenden Ast im Gras gehalten.
So knieten wir, einer Links, der andere Rechts, über der kleinen Leiche. Stumm sahen wir uns an. Erst sehr langsam schien die Tragweiter der Entdeckung in Max' Bewußtsein zu sickern. Er stand auf, schaute umher.
„Sie sind alle noch hier, Max" stellte ich fest.
Langsam näherten wir uns dem nächstliegenden grünen Fleck. Er war viel kleiner, als der, den wir zuerst untersucht hatten. Dort legten wir ein paar Knochen frei, die aber keinen ganzen Körper bildeten. Oberschenkel, Unterschenkel, Hüfte. Einen Oberarmknochen. Alle waren angenagt. Vermutlich hatten sich Hunde an den toten Jungs satt gefressen und die Körper im Streit ums Futter zerrissen. Auch wilde Schweine fressen Fleisch, wenn sie es so leicht erreichen können. Dann gab es noch Füchse, Marder, den Luchs, den ich zwar noch nie gesehen, aber seine Spuren gefunden habe.
Max sprang mit einem Fluch auf die Füße und rannte bergauf zurück zur Quelle. Dort oben begann er mit gestrecktem Zeigefinger laut zu zählen und kam auf dreiundzwanzig grüne Flecke. Von unten sah ich, wie er die Hände vors Gesicht schlug und langsam auf die Knie sank. Und da ich gerade nach oben blickte, bemerkte ich auch, dass der Tag schon fortgeschritten war. Es blieben nur noch zwei bis drei Stunden Helligkeit. Kein angenehmer Gedanke, an diesem Ort sein Nachtlager aufzuschlagen.
Bedächtig folgte ich ihm, stellte mich dazu und schaute ebenfalls in die Runde. Verdammt viele grüne Stellen an dem Hang. Die Leichen mussten schon seit zwei oder mehr Jahren dort liegen.
Ich legte Max die Hand auf die Schulter und sah auf seinen gesenkten Kopf hinab. Unwillkürlich fragte ich mich, ob er wohl wegen der toten Kinder, die er seit Jahren nicht gesehen hatte, so traurig war, oder ob nicht viel mehr das Bedauern über den Umstand, dass er wieder nicht den Beweis antreten konnte, Wort zu halten, ihn betrübte.
Zuerst sah der Mann zu mir auf, dann erhob er sich. Wir standen eine kleine Weile schweigend nebeneinander.
Mit einiger Sorge drehte ich mich zur tiefstehenden Sonne um.
„Los jetzt, wir bauen uns aus den restlichen Brettern dort drüben bei der Mulde einen Unterstand und schlagen unser Nachtlager hier auf" verkündete ich meinen Entschluss. Auf die Schnelle würde sich kein besserer Platz finden. Es gab frisches Wasser, Feuerholz und Bauholz. Die, von der Quelle aus, südlich gelegene Einbuchtung im Hügel bot eine halbrunde Lehmwand, die wir lediglich an einer Seite verlängern mussten um sie sicher zu überdachen.
Max sah mich verunsichert an, als könne er nicht glauben, dass ich den Vorschlag ernst meinen könnte: „Du willst dich hier" dabei zeigte er zuerst zu seinen Füßen, dann ringsherum „schlafen legen?"
„Hast du einen besseren Vorschlag?" fragte ich genervt und sprach sofort, ohne seine Antwort zu riskieren, weiter: „Und selbst wenn du einen anderen Vorschlag haben solltest, ich will ihn nach der grandiosen Abkürzung von vorhin nicht hören. Oder hast du Schiss?"
Max blies abfällig die Luft aus. „Schiss! Ich? Lächerlich!" murmelte er. Allerdings klang er dabei nicht sehr überzeugend.
„Gut. Dann hilf mir jetzt!" forderte ich ihn auf. Max zögerte. Er fühlte sich ganz offensichtlich unwohl. Und er hatte plötzlich einen Schluckauf, der ihn bei jedem „Hick" schüttelte. Er schloss den Mund fest und sah mich unzufrieden an. Also sagte ich ihm, was ich erwartete:
„Du gehst los und holst alles an Brettern ran, was du tragen kannst. Die morschen verfeuern wir, die stabilen verbauen wir. Ich werde solange den Platz vorbereiten und Schnüre drehen."
Der dunkelhaarige Mann trottete los. Dabei achtete er darauf, nicht über die grünen Flecken zu gehen. Derweil ich eine Vertiefung fürs Feuer und eine ellentiefe Hohlkehle in den Lehm der Wand grub, gerade groß genug, um bequem darin zu liegen, trocknes Gras ausriss und den Platz säuberte, beobachtete ich Max, der noch eine ganze Weile mit seinem Schluckauf zu tun hatte. Auch wenn es mich erheiterte, wie er mit Ästen und Brettern bepackt in Schlangenlinien den Berg herauf kam, irgendetwas mahnte mich zu Misstrauen und Vorsicht.
Es gab viele Möglichkeiten, was mit den toten Kindern geschehen sein konnte. Vielleicht wusste Max sogar, was passiert war. Vielleicht war er dabei gewesen? War er der einzig Überlebende? Der Auslöser? Der Grund für das Massaker?
Immer wieder kam der junge Mann angeschnauft und ließ die mitgebrachten Bretter polternd auf einen Haufen fallen.
Zwei stabile Rundhölzer waren dabei. „Die beiden nehmen wir als Stützpfeiler" beschloss ich und suchte nach einer passenden Stelle für das erste Pfeilerloch. Mit meinem kleinen Messer und einem frischen Ast lockerte ich die Erde und schaufelte sie mit den Händen aus dem Loch, bis ich eine armtiefe Kuhle ausgehoben hatte. Max versenkte das erste Rundholz darin und hielt den Pfeiler gerade, derweil ich die Erde wieder aufschüttete und zwischendurch immer wieder mit dem Fuß verdichtete, bis das Holz so standhaft war, als wäre es dort gewachsen.
Mit dem zweiten Stützpfeiler taten wir es genauso. Und während Max mit den Füßen, meinem Messer und Schwert das morsche Holz zu Brennholz zerkleinerte, drehte ich aus Gräsern, Fasern und Haaren stabile Schnüre, mit denen wir dann die Bretter mit den Pfeilern verbanden, um so ein tragfähiges Gerüst für das Dach zu haben.
Als unser Bauwerk vollbracht war, der Lagerplatz eingerichtet, das Feuer in der Feuerkuhle lustig flackerte und wir dabei saßen und schweigend etwas Dörrfleisch aßen, sprach Max aus, was ich dachte: „Wenn's hier nicht so gruselig wäre, es wäre der perfekte Ort, um zu bleiben."
Ich begnügte mich mit einem nachdenklichen Nicken. Zumindest war dieser Platz es Wert, in meine regelmäßigen Touren aufgenommen zu werden. Komplett unvorstellbar war der Gedanke, mit Max hier, oder an irgendeinem anderen Ort, dauerhaft zusammen zu leben. Mit dem Kasperkopp? Das würde er nicht lange überleben. Oder ich. Ich war noch nicht zu einem Urteil gelangt, wie dieser Typ wirklich tickte. Wenn er so lange allein überlebt hatte, dann musste er mehr drauf haben, als seine Albernheiten und seinen Bubi-Charme. Vielleicht war das ja seine Masche: Auf harmlos-naiv machen, sich bei günstiger Gelegenheit untern Nagel reißen, was er haben wollte, und verschwinden. Bestenfalls ohne Gewaltanwendung. In meinem Fall wären das dann wohl meine Waffen und der Beutel mit den heilenden Steinen. Vielleicht noch der Mantel.
Max schlug vor, er wolle diesmal die erste Wache übernehmen, und ich solle mich nur gemütlich am Feuer schlafen legen. Von wegen! „Ja, sobald ich das Korn zu Mehl gemahlen und für morgen einen frischen Brotteig angesetzt habe" knurrte ich.
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