Kapitel 25

P!nk - What About Us

Dienstag, 12. November

Ich habe mich drei Wochen zurückgehalten - erst einmal Hut ab an mich. Ich weiß gar nicht, wie ich das hingekriegt habe. Ich habe Can nur angeguckt, vielleicht hat mir das irgendwie Energie gegeben, um durchzuhalten. Can habe ich nur ab und zu daran erinnert, dass er sich entscheiden soll. Ich bin es leid, nicht zu wissen, was Sache ist. Ohne eine feste Grundlage kann ich nicht arbeiten. Aufgeregt bin ich jedoch trotzdem und zudem fürchte ich mich auch. Die Klausur der bildgebenden Verfahren habe ich jetzt hinter mir und laufe raus. Es ist verdammt kalt und auf dem Boden liegt eine dünne Sicht an Frost. Ich habe Angst vor dem, was gleich passieren wird, vor dem, was in Zukunft passieren wird. Bald ist Salihas Hochzeit, das muss doch etwas Gutes verheißen, oder? Can schreibt noch seine Klausur, ich ziehe meine Jacke enger um mich. Hat er sich schon entschieden? Hat er überhaupt darüber nachgedacht? Wenn er es getan hat, hat er lange darüber nachgedacht? Was hat Can gefühlt? War es ihm egal? Ist es ihm egal? Es sind so viele Fragen, die nur Can beantworten kann. Ich könnte vor Fragen platzen, aber ich weiß, dass Can sie mir nicht beantworten würde. Fragen zum Thema Liebe, Vertrauen, Gefühle und Gedanken und vieles mehr. Wenn Can und ich noch ein Paar wären, hätte er mir seinen Schal geben, weil sein Schal meine Haut am Hals nicht kratzen lässt. Ich will es gar nicht beenden, aber wenn Can nicht mehr will, dann kann ich nicht anders. Ich muss es hinnehmen und vielleicht werde ich es auch irgendwann mal mit Akzeptanz aufnehmen.

Ich werde langsam hibbelig und ungeduldig - ungeduldig wie Can. Schnell schaue ich auf mein Handy. Um 16:45 Uhr war ich fertig. Es sind jetzt drei Minuten vergangen. Can ist sonst fast immer mit mir auf einer Wellenlänge, was das Klausuren Schreiben anbelangt. Einige Kommilitonen treten aus der Uni, doch keiner von ihnen ist Can - unbedeutend. Meine Augen halten Ausschau, aber Can kommt nicht. Okay, er hat noch ungefähr zwanzig Minuten, um zu schreiben, aber er ist immer früher fertig gewesen. Ob er wohl seine Kette trägt, an der die Patrone baumelt? Das wäre schön, das würde mir Hoffnungen schenken. Wenn er sagen würde, dass er mich noch will, dann würde ich vor Freude nicht mehr schlafen wollen, aber wenn... wenn er sagen würde, dass er mich nicht mehr wollen würde, dann könnte ich vor Trauer nicht mehr schlafen. Ich verdränge den Druck in meinem Brustkorb und atme einmal tief durch. Kurz konnte ich die Kälte vergessen, doch jetzt spüre ich sie wieder. Wenn ich das für Can tun muss, damit ich ihn wiederbekomme, dann ist es mir recht. Wo bleibt er bloß? Denkt er gerade nach und bleibt im Flur deswegen stehen? Ungeduldig seufze ich und stelle einen Fuß vor den anderen. Sollte ich es morgen vielleicht noch einmal versuchen? Ich schaue auf den Eingang und spüre, wie mein Herz rattert, als Can - ganz in schwarz - die Treppen hinunterläuft. Gleich ist es so weit, oh Gott. Mir wird plötzlich warm und mein Bauch bebt. Ganz ruhig, ganz ruhig, Shana.

"Oh Gott", flüstere ich. Cans Augen blitzen fragend auf. Wieder wirkt er so benebelt, seine Lippen sind so schön rot. Er läuft langsam auf mich zu. Zum Glück ist hier keiner. "Du-, hast du dich entschieden?", frage ich direkt. Mir ist kein Einleitungssatz eingefallen. Seine Augen blicken mich sofort finster an. Oh nein. "Ich habe dir doch gesagt, dass ich nichts mehr von dir will!", herrscht er mich an und hebt dabei seine Hand, was mich zusammenzucken lässt. Ich darf mich nicht aus der Ruhe bringen lassen. "Can, wir können das gemeinsam wieder hinkriegen", setze ich mit leicht bebender Stimme an und will seine Oberarme anfassen, doch er schlägt meine Hände weg. Das tat echt weh. In meinem Brustkorb macht sich dieser vibrierende und elektrisierende Druck breit. "Durch deine Schuld ist das alles doch passiert!", ruft er. Ich rieche keinen Alkohol. "Du bist nicht besser, Can." Fassungslos schüttele ich den Kopf. "Geh doch zur Therapie, verdammt!", rufe ich erzürnt. "Wenn du nicht einmal rational denken kannst, was bildest du dir ein, mir alles in die Schuhe zu schieben?!", schreie ich und schlage gegen seine Brust, woraufhin er schnell mein Handgelenk umschließt. "Sei still", zischt er. "Du bist ein anderer Mensch, Can. Du bist nicht mehr du selbst. So wird dich niemand lieben wollen. Du schlägst deine eigenen Freunde, die wie deine Brüder sind, nur weil sie dir helfen wollen." Seine Augen verdunkeln sich. "Nein, tue ich nicht", presst er hervor. "Doch, das tust du!", schreie ich und bewege meinen Arm, damit er mich loslässt, doch das tut er nicht. Wieso kann er mich urplötzlich berühren, wenn ich ihn nicht spüren will?

"Du hast die größeren Fehler getan, Can. Du machst es mit Hintergedanken. Ich wollte nur etwas klären, aber da du so dumm bist und dich manipulieren lässt und das von der Person, die für dieses Unheil zuständig ist, sind wir in diesem Albtraum gefangen, der dich so mitnimmt, dass du Panikattacken erleidest und Dinge vergisst." Meine Atmung ist ganz schnell und meine Wut groß. Ich kann das, was er sagt, absolut nicht nachvollziehen. Cans Blick ist undefinierbar. Ich weiß nicht, was sein nächster Schritt sein könnte. "Ich habe die ganzen drei Wochen Aleyna gefickt." Mir wird sofort kalt, mein Herz setzt aus und ich bin bestimmt blass geworden. Nein, nein, das kann nicht sein. Wieso mit ihr? Haben die zwei anderen nicht gereicht? Die ganzen drei Wochen? War er deswegen immer so benebelt? Das erklärt seine roten Lippen. Mein Blut rauscht durch meine Ohren, ich höre in meinem Kopf, wie etwas zerbricht. Meine Unterlippe bebt. Ich... ich... fühle mich zerstört. Ich zittere wegen den ganzen Emotionen, die meinen Körper gerade durchfluten und hole kräftig aus, damit ich Cans Wange auch feste treffe. Er taumelt sogar etwas. Ich muss versuchen, nicht auszurasten und zu weinen. Er will mich zerstören. Er will mich nicht mehr. Es hat keinen Sinn mehr, zu kämpfen. "Du Ehrenloser!" Meine Stimme bricht am Ende, weil ich weinen muss. Wieso muss er das machen? Wieso weine ich deswegen? Es war der Gnadenstoß, der mich zum Explodieren gebracht hat. Sein Blick ist voller Entsetzen und Schock. Mein Herz zieht sich schmerzlich zusammen, und die kalte Luft, die um uns herum ist, reicht mir nicht aus, um normal atmen zu können.

"Wolltest du nicht heiraten?!", schreie ich und raufe mir meine Haare. "Wolltest du nicht für immer bei mir bleiben? Hast du mir das nicht geschworen? Hast du mir nicht gesagt, dass du mir alles verzeihst?" Can sieht so aus, als ob er mental gerade in einer anderen Dimension wäre. "Schämst du dich eigentlich nicht für dein Verhalten? Dich kann man nicht als Mann zählen." Er zieht mürrisch seine Augenbrauen zusammen. "Wieso?", blafft er. Das kann nicht sein gottverdammter Ernst sein. "Das fragst du noch? DAS FRAGST DU NOCH?!" Ich werde gleich noch hyperventilieren und mit einem Stein auf ihn einschlagen. Das kann er nicht ernst meinen. "Weil ein Mann niemals die Dinge getan hätte, die du getan hättest. Ich weiß nicht einmal wie ich das alle ausgehalten habe, wie ich alles noch euphorisiert habe, wie ich so stark bleiben konnte. Du bist schwach, Can." Zynisch klatsche ich und lasse die Tränen über die Wangen laufen. Sie enden sowieso. "Du weißt doch gar nichts", murmelt er und kratzt sich an seinem Nacken. Sein paradoxes und antagonistisches Verhalten lässt mich kalt. Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr! "Wenn du nicht mehr willst, dann akzeptiere ich es." Seine Augen weiten sich. Das geht aber an mir vorbei. Ich werde mich damit anfreunden. "W-was?", flüstert er und spannt seinen Kiefer an. Ich sehe, wie er seine tätowierten Finger knacken lässt und gehe vorsichtshalber einen Schritt nach hinten. "Dann geh doch!", schreit er nun. "Was anderes mache ich auch nicht mehr. Du bist nicht mehr von Relevanz, Can." Meine Stimme ist kälter, als die Luft hier. "Du willst alles also hinschmeißen? Was ist mit dem Uns?" War ich nicht gerade noch die, der alles egal wurde? "Ich dachte, du hättest die Antwort auf all die Fragen. So bist du mir immer vorgekommen, wo ist dieser Can? Wo ist dieser Can, der seine Dämonen besiegen konnte?" Ich gehe wieder nach vorne und ziehe ihm am Revers seines Mantels zu mir. "Wenn du uns offiziell nicht mehr willst, dann werde ich mich mithilfe der Akzeptanz an den Fakt anfreunden", flüstere ich und habe noch einen kleinen, leuchtenden Funken an Hoffnung in mir.

"Ich will dich nie wieder." Und schon wurde dieser Funkten erstickt.

Meine Hand lässt verkrampft von seinem Revers ab. Ich brenne innerlich, lasse es mir aber nicht ansehen. "Okay", flüstere ich nickend. "Ich hoffe, du wirst nicht mehr in Ruhe schlafen können und niemals wieder glücklich werden, Can. Das wünsche ich dir." Bevor er sehen kann, dass mir die Tränen aus den Augen fließen, drehe ich mich um und laufe schnell vom Parkplatz runter. Ich darf keine zu starken Herzschmerzen bekommen, es ist nur eine Einbildung - eine zu starke. Ich laufe schneller und setze mich auf den letzten Platz an der Haltestelle hin. Hier kommt niemand hin. Ich palmiere meine Hände vor meinem Gesicht und weine stumm. Innerlich schreie ich. Es ist vorbei. Ein Uns existiert nicht mehr. Can will nicht mehr, und ich kann nicht mehr. Ein Wimmern entkommt mir. Ich muss schnell nach Hause, denn dort kann ich mich hemmungslos ausweinen. Ich darf eigentlich nicht weinen! Ich habe doch gesagt, dass ich mich damit anfreunden werde. Die Bahn kommt, mit gesenktem Blick setze ich mich und wische mir die Tränen weg. Tief durchatmen. Wann soll ich meiner Mutter Bescheid sagen? Ich will ihr nicht Bescheid geben. Was ist mit Cans Mutter? Er soll es sagen, ich tue es nicht. Wer wird sich aber um Can kümmern? Können Ramazan und Malik ihn bändigen? Was, wenn Can gleich ausrasten wird und Ramazan und Malik betroffen sein werden? Ich muss Ramazan vorwarnen. Ich steige aus und wähle Ramazans Nummer, während ich langsam meinen Wohnblock erreiche.

"Ja?"

"Passt auf, wenn Can nach Hause kommt", flüstere ich.

"Wieso? Was ist passiert?" Außer Atem komme ich oben an und schließe die Tür auf.

"Wir sind offiziell ganz getrennt", flüstere ich und beiße mir auf die bebende Unterlippe.

"Wie? Was?", ruft er voller Entsetzen.

"Er will gar nicht mehr. Ich kann auch nicht mehr", murmele ich. Langsam ziehe ich mir meine Stiefel aus und laufe in mein Zimmer.

"Das kann nicht sein, Shana. Du darfst nicht auf ihn hören", bittet Ramazan.

"Er hört nicht auf mich und ohne diese Gehorsamkeit oder das Versuchen, irgendwie mithelfen zu wollen, geht nichts mehr", erkläre ich Ramazan, der am anderen Ende der Leitung zu seufzen beginnt.

"Wenn er kommt, dann passt auf, dass er nicht wieder auf euch einschlagen will." Ich schließe meine Augen und verdränge die Schmerzen in meiner Brust.

"Ich komme zu dir." Ich höre, wie Ramazan aufsteht und nach seinen Schlüsseln greift.

"Das brauchst du nicht."

"Ich höre doch, wie schlecht es dir geht. Am Ende musst du wieder ins Krankenhaus." Ich muss irgendwie schmunzeln.

"Bis gleich dann", flüstere ich.

"Ciao."

Als ich auflege, schmeiße ich mein Handy nach hinten und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Ich darf mich nicht zu überanstrengen, ich darf nicht zu sehr in Stress und Trauer verfallen, sonst falle ich am Ende noch um - mal wieder. Wie soll ich damit umgehen? Seine Worte haben mich tiefer geschnitten, als das schärfste Messer der Welt. Ich gehe unter und hoffe, dass auch Can deswegen untergeht. Ich muss weitergehen, so tun, als ob nichts wäre, aber dieser Verlust ist so tödlich und trieft vor Schmerzen und Gift. Ich werde nie im Leben jemanden wie Can finden, den ich trotz seine Makel geliebt habe - ich liebe ihn immer noch. Wann wird der Schmerz nachgeben? Ich hoffe so sehr, dass ich damit klarkommen werde. Diese Monate habe ich doch relativ gut gemeistert - außer die Zusammenbrüche. Ich konzentriere mich einfach auf meine Doktorarbeit und meine Prüfungen, damit ich von Can wegkomme. Das ist jetzt das Beste, was ich machen kann, sonst würde ich nur in Leid und Kummer versinken. Ich muss aus diesem Albtraum aufstehen. Ich hoffe, dass ich mich durch das Lernen ablenken kann. Ich will mir wenigstens das Ziel setzen und noch bessere Noten schreiben. Mit der Zeit kommt die Akzeptanz. Vielleicht wird ja alles besser, vielleicht kommt bald das Gute, vielleicht kommt bald die Erlösung all meiner Probleme.

Vielleicht nimmt er mir die Luft zum Atmen, wenn ich bleibe. Möglicherweise ist es besser, wenn ich ihm nicht mehr gehöre. Vielleicht sterbe ich doch nicht, wenn er nicht mehr meins ist. Möglicherweise war alles eine Lüge, die ich mir selber erzählte.

Vielleicht akzeptiere ich endlich, dass ein Uns das Schreiben für unseren Untergang wäre.

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Heut ist der allerschönste Tag 🤡

Wer kann Shanas Entscheidung nachvollziehen und wer nicht und wieso?

- Helo

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