Kapitel 49

JP Cooper - Perfect Strangers

Als ich aufstehe, ist es 15:10 Uhr. Ich wälze mich in Cans Bett hin und her und umklammere seine Decke. Ich werde-, nein, ich muss heute Can besuchen. Als ich nachts bei ihm war, war Can noch sehr erschöpft und müde, sodass er kurz nach der Umarmung wieder eingeschlafen ist. Ich hoffe, dass er heute wacher ist. Ich will die Decke nur ungern von mir entfernen, weil ich immer an Can denken muss, wenn ich sie bei mir habe. Jedoch reiße ich mich zusammen und mache etwas zu essen. Durfte er frühstücken? War es ihm erlaubt zu Mittag zu essen? Hatte er viel Durst? Ich hoffe, Can muss nicht hungern. Wann wird sein MRT sein? Und das Gespräch? Wann beginnt die Strahlentherapie? Ich würde am liebsten im Bett neben Can schlafen, damit ich ihn bei mir habe. "Sie ist wach. Wann bist du gekommen?", fragt Ramazan, der sich zu mir stellt. "Ich war um 07:00 Uhr hier. Zum Glück hatte ich die Schlüssel. Ich wollte unbedingt in seinem Bett schlafen", flüstere ich am Ende. "Wie war die OP?", fragt er. Ich sehe, dass auch Malik aus dem Zimmer tritt. Wenn ich an die OP denke, kommen mir einige Tränchen hoch. "Sie hätte eigentlich sechs Stunden gedauert, dauerte aber dann acht Stunden, wegen Komplikationen. Der bösartige Tumor ist urplötzlich gewachsen und das auf die doppelte Größe", erzähle ich gedämpft. "Wie? Geht es ihm gut? Konnte alles entfernt werden?", fragt Malik leicht aufgebracht. "Fünf Prozent sind noch vorhanden, die des semimalignen Tumors. Wenn sie entfernt worden wären, dann hätte Can höchstwahrscheinlich keine Gefühle mehr zeigen können. Er wird ja bald bestrahlt." Ich zucke mit meinen Schultern und seufze. "Die Tumore habe ich im Zimmer", informiere ich beide. "Wie? Du durftest sie mitnehmen?", fragt Ramazan leicht lachend. Ich spitze die Lippen. "Ich musste Dr. Merzinger schon ein wenig überreden. Can war ja einverstanden und irgendwie hat sich das gelegt. Im Marmeladenglas." Ramazan rennt ins Zimmer, woraufhin ich ihn erstaunt stöhnen höre. "Der ist voll fett. Ist das diese Missgestalt von böser Tumor?", ruft er. Malik rennt ebenfalls ins Zimmer. "Ja, ist es", bestätige ich es ihm, während ich die Champignons in die Pfanne gebe. "Kochen konntet ihr nicht?", rufe ich leicht erzürnt. "Entschuldigung, Mama", rufen beide synchron, was mich schmunzeln lässt.

Nachdem wir gegessen haben und ich für Can so einiges eingepackt habe, fahren wir ins Krankenhaus. Ich habe für ihn Rosen geholt. Ich hoffe, er freut sich. Ob er schon wach ist? Natürlich, er braucht nicht viel Schlaf. Aber er war nach der OP doch so erschöpft. Wir laufen ins Krankenhaus hinein, die elektronischen Schiebetüren öffnen sich, woraufhin wir von der Wärme und von dem Krankenhausgeruch empfangen werden, der für mich zu übertrieben dargestellt wird. Ich finde den Geruch angenehm. Kurz fragt Malik nach, auf welchem Zimmer Can sich befindet, ehe wir in das Zimmer 13B treten. Ich blicke direkt in das Gelb seiner wunderschönen Augen. Müde lächelt Can uns zu und öffnet leicht seine Arme. Ramazan und Malik rennen an mir vorbei und legen sich halb auf Can, süß. Ich muss ein Foto machen. "Und? Alles gut bei euch?", fragt Can, der immer noch unter Malik und Ramazan liegt. Cans Nachbar scheint von Malik und Ramazan amüsiert zu sein. Als sich beide von Can lösen schaut er mich sehnsüchtig an. Tasche und Rosen gebe ich Ramazan und umarme Can ganz feste. "Du riechst nach meinem Parfüm", raunt er, was ich bestätige. "So konnte ich besser schlafen." Ich lege den Kopf in seine Halsbeuge und muss aufpassen, dass ich nicht gleich wieder sentimental werde. "Wie geht es dir?", flüstere ich. Ich löse mich von ihm und fahre über seine Schläfe, die vom Verband bedeckt ist. "Ganz gut und dir?" Er drückt meine Hand. "Auch", flüstere ich. Ich darf nicht sentimental werden. Verlegen schaue ich zur Seite, weil ich wieder bemerke, dass Ramazan und Malik hier sind. Ich höre Ramazan seufzen. "Madame Aggressiv ist schüchtern. Lass uns mal kurz raus." Ramazan zieht Malik hinter sich her und schließt die Zimmertür. Der Patient neben Can schaut zum Glück fern und hat Kopfhörer auf. "Ich habe Rosen für dich." Den Strauß mit gelben Rosen überreiche ich ihm, was ihn lächeln lässt. Er hat ein so wunderschönes Lächeln. "Dankeschön. Gibt es einen bestimmten Grund für die Farbe?", fragt er schmunzelnd. Schmunzelnd verdrehe ich meine Augen. "Das ist doch offensichtlich. Aber sie sind nicht einmal halb so schön, wie es deine Augen sind." Er schaut mich mit Freude in den Augen an und zeigt mit den Fingern, dass ich mich ihm nähern soll. Ich komme ihm entgegen, woraufhin er mich küsst. Das brauche ich jetzt unbedingt. Es kribbelt in meinen Lymphknoten, und wenn Can und ich alleine hier wären, säße ich schon längst auf ihm. Wir lösen uns voneinander. Seine Hand streichelt meine Wange. "Hast du Durst?", frage ich, ehe ich ihm Wasser einschenke, ohne dass er geantwortet hat. "Dankeschön." Er trinkt es nicht ganz aus, weswegen ich es tue. "Hast du Hunger? Durftest du frühstücken oder zu Mittag essen? Ich habe Essen für dich dabei und Kleidung. Auch Handtücher, Shampoo, Zahnbürste und Zahnpasta, dein Ladekabel." Ich öffne die Tasche und zähle noch mehrere Sachen auf. "Und Fifty Shades of Grey aus Christians Sicht. Du wolltest es dir doch einmal ausleihen." Er schmunzelt. "Dankeschön, Shana. Was wäre ich nur ohne dich?" Ich grinse und packe das Buch in die Tasche. Wenn Ramazan das sieht, wird er noch ganz wild. "War Dr. Merzinger schon bei dir?" Can nickt. Ich fahre ihm seufzend über den Kopf und stelle einen Stuhl neben sein Bett. "Du bekommst Cortison?", frage ich. "Ja. Es war Glück im Unglück würde ich sagen. Hättest du die Tumore mitgenommen. Ich hätte sie gerne gesehen." Er verzieht sein Gesicht. "Ich kann es ja morgen mitbringen. Brauchst du etwas? Geld? Hast du Internetflat? Ich habe kein Parfüm oder einer deiner Ketten für dich mitgenommen. Sag mir, was du alles brauchst." Ich will mein Handy rausholen, um mir alles aufzuschreiben, doch Can hält meinen Arm fest. "Ich habe alles, auch meine Glückskette, Shana, danke." Seine Stimme ist so rau, so tief und dennoch so beruhigend und samtweich. An seinem linken Handgelenk sehe ich das Haargummi und das silberne Königsarmband. Beide Hände nehme ich zu mir und lege sie auf meine Wangen. "Ich will dich bei mir haben. Bist du noch sehr erschöpft? Warst du schon spazieren?" Er verneint es. "Es geht mir auf jeden Fall besser. Gestern war ich, nachdem die Narkose nachgelassen hat und auch Stunden danach, noch sehr müde." Hoffentlich ist er so schnell wie möglich ganz fit und wieder verspielt. Ich weiß nicht, wie Can jetzt reagieren würde, wenn er sauer wird. Bestimmt wie in der Oberstufe. "Was meinte der Doktor zu dir?", frage ich. Die Jungs kommen wieder rein und nehmen sich ebenfalls Stühle. "Die Strahlentherapie beginnt in gut drei Wochen, wenn alles verheilt ist. Adjuvant und mit einer Strahlendosis von sechzig Gray. Einmal täglich, außer samstags und sonntags. Da darf ich zu Hause bleiben." Ich nicke.

"Hunger?", frage ich, was er verneint. Ich fahre über seine Hände, die auf meinen Wangen liegen. "Später." Can lächelt mich an und fährt über meine Wangen mit seinen Daumen. Etwas verlegen nehme ich seine Hände schließlich wieder runter, weil die Jungs ja wieder hier sind. "Und? Wie läuft es so bei euch?", erkundigt Can sich. "Ganz gut, wir waren zwar etwas aufgebracht, als uns Shana vorhin von den Komplikationen erzählt hat, aber sonst war alles gut", spricht Malik für sich selber und Ramazan. "Wann bist du denn aufgewacht?", fragt er mich. "Um 15:10 Uhr." Ich lege meinen Kopf auf seinen Bauch, woraufhin er die Decke soweit es geht über mich legt und über meinen Rücken fährt. "Das ist ja so süß", schluchzt Ramazan. Er nimmt sich sein Handy aus der Tasche und hält es sich ans Ohr. Das Blitzlicht verrät ihn, was mich lachen lässt. "Du wirst wie lange hierbleiben?", frage ich und schaue zu Can hoch. "Noch sieben weitere Tage", seufzt er, als er über meinen Kopf fährt. Wie? Eine Woche, ohne Can? Das wird echt langweilig zuhause. Wie gut, dass er dort liegt, wo ich arbeite. "Wie soll ich das nur eine Woche aushalten?", fragt Ramazan theatralisch, der sich die Stirn hält. Da hat er recht. Eine Woche, ohne seinen athletischen Körper, ohne seine Wärme und ohne seinen Geruch. Ich muss gucken, ob ich mich immer hier hinbewegen werde und seinen Körper betatschen und seinen Duft inhalieren kann. "Wann willst du es deinen Eltern erzählen?" Can hält bei meiner Frage inne und fährt mir über den Kopf. "Ich habe einige Säle hier, wir können sie uns bald ansehen", wechselt er das Thema. Ernst sehe ich ihn an. "Can, du weißt, dass sie es wissen müssen." Er beginnt zu seufzen und hält sich sein Nasenbein. "Ich mache es, nachdem ich entlassen werde", sagt er nun. Ich sehe ihn skeptisch an. "Also nächsten Sonntag", gebe ich etwas schroff von mir. Er nickt.

"Und sag ihnen, dass ich dich gerettet habe. Sie lieben mich schon so mehr als dich, aber wenn sie das erfahren, werden sie mich adoptieren wollen", witzele ich nun, was Malik und Ramazan grinsen lässt. Can brummt und zieht an meiner Haarsträhne. Er tut es endlich wieder. Das habe ich vermisst. "Wie geht es deiner Frau, Malik? Wird sie nicht eifersüchtig, weil du sooft bei mir bist?", fragt Can mit Belustigung in der Stimme. Ich muss schmunzeln. "Ach, sie möchte mich so gerne immer bei sich haben, aber als ich gehört habe, dass du Tumore hast, konnte ich dich nicht alleine lassen." Malik lächelt ehrlich, was mich freudig quietschen lässt. "Ja, meiner Frau geht es auch gut und ja, sie vermisst mich auch. Danke, der Nachfrage", mischt sich Ramazan gespielt genervt ein. "Wie geht es deiner Frau?", fragt Can. "Ich bin noch nicht verheiratet", schnaubt Ramazan, ehe er anfängt zu schluchzen. "Ich dachte, du kennst mich." Er schmeißt sich an Malik und fängt an zu weinen. Seufzend klopft Malik ihm auf die Schulter und redet beruhigend auf ihn ein. "Willst du denn heiraten, Ramazan?", frage ich grinsend. Sofort ist er ganz professionell und will ein Bein auf das andere schlagen, als er es doch sein lässt. "Ja, ich würde sie gerne heiraten wollen und ganz viele Ramazan Juniors auf die Welt bringen, damit die Welt mit ganz vielen und tollen und lustigen und attraktiven und intelligenten und sexy Männern beschenkt wird." Ramazan schüttelt seine Brust und nickt danach mit einem eingebildeten Ausdruck im Gesicht. "Was meint Meryem denn dazu?" Er zuckt mit seinen Schultern, plötzlich wirkt er schüchtern. "Ich habe sie noch nicht dazu gefragt", nuschelt er nun. "Stell dir mal vor, sie möchte noch nicht, weil es zu früh ist", meint er. Can räuspert sich auffällig.

Ich drehe mich zu ihm. "Hast du etwas im Halse?" Er spitzt nachdenklich die Lippen. "Ach, wie kommst du denn darauf? Ich weiß es nicht, sind es vielleicht fast ein ganzes Jahr der Verheimlichung oder das: Es ist noch zu früh?" Entgeistert sehe ich ihn an. "Denkst du, ich hätte dich geheiratet, als all der Scheiß passiert ist?" Can schnaubt. "Wenn wir da schon verheiratet wären, dann wären wir nicht getrennt." Meine entgeisterte Mimik bleibt und fügt noch zusammengezogene Augenbrauen hinzu. "Natürlich, Can", gebe ich schroff und nickend von mir. "Du hättest mich wahrscheinlich eingesperrt und sonstiges mit mir gemacht", blaffe ich. Seine Miene verhärtet sich. Er weiß, dass ich auf die Vergangenheit anspiele und das gefällt ihm nicht. "Ähm, Leute?", mischt sich Malik in einem vorsichtigen Ton ein. Seine Augen sprechen etwas Warnendes aus, was mich aus Prinzip die Augen verdrehen lässt. Etwas genervt schaue ich zu Malik. "Ja?", frage ich neutral. Malik schaut unbeholfen zu Ramazan, der verdutzt schaut und seinen Kopf nach hinten drückt, sodass sein Doppelkinn hervorscheint. "Ich muss Pipi. Komm, Malik." Ramazan steht auf und läuft mit Malik aus dem Zimmer. Ouh, Cans Nachbar ist auch weg. "Sieh mich an." Genervt sehe ich zu ihm. "Was? Willst du mir jetzt die Schuld geben?", frage ich und ziehe die Augenbrauen hoch. Wenn er damit anfangen will, mache ich mit. Seufzend fährt er sich über sein Gesicht. "Wir vergessen das einfach, okay?" Meine rechte Augenbraue hebt sich ein wenig an, mein Gesicht zeigt keine begeisterten Züge.

Can setzt sich auf und zieht mich an sich. "Wir vergessen das. Das war ein Kurzschluss." Er küsst meine Schläfe und drückt seine Nase gegen meinen Hals, was bis zur linken Pobacke hinunterkitzelt. Als er brummt, wird es noch stärker, weswegen ich mich winde. "Nicht sauer sein." Seine Arme schlingt er fest um mich und verteilt kleine Küsse auf meinem Hals. Ich ergebe mich und lege meine Hände auf seinen Hinterkopf. "Bis jetzt hattest du kein Ziehen im Hinterkopf oder?", frage ich leise. Er verneint es. "Der Chirurg meine, dass der benigne Tumor ganz stark auf den Motorcortex gedrückt hat. Vielleicht hast du ja keinen oder fast gar keinen Tremor mehr." Ich lächele, als ich die Hoffnungsfunken in seinen Augen sehe. Anscheinend wurde das nicht erwähnt. Eine Last hat er jetzt weniger. Er öffnet und schließt seine linke Hand, ehe er tief einatmet und ihn langsam anhebt. Wie gebannt sehe ich auf seinen Arm, der sich Stück für Stück anhebt. Bis jetzt ist er noch nicht an seiner eigentlichen Grenze angekommen, doch als ich sehe, wie er ihn weiter als sonst anhebt, ohne dass der Arm zu zittern beginnt, muss ich einen kleinen Freudenschrei von mir geben. Ich springe auf und ab und drücke meine Hände aneinander. Er hebt seinen Arm ganz an, woraufhin er freudig zu lachen beginnt und mich in seine Arme zieht. "Er zittert nicht mehr, er zittert nicht mehr!", ruft Can freudig. Er schwingt mich hin und her und drückt feste zu, weswegen mir die Luft etwas knapper zu dienen scheint, aber meine Freude ist gerade größer, als mein Drang zu atmen.

Er löst sich von mir und küsst mich voller Euphorie. Ich spüre seine Freude, ich schmecke sie sogar, weil ich mich selber Freude. Wieder einmal beginn die nonverbale Kommunikation, die ich so sehr liebe. Er teilt seine Freude mit mir. Can ist so glücklich, dass ihm diese Last von den Schultern gefallen ist. Seine Hände legen sich auf meine Wangen und seine Zunge streichelt meine. Ich spüre seine Brust, die meine streift und sein Lächeln, welches sich gegen meins drückt. Es ist ein so wunderbarer Kuss, der so viel Positives ausstrahlt. Ich spüre, wie hyperaktiv Can ist. Er löst sich von mir, rot vor Freude und mit einem wunderschönen und strahlenden Lächeln, dass jeden zu jeder Zeit aufmuntern kann. "Es ist endlich vorbei", flüstert er, woraufhin er sich über seine Augen wischt. Oh nein, ich werde sentimental. "Hey, nicht weinen", sage ich mit heiserer Freude. Can palmiert seine Augen und atmet tief durch. Sein Wimpernkranz ist feucht, seine Augen glänzen. "Du weißt nicht, wie froh ich bin, dass ich diese Last los bin. Es fühlt sich so an, als ob ich von Krebs geheilt wurde." Der semimaligne Tumor. "Danke, Shana. Ich schulde dir die ganze Welt. Ich danke dir für alles!" Er zieht mich wieder an sich und küsst mich keuchend, woraufhin er mein ganzes Gesicht mit Küssen bedeckt und mich in seine Arme zieht. Mein Herz pocht vor Freude und mir ist auch ganz warm deswegen. Bestimmt bin ich auch rot. Diese Freude in mir macht mich ganz aktiv und motivierend. So viel Dopamin brauchen Can und ich jetzt. Mir steigen Tränen der Freude auf und Tränen, weil ich an Can denken muss, wie er gerade kurz emotional geworden ist. Mein emotionaler und starker Löwe.

"Es ist endlich vorbei", flüstere ich.

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