Kapitel 88
Finding Hope - 3:00 AM
Freitag, 24. Oktober
Can
"So, Can. Wie geht es Ihnen heute?" Ich zucke mit meinen Schultern. Ich fühle mich komisch hier, auch, wenn mir der Therapeut sympathisch ist. Vielleicht liegt es daran, dass es hier so ruhig wirkt. "Ganz gut", murmele ich. Meine Daumen fahren über das kleine Bild. "Deine Ehefrau ist auch wieder dabei?" Er lächelt leicht und ich muss auch lächeln. Auf dem Bild grinst Shana in die Kamera, die Soße des Burgers trieft ihre Hand hinab und es hängt ihr sogar ein wenig Soße an der Nase. "Wir hatten ja die erste Probesitzung und jetzt kommen noch fünf weitere probatorische Sitzungen. Ich werde Ihnen Fragen stellen und hoffe, dass Sie mir eventuell noch mehr erzählen. Das erste Mal war es recht ruhig." Ich nicke. Das kriege ich sicherlich hin. "Ich-, ähm, ich soll darüber reden, dass ich mich manchmal betrinke, wenn ich wieder diese Selbstzweifel habe und dass ich es verabscheue, wenn man meine Narbe anfasst." War das überhaupt so richtig? Oder müsste ich erst warten, bis Dr. Al-Kon mir eine Frage stellt? Er schreibt sich etwas auf und blickt dann zu mir. "Sie sollen? Wer sagt das?" "Shana sagt das. Sie möchte, dass ich all meine Probleme anspreche, damit ich auch wirklich in jedem Sinne geheilt werde." Er nickt und notiert sich wieder etwas. "Selbstzweifel haben Sie weswegen?" Ich brumme leicht. Gerade fiel es mir doch so einfach. Nicht zittern, nicht zittern. "Unfall, Unfall, Autounfall", flüstere ich verwirrt, als ich mir den Kopf kratze. Wieder notiert er sich etwas. Er notiert sich viel. "Sie wiederholen zweimal das Wort Unfall, bevor sie es ganz aussprechen. Hat dies einen bestimmten Hintergrund? Es hat etwas Kindliches an sich", meint er. Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Was soll das heißen?! "Ich war auch ein Kind", äußere ich leicht wütend. "Ganz ruhig, das war nicht böse gemeint. Das Kommentieren gehört zu meinen Aufgaben und dient nicht zur Verachtung Ihrer Persönlichkeit." "Ich will geduzt werden", murre ich. Der Doktor nickt. Dieses Sitzen nervt mich.
"Gut, Can, so gut?" Ich nicke. Shana würde mir sicherlich in die Seite kneifen, wenn sie hier wäre, deswegen tue ich es selber. Dr. Al-Kon beobachtet mich dabei und zeigt danach mit dem Stift auf mich. "Wieso hast du das getan?" "Das hätte Shana sicherlich gemacht, weil ich gemein zu Ihnen war", antworte ich. "Shana hat einen großen Einfluss auf dich?" Ich nicke. "Sie ist meine Frau, meine erste und große Liebe, der ich vertraue. Ich mache diese Therapie ja nur für sie. Sie hat oft wegen mir geweint... das hat mir wehgetan." Ich murmele leicht und leise, fahre über das kleine Bild. "Manchmal kam es auch zu Panikattacken." "Du hattest Panikattaken, als du deine Frau weinen gesehen hast?" Ich schüttele den Kopf. "Immer bin ich dadurch aufgewacht und wenn nicht, dann waren es Albträume. Ich werde sozusagen von meinen Dämonen dafür bestraft." Verstehend nickt er, und er nickt einige Male wieder, als er sich etwas Langes aufschreibt. "Ich würde gerne wieder auf den Autounfall zurückkommen, den du als Kind erlebt hast. Weißt du noch wie alt du warst?" Nicht. Zittern! Ich muss mich echt zurückhalten, nicht zu schreien. Angestrengt sehe ich ihn an, er versteht sofort. "Du bist nicht bereit darüber zu reden, das verstehe ich, aber dir muss im Klaren sein, dass du es irgendeinmal tun musst, damit wir weiterkommen." Ich lege meine Hände auf meine Knie und atme tief durch. Das kann ich nicht alleine sagen, Shana muss bei mir sein. "Ich werde es nur sagen können, wenn meine Frau bei mir ist. Nur sie kann mir dabei Sicherheit geben." Angestrengt schlucke ich. Nein, das ist zu viel für mich. "Dann würde ich es bevorzugen, wenn sie bei der nächsten Sitzung dabei ist, sodass ich deine Hintergrundgeschichte voll und ganz kennenlerne." Aber ich will es nicht sagen! Ich habe doch damit abgeschlossen! Dann wärst du nicht hier.
"Can, ist alles in Ordnung?" Das fragt mich Shana auch öfters. "Du erscheinst mir so, als wärst du zurückgeschleudert worden." Angestrengt sehe ich ihn an. "Das ist ein schwieriges Thema", presse ich hervor. Meine Augen tränen leicht, ich schüttele den Kopf. "Hat es damit angefangen?" Ich nicke. "Könnten Sie mir andere Fragen stellen? Ohne Shana bin ich nicht in der Lage dazu." Ich schaue mich im weißen Zimmer um, in der Ecke ist eine Pflanze, die mich an Shelly erinnert. Sie sieht genauso aus, wie Shelly. "Ist das eine Zwergdattelpalme?", frage ich leise. Er schaut zur Pflanze und nickt. "Kennst du dich mit Pflanzen aus?" Ich schüttele den Kopf. "Einmal hat Shana gesagt, dass sie mich heiraten würde, wenn ich ihr eine Palme schenke. Sie mag Palmen." Sie war so glücklich, als ich ihr die Palme geschenkt habe. Sie ist so süß, so wertvoll. "Und danach kam die Hochzeit?" Schnaubend schüttele ich den Kopf. Danach kam der Hurensohn Aykan. "Danach kam die Trennung." Ich spanne meinen Kiefer an. "Ich habe ihr wehgetan." "Wie?" Wenn ich wieder daran denke, will ich Dinge zerschmettern. Mein Bein wippt vor Aufregung. "Ich habe ihr wehgetan, ich habe sie an den Haaren-," Ich halte mir die Hände vors Gesicht. Wieso ist das passiert? "Häusliche Gewalt?" "Ich hatte mich nicht unter Kontrolle! Ich hatte zu der Zeit zwei Tumore! Die Amygdala war unter anderem betroffen, ich kann ihr nicht wehtun!" Was für eine verdammte Last das doch ist. "Ich konnte ihr nie wehtun, das war immer wer anders. Ich liebe meine Shana doch, ich will sie nie anschreien, ich will nie aggressiv werden und ihr Angst machen", murmele ich verzweifelt. Das Bild liegt auf dem Boden. Da sollte es nicht liegen. Schnell hebe ich es auf und wische mit meinem Daumen drüber.
"Oft konnte ich mich nicht mehr an die Taten erinnern, die ich begangen habe. Das waren so gut wie immer die brutalen Dinge. Das war nicht ich, das war ein Dämon." Nervös sehe ich zu, wie der Therapeut sich alles aufschreibt. "Du scheinst dich offensichtlich von der bösen Seite zu differenzieren. Würdest du dich selber als jemanden bezeichnen, der eine gespaltene Persönlichkeit besitzt?" Als ich meinen kleinen Finger knacksen lasse, entsteht ein lautes Geräusch. "Irgendwie schon", flüstere ich. "Das Gute in mir ist Can und das Böse ist ein Dämon. Ich tue Shana aber nicht mehr weh, seitdem mir die Tumore entfernt wurden. Bin ich irgendwie schizophren? Ein Neurologe meinte, ich leide an Dissoziationen, aber es waren eigentlich die Tumore." Nervös spiele ich an meinem Ehering. "Am Ende war es doch klar, dass es an den Tumoren lag, nicht wahr? Ein Tumor, der auf die Amygdala drückt, kann starke Gefühlsschwankungen als Auswirkung zeigen." Ja, es war der Tumor und nicht ich! "Aber man kann es noch lange nicht als Schizophrenie bezeichnen. Wir bleiben bei der gespaltenen Persönlichkeit. Du scheinst mehr Bottom-Up's zu haben, als Top-Down's." Ich schaue ihn fragend an. "Das bedeutet, dass jeder einschließende Impuls, dass dein Körpergefühl bestimmt, was du denkst. Bei Angst willst du sofort fliehen, bei Wut willst du kämpfen, damit du gewinnst, bei Trauer wirst du melancholisch. Wir müssen versuchen mehr Top-Down's herzustellen. Bei den Top-Down's werden die Affekte moduliert, sodass du dir selber hilfst. Bei Angst wirst du nicht die Flucht suchen, sondern fragen, ob es wirklich so schlimm ist, wie du dachtest." Ich hebe erstaunt die Augenbrauen. "Das würde mir sehr helfen." Dr. Al-Kon nickt. Ich denke über diese Top-Down's nach.
"Wie wäre es dann bei der Wut? Ich würde ja nicht mehr um mich herumbrüllen. Würde ich dann vielleicht gewähltere Worte suchen?" Er nickt. "Genau das ist es." Ouh. Dieses Ouh habe ich von Shana. Es hört sich immer so süß an, wenn sie das sagt. Ouh, oje. Das macht mich glücklicher. "Wie kriege ich mehr Top-Down's?", will ich wissen. Die werden mir helfen glücklicher zu werden. Das hört sich doch einfach an, ich bin bereit! "Das Wichtigste ist es, dass man deine Leiderfahrung nicht pathologisiert, sondern ernst und als Erfahrung annimmt. Respekt und Wertschätzung sind zwei wichtige und fundamentale Grundstücke, die bewahrt werden müssen." Das tut Shana, Shana ist eine Psychologin, eine süße, kleine Psychologin mit Apfelwangen. "Haben Sie-, entschuldige, hast du schon Erfahrungen damit gemacht? Hat jemand deine Leiderfahrung so angesehen, dass du es bereut hast, es der Person erzählt zu haben?" Ich verneine es. "Malik und Ramazan standen immer hinter mir, auch wenn ich sie angegriffen und angeschrien habe. Damals hatte ich die Tumore schon, die aber nicht bekannt waren. Sie wissen vom Autounfall Bescheid, haben mich oft unterstützt, wenn ich am Ende war, aber niemand wusste, dass ich diese Tumore im Kopf habe, bis irgendwann Shana kam und wir es bei unserer Famulatur erfahren haben." Ich schüttele den Kopf. "Zwei Tumore, die auf die Amygdala drücken?", fragt er leicht überrascht, ich schnalze darauf mit der Zunge. "Einer hat auf den primären Motorcortex gedrückt. Dank Shana ist mein aktiver Tremor weg." "Aktiver Tremor? Besitzt du den Tremor also nur noch, wenn dich affektive Impulse überschwemmen?" Ich nicke. "Wenn ich an den Unfall denke, dann zittert mein Arm oder wenn man meine Narbe berührt. Schlechte Erinnerungen und Aggressionen."
"In welchem Arm hast du den Tremor und wo ist deine Narbe?", fragt er mich vorsichtig. "Tremor links, Narbe auf dem Rücken, Lendenwirbel durch Scherben beschädigt, Nerven durchschnitten, Muskeleinschränkung." Mein Kiefer zuckt. Diese verfickten Scherben, diese verfickte, riesige Scherbe. Ich hasse Scherben! Ich muss tief durchatmen, es ist doch vorbei. "Seitdem Gereiztheit und Impulsausbrüche verspürt?" "Zu oft", flüstere ich. Seufzend fahre ich mir mit zwei Fingern über meine Stirn. "Hattest du während deiner Schullaufbahn Konzentrations- und Leistungsstörungen? Du studierst Medizin?" Ich nicke. "Als ich in die elfte Klasse kam, habe ich mich angestrengt und alles verdrängt. Meine Freunde haben mich abgelenkt und durch Shana habe ich mich nicht auf meine tiefliegenden Probleme geachtet." Wie frech Shana damals war. "Hat Shana dich schon damals unterstützt?" Überrascht und entsetzt sehe ich ihn an. "Das Mädchen hat mich von A bis Z genervt und herausgefordert. Oft hatten wir auch schöne Zeiten, aber trotzdem war sie seit dem ersten Schultag eine Kratzbürste." Ich muss schmunzeln, als ich an die gemeinsamen Sportstunden denke. "Also warst du bei Shana nicht kontaktscheu?" Ich schüttele den Kopf. "Ich konnte ja nicht immer alles auf mir sitzen lassen. Bei ihr habe ich schon immer den Kontakt gesucht, es mir aber immer ausgeredet. Inzwischen kenne ich sehr viele Menschen, aber sehr wenige sind meine Vertrauenspersonen." Dr. Al-Kon notiert sich wieder alles. Shana würde ihm sicherlich über die Schulter spicken wollen, so neugierig wie sie nun mal ist. "Bis jetzt vermeidest du Trauma-Reize?" Ich nicke wieder. Wieso sollte ich mich freiwillig wieder an alles erinnern wollen? "Würdest du es nicht von alleine hinkriegen, einen Trauma-Reiz entstehen zu lassen?" "Wieso sollte ich mir das antun?" Diese Frage macht mich aggressiv.
"Es ist sehr hilfreich, wenn Patienten mit Phobien oder Traumata auf die Dinge zugehen, die sie so verschreckt. Damit kommen wir wieder zurück zum Thema Top-Down. Hast du wirklich Angst davor oder ist es eigentlich gar nicht so schlimm?" Ich fahre mit meinen Daumen über meine Fingerknöchel. Wäre Shana hier, dann hätte sie meine Hand gehalten. "Ich will das nächste Mal Shana dabeihaben." Mein Therapeut nickt. "Sie ist herzlichst eingeladen." Er richtet seine Brille richtig. "Durch den Unfall ist keine Amaxophobie entstanden, du besitzt einen Führerschein, stimmts?" Ich nicke. "Ich bin nur ständig am Spiegelkontrollieren, jeder muss angeschnallt sein, keiner darf etwas machen, was im Auto untersagt ist. Shana trägt auch ein Kissen, wenn sie im Auto sitzt, damit ihr Oberkörper geschützt ist." "Du sorgst gerne dafür, dass alles seinen rechten Platz hat?" Schulterzuckend nicke ich. "Kontrollzwang?" Manchmal will ich Shana zu Dingen zwingen, aber sie widerspricht mir. "Ab und zu", nuschele ich. "Wie definierst du dieses ab und zu?" Ich atme tief durch, setze mich aufrechter hin. "Na ja, wenn mir etwas nicht passt oder es gefährlich für die Person neben mir sein kann, dann muss ich es kontrollieren. Im Auto herrschen wirklich meine Regeln und da widerspricht mir auch niemand." Ich sehe zu, wie er sich alles aufschreibt. Solange sehe ich auf mein Bild. Ich will Shana sehen, ich habe Hunger. "Und dir hat bis jetzt niemand widersprochen, was die Autoregeln angehen?" Ich will ein Nein ansetzen, als ich an die letzte Klassenfahrt denken muss. "Doch, Shana, sie wollte im Pick-Up Truck hinten im Kofferraum sitzen und Musik hören, sie hat mich überredet", murre ich. Wie konnte ich so verantwortungslos sein? Ihr hätte etwas passieren können. "Gab es einen bestimmten Grund, wieso du es zugelassen hast? Hattest du schon Gefühle für sie?" Mit geschlossenen Augen nicke ich. "Ich habe sie schon sehr früh geliebt, es aber nie eingesehen." Meine Ohren werden warm, wieso erzähle ich das überhaupt? Dr. Al-Kon lächelt.
"Die Liebe kann heilend sein, Can."
Meine Sitzung ist vorbei. Wie fünfzig Minuten kam es mir gar nicht vor. Seufzend verlasse ich die Praxis, diese frische Luft tut gut. Eigentlich sollte ich nach Hause, aber ich muss trainieren gehen. Ich war lange nicht mehr im Fitnessstudio und müsste mal endlich wieder Last abwerfen. Ich weiß gar nicht, womit ich anfangen soll. Ich bin zum Glück nicht schizophren. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich es bin. In der Kabine lege ich meine Tasche ab, Shana muss sie wohl die Tage für mich bepackt haben. In ihr finde ich einen Zettel und muss bei der Nachricht lächeln.
Geh endlich wieder trainieren, du Fettsack :-P
Schmunzelnd lege ich den Zettel wieder in die Tasche, die Sachen riechen immer noch frisch gewaschen. Was macht Shana gerade? Sicherlich liest sie sich ihre Notizen durch und fasst sich selber dabei an, damit sie es sich besser vorstellen kann. Wenn sie für die Gynäkologie lernt, dann muss ich auf jeden Fall dabei sein. Auf dem Weg treffe ich einige Kollegen. "Can! Du lässt dich auch mal wieder blicken", begrüßt Alex mich. "Ja, das Studium nimmt mir die Zeit." Ich kratze mich hinterm Ohr. Er hebt die Augenbrauen. "Ist das ein Ehering? Glückwunsch." Lächelnd schlägt er bei mir ein. "Wenn du willst, geh dich an den Boxsäcken auspowern, wird mal wieder Zeit für einen Kampf, nicht wahr?" Er grinst. "Ich gewinne sowieso." Spöttisch sieht er mich an. "Wir wollen nicht groß reden. Bis dann, ich bin weg." Alex schlägt wieder bei mir ein und läuft dann weiter. Ich weiß gar nicht, womit ich anfangen kann. Rückentraining, das ist gut. Wie Shana sich wohl schlagen würde? Bei jeder Bewegung würde sie sicherlich ächzen und sagen, dass sie es schafft, obwohl sie es falsch macht. Das bringt mich zum Schmunzeln. Den Flugzeugmodus schalte ich an, ehe ich meine Kopfhörer anschließe. Shana nennt sie Ohrhörer, aber manchmal erwische ich sie, wie Shana sie ebenfalls Kopfhörer nennt. Was sie wohl zu essen macht? Urplötzlich kriege ich schlechte Laune, weil ich wieder an die Therapie denken muss. Die heutige Sitzung war doch gut? Aber ich musste den Autounfall verdrängen.
Ich steige seufzend die Treppen hoch, schließe die Tür auf und streife mir die Schuhe ab. "Can?", ruft Shana aus der Küche. Sie tapst zu mir in den Flur, sofort lächelt sie. Ist ihr nicht kalt in der pinken Short und in diesem bauchfreien Oberteil? Ich sehe ihren BH durch das weiße Top scheinen. Ihre Haare sind nass. "Hey, wieso hast du mir nicht gesagt, dass du trainieren gehst? Ich habe dich angerufen." Fragend verschränkt sie ihre Arme vor ihrer Brust. Das habe ich komplett außer Acht gelassen. "Hab ich vergessen, sorry." Sie macht eine abwerfende Bewegung. "Macht nichts. Übrigens bist du zum perfekten Zeitpunkt gekommen, ich habe alles zu Ende frittiert. Ich musste oft schreien und mich ducken, aber es hat geklappt." Summend nimmt sie mich in den Arm. "Du bist so schön warm", schnurrt Shana dicht an meinem Ohr. "Habe auch geschwitzt." "Oh, das gefällt mir sehr", grinst sie. Shana lehnt ihren Kopf zurück. "Wie war die Sitzung?" Ihre kleinen Finger fahren über meine Stirn, sie stellt ihre Füße auf meine, sodass ich uns beide in die Küche transportieren kann. "Ich will erst essen." Ich habe echt keine Motivation, um über die Sitzung zu reden. Shana entfernt sich von mir. Alles ist schon bereit. "Wurde irgendetwas angesprochen, was dich jetzt bedrückt?" Ich verneine es. Wieso weiß sie immer alles? Shana schmollt, fragt aber nicht weiter nach. Stattdessen massiert sie meine Schultern. "Vielleicht wäre es doch besser, wenn du ein Tagebuch führst?" Ich spüre ihre sensiblen Lippen an meiner Schläfe. Brummend lege ich den Kopf in den Nacken. Ihre Berührungen tun mir wirklich gut. "Weißt du, was wir mal machen müssen? Malen." Shana setzt sich vor mich, ihr Kopf ist schief angewinkelt. Sie ist so süß. "Wieso malen?"
"Keine Ahnung, das entspannt bestimmt und es macht Spaß. Dann malen wir auch mit unseren Fingern." Freudig schaut sie auf das Hähnchen. "Vielleicht kannst du so deine versteckten oder unterdrückten Gefühle und Gedanken rauslassen." Ich würde jetzt eigentlich die Augen verdrehen, aber ich weiß, dass genau das Shana traurig machen würde. Sie gibt sich ja nur Mühe. "Keine gute Idee?", murmelt sie. Scheiße, ich will sie nicht traurig machen. Ich weiß doch, wie sensibel sie ist. "Doch, doch, wir können es ruhig machen. Alles, was dich glücklich macht." Ein schönes Lächeln legt sich auf ihre blassen Lippen. Ihr Grübchen sticht hervor, ich will ihr in die Wangen beißen, statt in das Hähnchen. "Ich dachte eigentlich, dass du etwas positiv gestimmter in die Wohnung trittst, aber demnach scheint es nicht." Seufzend schaue ich zu ihr. Ihr Blick liegt auf dem Essen. Sie soll sich nicht benachteiligt fühlen. "Ich weiß selber nicht, was mit mir los ist", seufze ich. Ich habe einfach schlechte Laune. Shana versucht gute Laune zu versprühen, indem sie hüpft und summt. "Aber das Hähnchen ist doch gut geworden, nicht wahr?" Ich bestätige es ihr. Shana verstummt, sie soll nicht verstummen. Ändern kann ich es aber nicht, also sehe ich ihr zu, wie sie schnell ihr Essen verschlingt. Sie kriegt immer Schluckauf, wenn sie schnell isst. Dann hüpft sie immer auf, falls es zu einem Hicksen kommt. Ihr würde ein Bauchnabelpiercing stehen. Dann würde ein Kristall aus ihrem Bäuchlein baumeln. Ich lehne mich zurück, Shana räumt ab. "Iss die letzten Reste des Salats", möchte Shana. Ihr Bauch ist aufgebläht, sie sieht aus wie ein kleiner, deformierter Ballon... oder wie ein pink-weißes Käsebrötchen. Als sie an mir vorbeilaufen will, ziehe ich sie auf meinen Schoß. Ihre nassen Hände wischt sie an meiner Hose ab.
"Du riechst gut", murmele ich. Ich schließe meine Augen, sodass ich ihren Duft mehr genießen kann. Sie ist so toll und so weich und so warm. Ihre Füße sind aber immer kalt. Ihr Bauch ist gut zum Spielen, man kann ihn so schön kneten. Shana windet sich auf meinem Schoß. "Das kitzelt." Ich küsse ihren Nacken. "Ich gehe duschen", informiere ich sie. Sofort steht Shana auf. "Ich komme mit." Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen. "Du hast dich doch schon geduscht?" Sie zuckt mit ihren Schultern. "Ich leiste dir Gesellschaft, während ich auf der Toilette sitze. Geh schon mal rein, ich hole dir neue Sachen." Okay, wenn sie meint. Ich laufe ins Bad, ziehe mir lustlos die Sachen aus, als mein Blick dann auf den Rasierer fällt. Ich habe gerade das Verlangen, mich zu schneiden. Alles andere verschwimmt gerade. Zu früh betritt Shana das Bad, Scheiße. "Ab in die Wanne." Shana nimmt den Rasierer in ihre Hand, als sie die frische Kleidung auf die Waschmaschine legt. Ich will den Rasierer haben. "Wie soll ich mich rasieren?", versuche ich es. Das müsste doch klappen. "Den kriegst du, wenn du ihn brauchst. Ich vertraue dir da ehrlich gesagt nicht." Ich muss schlucken. Wieso vertraut sie mir nicht? Was mache ich denn? Was geht sie das denn an?! "Und du brauchst jetzt nicht so beleidigt zu sein, geh dich jetzt duschen." Was ist sie jetzt so streng zu mir? Ich steige angepisst in die Dusche. Hier ist nicht einmal ihr verfickter Rasierer! Genervt wasche ich mir die Haare. Sie will doch nur helfen. Verdammt, wieso reagiere ich so über? Shana will mir doch nur helfen! Ich ziehe mir an meinen Haaren. Tief ausatmen, mehr Top-Down's schaffen. Brauche ich die Selbstverletzung wirklich? Nein, brauche ich nicht - geht doch! Etwas erleichtert lächele ich. Das ist doch gut. Shana wäre sicherlich stolz!
Schnell dusche ich, frage dann nach dem Rasierer. Shana mag ja keine Haare auf dem Oberkörper und wenn ich Sex bekommen will, muss alles weg. "Ich mache das." Sie stellt sich vor mich, ihre Händchen schmieren den Rasierschaum auf meinen Oberkörper und unter meine Achseln. Wäre es andersrum, würde Shana kichern und sich winden. Ich sehe ihren konzentrierten Augen an, wie sehr sie sich aufpasst. "Wenn man deine Muttermale auf dem Manubrium sterni verbinden würde, dann hättest du ein Dreieck. Arme hoch." "Wann ist dein Termin beim Dermatologen?" Sie verdreht ihre Augen, ich ziehe an ihrem Zopf, weil ihre Strähne nicht rausguckt. "Dauert noch, jetzt lass die Arme oben", murrt sie. Finster schaut sie zu mir, was einfach nur zu süß aussieht. Ich tätschele ihren kleinen Kopf. "Wenn du mir nicht sagst, was heute passiert ist, bin ich sauer." Das ist es also. "Ich habe mich zwar seit Jahren nirgends mehr geschnitten, aber ich will deinen Freund nicht verletzten." Ich weiß, dass sie sich unsicher ist, als sie mir den Rasierer gibt. Ich tue es nicht, ich brauche es nicht. Ganz stolz zeige ich, wie toll ich mich rasieren kann. Shana hingegen guckt irritiert. "Das sieht beim anderen Geschlecht einfach komisch aus." "Mach du es und ich beurteile dann." Shana schüttelt den Kopf. Kleines, stures Käsebrötchen. "Ich habe mich rasiert, ohne mich mit Absicht geschnitten zu haben", lächele ich. Shana jubelt hüpfend. Ihr Bäuchlein wackelt so süß und ihre Brüste auch, das gefällt mir. "Los, Can! Schaffst du es, dich abzutrocknen?", fragt sie total aufgeregt. Sie hebt meine Laune mit den kleinsten Dingen. "Natürlich, ich bin Can", spotte ich. Ihre Augen funkeln so schön. Von der gebrachten Kleidung ziehe ich nur die Boxershort an. "Das hätte mir klar sein müssen", meint Shana. Sie watschelt an mir vorbei, wächst sie jemals?
Ich lasse die Jalousien im Schlafzimmer runterfahren, ich mag es nicht, wenn andere Shana sehen können. "Mach die Lichterkette an." Ich tue natürlich, was Shana mir sagt. Sie krabbelt ins Bett, klopft neben sich, weswegen ich mich über sie stelle. Shana verdreht belustigt ihre braunen Augen. "Erzählst du mir jetzt, wie die Sitzung heute war?" Ich will nicht an den Unfall erinnert werden. "Du bist bei der nächsten Sitzung dabei." Sofort weiten sich ihre Augen und auch ihr Mund. "Wie? Cool!" Sie lächelt so schön, ich kann es nicht erwidern. Das lässt Shanas Lächeln fallen. Nein, sie lächelt doch so schön. "Nicht cool?", murmelt sie. Shanas kleinen Hände kraulen meinen Hinterkopf, das tut so gut. "Ich weiß nicht", seufze ich. "Wieso denn nicht? Gibt es etwas, wofür du dich schämst?" Das weißt du doch, ich schäme mich oft für mich selber. "Es würde mir einfacher fallen, über den Unfall zu reden, wenn du bei mir bist." Ich blinzele angestrengt. Das ist verdammt anstrengend für mich! Etwas zischend atme ich durch. "Ich fühle mich aber gerade nicht bereit, um zu reden." Top-Down, Top-Down. Ich muss ruhig bleiben. Einatmen, ausatmen, wie damals. Damals konnte man mich doch auch auf der Autobahn beruhigen. "Einatmen, ausatmen." Shana nickt. Ihre Hände legen sich auf meine Wangen. "Geht es dir nicht gut?" Eine Hand legt sich auf meine Brust und jetzt weiten sich ihre Augen. "Hey, ganz ruhig. Keine Angst." Es ist wie der Himmel, wenn Shana mich in ihre kleinen Arme schließt. "Ich bin für dich da, niemand tut dir etwas. Es ist auch nicht schlimm, wenn du vom Unfall erzählst. Du kannst mit mir wieder darüber reden. Das hast du damals doch auch geschafft." Ich weiß gar nicht, wie ich das geschafft habe. War ich da betrunken? Hat mich der Tumor manipuliert? "Es war schlimm." Ich drücke Shana fest an mich, ihr darf bloß nichts passieren.
"Aber du hast es geschafft, Can. Das ist gut." Ich weiß nicht, was Shana meint. "Wäre es vielleicht hilfreich, wenn ich erzählen würde, was ich weiß? Als über den Unfall?" Ich schließe ganz fest die Augen, gerade als ich meinen Kopf in ihre Halsbeuge lege. Top-Down, es ist sicherlich nicht so schlimm. "Ich fange an", flüstert sie. Es. Ist. Nicht. Schlimm! "Du wolltest unbedingt auf dem Beifahrersitz sitzen, deswegen hat sich deine Mutter nach hinten gesetzt. Du hattest an dem Tag ein gelbes T-Shirt an und hattest eine Capri-Sonne mit Orangengeschmack in der Hand. Du hast ein wenig herumgealbert, dich abgeschnallt. Ich glaube, du wolltest deiner Mutter auch zeigen, dass du mit deinen Augenbrauen-, nein, du wolltest zeigen, dass du ohne Probleme stehen kannst." Mama, Mama, schau mal! Ich habe das Gefühl, kotzen zu müssen. Ich muss Last loswerden. Mein ganzer Körper ist verspannt. Ich spüre das Zittern. "Der Aufprall kam danach und-," "Nein!", rufe ich. Wütend stürme ich aus dem Zimmer. Mir geht es doch gut! Mir geht es immer gut! Wo sind die Klingen? Wo hat sie den verfickten Rasierer hingelegt?! "Was willst du machen, Can?" Ich reiße die Türen des Schrankes auf, hier liegt der Rasierer. "Nein, hör auf!" Shana will ihn mir aus der Hand ziehen, was mich verdammt aggressiv macht. "Geh weg, Shana", rufe ich. Sieht sie nicht, dass ich es brauche? "Lass los!" Ich packe ihre Handgelenke, was Shana verrückt werden lässt. "Hör endlich auf damit!", schreit sie. Fest schubst sie mich mit ihrem ganzen Körper gegen die Wand, stößt mich dabei zu Boden. Sie soll mich in Ruhe lassen! Shana soll aufhören zu kämpfen, es ist hoffnungslos. Mit beiden Händen hält sie den Rasierer fest, ich ziehe nach ihm. Shana zieht scharf die Luft ein. "Scheiße! Stopp, Can, bitte", murmelt sie. Aus ihrer Hand kommt Blut! Sie blutet! Meine Sicht schwindet. Ich sehe Shana nur noch vage.
"Du-, nein-, es tut mir leid, es ist meine Schuld." Ich trage sie zum Becken. "Tut mir leid, Shana, es tut mir leid. Das wollte ich nicht, ich wollte dir nicht wehtun." Wieso zerstörst du alles immer wieder? Kannst du sie nicht einfach in Ruhe lassen?! "Alles gut", flüstert sie. Lächelnd schaut sie zu mir. Ihr Lächeln ist schön, aber die Tränen, die ihre Augen füllen, zerstören ihre Freude. Sie wäscht sich ihre Hand, ich setze die kleinen Fetzen auf ihrer Handinnenseite. "Wäschst du den Rasierer und legst ihn bitte zurück?" Ihre Stimme ist so leise. Ich habe Schlechtes getan. Mit meiner zitternden Hand tue ich das, was Shana möchte. Ich schmeiße ihn weit nach hinten in den Schrank und suche danach nach Verband. In Shanas Sammlung finde ich etwas. Ist Shana sauer auf mich? Hasst sie mich jetzt? Ich habe jetzt Angst, Shana zu sehen. Ich bleibe im Flur stehen, ich will nicht weiter. "Can?", fragt sie. Ihre Stimme ist nicht mehr so fest. Sie läuft aus dem Bad, schaut erst zur Haustür und dann zu mir, ihre Augen sind rot. Meine Schultern sinken bei ihrem ängstlichen Blick, ich muss sie beschützen. Nervös halte ich das Verbandszeug in der Hand, laufe einige Sekunden danach zwei Schritte zu ihr. Shana öffnet ihre verletzte Hand, aus der immer noch Blut austritt. "Hilfst du mir?" Ich nicke. Shana hilft mir doch auch immer. Mit viel Bedacht binde ich ihr den Verband um die Hand. Wieso habe ich das gemacht? Was habe ich mir dabei gedacht? "Es tut mir so sehr leid, Shana." Erniedrigt schüttele ich den Kopf, meine kleine Hoffnung bleibt, als sie ihre Hand auf meinen Kopf legt. "Ich werde mich ändern, versprochen." "Dankeschön, Can. Für das Verbinden und für dein Versprechen." Sie lächelt, ihre Augen sind immer noch gerötet. Sie bedankt sich bei mir, obwohl ich so gestört bin.
"Wieso hasst du mich nicht?" Ich verstehe das nicht. Ich habe ihr schon wieder wehgetan. Wieso kann sie mich nicht hassen? "Wieso sollte ich dich hassen?", fragt Shana nachdem sie sich gegen meine Brust lehnt. "Ich habe dir wehgetan." Leise stößt sie Laute hervor. "Oh Gott", höre ich sie flüstern. "Was ist los?" Habe ich ihr wehgetan? Hat sie sich beim Sturz verletzt? "Manchmal hat man einen gereizten Magen... oder eine gereizte Gebärmutter. Ich glaube, ich kriege meine Tage, wow, tut das weh." Shana ächzt, sie blinzelt schnell. "Tee, Wärmeflasche, Essen, Filme?" Ich mache alles für Shana, ihr soll es nur gut gehen. Dann hättest du sie nicht zum Bluten gebracht! Ich schüttele murmelnd den Kopf. Das war der Dämon und nicht ich. "Hört sich gut an." Sie lächelt. Herrgott, ist mein Mädchen hübsch. "Ich komme dann gleich nach." Shana geht zurück ins Bad. Ich will auf sie warten, ich will sie ganz nah bei mir haben. Sie hasst mich nicht und das obwohl ich ihr wehgetan habe. Ich schenke ihr ganz viele Sachen, damit sie glücklich wird. Shana wird nur noch glücklich gemacht. Seufzend kommt Shana aus dem Bad. "Huch, wieso wartest du hier?" Ich schaue kurz auf ihren kleinen Körper und hebe sie danach hoch. Sie schreit auf. "Ich kann laufen, Can." "Nein, du musst auf Händen getragen werden." Du hasst mich nicht, obwohl ich dir wehgetan habe. Ich lege sie auf dem Bett ab, hole ihr ihren Laptop und mache schnell eine Wärmeflasche fertig. Alles für meine Shana, alles für sie. "Hier, pass auf deine Haut auf." Shana will es sich auf ihren Bauch legen, also nehme ich es ihr aus der Hand und wickele es um ein T-Shirt. Murrend lege ich es auf ihren Bauch, wieso achtet sie nie auf sich? "Dankeschön, komm." "Dein Tee." "Ich will nur Mineralwasser." Sofort spurte ich, damit Shana ihr Wasser bekommt. "Warte, deine Hand ist verletzt." Ich öffne ihr die Flasche und halte ihr sie auch an den Mund. Sie lächelt, ein Sieg!
"Es tut mir verdammt leid, Shana. Vergib mir bitte." Ich küsse ihre verletzte Hand und halte sie mir dann an die Stirn. "Ich vergebe dir, ich will nur deine Heilung als Gegenleistung, Can." Meinen Kopf legt sie auf ihre Brust. Ich umarme sie direkt, sie fühlt sich so gut an. "Ich werde mich bessern, versprochen. Ich werde versuchen über den Unfall nachzudenken, gib mir eine Woche." "Ich gebe dir ganz viel Zeit, Can", flüstert Shana. Ihre Stimme ist so weich. Sie fängt an zu ächzten und lässt schmerzvolles Stöhnen raus. "Das tut verdammt weh." Shana meint immer, dass Umarmungen soziale Medikamente sind, vielleicht hilft es ihr. Abrupt setzt sie sich auf, ihre Hand krallt sich in das Kissen. "Diese Schmerzen sind nicht mehr normal, Can", flüstert sie brüchig. "Nicht weinen, nicht weinen! Sollen wir ins Krankenhaus?" Sie verneint es. "Kannst du das Fenster öffnen? Es ist verdammt warm hier." Ich tue es sofort. Wieso geht es ihr nicht gut? Ist das meine Schuld? Wieso mache ich immer denselben Fehler?! Ihre Augen sind geschlossen, sie hat ihre Beine an sich gezogen. "Suppe?" Ich fahre über ihre Stirn, Shana ist wärmer als sonst. "Suppe", murmelt sie. Ich will sie nicht alleine im Schlafzimmer lassen. Ihr könnte etwas passieren. "Nimm gleich meinen FaceTime-Anruf an." Schwach schmunzelt sie. Ich küsse sie und laufe in die Küche, als ich sie dann anrufe. Müde schaut sie in die Kamera. Sie soll nichts sagen, nur dranbleiben. Schnell nehme ich eine von Shanas liebsten Tütensuppen und schmeiße es in den Topf mit Wasser. Als ich umrühre, schaue ich die ganze Zeit auf den Bildschirm. Sie hat ihre Augen geschlossen. Wieso hat sie plötzlich Fieber? Sie muss zum Arzt. Meine Schuld, ich hätte nicht ins Bad gehen sollen. Ich muss aufhören damit! Shana ist wichtiger! Diese verfickte Suppe soll schneller kochen, wieso dauern drei Minuten so lange? Genervt salze ich nach.
Als die Suppe endlich fertig ist, helfe ich Shana auf. Wieso hat sich ihr Zustand so schnell so verschlechtert? "Shana, ich mache mir Sorgen, wir sollten ins Krankenhaus." Sie verneint es. Wieso lehnt sie Hilfe ab?! "Ich hatte schon einige Male Fieber, als ich meine Tage bekommen habe. Halb so wild, die Schmerzen sind aber überraschend stark", presst Shana hervor. "Arzt, eine Gynäkologin sollte es sich ansehen." Sie soll mir hier bitte nicht widersprechen und tun, was ich will. "Wenn es am Sonntag nicht besser wird, gehe ich am Montag zum Arzt. Ranja wollte sowieso mit mir etwas Essen gehen." Ich wollte eigentlich mit ihr gehen. Mein Kiefer zuckt unzufrieden. "Warte, ich mache das." Ihre Wasserflasche richte unter dem T-Shirt. Ich will ihr helfen, aber sie will nicht. Ein Arzt wäre jetzt gut, ich könnte das Löffelheben für sie übernehmen, ich könnte ihr die Haarsträhne zurückschieben. Für Shana hole ich YouTube Videos auf den Laptop. Das lenkt auch mich ab. "Willst du Suppe?", fragt sie mich, ich schüttele den Kopf. "Werde einfach nur gesund, bitte. Ich werde mir meine Gedanken aufschreiben. Ich schreibe mir auf, wie ich den Autounfall empfunden habe." Gerade als ich aufstehen wollte, hält sie mich fest. "Tust du mir einen Gefallen, Can?" "Ich erfülle dir jeden Gefallen, sag sie mir." Sie lächelt. Es fühlt sich so gut an, wenn Shana lächelt. "Nimm dir alle Filzstifte und komm wieder hier hin. Textmarker gehen auch." Ich nicke verwirrt, nehme im Arbeitszimmer den Behälter voller Filzstifte und eine Hand voll Textmarker. Was will Shana mit den Stiften? Kauend sieht sie mir zu, wie ich mich fragend aufs Bett setze.
"Jetzt nimmst du dir die Farbe oder Farben deiner Wahl und malst dir etwas auf den Arm. Genau dort, wo du dir wehtun wolltest." Auf so etwas kommt nur Shana. "Es würde mich freuen, wenn du dir das angewöhnen würdest. So würdest du dich nicht verletzen und womöglich an der Heilung scheitern." Sie pausiert das Video, legt die leere Schüssel auf ihren Nachttisch und dreht sich dann seufzend zu mir. "Fang an." Mit Filzstiften? Das soll eine Alternative sein? "Was soll ich zeichnen?" "Das ist dir überlassen. Seien es Kreise, Quadrate, Dreiecke, Herzen, Wellen oder nur Striche. Du kannst auch ganze Menschen zeichnen, es ist dir überlassen." Sie greift nach meinem T-Shirt, zieht es mir langsam aus und zieht es sich über. "Du riechst toll." Ich lächele leicht. Von den Farben nehme ich mir blau und rot. Was ich malen oder zeichnen will, weiß ich nicht. Ich fange mit Kreisen an den Innenseiten meines linken Oberarmes an. An den Seiten meines Ellenbogens zeichne ich blaue Quadrate. Danach lege ich die Stifte hin. "Die Kreise sind an dem Ort, wo du dich am meisten verletzt hast?" Ich nicke. Dort hat man die Schnitte so gut wie nie gesehen, nur manchmal, aber ich hatte immer eine Ausrede parat. Shana fährt über meinen Oberarm, danach nimmt sie sich den roten Stift zur Hand. Sie lässt ihre Zungenspitze aus ihrem Mund baumeln. "Sieht doch gut aus." Ich muss den Kopf schief liegen. Can und Shana für immer, steht da. Shana malt noch ein großes Herz und zwei Strichmännchen. Eins ist ganz lang und eins ist kurz, besitzt Locken und trägt einen Rock. "Es wäre schön, wenn du das einhältst." Shana küsst meine Schulter. "Es wäre auch schön, wenn ich irgendwann deine Narbe anfassen dürfte." Ich verspanne mich leicht. "Wieso durfte ich sie damals anfassen?" "Ich weiß es selber nicht. Ich glaube, die Trennung hat mein Verhalten verschlimmert." Ich halte Shanas Kette in meiner Hand. Es freut mich, dass sie die Kette niemals abnimmt. Ich werde ihr immer etwas schenken, seien es Blumen, Spielzeuge oder Kleidung. Sie hat mir eine große Last genommen, als sie mir alles verziehen hat.
Den Laptop klappt sie zu und legt ihn auf den Boden. "Shana will schlafen, damit sie diese nervige Wärme nicht spüren muss." Ich spiele an ihren Haaren, das mag sie. "Das mag Shana", schnurrt sie. Ich küsse ihre Stirn, ihren Nasenansatz, ihr Nasenbein, ihre Nasenspitze und dann ihren Mund. Ich brauche ihre Lippen gerade sehr. Sie geben mir auf irgendeine Art und Weise neue Kraft. Vielleicht, weil mich ein einziger Kuss von ihr so glücklich macht. Ich brauche sie, ich brauche sie so sehr. Ich brauche alles an ihr. Ihre kleinen Finger kraulen mein Kinn, reiben sich gegen die Stoppel dort. Ihre Berührungen sind wie ein Medikament für mich. Langsam ziehe ich an ihrer Unterlippe. Sie rümpft ihre Nase und befreit ihre Unterlippe, oh, ihr süßes Lächeln kommt wieder.
Ich liebe den Frieden in ihren Augen.
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