Kapitel 21
Nicki Minaj - Grand Piano
Mittwoch, 16. Oktober
Okay. Es sind jetzt zwei Monate und ungefähr zwei Wochen vergangen. Zwei volle Monate voller Funkstille. Wow. Wie sich das auf mich ausgewirkt hat? Erstaunlich positiv. Natürlich war es nicht permanent so, aber ich konnte mich wieder etwas aufrappeln in dieser Zeit. Die ganze Zeit in Kummer zu sein wäre auch zu ungesund für mich - und ich musste mit der zarten Version des Herzinfarktes ins Krankenhaus. Ich konnte Cans Mutter nicht sehen, für die Zeit, die ich bei meiner Mutter war. Sie war bei ihrer Schwester über die ganzen Sommerferien lang und ich habe mich nicht getraut, sie anzurufen. Was Can getan hat? Ich weiß es nicht. Ich habe mich vorerst zurückgezogen - ganze zwei Monate. Kann man mir das verübeln? Nein und wenn es jemand tut, dann kriegt er eine verpasst. Ich habe mir etwas von meinem Stolz zurückgekratzt. Wenn ich durch die Flure der Uni laufen werde, werde ich wahrscheinlich eingebildet und kalt gucken, aber das gehört zu meinem Habitus. Ich weiß nicht, wie ich auf Can reagieren soll, wenn ich ihn sehe. Ich habe ihm auch nicht mehr geschrieben. Ich wollte, dass er es auch ein bisschen versucht. Ich brauche die Verifizierung, dass er immer noch an mir hängt, aber die habe ich nicht erhalten. Sollte ich aufgeben? Ich will nicht, nein. Das denkt sich auch meine innere Stimme und das in einem sturen und mürrischen Ton. Ich konnte die Wutausbrüche von ihm verdauen und den ganzen anderen Scheiß, den er getan hat. Vergessen werde ich es jedoch nie. Das könnte mein Hippocampus nie im Leben vergessen. Von Ramazan und Malik habe ich auch nichts erfahren. Na ja, ich habe sie nicht wirklich gefragt. Malik ist sowieso mit seiner Verlobung beschäftigt.
Wie es Can jetzt wohl geht? Ob er wieder dieses Ziehen verspürt hat? War er beim Arzt? Wird er heute mit mir in der Uni reden? Das erfahre ich gleich. Ich freue mich etwas auf die Uni, weil ich neue Fächer habe. Psychiatrie und Psychotherapie, passend oder nicht? Vielleicht lerne ich ja etwas dort, damit ich Can helfen kann. Die dämlichen Ärzte können ja nichts. Ich frage mich selber, wie ich diese zwei Monate so still hinnehmen konnte. Es kommt mir so surreal vor. Habe ich mich wirklich zwei ganze Monate zurückgezogen? Hat Can mich vermisst? Hat er sich Gedanken gemacht? Hat er nicht nach mir gefragt? Er hätte mir doch einmal schreiben können... nur ein Punkt. Seufzend mache ich mich fertig und laufe dann mit Ranja und Saliha nach unten. Wir lassen Ranja ab und fahren weiter zur Uni. Ich werde immer nervöser. Wird Can wieder seinen Trenchcoat anhaben? Er sieht so unfassbar gut in seinem beigen Trenchcoat aus. Bald bin ich alleine mit Can. Saliha und Malik werden nur noch diese paar Monate auf der Uni sein, woraufhin die Hochzeit folgt und dann sind sie weg. Ich muss noch ein paar Jahre in der Uni verbringen. Als wir auf dem Parkplatz ankommen, seufze ich tief und steige aus. Meine Schultern heben sich an, weil es nicht gerade warm ist. "Ich gehe zu Malik, ja?" Ich nicke halbwegs interessiert und laufe über den Campus. Die Blicke vieler liegen auf mir. Was gucken die so? Ich ignoriere die Idioten und laufe weiter, dabei nehme ich meine selbstbewusste Haltung ein. Haben sie etwa mitbekommen, dass Schluss zwischen Can und mir ist? Wenn sie es wissen, woher wissen sie es? Ich bezweifle, dass Can es laut herumposaunt hat. Hat man es an unserem Verhalten bemerkt? Aber wie soll das gehen? Es ist in den Semesterferien passiert. Vielleicht im Labor? Can war nicht oft dort, aber wenn, dann haben wir nicht miteinander geredet. Ich dachte, dass sich unsere Kommilitonen nicht für uns interessieren. Na ja, am Ende wissen es alle bloß nur wegen denen.
Ich laufe in die Uni und kann mich mittlerweile alleine zurechtfinden. Ich sehe Can nicht, das ist schade. Seufzend lasse ich mich auf meinem Platz nieder, gefolgt von Jessica. Ich bin echt froh, dass sie zwischen Aykan und mir sitzt. Ich sehe, wie Can hineintritt, ganz in schwarz. Er trägt einen unfassbar gutaussehenden, schwarzen Mantel. Das Einzige, was heraussticht sind seine Augen. Er wirkt wie ein Panther. Ein unfassbar schöner Panther. Aykan kommt auch hinein, weswegen ich meinen Blick sofort abwende. Der Professor beginnt mit der Einführung und den Grundlagen für die Psychiatrie und Psychotherapie. Der Begriff Psychotherapie wird erklärt, woraufhin drei Definitionen, der historische Abriss und der Unterschied zwischen Psychoanalyse und Verhaltenstherapie vorgelesen werden. "Was wird in einer Psychotherapie behandelt?" Der Professor legt die nächste Folie auf und liest weiter ab. Ich werde ganz aufmerksam, als ich die ganzen Punkte lesen. "Es werden diverse Störungen, wie Angststörungen, Zwangsstörungen, Affektive Störungen, Abhängigkeit und Substanzmissbrauch, Essstörungen und sexuelle Störungen behandelt." Die ersten drei treffen sehr gut auf Can zu. "Es ist nicht einfach, wer mit welcher Störung, zu wem gehen kann, wenn die Entscheidung an vielen Faktoren abhängt, vor allem mit dem Miteinander-Können zwischen Therapeut und Patient. Für Patienten, die aktiv bereit sind etwas gegen ihr Problem zu unternehmen, wird eine Psychoanalyse, beziehungsweise eine Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie empfohlen, während die passiven Patienten eine Verhaltenstherapie vorziehen." Die Frage ist jetzt: ist Can aktiv oder passiv? Can will tief im Inneren, dass es sich ändert, aber er zeigt es nicht. Ist er somit einer derjenigen, die zu den passiven Patienten zählen?
Nach meiner eineinhalbstündigen Vorlesung laufe ich zur Mensa. Einige - hauptsächlich Mädchen - schauen mich an und reden sogar. Worüber reden diese Weiber? Genervt lasse ich mich in der Mensa nieder. Saliha hat jetzt keine Pause, was mich nervt. Bei wem soll ich mich ausmeckern? Aus meiner Tasche hole ich mir einen Butterkeks hervor und sehe, dass Jessica sich zu mir setzt. Wenigstens bin ich nicht mehr alleine. "Hey", setzt sie vorsichtig an und streicht ihre kurzen Haare zur Seite. "Hi", murmele ich. "Wie geht's?" Na ja, nicht wirklich blendend. "Es gab bessere Tage und dir?" Sie nickt. "Ganz gut." Es kehrt Stille ein. Ich sehe ihr an, dass sie etwas sagen will. "Hör mal... ich habe gehört, dass du und Can nicht mehr zusammen seid." Sofort wird mein Blick kalt. "Bist du nur deshalb hierhin gekommen? Um dir die Bestätigung zu holen, dass wir kein Paar sind, damit du dich an ihn ranschmeißen kannst?" Meine Stimme hebt sich bei jedem Wort. Woher weiß sie das?! Wenn sie nur deswegen gekommen ist, dann schlage ich mit meinen Butterkeksen auf sie ein. "Nein, nein! Alles, bloß das nicht!", beteuert sie etwas hysterisch und hebt abwehrend ihre Hände. Ich bin trotzdem misstrauisch. "Ich bin einer der Leute gewesen, die von euch geschwärmt haben, auch wenn ihr zusammen nicht ganz mein Typ seid." Ich kneife kurz die Augen zusammen. Ist nur Can ihr Typ oder was? "Hey, töte mich nicht mit deinen Blicken. Can ist sowieso nicht mein Typ." Ich finde ihre Aussprache von Cans Namen etwas niedlich. Es hört sich etwas mehr nach Tschan an, aber manchmal spricht sie es auch perfekt aus. "Okay", murmele ich. Warte, wenn nicht Can ihr Typ ist, bin ich es dann oder was? Huch! "Wieso sprichst du das überhaupt an?", will ich wissen. Ich glaube, ich habe es einfach falsch verstanden.
"Na ja, es hat schon die Runde gemacht, dass ihr nicht mehr zusammen seid. Ich weiß nicht woher, aber irgendwann hat das wohl ein Junge gesagt. Jedenfalls dachte ich, dass du jemand neuen an deiner Seite brauchst, damit du nicht mehr alleine durch die Uni lungern muss." Ich spitze meine Lippen. So sympathisch mir das blonde, kurzhaarige Mädchen auch ist, ich muss vorsichtig sein. Am Ende ist sie wie Aykan, nur dass sie dann hinter Can her ist. Oh Gott, wenn Aleyna das mitbekommt, dann wird es unangenehm - für sie, die kleine Schlampe. "Okay", willige ich ein. Ich werde trotzdem misstrauisch bleiben. Es ist aber immer gut, wenn man eine Kommilitonin als eine Art Freundin hat, denn zusammen lernen an der Uni ist immer besser, als alleine. Ich kann zwar alleine besser lernen, aber wenn mir etwas fehlt, kann ich ja andere fragen. Ich schaue zur Seite, als ich Can sehe, der die Mensa betritt. Mein Herz pocht bei seinem bildhübschen Anblick. Mein Gott, dieser schwarze Mantel und diese schwarzen Timberland Boots sehen in Kombination so unfassbar gut aus. Er sitzt alleine. Er kennt doch so viele, wieso ist er dann allein? Vielleicht will er ja in Ruhe gelassen werden. Ich würde trotzdem gerne mit ihm reden wollen. Ich versuche es heute mal wieder. Nach mehr als zwanzig Minuten erheben Jessica und ich uns, woraufhin wir zum Hörsaal laufen. Auf dem Weg schauen mich wieder ganz viele an. "Einige sagen, dass du nur belogen wurdest." Es wurde angeblich mit meinem Herzen gespielt? Welcher dreckige Wichser sagt so etwas? Ich atme tief durch. "Weißt du wer?" Sie verneint es. Ob auch erzählt wurde, dass ich Can angeblich betrogen hätte? Ich hoffe nicht. Aber woher holen solche Leute, solche Gerüchte? Wie kann es sein, dass viele davon Bescheid wissen? Okay, in einer Zeitspanne von über zwei Monaten kann so etwas passieren, aber wer hat uns beobachtet? Wer konnte es erkennen?
Um 21:10 Uhr liege ich im Bett. Neue Resultate für die Doktorarbeit habe ich nicht. Na ja, das ist nichts Neues. Can habe ich nicht sehen können, weswegen ich nicht mit ihm reden konnte. Er war urplötzlich weg. Vielleicht hat er sich vor mir versteckt - ich weiß es nicht. Ich nehme mir mein Handy zur Hand und beschließe, ihn anzurufen. Es tutet einmal, dann zweimal und schließlich dreimal, als ich dann auf die Mailbox geleitet werde. Seufzend lege ich mein Handy weg. Es ist viel schwerer, als gedacht. Ich dachte, dass, wenn ich ein- oder zweimal mit Can rede, er auf mich hören würde, weil wir uns doch so sehr lieben, aber so ein Vertrauensbruch, der durch ein Missverständnis entstanden ist, ist schwer zu heilen. Ich hoffe, er trinkt nicht mehr. Die Tage, an denen er betrunken zu mir kam, kommen mir wieder in den Sinn. Sie waren abstrakt, wenn man das so sagen kann. Er konnte seine Gedanken erzählen - zumindest einige - und so konnte ich ihn ein bisschen verstehen, wissen können, wie er sich fühlt und was er denkt. Er hält mich für diejenige, die ihn betrogen hat. Wegen mir können wir nie wieder heiraten, aber ich will doch heiraten. Ich habe ihn sogar zweimal gefragt, ob er es möchte, in der Hoffnung, dass er Ja sagen würde, doch demnach war er nicht. Can hört nicht mehr auf mich. Früher hat er immer aufgehört, mich anzufassen, wenn ich meinte, dass er mir wehtut und mir Angst macht. Als er mit dem Gürtel auf mich zukam und meine flehenden Blicke gesehen hat, habe ich sein altes Ich sehen können. Er hätte den Gürtel fallengelassen, wenn Cihan nicht von hinten auf ihn gesprungen wäre. Es lagen Reue und Schuld in seinen Augen. Sein Gehirn konnte wieder etwas rational denken, bis er gestört wurde und sein Gehirn dann wieder blockiert oder sonstiges wurde.
Can meinte doch einmal, dass er mir immer verzeihen würde. Das war damals, als ich das erste Mal zusammengebrochen bin und dann im Sanitätsraum lag. Hat er mir schon verziehen und braucht einfach Zeit, um sich damit abzufinden? Ist es das? Wenn es so ist, dann warte ich liebend gerne. Ob ich morgen mit ihm reden kann? Er sah heute gut aus. Nicht nur äußerlich, ich hatte das Gefühl, dass er auch im Inneren etwas beruhigt war. Das letzte Mal, als ich ihn wirklich anschauen und mustern konnte, war im Gefängnis. Die paar Male im Labor konnte ich ihn nicht wirklich beachten. Aber Can kann doch jetzt seinen Waffenschein nicht bekommen, oder? Er war im Gefängnis und das wegen seiner Gewalt gegenüber Cihan. Seufzend setze ich mich auf und nehme mir mal, nach echt langer Zeit, mein von Ranja gekauftes Whiteboard zur Hand. Ich habe den Plan mit den Klausuren immer ausgedruckt, aber das Ding ist eigentlich total günstig. Schnell schreibe ich alle Termine auf das Board und hänge es dann wieder an die Wand. Das erinnert mich wieder an den Tag, als durch meinen Zusammenbruch wieder Frieden zwischen Can und mir war. Die Phase mit den versteckten und unterdrückten Gefühlen kommt mir wieder in den Sinn. So viele Missverständnisse sind entstanden und jetzt sind diese Missverständnisse wieder da, nur sind sie schlimmer und heftiger. Ich hoffe, dass ich mich langsam an alles gewöhnen kann, denn ich will nicht immer wieder an diese Schmerzen erinnert werden. Ich bin aber auf dem Weg, wieder zur alten Shana zu werden. Ich spüre, wie mein Nachtragen gepaart mit meinem Temperament zurückkommt und hoffe, dass ich das bald wieder anwenden kann. Das wäre doch perfekt; ich hätte meine alte Stärke wieder, die ich durch die Stärke der Liebe getauscht habe. Trotzdem darf ich nicht allzu optimistisch sein, denn ich weiß nicht, was in Cans Kopf vor sich geht.
Vielleicht spielt er nur mit meinem Herzen und vielleicht sammelt er die Scherben meines Herzens auf.
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Ich hatte zwar nie feste Uploadzeiten, aber es kann sein, dass Montags und Donnerstags einfach gar keine Kapitel kommen, da ich an diesen Tagen sehr wenig Zeit habe. Manchmal auch Mittwochs nicht, da ich alle zwei Wochen dort neun Stunden habe, also I don't know. Oh und die Kapitel kommen jetzt immer sehr spät - wenn überhaupt. Wenn was kommt, seht ihr es ja.
- Helo
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