Kapitel 16
„Max, also" stellte ich fest und sah den Mann, der mir schräg gegenüber saß und gerade das letzte Stück gebratenes Fleisch genüsslich in sich hineinstopfte, belustigt an. Irgendetwas war an dem. Ich nahm einen großen Schluck Wasser aus meiner Schweinsblase und beobachtete ihn unter halb geschlossenen Augenlidern. Ich beschloss auf der Hut zu sein, beließ es aber für den Augenblick einfach so. Max war ein Hallodri wie ich noch keinen zuvor getroffen hatte und ich wollte mich überraschen lassen.
„Ja, genau. Max. Einfach so." schenkte er mir ein gekonnt schüchternes Lächeln.
Gerade eben hatte er mir erzählt, er käme aus der Siedlung dort hinten. Dabei wedelte er unbestimmt mit der linken Hand in eine Richtung.
„Warum bist du dann von dort über die Mauer gesprungen?" wollte ich wissen, und zeigte in die entgegengesetzte Richtung, dorthin, von wo Max mir vor die Füße gekullert war.
Für einen winzigen Moment verschwand sein charmantes Lächeln hinter einer Ertappt-Wolke, dann hatte er die passende Erklärung parat:
„Ja, weißt du, ich war auf dem Rückweg. Da hörte ich die Wölfe und ich sah dein Feuer, und da bin ich einfach nur gerannt. Die Wölfe werden immer dreister."
An diesem Spiel fand ich Gefallen und wies ihn gleich auf seinen nächsten Lapsus hin: „Soweit mir bekannt ist, wurde die Siedlung dort hinten aufgegeben." Lächelte ich ihn an, gespannt, wie er sich da herauswand.
Erst einmal verschluckte er sich und hustete. „Ja, weißt du, das ist eine seltsame Geschichte..." begann er und hielt inne, um zu warten, ob ich sie hören wollte. Und wie ich wollte!
„Dann mal los, die Nacht ist noch lang" ermunterte ich ihn.
Max erzählte lebhaft gestikulierend mit dramatischen Kunstpausen und seine Stimme hob sich, wenn es spannend wurde, senkte sich bei Fragen, die zu beantworten er gleich darauf ansetzte. Er war ein verflixt unterhaltsamer Erzähler; fügte gekonntes Kichern an Stellen ein, die anzeigten, dass ihm das jetzt irgendwie peinlich war.
„Ist schon 'ne Weile her, dass ich da weg bin. So gut zwei Jahre. Vielleicht auch mehr, so vier. Na, ich war einfach zu alt für die Gruppe von Jungs geworden. Das waren so Durchgeknallte, die nichts anderes im Kopf hatten als den Kumpels zu beweisen, wie mutig und geschickt sie waren. Ständig gab es Streit. Immer Wettstreit. Einige haben sich dabei selbst aus der Fortpflanzungslinie aussortiert." Er schüttelte seine Hand vorm schmerzverzogenem Gesicht, um anzudeuten, dass es sich um dumme und schmerzhafte Unfälle gehandelt hatte und fuhr dann fort:
„Ich hab mich, wenn es brenzlig wurde, gern rausgeredet. Reden war ehr so meine starke Seite." (An dieser Stelle nickte ich zustimmend, was ihn nicht irritierte.)
„Da musste ich ja auch mal sehen, ob sich was Weibliches für mich findet und bin also los, ohne groß Tschüss zu sagen. Es hatte da vorher ein paar Missverständnisse gegeben" griente er mit einer Mischung aus schlechtem Gewissen und Stolz auf sich selbst. (Das hieß dann übersetzt wohl so viel, als dass ihn seine große Klappe bei seinen Kumpels fast auf der Speiskarte hat landen lassen und er ausgerückt ist)
„Jedenfalls haben die nicht glauben wollen, dass ich in die Salzstadt gehen würde. Und da musste ich es ja wohl beweisen. Hat nur 'n bisschen länger gedauert als geplant. Stell dir vor, da habe ich beides gefunden. Salz für die Jungs und eine Frau für mich. Tolle Frau. Wir haben zwei Kinder und ein drittes ist unterwegs." Er machte eine Kunstpause, als denke er nach. Dabei beobachtete er meine Reaktion auf seine Worte genau, um sich die weitere Story zurecht zu legen. Und ich gebe zu, dass er mich beeindruckt hat, denn ich musste nicht ein Wort von mir geben. Augenblicklich riss er beide Hände hoch, als hielte ich ihm mein Messer vor die Nase. Er hatte meinen Blick richtig interpretiert.
„Ja, ja" beeilte Max sich anzufügen. „Ich weiß, was du sagen willst. Ich hab' meine Frau mit den Kindern schutzlos zurück gelassen, nur um meine nichtsnutzigen Kumpels zu besuchen. Und: Du! Hast! Recht! Ich bin ein Idiot. Aber das ist so'n Männerding. Wenn man was versprochen hat, muss man es auch halten."
Überrascht zog ich eine Augenbraue hoch, und er kam einem Einwand meinerseits sofort in leicht beleidigtem Tonfall zuvor:
„Niemand traut mir zu, dass ich ein gegebenes Versprechen halte. Aber genau deswegen muss ich es machen. Weil keiner glaubt, ich hätte auch nur einen Funken Anstand in der Brust. Ja – na gut, oft genug war das Schicksal gegen mich und ich konnte einmal gegebene Versprechen nicht halten. Das Leben ist so. Da wird man hin und her geschubst vom Leben und wenn man versucht seinen eigenen Weg zu gehen, dann warten einige Fallgruben und Stolpersteine auf einen. – Jedenfalls habe ich Salz dabei, um es den alten Freunden zu geben." Und er zog einige Päckchen in Leder gewickeltes Salz aus seiner Felltasche hervor. Eines entpackte er umständlich und hielt es mir zum Kosten hin. Ich nahm mir von den großen, miteinander verklumpten Kristallen einen Krümel und leckte daran.
„Mmh, gut. Wie viel bekomme ich davon für die drei Ratten, die du eben gegessen hast?" wollte ich wissen.
Max grinste und reichte schweigend ein ganzes Packet Salz zu mir rüber. Das war ein Vielfaches von dem Wert, was drei mickerige, gebratene Ratten gebracht hätten. Er überraschte mich schon wieder mit seinem feinen Gespür dafür, wann es angebracht war, großzügig zu sein.
„Wenn meine Kumpel sich verstreut haben, und die Siedlung nicht mehr existiert, dann brauche ich es auch nicht mehr weiter zu schleppen, was?" lächelte er mir sein zuckersüßes Lächeln zu. Nach einigen Minuten des Schweigens fragte er unversehens: „Sag' mal, wie heißt du eigentlich?"
„Alana" antwortete ich kurz angebunden. Ich war mir nicht sicher, ob er wissen sollte, wie mein Name war. Max erhob sich, sammelte vom Holz ein, das inzwischen in der Wärme getrocknet war, und warf es auf die zusammengefallene Glut. Er schichtete ein Langfeuer auf, sah mich mit von den Flammen erleuchtetem Gesicht an. „Alana, die Heilerin?" und ich wollte schon erfreut nicken, als er fortfuhr: „Alana die Pfuscherin und Kräuterdiebin?"
Wenn Blicke töten könnten, dann wäre Max in dem Augenblick tot umgefallen. „Verschwinde!" zischte ich.
„Hey, ho, ich habe doch vorhin gesagt, dass das Leben seltsam ist. Wenn einer für so was Verständnis hat, dann ja wohl ich" grinste er seine Honigkuchenpferd-Grinsen.
„Wenn du Thujia glaubst, dann kannst du wieder in die Nacht verschwinden. Jetzt. Sofort!" knurrte ich ihn an.
Seine Unschuldsmine war herzerweichend. „Wer ist Thujia?" wollte er mit einem Dackelblick wissen, der seinesgleichen sucht. Schon in diesem Augenblick war mir klar, dass dieser Kerl mich in den Wahnsinn treiben konnte. Lohnte sich eine Diskussion, oder auch nur eine Erklärung? Ich winkte ab. Er schenkte mir sein Unschuldslächeln.
„Erzähl' mal, wie ist es in der Salzstadt?" wollte ich wissen.
Max kicherte belustigt. „Stadt ist jetzt vielleicht etwas übertrieben. Da sind ein Haufen Ruinen, ein paar Hütten und 'ne Menge weißverkrustetes Gesockse. Und die Salzfelder. Große Flächen, auf die das Salinenwasser gebracht wird. Da verdunstet die Flüssigkeit und zurück bleibt das hier" er klopfte auf seine Felltasche. Dann kam er zum interessanten Teil: „Da sind die, die schuften; und noch die anderen, die feinen Pinkel, die das Salz verkaufen. Oder eintauschen. Ich sag' dir, die haben alles, was du dir nur vorstellen kannst."
„Ich kann mir 'ne ganze Menge vorstellen" nickte ich. „Kommt deine Frau aus einer Arbeiter- oder einer Händlerfamilie?" wollte ich wissen. Schon als ich den Satz formulierte, konnte ich die zu erwartende Antwort an seinem Gesicht ablesen. Seine Frau kam aus besseren Kreisen. Wahrscheinlich musste Max sie geschwängert haben, bevor die Familie in die Verbindung einwilligte. Und dann hat er sie alle um den Finger gewickelt mit seinem Charme. Genau das bestätigte mir auch seine Antwort.
Max sprang in seiner Erzählung nochmal zurück zu der Haben-Frage: „Die haben Felle. Leinenkleider. Lederschuhe. Metallklingen. Gewürze. Muschelgeld. Gold, Edelsteine und Silber. Und das Tollste: die haben die Tränen der Götter...!" er sah mich erwartungsvoll an, ob ich auch gebührend beeindruckt war.
Da ich wusste, wie sehr es ihn fuchsen würde, sah ich ihn nur gelangweilt an. „Tränen der Götter?" fragte ich belustigt. Ich kannte den Ausdruck von meinen Besuchen in Lübeck.
Ostsee-Bernstein.
Max war jetzt in seinem Element. Mit seinen Händen vollführte er magische Bewegungen, als wolle er etwas beschwören, seine Augen waren weit geöffnet, ein geheimnisvolles Lächeln kündigte die Sensation an. Seine Stimme senkte sich und er flüsterte nur noch: „Brennende Steine!" hauchte er wie ehrfürchtig.
„Ja, Bernstein!" entzauberte ich seinen Vortrag. „Ich habe hier welchen in meinem Medizinbeutel." Augenblicklich blitzten seine Augen fiebrig auf, als sei er auf Schatzsuche. Reichtum schien sein schwacher Punkt zu sein. Anders konnte ich mir nicht erklären, dass er sich in diesem Augenblick nicht besser unter Kontrolle hatte. Ablenkend, wie beiläufig fragte er, ob der den Bernstein sehen dürfe.
„Nein!" wies ich ihn schroff zurecht. Es tat mir leid, ihm von dem Stein erzählt zu haben. Max war zu so ziemlich allem fähig, wenn er sich nur einen Vorteil davon erhoffen konnte.
„Du übernimmst die erste Wache!" bestimmte ich, legte noch Holz auf das Feuer, machte mich an der warmen Mauer lang, zog den Hut ins Gesicht und drehte mich in meinen Mantel. Das kurze Schwert drückte an den Rippen, aber ich hatte es lieber sicher an meiner Seite liegen, als in meiner Brust stecken.
Unter der Hutkrempe hervor beobachtete ich Max eine Weile. Er saß still, sah zuweilen zu mir rüber und nickte manchmal vor sich hin, als sei er in Gedanken bei einem Gespräch. Er konnte im Schatten der Krempe nicht sehen, dass meine Augen noch nicht geschlossen waren, und nach einer Weile stand er auf und verließ den Kreis des Feuers. Gleich darauf hörte ich ihn auf der anderen Seite der Mauer entspannt summen und das Pladdern seines Urins am Stein. Männer! Ein paar Meter weiter hätte er schon gehen können, oder?
Kaum hatte Max sich wieder an den Platz gesetzt und begonnen mit einem Stock in der Glut zu stochern, fragte ich ihn: „Wo hast du Thujia getroffen?"
Überrascht sah er zu mir hin und antwortete sofort, ohne sich eine Nachdenkpause zu gönnen: „Oben, an den Altogleisen."
„Wann?" bohrte ich nach.
„Vor vier Tagen" kam die Auskunft.
„Aha" machte ich vielsagend und drehte mich wieder zum Feuer hin. Max machte ein nachdenkliches Gesicht. Ich konnte ihm an der Nasenspitze ansehen, dass er sich nur ungern beim Flunkern erwischen ließ. Von wegen: ‚wer ist Thujia?' Zudem missfiel mir die Tatsache, dass Thujia sich so nah an der Friedensallee herumtrieb. Mir bleib nur zu hoffen, dass sie keinen Zugriff auf die Kräutergärten und sonstigen Heilmittel bekam. Die Altogleise waren eine riesige, teils bewaldete Fläche, die von verrosteten Gleisen durchzogen war. Ehemals ein Rangierbahnhof, waren nur der Schotter und die Metallstränge geblieben. Überwachsen von Gräsern und Birkenhainen. Schwieriges Gelände. Zwar gab es keine Fallgruben aus eingebrochenen Kellern, aber es war dort kein zügiges Vorwärtskommen möglich. Viele freie Flächen auf denen man wie auf einem Präsentierteller stand und gleichzeitig kaum zu durchdringende Gehölze, die als Beobachtungsposten dienen konnten. Was wollte Thujia da? Da gab es nichts außer Birken im Überfluss. Und Birken waren in dieser Gegend ringsumher nun wirklich keine Seltenheit. Ich mied dieses Areal, wenn ich konnte. Zu unübersichtlich, zu uneben. Andererseits ein gutes Versteck, wenn man etwas zum Verstecken hatte. Niemand ging da hin. Und warum war Max dort gewesen? Hatte er Thujia nicht rein zufällig dort getroffen? Mein Vorsatz, auf der Hut zu sein, verfestigte sich zunehmend.
„Warum warst du an den Altogleisen?" wollte ich wissen.
Diesmal ließ er sich nicht überrumpeln: „Herrje, wenn du nicht schlafen kannst, dann übernimm' du doch die erste Wache. Ich bin saumüde" quakte er mich an.
„Gut" das war mir Recht. Ich schlug meinen Mantel zurück, zog das Schwert unter mir heraus und tauschte mit dem frechen Kerl den Platz. Zufrieden rollte Max sich zusammen und nur wenige Minuten später schnarchte er leise.
Ich hob mir einen runden, faustgroßen Stein auf und vertrieb die Zeit, indem ich langsam und sorgfältig die Klinge des Schwertes abzog. Gelegentlich warf ich Holz auf die Glut und beobachtete den Mond auf seinem Weg am Himmel entlang.
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