Kapitel 93
Shawn Mendes - Mercy
Samstag, 21. März
"Die Mitochondrien müssen wiederbelebt werden." Ich seufze frustriert. Wieso sind diese Zellen so blöd und lasse sich beschädigen? "Beruhige dich, du hast noch Zeit", meint Ranja belustigt. Ich verneine es. "Ich will es jetzt! Dichloracetat ist gut gegen Krebs, also muss ich mir Berichte dazu anschauen. Eine Apoptose muss entstehen. Mein Gott, so schwer kann das doch nicht sein! Es gab schon welche, die ein Heilmittel erschafft haben, nur sind die noch in der Prüfung." Motiviert recherchiere ich und schaue mir Beiträge an. "Der Zuckerstoffwechsel muss blockiert werden." Ich summe nachdenklich. "Ich habe mal etwas über Litschis gelesen, Moment." Es wird doch irgendwo eine beschissene Lücke geben. Meine Krebsgeschwüre sind verschwunden, aber sie sind immer nach drei Tagen oder mehr aufgetaucht. Ich müsste eigentlich gucken, ob eine Chemotherapie dann das Ganze überstützen könnte. Das schreibe ich mir direkt auf! "Wann geht ihr überhaupt zu Nadims Eltern?", frage ich nebenbei. "Nadim müsste gleich kommen. Belästigt Aleyna euch immer noch?" Ich verdrehe meine Augen. "Nein, nur dieser Brief. Mein Gott, war ich sauer. Mir war zwar klar, dass es gelogen war, aber dann kam doch mein Temperament hoch." Ich seufze. Es ist ja endlich vorbei. Aufregen tut sie mich ja nicht mehr und unter meine Augen tritt sie auch nicht. Statt zu recherchieren sollte ich weiter für das Hammerexamen lernen. Wir reden noch etwas, bis Nadim sie anruft und sie losmuss. Wo bleibt Can? Macht er heute mehrere Trainingseinheiten? Nicht, dass das Essen ganz kalt wird. Ich laufe ins Arbeitszimmer, weil ich mir ein Buch nehmen muss. Can saß gestern die ganze Zeit hier und hat gebüffelt. Seine Notizen liegen noch verstreut auf dem Tisch. Damit es übersichtlicher wird, ordne ich alles. Auf den Zetteln stehen viele Definitionen, aber auch Adressen. Das macht mich stutzig. Ich weiß nicht, wo diese Straßen liegen und wieso er sie hat. Ah! Ich höre, wie Schlüssel klimpern, sofort lächele ich.
"Wo bist du?" Mein Lächeln fällt bei seinem bedrohlichen Ton. Ich zucke zusammen, als er die Tür zuknallt. Leicht panisch lege ich die Zettel zurück. Can ist richtig wütend, als er ins Zimmer tritt. Mir rutscht das Herz in die Hose. "Was hast du getan?", brüllt er. Mein Herz pocht sofort. Was ist passiert? "Antworte, Shana", zischt er. Mit schnellen Schritten kommt er auf mich zu. Instinktiv weiche ich zurück, aber seine Hand packt mich zurück, was mir unterdrückt schreien lässt. Wo ist Ramazan? Can macht mir Angst. "Was hast du dir dabei getan?", brüllt Can mich an. "Gar nichts!" Schützend halte ich mir eine Hand vor mein Gesicht, die er runterdrückt. Er drückt so stark zu, dass die Wucht meinen ganzen Körper auf die Knie zwängt. Was ist los mit ihm? Was hat er gehört? "Lass los!", schreie ich. In mir herrscht Panik, alles ist in Alarmbereitschaft. Ich winde mich stark, schaue flehend in seine Augen, die verwirrt sind. "Du machst mir Angst, Can", wimmere ich. Wieso macht er das wieder? Was habe ich ihm getan? Wieso muss es immer mir passieren? Ich winde mich stärker und kann sogar Can wegdrücken von mir. Mein Unterarm pocht, er ist rot. "Was ist verdammt nochmal los mit dir?!", schreie ich voller Wut, trotz meiner Angst. Ich habe ihm nichts getan! Wieso wird er so aggressiv? Ich rutsche vorsichtshalber zurück, ich will nicht aufstehen. Can ballt seine Hände, seine Venen ragen heraus. Ich stehe doch lieber auf, ich will vorbereitet sein. "Geh zurück", fauche ich leise. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Was um alles in dieser Welt ist passiert, dass Can mich angreift? Ich will nicht wieder weinen, aber es tut weh. Seine Wut tut mir weh, seine Aggression tut mir weh, meine Angst tut mir weh.
Diese Stille, die im Raum liegt, drückt sich auf mich. Ich fühle mich unwohl, ich fühle mich unwohl und kann nicht sprechen. Ich fühle mich unsicher, ich will woanders sein. Alte Gefühle und Gedanken kommen hoch, die ich doch verbannen wollte. Ich will das nicht, nein, ich möchte weg. Hier ist niemand, der mich beschützen kann vor seinen Händen. Cans Augen sind dunkel, er ist blind vor Wut. Gott, bitte beschütze mich vor seiner Kraft. Gott, bitte gib mir genügend Kraft. Seine Blicke machen mich schwach, sie machen mich ängstlich. Mental bin ich stärker als er, aber was bringt mir das, wenn er seine Hände verwenden kann? Mein Herz rast, meine innere Stimme schreit mir zu, dass ich wegrennen soll oder etwas zur Verteidigung zu mir nehmen soll, mich hinter den Stuhl wenigstens stellen muss, aber ich kann mich nicht bewegen. Vor Angst bin ich an den Boden gefesselt. Er atmet tief durch, sofort halte ich meinen Atem an. "Hast du irgendeiner Freundin ein Foto geschickt?" Seine kalte Stimme lässt mich bis ins Mark erschaudern. "Was-," Ich muss mich räuspern, ich will meine solide Stimme zurück. "Was für Bilder?" Er kommt einen Schritt auf mich zu, sofort weiche ich zurück. "Wo du wenig anhast, wo du viel zu viel Haut zeigst", zischt er am Ende. Ich weiche immer weiter nach hinten, verfluche die Wand, dass sie mich eingrenzt. Ich habe nicht einmal die geringste Ahnung, was Can meint. Ich habe keinem der Mädchen ein Foto von mir geschickt, wo ich knapp angezogen bin. "Nein", kommt es entgeistert von mir. Das lässt Cans Kiefer zucken. Er holt auf, packt mich am Hinterkopf. Ich ramme sofort meine Nägel in seine Haut, kneife die Augen zu. Ich will weg!
"Mach deine Augen auf!", faucht Can mich an. Ich wimmere innerlich. Seine Wärme kommt mir gerade so kalt vor. Ich will ihn sonst immer nah an mir spüren, aber jetzt machen mir seine Nähe und sein Duft Angst. Er bewegt meinen Kopf ruckartig, ich öffne ängstlich die Augen, blinzele angestrengt die Tränen weg. Cans Handy hat Schrammen und einen großen Sprung in der Scheibe. Es ist ein Bild, ein Nacktbild. Mir wird sofort kalt. "Das bin nicht ich!", schreie ich sofort. Meine Wut überkommt mich, weswegen ich das Handy aus seiner Hand schmeiße und auch Can wegschubse. Meine Hände zittern vor Angst und Wut. Ich hasse ihn gerade so sehr. Ich empfinde trotz meiner blanken Wut eine große Angst vor Can, denn er ist eben so viel stärker als ich. "Diese Bilder haben sich verbreitet. Jeder denkt, dass das meine Frau ist!", schreit Can. Seine Halsader sticht stark hervor. Ich komme mir verraten vor. Verraten, weil Can mir nicht glaubt. Das ist wie ein Schlag ins Gesicht. Ich bin so wütend, ich bin so verdammt wütend, dass ich einfach nur schreien will. Ich will so laut schreien, bis meine Stimme ermüdet. Ich bin so wütend, dass ich weinen muss, dass mein Oberkörper zuckt, dass ich Can mit meinen Worten jetzt so stark verletzen könnte, sodass er die Therapie neu beginnen muss. "Du bist eine Missgeburt, Can", flüstere ich. Eine Träne fließt hinab. "Du bist eine verfickte Missgeburt, CAN!" Ich raufe mir mein Haar, ich will so vieles mehr sagen, aber ich will es doch nicht. "Wie kannst du denken, dass ich das tue? Wieso bist du so gestört?!" Ich greife mir das Handy, muss es in beiden Händen festhalten, muss meine Arme an meinen Oberkörper pressen, weil ich so stark zittere. Ich schaue mir diesen Dreckskörper an. Das kann niemals mein Körper sein. Selbst die anderen Bilder zeigen wenig Ähnlichkeiten. "Wie oft hast du meinen Oberkörper gesehen? Wie oft hast du meine Brüste gesehen? Dehnungsstreifen, Venen, selbst die Farbe meiner Brustwarzen, Can!" Ich wimmere frustriert, lasse einen Schrei ab.
Can schaut angestrengt, blinzelt schnell und oft. "Bist du komplett dumm? Seit wann habe ich ein Muttermal auf dem Bauch? Seit wann habe ich einen narbenfreien Bauch?!" Ich schmeiße sein Handy auf den Boden, wimmere wieder. Das tut so verdammt weh, es ist so demütigend. Nicht die Nacktbilder sind demütigend, nein. Can demütigt mich. Es ist demütigend, dass mein eigener Ehemann mir nicht vertraut. Ich kriege wieder Schmerzen im Brustbereich. Meine Sicht verschwimmt, aber ich will nicht vor ihm weinen. Ich habe gerade nicht meinen geliebten Ehemann vor mir. Oh nein, ich habe einen Verräter vor mir, einen ignoranten Verräter. "Wie konntest du nur, Can? Was stimmt nicht mit dir?!" Er nimmt sich sein Handy in die Hand, atmet vernehmbar. Er wirkt so, als ob er die Bilder analysieren würde. Ich bleibe nicht hier, ich will weg. Cans Kiefer ist sehr stark angespannt. Es kommt mir so vor, als ob er kurz davor ist, sein Gelenk zu zerstören oder seine Zähne. "Wo. Ist. Der. Brief?" Ich antworte ihm nicht. Ich will nichts für ihn tun. "Ich töte diese Schlampe." Can reißt die Schubladen auf, holt den Brief von Aleyna raus. Wieso er den Brief noch hat, weiß ich nicht. Er tippt auf seinem Handy offensichtlich die Nummer ein, schaut mich mit einem Blick an, den ich nicht deuten kann. Ich schaue ihn voller Verachtung an. Das ist gerade nicht mein Mann. In mir bebt alles. Das ist mein Can? Das ist der Can, der mich sonst verteidigt und schützt? Der, der mir vertraut? Ich will nicht an den Fakt denken, dass er sich immer noch an Aleynas Körper erinnern kann.
"Aleyna?", raunt er. Das hört sich so falsch an. Das hört sich so verdammt ekelig und falsch an.
"Könnten wir uns eventuell jetzt treffen?" Ich könnte wieder vor Wut weinen, weil er mit ihr normal redet, aber mich angeschrien hat.
"Ja, ich komme dahin. Schnell." Can legt auf. Schnell wische ich mir meine Träne weg.
Can schaut mich an, wirkt unsicher, aber das lässt mich kalt. Ich würde ihm so gerne verpassen, aber ich bin gerade zu schwach dafür. "Shana-," "Halt deine Schnauze!", fauche ich leicht brüchig. Er schluckt. Ich schüttele fassungslos den Kopf. "Sag mir eins, Can." Ich atme tief durch. Ich habe einen Kloß im Hals. "Wieso hast du mich geheiratet? Einfach so? Weil du Lust hattest? Gab es keinen Grund? Gab ich dir anfangs nichts?", blaffe ich am Ende. Das, was ich gerade empfinde, ist einfach nicht in Worte zu fassen. Es ist ein Schmerz, der sich durch Enttäuschung, Verrat, Wut und Trauer zusammensetzt. Ein Gift, welches mich verspottet, mich auslacht. "Weil ich dich liebe." Ich muss lächeln. Mein Lächeln zeigt Spott und Trauer. Gott, meine Wut reicht bis zu dir. "Beinhaltet die Liebe kein VERTRAUEN?", schreie ich am Ende. Meine Knie zittern, genauso meine Augenbrauen, die ich zusammengezogen habe. "Du bist mir kein Ehemann!", spucke ich. Dass ihn das getroffen hat, sehe und spüre ich. Ich kann mich nicht zügeln, ich habe sooft Geduld gehabt, ich war sooft barmherzig. "Ich habe über dich gehütet, ich habe deine Gewalt hingenommen und dir verziehen und was tust du?" Mir steigen wieder die Tränen auf, diese schwere Last legt sich wieder auf meinen Nacken. Ich halte mir die Hände vor meine Augen. "Bist du so dumm, Can?", flüstere ich resigniert. Voller Wut sehe ich ihn an. Er ist blass geworden, vollkommen versteift. "Antworte doch!" Cans Brust bebt, er will etwas sagen. "Ich mache es wieder gut", flüstert er kleinlaut. Ich lache fassungslos auf. "Wie? Willst du jedem ein Nacktbild von dir schicken?", frage ich sarkastisch. "Willst du mich wieder weichmachen, indem du Albträume kriegst?" Er kratzt sich hinter seinem Ohr. Er errötet, er fühlt sich unwohl. Ich fühle mich so beschmutzt. "Willst du zu Aleyna gehen und fordern, dass sie ihre Bilder auch wirklich als ihre anerkennt?" Wie will er das wiedergutmachen?
Can rauft sich sein Haar, läuft hin und her. Was soll er tun? Was will er schon machen? Es geht in die Runde, dass ich Nacktbilder veröffentlicht habe oder sonstiges. Das Schöne ist ja, dass Can das geglaubt hat. "Ich bringe sie um", flüstert er bedrohlich. Das lässt mich kalt. Rasend boxt er gegen die Wand, läuft aus dem Zimmer. Etwas in mir zwingt mich, ihm nachzulaufen. Er reißt die Tür auf, er wird zu ihr gehen. Ich muss mit, ich habe ein Recht zu wissen, was passieren wird. Ich setze mich aber nicht auf den Beifahrersitz, sondern nach hinten. Ich weiß nicht, wo es hingeht. Ich weiß nur, dass mir die Fahrt so lang vorkommt. Was wird er sagen? Was wird Aleyna sagen? Ich schreibe Saliha, dass ich heute bei ihr bleiben muss. Ich werde nicht bei Can bleiben. Keine Kraft der Welt schafft mich zu ihm zurück. Was habe ich bloß getan, dass ich all diese Schläge einstecken muss? Mir ist gerade die Lust an allem vergangen. Wieso müssen wir solche Probleme bekommen? Können wir uns nicht wie normale Paare wegen Unordnung oder sonstigem streiten? Wieso sind wir verflucht? Der Wagen wird langsamer, ich will nicht aussteigen, ich bin müde. Beim Aussteigen lasse ich mir viel Zeit. Mein Körper fühlt sich so schwer an. Monoton lasse ich meine Schuhe über den Boden schleifen, beleidige und verprügele diese elende Hure in Gedanken. Mein Oberkörper bebt wieder. Can ist mir mehrere Meter voraus, aber ich gebe mir nicht die Mühe, ihn aufzuholen. Was soll Can schon ändern können? Das Schlimmste kam von ihm. Ich bin so verdammt müde, ich bin erschlafft. Ich will nur noch weg. Weg von dieser Negativität, weg von diesem Mann.
"Was hast du getan?!", ruft Can aufgebracht. Sein Rücken spricht Bände, aber mich lässt das kalt. Sooft hätte es mich mitgenommen, mich mitgerissen, aber ich stehe einfach wie tot da. Aleynas Augen glitzern, diese Schlampe hat ihre Hoffnungen immer noch nicht aufgegeben. "Was meinst du?" Can kreist seine Schultern. "Was hast du da für Bilder veröffentlicht?", zischt er und hebt schnell die Hand, was Aleyna zusammenzucken lässt. Hätte er beim ersten Mal richtig hingeguckt, dann hätte er es sofort dementieren können. Aber nein, er glaubt lieber einer Lüge und mutiert zum Ignoranten. Aleynas Maske fällt, sie wirkt von Can eingeschüchtert. Ob sie mich überhaupt bemerkt hat, weiß ich nicht. Na ja, ich stehe auf weiter weg von ihnen. "Wieso verbreitest du Nacktbilder und sagst, es sei Shana?" Er schubst Aleyna, mein Bauch zieht sich zusammen. Aleyna wirkt aschfahl, sie ist sprachlos. Was soll sie auch groß sagen? Sie wurde erwischt, ertappt, geschnappt. "Was fällt dir ein?", brüllt Can. Dasselbe könnte ich dich auch fragen, mein Liebster. "Ich-, ich-, was willst du immer von ihr?", kreischt sie. Ich würde mir wegen ihre Dummheit gegen die Stirn hauen, aber ich bin zu lustlos. Ich schaue auf Cans Rücken, erkenne und verstehe seine Körpersprache. Seine Wut überhäuft ihn. Los, Can! Was willst du machen?, denke ich sarkastisch. Er wird immer wütender. Das erkennt man an seinem sich schneller hebenden Oberkörper. Seine Hände sind geballt, sie zittern - vor allem die linke Hand. Sein Rücken ist viel breiter. "Du verfickte, kleine Schlampe", knurrt er. Seine Hand rauscht mit voller Wucht gegen ihr Gesicht, lässt es schallen. Ich falle aus meiner monotonen Haltung, halte mir die Hände vor den Mund, ziehe erschrocken die Luft ein. Can hat sie geschlagen. Can hat Aleyna zu Boden geschlagen!
Aleyna wimmert, sie hat Angst. In mir rauscht und pocht es. Ich stelle mir unwillkürlich vor, wie Can mir eine gescheuert hätte. Can wurde handgreiflich gegenüber einer weiblichen Person. Er hockt sich zu ihr hinunter, packt ihr Haar und zieht feste daran. Seine andere Hand greift rabiat nach ihrem Kinn. Ich zögere, gehe aber schnell auf Can zu, der ihr droht. Mein Herz rast wie wild, meine Knie schlottern fast. "Bei Gott, machst du das noch einmal, bist du tot, Aleyna!" Sie nickt weinend. Ich fühle mich so komisch, so komplett durchfühlt und dennoch monoton. Can packe ich unter den Achseln und ziehe ihn weg. Er steht ruckartig auf und schaut mich mit Wut in den Augen an, die langsam erlischt. "Fahr mir zu Saliha." Ich drehe ihm den Rücken zu und laufe zum Auto. Can wurde handgreiflich, er hat Aleyna geschlagen. Er hat sie meinetwegen geschlagen. Wie fühle ich mich? Ich kann es nicht beantworten. Aleyna hat eine Schelle der Vernunft verdient, das steht außer Frage... nur ist es so... ich kann es einfach nicht beschreiben. Trotzdem hat Can einen Fehler gemacht. Das macht die Sache nicht besser. Can hat mich trotzdem mit seiner Ignoranz verraten. "Wieso willst du zu Saliha?", fragt Can vorsichtig. Wie zwiegespalten seine Persönlichkeit doch ist. "Weil ich nicht bei dir bleiben will", zische ich. Ich habe Can heute echt satt. Es reicht mir für heute. "Nein, bleib bei mir." "Hör auf mich und fahr mich zu meiner verdammten Freundin!", rufe ich. Mir steigen wieder die Tränen auf. Ich bin aufgewühlt, ich bin wütend, fassungslos und traurig. Ich will mit jemanden reden, der nicht Can ist. "Shana, ich lasse dich jetzt nicht irgendwo hin." Ich würde ihn so gerne würgen, würde er bloß nicht fahren. "Wenn du mich liebst, dann lässt du mich jetzt gehen." Ich beiße mir auf die Zähne. Er soll mich in Ruhe lassen. Ich bleibe nicht bei ihm. Can seufzt ergeben und wechselt die Richtung, sodass ich vor Salihas und Maliks Wohngebäude ankomme. "Shana, es tut mir leid." Augenverdrehend steige ich aus dem Wagen, dessen Tür ich laut zuknallen lasse. Ich höre kein Wegfahren, Can bleibt hier. Das hält mich aber nicht davon ab, zu Saliha hochzurasen.
Seufzend klingele ich und werde von ihren braunen Kulleraugen und ihrem Grinsen begrüßt, welches sofort fällt. Sie versteht sofort. "Komm rein. Malik! Hol Wasser!" Malik begrüßt mich, als er in die Küche läuft. Ich lasse mich auf dem Sofa nieder. Hier wird sicherlich keiner beschuldigt, Nacktbilder veröffentlicht zu haben. "Danke", sage ich leise zu Malik, als er mir das Glas gibt. "Was ist passiert? Streit?" Ich nicke seufzend. "Can ist ausgeflippt." Ich schlucke. Werde ich dieses Gefühl jemals erklären können? Diese Art von Verrat zu spüren ist alles andere als schön. "Aleyna, sie..." Ich atme tief durch. "Sie hat Nacktbilder veröffentlicht und es so dargestellt, als sei es mein Körper." Saliha japst schockiert nach Luft. "Was eine Hure! Wo ist sie?", fragt Saliha aufgebracht. Ich schiele kurz zu Malik und stütze dann mein Kinn auf dem Glasrand ab. "Wir haben uns mit ihr getroffen, Can hat sie zur Rede gestellt und dann hat er sie geschlagen." Wir schweigen. Was soll man sagen? Aleyna hat psychische Sabotage begangen. Malik seufzt. "Hat er so richtig zugeschlagen?", fragt er vorsichtig. "Eine Backpfeife, die sie zu Boden geworfen hat. Er hat fest an ihren Haaren gezogen, ihr Kinn brutal umschlossen, das tut auch weh." Ich spreche ja aus Erfahrung. Wenn Can diesen Schritt gewagt hat, würde er es auch bei mir tun? "Kannst du ihm das verübeln? Aleyna hat dich ja als Flittchen dargestellt", will Saliha wissen. Ich zucke mit den Schultern. "Ich bin einfach nur enttäuscht, dass er mich anfangs angeschrien hat. Er kam wütend nach Hause und wollte wissen, wieso ist das getan habe. Dabei wusste ich nichts von diesen Bildern. Can dachte einfach wirklich, dass ich so etwas tun würde." Frustriert fahre ich mir über mein Gesicht. Ich werde womöglich wütend einschlafen. "Ich will ihn die Tage einfach nicht sehen. Aber-," Ich schnalze genervt mit meiner Zunge. "Ich muss meinen Laptop wenigstens holen. Ich muss für das Hammerexamen lernen." "Malik holt ihn für dich. Den Rest kriegst du von mir. Hast du schon gegessen?" Ich nicke, spiele an meinem Ring herum.
"Wir versuchen es einfach zu vergessen. Aleyna lernt hoffentlich aus ihren Fehlern und tut nie wieder etwas, dass euch schadet und du und Can vertragt euch hoffentlich wieder." Ich will ihm diesen Fehler nicht verzeihen. Wie kann er nur so verblödet sein? Ich kann es nicht einsehen! Mein Handy vibriert, es kann nur Can sein. Es vibriert immer und immer wieder. Was will er jetzt? Ich komme heute nicht zurück. "Willst du duschen oder noch etwas trinken?" Ich verneine es. Ich weiß nicht einmal, was ich will. Malik geh los, um mir meinen Laptop zu holen. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ich ihn geholt hätte. Hätte ich Can angeschrien? Ihn ignoriert? Ihn beleidigt und verletzt? Was auch immer ich getan hätte, es hätte sich negativ auf mich ausgewirkt. Und wieder stelle ich mir die Frage, wie dumm Can nur sein kann und nicht einmal meinen Körper wiedererkannt hat. Wie dumm ist Can, dass er dachte, dass ausgerechnet ich Nacktbilder veröffentliche? Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet er beim ersten Versuch meinte, dass es Aleynas Ziel ist, dass wir uns streiten. Herzlichen Glückwunsch, Can! Du hast es geschafft. Ich verdrehe meine Augen. Mein Handy vibriert wieder. Diesmal ruft Can mich an, ich lehne sofort ab. Die ganzen Nachrichten werden auf meinem Bildschirm angezeigt.
'Shana, es tut mir so verdammt leid.'
'Ich konnte nicht klar denken.'
'Es ist wirklich meine Schuld, ich weiß.'
'Komm doch bitte nach Hause. Ich will reden.'
'Ich wollte dir nicht wehtun.' Wie oft hast du das gesagt, Can?
'Verzeih mir nur noch dieses eine Mal, Shana.'
'Ich sorge dafür, dass jeder die Wahrheit erfährt.'
'Geh bitte ran.' Den Anruf habe ich gerade eben abgelehnt. Nun ruft er wieder an. Ich will nicht rangehen. Ich lehne den Anruf wieder ab.
Das Handy lege ich auf das Sofa. Ich... argh! Diese Situation ist so verdammt ärgerlich und macht mich immer wieder aufs Neuste aggressiv. Ich hätte noch mehr Sachen sagen sollen, ich hätte ihm doch eine scheuern sollen. Und ich hätte mich nicht verängstigen lassen sollen. Aber wenn man ehrlich ist, ich würde sicherlich wieder Angst kriegen, wenn er wieder so aggressiv wird, weil er ja eben Aleyna geschlagen hat. Can ist ein Frauenschläger, toll. Kann es eigentlich noch besser werden? Ich kann nicht stillhalten, ich muss mich ablenken. Braucht Malik noch lange? Sicherlich redet Can mit ihm. Saliha bringt mir kleine Snacks, schaltet den Fernseher an. "Bleibst du nur bis morgen?" Ich zucke wahrheitsgemäß mit den Schultern. "Ich weiß es wirklich nicht", murmele ich. "Bleib solange du möchtest. Malik kann ja auf dem Boden schlafen." Leicht empört schmunzele ich. "Ich bleibe im Wohnzimmer. Versucht einfach leise zu sein." Saliha gluckst verräterisch. "Wir versuchen es", witzelt sie. Ich knabbere am Chip, schaue leicht abgelenkt zum Fernseher. Ich kann mir so sehr vorstellen, dass Can Malik überreden will, um mitzukommen. Wenig später wird die Tür aufgemacht, ich habe ein echt ungutes Gefühl. Ich schaue zur Seite, Malik sieht mich entschuldigend an. Seufzend fahre ich mir über mein Gesicht. Can und seine Sturheit. Ich will ihn nicht sehen. Mir war es eigentlich klar, dass Can so stur ist und sich nicht fernhalten würde. Malik nickt ins Schlafzimmer, er und Saliha schließen sofort die Tür. "Shana, komm bitte zurück." Ich ignoriere ihn einfach. Denkt er ernsthaft, ich komme jetzt zurück? Er setzt sich zu mir, ich rege mich nicht. Er soll einfach verschwinden.
"Ich flehe dich an, Shana. Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe und es tut mir auch leid. Ich war nicht ganz bei mir. Aleyna wird doch sowieso nichts mehr tun." Ich könnte ihn jetzt so anherrschen, aber ich halte mich noch zurück. Can will nach meiner Hand greifen, aber ich ziehe sie sofort zurück. Ich will keine Berührungen bekommen, nicht jetzt. "Shana, bitte", presst er ungeduldig hervor. Bitte, Gott, lass ihn verschwinden. "Was bringt es dir, mich zu ignorieren?" Das hat er nicht gesagt. Diese Frage lässt mich ausrasten. "Willst du mich eigentlich verarschen?", rufe ich. Ich will ihn nicht ansehen, schiele nur ganz kurz zu ihm deswegen. "Du hast mich verraten, Can. Verstehst du das nicht? Wer hat dir das erzählt? Wie hast du dann vor der Person reagiert? So, als sei ich es wirklich? Seit wann bist du so dumm?" Ich raufe mir kurz mein Haar. Er soll weggehen! "Weißt du eigentlich wie sehr ich dich gerade hasse?", spucke ich ihm ins Gesicht. Er wird blass, als er meinen Blick sieht, der voller Verachtung schreit. Er spielt an seinem Ring, sein Handrücken hat blutige Kratzspuren abbekommen, verdient. Nachdenklich schaut er auf meinen Ring, blinzelt sehr oft und das sehr schnell. Er fühlt sich unwohl, sprachlos. "Ich-, ich habe es verneint. Also, als man es mir gezeigt hat. Wirklich." "Hast du dich nicht geschämt?", spotte ich. Ich weiß ganz genau, dass er sich geschämt hat und sich fragte, wieso ich so etwas tue. Er hält inne, das tut verdammt weh. "Geh, Can, mach es nicht noch schlimmer. Du hast Aleynas Ziel erreicht." Resigniert seufzt Can. "Shana, verzeih mir bitte diesen einen Fehler." "Ich war zu oft zu barmherzig, Can. Hör auf zu betteln!", rufe ich. Ich will nicht wieder in Tränen ausbrechen. Ich will nicht schon wieder leiden, aber ich tue es schon. Ich bin so rasend.
"Du hast mich angegriffen, du hast mich beschuldigt und hast deine Kraft gegen mich eingesetzt. Macht das ein würdiger Ehemann?" Ich schaue ihn monoton an. Can schüttelt niedergeschlagen den Kopf. "Was bist du dann?" Er sagt nichts. "Ich... es tut mir so leid", flüstert er beschämt. Nun rauft er sich sein Haar. "Ich mache alles, was du willst. Ich hole dir alles, was du willst." Flehend sieht er mich an. Trotz Therapie hat er Angst. Ich schaue weg. "Geh bitte, Can." Kaum merklich schüttele ich den Kopf. "Wenn du mich liebst, lässt du mich diese Tage in Ruhe." Can seufzt wieder. Was in ihm vorgeht, weiß ich nicht so recht. Ich weiß aber, dass er Angst hat. "Ich habe dir Sachen und Geld eingepackt. Wenn du willst, hole ich dir auch Bücher. Nimm bitte deine Medikamente und geh übermorgen zu deinem Termin beim Allergologen. Falls du in der Nacht hungrig wirst, ruf mich an. Dein Ladekabel und deine Kopf-, deine Ohrhörer sind auch in der Tasche. Ich habe auch vorsichtshalber einige Salben eingepackt." Vorsichtig hebt er seine Hand an, die er über meinen Kopf fahren lässt. Diese Geste macht mich emotional. Er beugt sich vor, küsst meine Schläfe. Wie jedes Mal, wenn er mich küsst, kribbelt es. Wie soll ich heute schlafen können? Ich werde vor lauter Gedanken kein Auge zukriegen. Wieso musste Aleyna das tun? Wieso muss sie sich vor verdammt asozial rächen? Sie soll damit abschließen. Can wird ihr niemals gehören. Mehrere Minuten bleiben wir schweigend nebeneinandersitzen. Wann Can gehen wird, weiß nur Gott. Ich weiß, dass er am liebsten hierbleiben würde. Can steht versteift auf, spielt mit seinen Fingern.
"Ich liebe dich, Shana."
Etwas unsicher beugt er sich zu mir runter und küsst meine Stirn, stößt seine dann gegen meine und läuft dann langsam raus. Es hebt, alles in mir bebt. Ich schluchzte, als die Tür ins Schloss fällt. Ich will das nicht, ich will diesen Scheiß nicht! Wimmernd lege ich mir meine Hände vor mein Gesicht. Es wird alles wieder gut, es wird sowieso alles wieder gut. Schniefend wische ich mir die Tränen weg. Mein Gott, ist unser Leben kompliziert. Wann wird es einfach? Langsam macht Saliha die Tür auf, legt dann ihren Arm um mich. "Ich gehe mit Ramazan zu Can", informiert Malik mich. Ich nicke. "Passt bitte auf, dass er nichts Falsches macht." Malik nickt und geht los. Was wohl Aleyna jetzt macht? Hat sie sich schon vom Schlag erholt? Dieser Schlag war ganz sicherlich nicht ohne. Der Schlag war hart und erbarmungslos. Wird sie einen Fleck davontragen? Ich weiß nicht einmal, ob ich es ihr diesen Schlag wünsche, so nachtragend ich auch bin. Die Gewalt eines Mannes abzubekommen ist nichts Schönes, es ist fürchterlich. Es ist traumatisierend. Ich hoffe einfach nur, dass es für sie eine Lektion des Lebens war und sie uns ein für alle Mal in Ruhe lässt. Ich habe genug Leid ertragen müssen, genug Schattenseiten. Wo ist das verdammte Ende dieses Kapitels? Was kommt noch alles auf uns zu? Ist es endlich vorbei? Mich übermannt eine Gänsehaut.
Ich habe Angst, dass Can seine alten Züge wieder annimmt.
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Was haltet ihr von Cans Handeln gegenüber Shana und gegenüber Aleyna?
- Helo
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