Kapitel 24
Madilyn Bailey ft. Blake Ross - Love Me Now
Donnerstag, 24. Oktober
Ich habe Can diese Tage Freiraum gelassen, ihm aber immer wieder meine Hilfe angeboten. Can hat sie aber immer abgelehnt. Er zieht sich zurück und versteckt sich vor mir. Er ist im Labor wieder hinter mir und kommt mir schlimmer vor, als davor. Das ist gar nicht gut. Ramazan und Malik haben ihm die Waffe weggenommen, woraufhin er wohl ausgerastet ist. Sie konnten ihn nur schwer bändigen und ich habe sogar an Ramazans Oberarm blaue Flecken gesehen. Seine Krankheit zieht uns alle so sehr runter. Wie kann das sein? Früher war Can nie so. Er hatte ab und zu diese kleinen Wutausbrüche, aber ich hätte mir damals so eine schlimme Veränderung niemals vorstellen können. Ich will ihn nach oben ziehen, aber an ihm hängt ein ganzer Eisberg voller Negativität. Wer soll sich um Can kümmern, wenn ich nicht da bin? Dienstag und gestern kam er wie am Montag auch mit unordentlichen Haaren, roten Augen und benebelt in die Vorlesungen - heute auch. Ich weiß nicht, wie ich ihm helfen soll, wenn er mich abblockt. Er hat Ramazan und Malik aus Wut geschlagen, nur weil sie ihm die Waffe weggenommen haben. Weiß Gott, was Can damit alles hätte anstellen können. Ich will es mir gar nicht vorstellen. Seufzend lege ich meine Notizen weg und lege meinen Kopf in meine verschränkten Arme. Ich wollte eigentlich entspannt in der Bibliothek lernen, aber wenn Can mir die ganze Zeit in den Gedanken herumschwirrt, wird das nichts. Wo er wohl gerade ist? Die ganzen Vorlesungen habe ich irgendwie das Gefühl, dass Can total angespannt war. Soll ich ihn suchen gehen? Ich habe gesehen, dass er sich in der Uni aufhält.
Ich packe meine Sachen zusammen und laufe aus der Bibliothek raus. Ich sehe Can im Flur... mit Aleyna. Das lässt mich wütend und traurig zu gleich werden. Ihre dreckigen Blicke regen mich auf! Can schaut zu mir, seine Augen weiten sich und langsam entfernt er sich von Aleyna, die es mit Entsetzen bemerkt. Ich laufe schnell auf beide zu, woraufhin Aleyna schnaubt. "Was willst du bei ihr? Ihr seid doch sowieso nicht mehr zusammen", zischt Aleyna, der ich am liebsten meinen Schlagring in den Mund stopfen würde. "Schnauze halten", keife ich. Can schaut verwirrt zu mir und dann wütend zu Aleyna. Mit einer Hand - die total viel Wucht enthält - schubst Can Aleyna gegen die Wand. Ich schnappe leise nach Luft und gehe einen Schritt zurück. Dass er sie an der Brust zurückgeschubst hat, ignoriere ich mal. "Schnauze, Schlampe", knurrt Can. Ich genieße es zwar, dass er sich gegen Aleyna stellt, aber irgendwie gefällt es mir gar nicht, dass Can sich so verhält. Aleyna schaut ihn geschockt an, woraufhin Can noch wütender wird. Bevor es ganz eskaliert, ziehe ich Can schnell zurück, woraufhin er sich abrupt von mir entfernt. Im Augenwinkel erkenne ich, wie Aleyna schnell wegläuft, was besser ist, denn so kriegt sie nichts von der Auseinandersetzung mit. "Ich will nicht bei dir sein", mault er und schaut mich angeekelt an. Aber... Can ist krank, vergiss das nicht. Es tut trotzdem weh. "Hau ab und lass mich in Ruhe", murrt er. Er will an mir vorbeilaufen, weswegen ich Can festhalte. Er zuckt sofort zurück und fährt sich über seinen linken Arm, weil ich ihn dort berührt habe. "Can, lass uns gemeinsam in die Bibliothek." Er schüttelt seinen Kopf. Frustriert seufze ich und raufe mir mein Haar. Ich darf nicht wütend werden, Can ist nicht er selbst.
"Du musst in der Bibliothek nicht beben mir sitzen. Sitz gegenüber von mir." "Nein, ich will dich nicht sehen." Ich beiße die Zähne durch, weil mich seine Worte mitnehmen. "Aber du siehst mich doch gerade?", gebe ich leise von mir und nähere mich ihm. "Nicht freiwillig", zischt er. Ich atme tief durch. "Dann geh doch. Renn doch weg. Du lügst, Can." Schnaubend sieht er zur Seite. Seine Kinnlinie ist so scharf... ich will ihn anfassen. Can würde aber direkt abblocken. Cans Blick ist wütend, sehr wütend. "Ich nehme deinen gottverdammten Namen nicht einmal in den Mund, weil ich dich so sehr verabscheue. Ich will dich nicht sehen, aber du bist da. Ich will am liebsten in München sein, die Zeit zurück... ich-, du." Er schreit frustriert auf. Seine Worte tun sehr weh, sie tun verdammt weh. Ich versuche den Druck auf meinem Nacken und die Enge in meinem Hals zu ignorieren. "Wieso sagst du das?", flüstere ich und versuche nicht zu sensibel zu werden. Er lacht höhnisch auf. "Das fragst du noch?" Er stellt sich vor mich und schaut vernichtend in meine Augen. "Weil du all das zerstört hast. Hättest du einfach mit mir geredet, wäre all das nicht passiert." Ich habe mich doch so sehr gefreut, dass Can mit mir redet. Jetzt wünsche ich mir, dass er doch lieber geschweigt hätte. "Du bist nicht unschuldig, Can. Rede nicht alles so schlecht, wenn du selber nicht besser gehandelt hast. Du hättest ebenfalls auf ein Gespräch mit mir eingehen können, hast du aber nicht. Du hast alles abgeblockt, Can!" Mir steigen unwillkürlich die Tränen hoch. Sofort schaut Can weg und geht dann den Flur runter. Außer wegzurennen kann Can doch sowieso nichts mehr.
Ich sitze freudlos auf meinem Bett und sehe mir meine gewässerte Shelly an. Ich weiß nicht mehr weiter. Can flieht von mir, ist wieder mit Aleyna am Reden und verachtet mich. Was mache ich denn bitte, dass er mich so verachtet? Ich will uns doch nur wieder zueinander bringen. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch machen muss oder soll. Er sagt nicht einmal mehr meinen Namen. Wie soll das dann mit der Liebe funktionieren, wenn es schon beim Namen scheitert? Würde er schwach werden, wenn er meinen Namen sagt? Wenn er mich verachtet, wieso kann er mich dann nicht weinen sehen? Wieso kann er mir nicht wehtun und mich nicht leiden sehen, wenn er mir wehtut und mich leiden lässt? Wieso widerspricht er sich so? Ach ja, er leidet an Dissoziation. Mir ist immer noch nicht wohl dabei. Das ging mir viel zu schnell mit der Diagnose. Es kam so plötzlich und... ach, ich kann das nicht erklären. Es ist einfach paradox. Aber... wenn Can mich aufgrund dieser Erkrankung nicht mehr will, was bringt mir das Kämpfen noch? Ich bezweifle, dass die Therapie bei ihm anschlagen wird - wenn er überhaupt zu der Therapie geht. Laut Ramazan war er noch nicht dort. Wenn er mich nicht mehr haben will - meine Brust tut weh und zieht sich zusammen -, was soll ich da denn schon retten? Was passiert, wenn ich loslasse? Was passiert, wenn ich mich an den Schmerz und an den Verlust gewöhne? Kann es denn überhaupt noch schlimmer werden? Can hat mit anderen geschlafen und vor meinen Augen - als Rache - mit ihnen herumgemacht, er wollte mich schlagen - zweimal - und sich an mir vergehen. Mir wird kalt, als ich wieder diese Angst spüre.
Aber Can hat doch auch um mich gekämpft und das über Jahre lang. Kann man meine Lage denn mit seiner vergleichen? Nein, ich habe mich dann, wenn überhaupt, nur vor den Küssen zurückgezogen und bin ab und zu auf Distanz gegangen. Ich finde, dass man unsere Lagen während des Kämpfens nicht gleichsetzen kann. Bei mir ist viel mehr Schmerz und Kummer vorhanden, weil wir schon ein Paar waren. Can konnte ich nie wirklich mit meinen Händen verletzen, wenn dann nur mit meinen Worten. Das war mir aber damals nicht klar, weil ich nicht ahnen konnte, dass er etwas für mich empfindet. Ich tappte im Dunkeln und tue es gerade wieder. Wie lange bleibe ich noch am Boden, bis ich mir wieder neue Flügel gebastelt habe und wieder wie Ikarus fliegen kann? Wann werde ich dann wieder auf dem Boden landen? Wann werden Can und ich uns vertragen? Werden wir uns überhaupt vertragen? Ich weiß es gerade gar nicht mehr, weil mir klar wird, dass ich in einer Sackgasse bin. Can wird sich gar nicht mehr verändern. Can bleibt der, der er jetzt ist, weil er eine Sklavenkette um sich trägt, die keiner Zerbrechen kann - nicht einmal ich. Dieser Fakt lässt mich innerlich bluten. Ich würde ihm so gerne helfen, aber er will mich nicht. Ich muss Can fragen, damit es endgültig feststeht. Aber ich will mir Zeit lassen... ich will ihn jetzt noch nicht ganz verlieren. Das wäre zu schlimm. Später wäre es genauso schlimm, aber bis da habe ich noch etwas Zeit mit ihm verbracht. Das, was ich denke macht keinen Sinn, aber irgendwie macht er doch noch Sinn. Es gibt eine kleine Faser, die unsere Seelen noch zusammenhält. Can kann sie durchtrennen. Die Entscheidung liegt bei Can. Ich nehme mir mein Handy zur Hand, mit der Intention, Can zu schreiben. Leider weiß ich nicht, wie ich anfangen soll. Das, was ich schreiben will, kommt mir zu dramatisch vor.
'Entscheide dich, wie es in Zukunft weitergehen wird.' Das sagt doch alles, was ich will, oder?
Es sagt doch, dass ich seine Entscheidung bald parat haben will. Wenn er permanent von negativen Dingen suggeriert wird, dann wird er mich immer und immer wieder abblocken. Er hat diesen mentalen Willen nicht mehr. Es muss etwas her, damit dieser Wille wieder geweckt wird, aber er kommt nicht. Seufzend schaue ich auf mein Handy und spüre, wie mein Herz schneller schlägt, als Can online kommt und sogar anfängt zu tippen. Can liest und antwortet mir, Halleluja!
'Ich will dich nicht.' Und schon ist das euphorische, kleine Etwas von mir ertränkt worden. Was habe ich denn bitte erwartet?
Etwas unwohl winde ich mich und seufze tief. Da antwortet Can mir einmal nach Wochen oder Monaten auf meine Nachrichten und dann kommt so etwas.
'Willst du nicht darüber reden, Can?', versuche ich es und habe einen verzweifelten Blick in meinen Augen.
'Nein.' Ich seufze tief.
Ich fühle mich gerade total niedergeschlagen. Er möchte einfach nicht, aber... ich weiß selber nicht wie ich es dementieren könnte. Vielleicht liegt es an der Dissoziation, vielleicht auch nicht. Ich kann leider Gottes nicht in seinen Kopf gucken, so gern ich es auch möchte. Ich wünschte, ich würde einen Kernspintomographien besitzen und Can selber untersuchen. Wieso haben die Ärzte bis jetzt nie - mindestens - ein CT angefordert? Ich fühle mich so verloren und so eingesperrt. Ich komme nicht aus dieser Sackgasse raus. Soll ich aufgeben? Es ist ein Albtraum, aus den ich anscheinend nie wieder fliehen kann. Es ist permanent und da Cans Erkrankung wie ein Berg im Weg steht und ich keine Berge verschieben kann, werden meine Hoffnung immer minimaler. Ich fühle mich immer toter, immer verlorener. Ich kann ihn nicht durchbrechen, was paradox ist, weil ich ihn doch kontrollieren kann - oder konnte. Ich konnte es, denn Can ist nicht mehr der, der er war. Aber irgendetwas sagt mir, dass er schon immer so war und durch dieses Missverständnis sein Gehirn gestört wurde - eine mentale oder zerebrale Entgleisung. Diese Dissoziation stört mich. Es ist eher eine Hypothese für mich, auch wenn sie vom Neurologen verifiziert wurde. Die Verifizierung stimmt für mich aus irgendeinem Grund nicht. Er soll mir sagen, dass ein Uns doch noch existiert. Ich würde ihm sofort herfallen und alles dafür tun - ohne Kopf und Vernunft vielleicht, aber nur, weil ich meine Droge wieder brauche. Ich brauche ihn doch. Ich kann doch nicht ohne ihn und spiele mit dem Gedanken, es endlich aufzugeben, obwohl ich nur relativ gekämpft habe. Ist es denn besser, wenn wir getrennte Wege gehen? Wir haben uns doch oft gestritten, aber Streit gehört doch zu einer Beziehung. Ein Streit schweißt einen doch mehr aneinander. Mir bleibt nichts, außer die Hoffnung - wenn sie nicht noch mehr schwindet. Mein gekränkter Stolz kriecht immer mehr empor und will Stück für Stück meinen alten Habitus herholen. Dagegen habe ich nichts, aber ich sehe keine Resonanzen. Was könnte ich noch tun? Hoffen und beten bringt mir nichts - wieso widerspreche ich mir? Ich nehme mir wieder mein Handy zur Hand und will Can wieder etwas schreiben.
'Geh zur Therapie, Can.' Vielleicht hilft ihm das.
'Das bringt nichts.' Wenigstens schreibt er schnell zurück.
'Warst du denn schon dort?'
'Einmal, es war Bullshit.'
'Mit einem Mal kann man nicht immer positiven Resonanzen sehen und ziehen.'
'Du weißt doch gar nichts.'
'Wie kommst du darauf?' Er antwortet nicht mehr. Ich schicke ein Fragezeichen, doch Can antwortet wieder nicht.
Weiß ich wirklich nichts oder weiß ich mehr, als Can wahrhaben will?
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Ich lebe noch, ich bin die Tage nicht verschollen 🙋🏿
- Helo
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