Kapitel 29
Madilyn Bailey - Wildest Dream
Montag, 13. Januar
Ich kann das gerade nicht wirklich realisieren. Can hat mit mir geredet. Can ist wirklich auf dem Weg, sich zu bessern. Ich wusste doch, dass sein Ansporn wiedererweckt werden musste. Ich wusste es! Seit dem Krankenhausbesuch von ihm, bin ich total glücklich. Ich schlafe wunderbar, stehe aber immer noch um 03:03 Uhr auf. Es ist wie ein Geschenk Gottes, nein: Gott hat es uns wirklich geschenkt! Wie es heute wohl sein wird? Die Tage hat er sich nicht gemeldet. Oh Gott, das wird hoffentlich schön. Soll ich Can fragen, ob er mit mir zum Allergologen kommt? Seit der Sache am Donnerstag muss ich jeden Donnerstag zur oralen Immuntherapie, und alleine dort zu sein ist langweilig, weil ich dann eine Stunde dortbleiben muss, weil ich wohl an Anaphylaxie Typ drei leide. Ich hätte wirklich nicht ahnen können, dass ich auf einmal so heftig auf etwas reagiere. Das ist mir wirklich neu gewesen und überhaupt nicht schön. Mit Ranja laufe ich runter und laufe aufs Auto zu. Saliha wohnt ja nicht mehr bei uns, seitdem sie verheiratet ist. "Shana." Ich drehe mich sofort zu seiner Stimme. Etwas verlegen steht er vor seinem Auto und zuckt mit seinen Schultern. Ich kann mich gerade nicht bewegen. Er ist wirklich hier, um mich abzuholen. Seine Bemühungen rühren mich stark. Mein Herz schlägt vor Freude schneller und vielleicht bin ich auch etwas rot im Gesicht. Kurz schaue ich zur Seite, wo Ranja verstehend steht und grinst. Gott, es kann bergauf gehen! Langsam laufe ich auf Can zu, weil ich diesen Moment stark auskosten möchte. Vor Can angekommen, holt er aus seiner Jackentasche eine gelbe Gerbera mit gekürztem Stängel raus. Mein Herz macht einen Überschlag und ich kreische innerlich. "Dankeschön", flüstere ich lächelnd und fahre über die Blüten. Mein Montag wird von Sekunde zu Sekunde besser. "Wir sollten losfahren", meldet Can sich leise zu Wort und steigt dann schnell ein. Ich tue es ihm gleich und schnalle mich an. Gott, ich kann es immer noch nicht glauben, dass wir wieder miteinander reden. Ich liebe meine Erdnussallergie dafür!
"Wie geht es dir?", fragt er mich und fährt langsam raus. "Gut und dir?" Er nickt. "Besser, ich kann besser schlafen." Das freut mich ungemein. "Ich habe... einige T-Shirts von dir", murmele ich. "Ich auch von dir." Er lächelt leicht. Mein Gott, sieht er gut aus. "Ohne deinen Duft konnte ich sehr schlecht schlafen. Könntest du mir bitte ein T-Shirt geben, wenn du es anhattest? Dein Duft beruhigt mich." Wieder kreische ich innerlich und nicke etwas wild. Ich mache alles, was er will. "Ich war bei der Therapie", informiert er mich nuschelnd. "Wie war es?", frage ich sofort, woraufhin er mit seinen Schultern zuckt. "Es war langweilig und komisch. Ich habe keine Erkenntnisse sehen können, außer es wieder mit dir zu versuchen, aber das habe ich nur durch deinen Schock wieder sehen können. Hast du ein Notfallset bekommen? Medikamente? Musst du nicht jetzt zur Hyposensibilisierung gehen? Geh dahin, sonst werde ich sauer." Ich grinse. Can und seine Sorgen, wie sehr ich das vermiss habe. "Ich habe ein Set bekommen und ja, ich gehe zur Immuntherapie. Ich wollte fragen, ob du donnerstags immer mitkommen könntest", murmele ich am Ende etwas schüchtern. An der Ampel bleibt Can stehen und schaut mit leuchtenden Augen zu mir. "Gerne, das wäre toll." Ich lächele und kuschele mich in den Sitz, während ich Can weiter beobachte. Er schaut wieder nach vorne, als es grün wird. Er hat sich wieder rasiert. Er sieht frischer und vitaler aus. In den Spiegeln kontrolliert er immer, ob alles stimmt. So hübsch sieht er aus. Ich würde ihn gerne küssen wollen. Er hat mir eine Mund zu Mund Beatmung gegeben, zählt das als Kuss? Aber... er hat andere geküsst, auch Aleyna. Da waren wir aber nicht mehr zusammen. Trotzdem gefällt mir der Fakt nicht. Er hat auch mit ihr geschlafen. Aber er hat auch bevor wir zusammengekommen sind mit Aleyna geschlafen. Ich höre lieber auf darüber nachzudenken.
"Gibt es sonst irgendetwas?", fragt Can, da ich still geworden bin und ihn das verunsichert. Das merkt man, weil er seine Schultern auflockern will und immer zu mir schielt. "Meine Neurodermitis kommt nach langer Zeit wieder aus ihrem Haus. Dank der Trauer bestimmt, denn ich hatte sie sehr lange nicht mehr. Meine Lippen sind am Austrocknen und diese billigen Labellos aus der Drogerie werde ich nie im Leben benutzen. Ich muss zur Apotheke", seufze ich. "Oh", murmelt er. "Wie passend, dass wir heute Dermatologie haben", erwähne ich nebenbei und höre Can summen. Es ist ja schon fast wie vor dem Streit. Nur ohne Liebkosen und es ist etwas trockener, aber es ist trotzdem wunderbar. Ob Can sich anfassen lässt? Ich traue mich nicht, es zu tun. Vielleicht würde er sich dann zurückziehen und das wäre nicht gut. Ich will ihn aber auch in den Arm nehmen. Wir kommen auf dem Parkplatz an und steigen aus. Die Blume halte ich in meiner Hand und spüre wieder die Blicke einiger. In der Ecke ist eine Gruppe an Mädchen, die vor den Vorlesungen noch eine Rauchen wollen und uns schrägt ansehen. Ja, wir versuchen es wieder!, fauche ich innerlich und laufe neben Can her. "Also", setze ich seufzend an. "Wir schreiben ja nächste Woche eine Dermatologie Klausur... lernen wir vielleicht gemeinsam?", frage ich mich angezogenen Schultern. Can nickt sofort. "Das wäre schön", murmelt er. Ich komme mir wie ein Teenager in einer dieser amerikanischen Serien vor, die versucht, ihrem Schwarm näher zu kommen, der auch auf sie steht. Mann, Mann, das ist echt verrückt.
Jessica läuft mit einem überraschten Blick auf mich zu und umarmt mich. Can schnaubt. Bitte nicht ausrasten, Can. "Alles wieder in Ordnung? Ich wusste wirklich nicht, dass du so stark allergisch darauf reagierst." Verunsichert und schuldbewusst verzieht sie das Gesicht. Sie hat sich schon die ganze Zeit im Krankenhaus entschuldigt. Sie konnte es ja nicht wissen. "Jessica, du weißt doch selber, dass ich nichts von dieser Anaphylaxie wusste. Es ist okay." Can brummt leise, der alte Brummer. Vielsagend schaue ich zu ihm, woraufhin er mokant wegsieht. Ich muss leicht schmunzeln und sehe wieder zu Jessica. "Ich glaube, ich gehe mal kurz zu Celine", meint sie etwas skeptisch, weswegen ich meine Augenbrauen zusammenziehe. Sie läuft weiter und lässt mich mit Can alleine. "Sie konnte fragen, ob du allergisch reagierst", faucht er und kommt mir näher. Komm bitte noch näher. "Can, es war nur ein Versehen. Niemand hätte ahnen können, dass das plötzlich mit mir passiert. Wäre ich nicht so viel Trauer ausgesetzt worden, dann wäre es auch gar nicht dazu gekommen." Kurz weiten sich seine Augen, woraufhin er den Blick senkt. Habe ich ihn verletzt? "Sollen wir heute schon lernen?", frage ich zögernd und vielleicht sogar etwas hysterisch. Ich habe schon gestern etwas gelernt, und man sollte niemals eine Woche vor der Klausur lernen, wenn man Medizin studiert. "Ja, bitte." Ich lächele, genau wie er. "Bei dir?" Er nickt wieder. Das wird schön, das wird wunderbar.
Wir fahren gerade zu Can. Gott, ich bin so aufgeregt! Mit der Gerbera in der Hand laufe ich neben Can her und steige in den Aufzug. Der vertraute Geruch des Flures steigt mir in die Nase und auch, als wir in die Wohnung hineintreten, verspüre ich Nostalgie bei dem Geruch. Aus dem Bad kommt jemand raus. Es ist Ramazan. Seine Augen weiten sich und ein großes Lächeln schmückt sein Gesicht, als er auf mich zukommt und mich feste in die Arme zieht. Es wird alles wieder gut. Ich wollte fast fragen, wo Malik ist, aber er ist ja in seiner neuen Wohnung. Wann wollen sie wohl eine Art Essen veranstalten? Bis jetzt wurde es noch nicht gemacht, aber Saliha meinte, dass sie es unbedingt machen will. Kurz schaue ich mir Ramazans Zimmer an, welches jetzt viel größer und leerer erscheint, durch das fehlende Bett und die fehlenden Schränke. "Viel Spaß beim Lernen, ich gehe mit Meryem wieder auf die Arbeit." Er zwinkert und läuft aus der Wohnung. Jetzt bin ich alleine mit Can. Schüchtern lächele ich ihn an und folge ihm in sein Zimmer, wo ich mich auf sein Bett niederlasse und über die Decke streiche. "Ich glaube, ich koche etwas, bevor wir anfangen." Ich nicke lächelnd. Die Stille ist zwar etwas angespannt, aber dennoch schön. Ich genieße es sehr, dass er und ich im hier und jetzt friedlich miteinander kommunizieren können. Can zieht seinen schwarzen Mantel aus und krempelt die Ärmel seines Pullovers hoch. Wie sehr ich diese Unterarme anfassen will. "Es ist kalt", murmele ich und schalte die Heizung ein. "Oh, warte." Can geht zu seinem Schrank, und ich schaue ihm gebannt dabei zu, wie er einen Pullover rausholt und ihn mir hinhält. Ja! Ja! JA! Mit einem großen Lächeln nehme ich ihn an und ziehe ihn mir über. Es fühlt sich so perfekt an. Die Gerbera lege ich auf seinen Nachtschrank und folge ihm in die Küche.
Wir entscheiden uns für Makkaroni mit Käse - schnell und einfach. Ich will eine Konversation starten, weiß aber nicht, wie ich beginnen soll. "Bald sind ja die Semesterferien. Sollen wir da etwas machen?", fragt Can mich, was ich bestätige. Bitte! "Tiger und Turtle, da wolltest du doch hin, nicht wahr?" Ich nicke kräftig. Das habe ich ihm erzählt, da waren wir noch zusammen. "Das wäre total schön", flüstere ich und tue die Hähnchenbrust in die Pfanne. Ich würde am liebsten wieder in Cans Zimmer ziehen, aber das wäre zu früh. "Hast du deiner Mutter gesagt, dass wir wieder... dass wir es langsam angehen?" Can nickt. "Sie hat wieder geweint vor Freude." Can lächelt mich an. Er sieht so friedlich und zurückhaltend aus. Nicht wie jemand, der mich schlagen und vergewaltigen wollte. An die Vergewaltigung kann er sich nicht erinnern und das, was sich im Hotelzimmer abgespielt hat, konnte er wohl nicht kontrollieren. "Sollen wir irgendeinmal über alles reden, Can?", frage ich vorsichtig und rühre die Soße um. Can verspannt sich. "Bitte nicht jetzt. Irgendwann mal in zwei Wochen oder so." Ich nicke. Wenigstens erklärt er sich bereit, darüber reden zu wollen. Wir bereiten alles für vor, woraufhin Can die Makkaroni in den Ofen schiebt. Wir gehen zurück in sein Zimmer und setzen uns parallel zueinander aufs Bett. Ich komme mir vor, als ob ich die schüchterne Jungfrau bin, die gleich Sex haben wird und nicht weiß, was sie tun soll. "Wie geht es dir?", frage ich. "Gut, sehr gut und dir?" Ich nicke. "Auch, seitdem wir miteinander reden können, geht es mir sehr viel besser." Es ist wie das beste Medikament der Welt.
Nach langem Schweigen ist das Essen schon fertig. Na ja, ich hätte mir auch wirklich nur erträumen können, dass wir jetzt wieder wie in alten Zeiten reden können. Schweigend setzen wir uns gegenüber voneinander hin und essen schweigend. Habib miaut, weswegen ich aufmerksam werde. Den Kater habe ich ja vollkommen vergessen. "Nein, nein, nein. Weg, Habib." Can rennt zum Kater und bringt ihn in Ramazans Zimmer, woraufhin er die Tür schließt. Seufzend schaut er mich an. Er sieht so gut aus, wenn er seufzt. "Nicht, dass du wieder einen Schock kriegst. Das ertrage ich kein zweites Mal." Seine Sorgen rühren mich. Mit einem kleinen Lächeln nicke ich und esse weiter. "Ich habe heute Morgen meine Tabletten genommen", informiere ich ihn, bevor ich die Gabel zu meinem Mund führe. "Sehr gut. Es ist schön, dass du das endlich machst." Vielsagend sieht er mich an. "Wie reagierst du jetzt auf meine Berührungen?", frage ich, obwohl es gar nicht zum Thema passt. Cans Miene verhärtet sich, woraufhin er seine Schultern zucken lässt. "Ich müsste eigentlich ängstlicher sein, als du." Er nickt und verzieht das Gesicht. "Ich will das vergessen. Bitte erinnere mich nie wieder an diese Sünden." Wenigstens bereut er es. Das ist ein Trost. "Würdest du einmal zulassen, dass ich dich anfasse? Nur ganz kurz." Ich beiße mir nervös auf meine Lippe, was mit Can gleichtut. "Vielleicht." Das ist gut, ich will eine Art Therapie machen.
Nachdem wir gegessen haben, haben wir abgespült und haben danach ganz pragmatisch gelernt. Can hat weder beim Kochen, noch beim Spülen widersprochen. Er hat es zugelassen, weil er die Nähe zu mir gesucht hat. Jetzt stehen wir vor meiner Wohnungstür. Der Tag war schön. Can hat mir ein T-Shirt von sich geben, wo man seinen Eigengeruch noch intensiv riechen kann. "Ich hole dir mein T-Shirt", gebe ich Can Bescheid, hole das genannte Oberteil und stehe wieder vor Can, dem ich mein pinkes T-Shirt übergebe. Es wird wieder still, weswegen ich einen Impuls kriege. "Darf ich?", frage ich und zeige auf seine Brust. Zögernd nickt er. Ich stelle mich näher vor ihn hin und hebe zögernd meine Hand, als ob Can ein Reh wäre und er gleich davonrennen würde. Meine Hand lege ich auf seine Brust und spüre, wie schnell sein Herz schlägt. Mir wird warm und mein Rücken prickelt. "Ist das schlimm?" Can verneint es. "Es ist schön." Ich lächele im selben Moment wie Can. Mein Herz schlägt ebenfalls schneller. "Es brennt nicht mehr!", erzählt er mir euphorisch, wie ein kleines Kind, was mein Herz erwärmt. "Darf ich das jeden Tag bei dir machen, Can?" Verwirrt nickt Can. "Ich will eine Therapie mit dir machen, nur muss ich einige Sachen hinzufügen. Die Dinge, die du noch machen musst, wären vielleicht etwas intim, wenn wir uns nicht wieder ganz nah sind." Seine Augenbrauen ziehen sich verwirrt zusammen. "Du wirst sozusagen zu meinem Versuchskaninchen. Ich will aber erst, dass du dich voll und ganz an mich gewöhnst. Du musst mir immer deine Gedanken nennen und wie du dich gerade fühlst. Wenn ich etwas sage oder tue, dir nahekomme, etwas bestimmtes anhabe, wenn du mich einfach siehst, dann will ich, dass du es mir sagst oder von mir aus kannst du es auch aufschreiben, falls du dich schämst. Ist das in Ordnung für dich, Can?" Can nickt, was mich lächeln lässt. Ich halte ihm meinen kleinen Finger hin, woraufhin wir das Ganze mit unserem Versprechen versiegeln.
Die Ignoranz ist nicht mehr da, die Akzeptanz kommt. Es ist endlich vorbei.
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