Kapitel 82
Imagine Dragons - Demons
Freitag, 26. September
Die Famulatur in der Unfallchirurgie war bombastisch! Ich durfte sooft in den OP und habe die Oberärztin mit meinem Wissen beeindruckt. Ich will es ein weiteres Mal tun, aber es geht nicht. Sollte ich doch in die Unfallchirurgie? Ach, ich weiß es nicht. Can geht es viel besser. Er achtet mehr auf alles um sich, er kommt mir nicht mehr so selbstzweifelnd vor und seine Eifersucht hält sich in Grenzen. Anscheinend wirken meine Therapien, das ist doch toll! Ich bin echt stolz auf uns. Gerade schreibe ich einige Notizen auf und die Stoffe, die ich verwendet habe, als Can zu mir kommt. "Bist du fertig für heute?" Er ist schon bereit aufzubrechen. Etwas verdutzt schüttele ich den Kopf, ich habe noch einiges zu tun. "Aber du kannst schon mal gehen, ich gehe noch etwas essen." Fragend zieht er seine Augenbrauen zusammen. "Jessica, Celine, Tom und Marcel." Sein Mundwinkel zuckt mit wenig Begeisterung. "Can", warne ich. "Okay", seufzt er. "Schreib mir dann, wenn ihr losgeht, wann ihr dort ankommt und wann du abgeholt werden möchtest. Hast du Geld bei dir?" Er will sein Portmonee rausholen, doch ich schüttele den Kopf. "Ich habe Geld und ich werde auch nach Hause gefahren, also brauchst du dich um nichts zu kümmern." Er hakt mit seinen Blicken nach. "Alles ist gut, Can, geh ruhig nach Hause." Er nickt und gibt mir einen Kuss auf die Schläfe, ehe er geht. Verlegen lächele ich und schaue ihm hinterher. Von hinten sieht er ja genauso schnuckelig aus. Ich drehe mich schmunzelnd zur hustenden Jessica und treffe dabei auf Aykan, der schnell wegguckt. Ich ignoriere den Fakt einfach mal und ziehe eine Grimasse, als ich Jessica ansehe.
"Shana, mein Schätzchen", summt Marcel, der mich in die Arme schließt. "Schön, dich zu sehen." Lächelnd lässt er von mir ab, ehe wir uns hinsetzen. Jessica und Celine verstehen sich echt gut mit den Jungs. "Und? Wie läuft es bei euch denn so? Schon den ersten Menschen gerettet?", fragt Marcel aufgeregt, was mich schmunzeln lässt. "Ich war vor einer Woche im OP und habe Herzrasen bekommen, als der Puls des Patienten gefallen ist. Das war so aufregend, ich will wieder in den OP", seufze ich. Die Jungs verziehen das Gesicht. "Wie kann man nur in den OP wollen? Das ganze Blut und ein offener Mensch auf dem Tisch." Marcel schüttelt sich. "Das ist doch voll cool und so faszinierend", schwärme ich. "Könnten wir bitte über etwas anderes reden, wenn wir bedenken, dass wir in einem Restaurant sitzen?", bittet Tom mit verzogenem Gesicht. Belustigt entschuldige ich mich und warte, bis ein Kellner kommt. "Wie läuft es bei euch so?", frage ich die Jungs. Beide schauen sich lächelnd an und legen ihre Hände aufeinander. "Wir wollen uns verloben." Ich schreie freudig auf und stehe auf, damit ich beide umarmen kann. "Herzlichen Glückwunsch, oh Gott, wie toll!", quietsche ich. Ich spüre, wie mein Herz schneller schlägt, das ist wunderbar! "Dankeschön, Schätzchen", lacht Marcel. Mit einer erhöhten Temperatur setze ich mich wieder hin und kann nicht aufhören zu grinsen. Sie wollen sich verloben, wie toll! "Wann? Wo? Wie? Welche Farbe?" Jessica hält mich lachend zurück, weil ich mich schon auf den Tisch legen wollte. "Wir wissen noch nichts, alles ist noch in Planung", antwortet Tom schmunzelnd. Freudig schaue ich zu den Mädchen. "Und bei euch?" Schelmisch wackele ich mit den Augenbrauen. "Darüber haben wir noch nie nachgedacht", sagt Celine. "Das wäre doch toll!", mischt Tom sich ein. Kräftig nicke ich. "Das wäre total toll! Super toll! Extrem toll!" Lachend schauen mich alle an.
Mit ausgelassener Stimmung laufe ich die Treppen zur Wohnung hoch. Es war echt lustig, weil Jessica ein wenig betrunken war und die ganze Zeit gelallt hat. Ich mag solche Abende, das sollte ich mal mit Ranja und allen anderen machen. Die Tür schließe ich auf und laufe durch den Flur, Can ist im Bad und dreht sich abrupt zu mir. "Ouh, du bist ja wieder da." Er lächelt leicht. Mein Blick fällt auf seinen Arm, wo Blut hinaustritt. "Can, du blutest." Er schaut auf seinen Arm und wischt das Blut weg. "Ouh, ein Unfall", murmelt er. Fragend trete ich zu ihm. "Wie das?", frage ich mit verschränkten Armen. "Ich wollte meine Brust rasieren und habe mich erschrocken, als du da warst." Ich ziehe stutzig die Augenbrauen zusammen. "Und beim Rasieren willst du das T-Shirt anlassen?", frage ich trocken. "Ich wollte es ja ausziehen." "Und wieso hattest du den Rasierer schon davor in der Hand? Und wie kommt es dazu, dass du dich dann am Oberarm schneidest?", frage ich aufgebracht. Can hat sich geritzt und verleugnet es noch. Wieso tut er das? Er will seinen Satz ansetzen, kriegt aber nichts raus. Fassungslos schüttele ich den Kopf und nehme ihn den Rasierer aus der Hand. "Can, was ist los mit dir? Wieso tust du dir selber weh?", frage ich und rüttele an seinen Schultern. Schweigend schaut er zur Seite, ich atme schockiert ein, als ich die Bluttropfen im Waschbecken sehe. "Can, wo hast du dir wehgetan?" Mit zitternden Händen taste ich ihn ab und ziehe ihn das T-Shirt aus. "Can, was soll das?", frage ich enttäuscht. Ich dachte, ich hätte ihn helfen können.
Ich nehme ihn seufzend in den Arm. "Tut mir leid", flüstert er leise und brüchig. Gott, wie soll ich ihm bloß helfen? Er ist ein verzweifeltes Häufchen Elend. "Alles wird gut, Can. Entschuldige dich nicht." Ich küsse seine Brust und schließe die Augen. Wird dieser Junge jemals frei von seinen Dämonen sein? Wird er jemals unzerstörbare Freude am Leben verspüren? Wenn er an diesem Tiefpunkt ist, falle ich mit ihm, ich kann ihn nicht in diesem Zustand sehen. "Wieso hast du das getan?", frage ich niedergeschlagen. Ich war gerade noch sorgenlos und jetzt schmerzt mein Herz für Can. "Ich habe doch sowieso nichts gespürt", flüstert er. Unsere Melancholie verbreitet sich im ganzen Raum, die Stimmung ist spürbar schlimm. Ich konnte ihm doch nicht helfen, ich dachte, ich hätte es geschafft. Tröstend fahre ich seinen Rücken ab, bis Can plötzlich zusammenzuckt und mich wegschubst. "Nein! Wieso fasst du mich dort an?", schreit er mit Tränen in den Augen. Verwirrt steigen auch mir die Tränen auf. Er zuckt und kämpft gegen sich, als führe er einen Kampf mit seinen inneren Dämonen. "Wieso hast du mich dort angefasst? Ich dachte, du liebst mich!" Ich halte mir die Hände vor den Mund und atme zitternd ein. Was habe ich denn gemacht? Er schleudert seine Fauste gegen die Wand und schreit auf. "Ich liebe dich doch", flüstere ich brüchig. "Wieso hast du meine Grenze angefasst? Wieso hasst du mich so sehr?" Seine Worte sind Gift, welches meinen Körper verkrampfen lässt. "Sag das nicht", bringe ich weinend hervor. Ahnungslos fahre ich mir durch mein Haar und sehe, wie Can seinen Kopf schüttelt und sich total anspannt.
Er schüttelt seinen Kopf und schaut mich mit dunklen Augen an. Sein Leid ist so stark zu sehen, dass ich das Gefühl bekomme, dass es sich auf mich überträgt. Er macht mir Angst. "Komm zu mir, Can", bitte ich und öffne flehend meine Arme. Can tritt nach hinten und schüttelt den Kopf. Innerlich verkrampfe ich mich. "Komm mir nicht zu nahe, du hast mir wehgetan." Ich lege den Kopf schief, meine Tränen rinnen hinab, mein Schmerz erhöht sich. Seine Dämonen sprechen, das ist nicht Can. "Ich will dir doch nur helfen." Wieder fängt er an zu zucken und gegen sich zu kämpfen. Als ob Can besessen wäre, so benimmt er sich. "Nein!", schreit er animalisch. Ich habe diesen starken Druck auf meinem Nacken und würde am liebsten weinen bis ich nicht mehr weinen kann. Ich stehe angewurzelt an Ort und Stelle und frage mich, ob ich alles verschlimmert habe. Habe ich ihm das angetan? Can schaut zum Spiegel, in mir macht sich Angst breit. "NEIN!", schreie ich und will auf Can zu, als seine Faust zum Spiegel saust und ich sofort zurückspringe und mir die Hände vor mich halte. Ich weine vernehmbar und raufe mir mein Haar. Can blutet, seine Brust hebt sich stark. "Can, bitte, hör auf", weine ich. "Lass mich dir helfen, egal wie. Ich flehe dich an." Ich beiße auf meine bebende Unterlippe und sehe, wie meine Sicht durch meine Tränen verschwimmt. Wie soll ich ihm helfen? Das Blut, welches aus seiner linken Hand tritt, tropft auf den Boden. Monoton schaut er mich an und beginnt dann zu schluchzen.
Ich kann mich nicht mehr halten und falle zu Boden. Ich kriege schon Kopfschmerzen, weil ich dieses Schmerzen habe. Ich kann gar nicht in Worte fassen, was ich fühle. Mir wird jetzt wirklich klar, wie schlimm das für Can ist und in was für einem Teufelskreis er gefangen ist. "Tut mir leid, Shana, verzeih mir bitte." Can legt zitternd seine Hand auf meinen Kopf und tauscht sie schnell mit seiner rechten Hand, da diese nicht blutet. "Wir müssen ins Krankenhaus, Can", schniefe ich. Mir ist schwindelig, es soll aufhören. "Die können mich nicht heilen." Ich weiß, was er damit meint und es erschüttert mich. Diese Erkenntnis, dass er nicht heilbar ist, lässt mich wimmern. Er hilft mir mit roten Augen auf und lässt zu, dass ich seine Hand wasche. Mir kommen wieder neue Tränen auf, die ich nicht aufhalten kann. Dieser Druck und dieses Leid sind zu stark für mich. Ich will doch nur, dass wir glücklich werden. "Wir müssen ins Krankenhaus, das muss genäht werden", bringe ich mit unterdrücktem Weinen hervor. Ich will ihn heilen, aber ich bin anscheinend nicht gut genug dafür. "Möchtest du nicht zu einem Psychologen? Can, bitte, es würde dir helfen." Flehend sehe ich ihn an und lege meine Hand auf seine Brust. Ich nehme ein Handtuch und lege es um seine offene Wunde, die wieder blutet. "Vorsicht, Scherben", schniefe ich. Ich habe im Gegensatz zu ihm noch meine Schuhe an. Mein Kopf schmerzt, ich habe innere Unruhe und fange jede neue Minute an zu weinen. Mein Brustkorb fühlt sich leer an, ich empfinde gerade nichts als Leid und Schmerz. Wird es jemals ein Ende haben? Wird es jemals endlich vorbei sein? Schnell laufe ich ins Zimmer und hole eine Strickjacke für ihn. "Dir ist nicht schwindelig, oder?" Can schüttelt monoton den Kopf. "Es tut mir leid", flüstert er. Ich schaue sofort nach unten, damit er meine Tränen nicht sieht und helfe ihm in seine Schuhe.
Wir laufen die Treppen hinunter und steigen ins Auto. Ich weiß gar nicht, ob Can in der Verfassung ist, um zu fahren, aber er lässt sich nichts anmerken. "Mach das bitte nie wieder, Can." Er nickt. "Versprochen", flüstert er. Ich halte ihm langsam meinen Finger hin, doch er tut es nicht gleich. "Willst du es mir nicht versprechen?", hake ich nach. Er nimmt meine Hand und drückt zu. "Es tut mir leid." Ich schaue enttäuscht, er wird es wieder tun. Niedergeschlagen schaue ich aus dem Fenster. Wie dunkel ist es in ihm? Ich muss mich beruhigen und fahre mir über mein Gesicht. Sollte ich mit Cans Mutter darüber sprechen? Ich muss es tun, aber was ist, wenn ich Can damit verletze? Ich bin in einem Zwiespalt und habe Angst, Can zu verletzen. Wir kommen an und werden in ein Zimmer gebracht. Ich seufze resigniert und fahre vorsichtig durch sein Haar und über seine Wange, er schmiegt sich sofort an meine Hand. "Es tut mir leid, Shana." Ich schaue auf seine Hand und schüttele den Kopf. "Ich habe dich nicht mit Absicht dort angefasst, Can. Ich wusste es nicht." Er nickt. "Aber ich habe dich doch schon zweimal oder dreimal dort angefasst und dort bist du nie-, dort hast du nie so reagiert." Einmal im Aufzug auf der Klassenfahrt, einmal hat er meine Hand dorthin verleitet und einmal wollte ich es und Can hat mich dann an sich gezogen, damit ich es nicht mehr tue. "Ich konnte mich zu der Zeit erstaunlich gut beherrschen und ich dachte, dass ich bereit wäre und abgeschlossen hätte, als ich dich die Narbe hab anfassen lassen, aber so war es anscheinend nicht. Verzeih mir meine Worte, ich..." Er seufzt kopfschüttelnd. "Wenn ich dich anschreie, schreie ich mich eigentlich an. Ich hasse mich dafür." Ich nehme ihn in den Arm und küsst seinen Kopf. Ich weiß doch, dass er nichts für all das kann, dass es alles nur durch den Unfall entstanden ist. "Sag so etwas nicht", flüstere ich.
Eine Schwester tritt herein und beginnt mit der Anamnese. Ich bin mir sicher, dass sie denkt, dass er mir gegenüber gewalttätig werden wollte. Aber ich kann es ihr nicht übelnehmen, ich würde genauso denken. Can ist groß und breit gebaut, sein schwarzes Haar, sein dunkler Blick und seine Tattoos lassen ihn nicht wirklich freundlich aussehen, da könnte man nicht denken, dass er sich selber hasst und Ängste hat. "Der Doktor kommt gleich", gibt sie Bescheid und schließt die Tür. Wir warten schweigend bis ein Arzt hineintritt und Cans Wunde versorgt. Benutzt er die Einzelkopfnaht-Technik? Ich würde gerne zusehen, aber ich bin zu abwesend gerade. Meinem Mann, meiner Liebe geht es nicht gut und das macht mich fertig. Eine kognitive Verhaltenstherapie wäre das, was Can braucht. "Dürfte ich gleich mit Ihnen unter vier Augen sprechen?" Der Arzt sieht mich fragend an, ich nicke. Can wird zu Ende genäht, woraufhin eine Schwester ein Verband um seine Hand bindet. Mit dem Arzt laufe ich hinaus und verschränke die Arme vor der Brust. "Ich möchte Ihnen nicht zu nahetreten, aber müssen sie unter Gewalt leiden?" Das war mir klar. Ich schüttele den Kopf. "Alles bloß das nicht", flüstere ich. "Kennen Sie einen guten Psychologen, dessen Schwerpunkte Ängste, Zwänge und vielleicht sogar Depressionen sind?" Er nickt. "Die Schwester wird Ihnen die Information sofort geben." Vielleicht ist das unser neuer Weg, um zum Frieden zu gelangen.
Schniefend nehme ich Cans linke Hand in meine und laufe mit ihm gemeinsam die Treppen hinauf. In der Wohnung nehme ich ihm die Strickjacke ab und fahre über seine Arme. "Geh dich hinlegen, ich komme gleich nach, okay?", frage ich mit samtweicher Stimme, nur um ihn nicht zu beunruhigen. Nachhakend nicke ich und gebe ihm einen Kuss. Can läuft mit gekränkter Haltung durch den Flur, ich muss seufzen. Vorsichtig betrete ich das Badezimmer, schaue mir die Scherben und das Blut an. In meiner Brust brennt es, ein unangenehmes Gefühl kommt in mir hoch. Ich hebe den Badezimmerteppich an und klopfe die Scherben an, ehe ich ihn zusammenrolle und neben den Wäschekorb stelle. Cans Blut klebt trocken auf dem Boden, an den Resten des noch hängenden Spiegels und im Waschbecken. Schnell hole ich den Staubsauger und wische danach. Das geht alles ganz schnell, weil ich mit den Gedanken nicht beim eigentlichen bin. Wieso hasst du mich so sehr? Wenn ich an seine Sätze denke, möchte ich am liebsten wieder weinen. Mit Klopapier und Wasser wische ich alles, was am Waschbecken hinuntergetropft ist, weg und schaue dann ins Becken. So viel Blut. Das Klopapier schmeiße ich in die Toilette und schaue wieder in das Becken. Rot ist doch eine so schöne Farbe, wieso muss ich dann weinen? Unwillkürlich schluchze ich und halte mir schnell die Hand an den Mund. Sein Leid erschüttert mich, es gibt bis jetzt keinen Ausweg für Can. Die Tür schließe ich und stütze mich am Waschbecken ab, wo meine Tränen sich mit seinem Blut vermischen und es ein wenig aus ihrem Zustand befreien. "Wann hört es endlich auf?", flüstere ich wimmernd. Ich dachte, wir hätten die Hölle verlassen und wären dem Himmel empor. Aus meinem Mund fliehen leidende Laute, weswegen ich ihn mir schnell halte. Ich möchte mich ausweinen, ohne, dass Can etwas davon mitbekommt. Das Szenario von vorhin kommt mir wieder in den Sinn und lässt mein Herz schreien. Oh, Can, wie sehr ich dir das Paradies schenken möchte, nur um dich nie wieder weinen zu sehen. Wie sehr ich dir etwas geben könnte, was dein Leiden zerstört und verbrennt. Ich wünsche mir nichts Sehnlicheres als meinen Can in glücklich und sorglos zu sehen und das für immer. Keine Ängste, keine Selbstzweifel, keine Zwänge, die ihn niederschmettern, nur ihn mit mir an der Seite. Ich wünschte, ich hätte Freude, aber ich habe gerade nur zwei schmerzende Seelen.
Ich schaue in den zerstören Spiegel, der immer noch an der Wand hängt. Wieso sehe ich das als Zeichen? Als Zeichen dafür, dass es nicht mehr lange dauert, bis das Kaputte endgültig zerstört wurde und das Schöne hervortritt? Oder bin ich einfach nur zu verzweifelt und versuche mich unbewusst aufzumuntern? "Hilf uns, lieber Gott", wimmere ich. Weinen lehne ich mich über das Becken, spüre meinen bebenden Oberkörper und wie mein Leid aus meinen Augen tritt. Wie sehr ich mich nach den Tagen sehne, wo wir gelacht und uns geneckt haben. Unser Abiball, wie schön er doch war. Ich spüre seine Hände auf meinen Schultern, die mich umdrehen. Gequält schüttelt er den Kopf. "Es tut mir leid." Meine Tränen wischt er weg und will mich aus dem Bad führen. Das Blut spüle ich noch schnell weg und lasse mich auf das Bett fallen. Meine Kopfschmerzen kommen wieder. Ich fasse in meine Hosentasche, da wo der Zettel ist und zähle innerlich bis drei, ehe ich es anspreche. "Can?" Er dreht seinen Kopf zu mir. Bei seinen leeren, aber dennoch wunderschönen Augen, wird mir leicht mulmig. "Ich... würdest du-, du möchtest doch sicher geheilt werden, oder?" Abwartend sieht er mich an. Sein schönes Gesicht zeigt keine Regung. "Gehst du mir und dir zuliebe bitte zu jemanden, der dir professionelle Hilfe geben kann?" Unsicher beiße ich mir auf die Lippe. Ich habe Angst, dass er ausrasten könnte. "Ich bin zu schlimm, nicht wahr?" Seine Frage verwirrt mich irgendwie. "Du weinst wegen mir, dass macht meinen Selbsthass größer." Ich rutsche auf und gebe ihn den Zettel. "Das ist ein Psychologe, der auf Ängste, Zwänge und Depressionen spezialisiert ist. Versuch es bitte, das kann so nicht weitergehen." Er nimmt den Zettel in die Hand und liest sich die Buchstaben durch, nickt kaum vernehmbar und legt den Zettel zur Seite.
Meine Hand führt er zu seinem Kopf und bittet nonverbal, gekrault zu werden. "Ich kaufe einen neuen Spiegel", flüstert er. Seine Nase streift meine, das gibt mir ein Gefühl von Geborgenheit. Faszinierend, wie nur eine Berührung meines Geliebten reicht, um mich sicher fühlen zu lassen. Er schaut mich an, fokussiert mich mit den grauen Sprenkeln und dem Gold seiner Augen. "Wunderschön", wispern wir gleichzeitig. Endlich können wir uns gegenseitig ein Lächeln schenken, wie gut sich das anfühlt. Ich habe einen Impuls, der mir das Gefühl vermittelt, dass es ein guter Schritt ist und ich es jetzt tun sollte. "Ich verzeihe dir." Cans Mimik ändert sich sofort, er wirkt wie vom Blitz getroffen und setzt sich gerade auf. Seine Finger zappeln, sein Mund ist offen. "Du... du-, also ja?" Er nickt nachhackend. Seine Augen werden heller, seine Pupillen weiten sich. "Du verzeihst mir? Alles?", haucht er. Sofort spüre ich Freude in mir, setze mich auf und schenke Can ein Lächeln. Er atmet auf und senkt den Blick, zieht mich in seine Arme und umarmt mich innig. "Dankeschön, Shana. Ich mache alles wieder gut, ich gehe zur Therapie, versprochen." Mit Freudentränen lächele ich und fahre über seinen Hinterkopf. Das war ein guter Schritt. "Danke, Shana", flüstert er. Eine positive Aura ummantelt uns, die ich am liebsten in einer Flasche oder in einem Einmachglas einfangen will und jedes Mal ein wenig von dieser Luft inhalieren möchte, wenn uns etwas Schlimmes widerfährt. Voller Hingabe küsst er mich, als ob er es seit langem nicht mehr getan hat. Ich spüre das Kribbeln, die Schmetterlinge, das Schöne, die meine Trauer bekämpfen. Mit unglaublich viel Freude schaut Can mich an und lehnt seine Stirn gegen meine.
"Danke, dass du mich jedes Mal am Leben hältst."
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Mein Gott, ich habe bei einem Kapitel noch nie so viel geweint - Respekt an mich 👏🏽
- Helo
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