Kapitel 100

Georgie Mason - Sweet Dreams

Freitag, 1. Mai

Es ist echt schön, wenn man an einem Freitag nicht zur Uni gehen muss - es lebe der Mai mit all ihren Feiertagen! Can wirkt die ganze Zeit so nachdenklich, lächelt aber trotzdem. Ihn muss etwas wohl sehr amüsieren, dass er so geheimnisvoll lächelt. Er sagt es mir aber nicht. Can und ich putzen gerade die Wohnung durch. Ich habe zurzeit ein mulmiges Gefühl, was unser Geld angeht. Wir verdienen immer noch unser Schwarzgeld, aber ich habe Angst, dass wir bald in irgendeine Geldnot fallen. Ich hasse diese hypothetischen Gedanken, die oft an Paranoia grenzen. Ich lege vorsichtshalber etwas Geld zur Seite. Ich wische den Boden im Wohnzimmer zu Ende und fahre mir über die Haut zwischen Daumen und Zeigefinger, der gerne wund wird, weil ich den Mopp so fest im Griff halte. "Soll ich übernehmen?" Can massiert die rote Stelle. "Geh das eincremen, ich mache weiter." Ich liebe es, wenn er mich von hinten umarmt. Ich will ihn dann nie loslassen. Langsam laufe ich ins Schlafzimmer und strecke mich dabei ausgiebig, ehe ich mir die Stelle eincreme. Dann räume ich halt das Badezimmer auf. Can tut seine Produkte auch nie zurück an die Stelle, wo sie hingehören. Deswegen meckere ich ihn oft an, aber er lernt nicht aus seinen Fehlern. Vielleicht sollte ich die klassische Konditionierung aus meinem Pädagogikkurs aus der elften Klasse anwenden, um Can irgendwie zu konditionieren - wenn das überhaupt geht. Na ja, sein Haarspray steht jetzt wieder neben seinem Gel und die Zahnpasta steht jetzt auch neben dem Zahnbürstenbecher und der Mundspülung - und liegt nicht mehr. Wenn ich einmal etwas in Ordnung habe, dann muss es auch so bleiben, sonst kriege ich die Krise.

Mit einem Mundschutz aus dem Krankenhaus umgebunden, wische ich den Staub, was erstaunlich gut klappt. Wenn das hier schon klappt, dann wird das mit der Doktorarbeit ein Klacks. Ich habe schon oft gedacht und gesagt, dass ich ein gutes Gefühl bei meinen Forschungen habe, aber diesmal habe ich ein echt stark gutes Gefühl! Ich grinse jetzt schon, weil ich mir vorstelle, wie ich den Nobelpreis in der Hand halte und in meinem nachtblauen Kleid die Aufmerksamkeit aller stehle. Wenn ich mich recht entsinne, wäre ich dann die erste Frau, die den Nobelpreis im einundzwanzigsten Jahrhundert bekommt, cool! Aber ich sollte mich noch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, sondern an meine Gamma-Strahlen denken. Als Can und ich fertig sind, lernen wir noch weiter für das Hammerexamen. Ich bin so froh, wenn ich ein komplettes Jahr nicht lernen muss und dann weiter Geld verdiene. Werden wir auch im Krankenhaus schwarzarbeiten? Dann hätten wir beide schon relativ viel Geld. Außerdem kriegen wir auch Geld vom Staat. Vielleicht werden wir doch keine Geldsorgen haben. "Was soll ich kochen?", frage ich Can, fahre durch sein unfrisiertes Haar. Sein Haar wächst so schnell. "Egal was. Wie wäre es mit Fettuccine Alfredo? Ich habe Garnelen geholt." Ich nicke. "Aber ich will es mit Hähnchenbrust essen." "Dann bereite ich Garnelen noch nebenbei zu." Er lächelt leicht. "Hast du abgenommen?", fragt er mich leicht verwundert. Ich hebe überrascht die Augenbrauen, fasse mir an die Wangen. "Nein", murmele ich. Er inspiziert mich, summt nachdenklich. "Du musst mehr essen." "Can, ich bin schon leicht pummelig." "Ich mag meine Frau dick und weich." Er legt seinen Kopf unter mein T-Shirt. Ich kugele mich zusammen, was ihn zufrieden brummen lässt. "Kriegst du Luft?" "Ja."

Die Sahne gebe ich in die Pfanne und mische den Käse zu. "Ich habe das einmal gemacht, aber meine Mama und Hivi mochten den Parmesan nicht." Ich spitze meine Lippen. "Aber Parmesan ist doch so lecker." "Ja, das ist er." Can umschlingt mich wieder von hinten und tänzelt leicht zu Mary J. Bliges - Be Without You. "Gehen wir morgen in die Stadt?" Ich nicke. "Können wir machen." "Gut, ich brauche neue T-Shirts", kommt es leicht höhnend von ihm. Ich beiße mir grinsend auf meine Lippe. "T-Shirts aus der Männerabteilung haben einen besseren Stoff und vor allem bei weißen T-Shirts sieht man den BH nicht durch. Wir sollten auch nicht außer Acht lassen, dass sie günstiger sind." "Ja, vor allem, wenn zwei Personen davon profitieren." Bestätigend summe ich. Ich wollte seit längerem wieder ein Buch lesen. Dafür muss ich aber liegen - am besten im Bett liegen. Das ist eins der besten Dinge für mich, denn ich hasse es im Sitzen zu lesen. Ich muss in meinem Bett liegen, wo alles ruhig ist und dann lesen. Sollte ich mir ein richtiges Buch zur Hand nehmen oder lieber auf Wattpad herumstöbern und eine der alten Geschichten lesen? Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich mir eine kleine Ecke auf dem Boden aufgebaut habe, mir Cola und Kekse geholt habe und im Dunkeln eine alte Geschichte auf Wattpad gelesen habe. Das waren noch Zeiten. Aber die besten Wattpad-Geschichten habe ich ja in meinem Regal stehen. Vielleicht sollte ich mal wieder Tollpatschige Liebe lesen oder Hassliebe. "Deckst du den Tisch schon mal?" Can löst sich murrend von mir und holt schnell die Teller raus. Das Essen verläuft komischerweise still. Ich dachte, wir reden etwas, aber Can wirkt wieder so abweisend, umklammert oft seine Gabel, seine Mundwinkel zucken immer. Sein Blick wirkt so düster.

Wir werden heute schnell satt, räumen auch schnell ab. Alles geht so schnell. Missinterpretiere ich seine Blicke einfach nur oder wieso kommen mir schlechte Gedanken hoch? "Ich muss kurz zu Celal, okay? Dauert nicht länger als eine Stunde." Can küsst meine Schläfe, geht kurz ins Schlafzimmer und läuft dann in den Flur. Ich laufe ihm nach. Mein Gefühl sagt mir irgendetwas Ungutes. "Was genau wollt ihr machen?", frage ich vorsichtig. Can schaut mich schmunzelnd an. Es ist irgendwie ein kaltes, aufgesetztes Schmunzeln. "Morden, Shana. Etwas ganz Normales." Ich halte inne, als er anfängt zu lachen. Es ist wieder seine melodische Lache, aber ich erschaudere trotzdem unwohl. Kopfschüttelnd setzt er sich auf den Boden, um sich seine Schuhe anzuziehen. Ich will wie immer wegschauen - ihm zur Liebe -, sehe aber etwas unter seinem T-Shirt hervorlugen. Etwas Schwarzes... nein, nein, das kann nicht sein. Nein, nein, das ist nicht das, was ich denke. Ich erschaudere am ganzen Körper, verspanne mich unwillkürlich. Warum? Wieso? Was soll ich jetzt darunter verstehen? Ich muss stark nachdenken. Ich weiß nicht, was ich tun soll. "Was ist los?", fragt Can mich, weswegen ich zusammenzucke. "Nichts", kommt es stockend von mir. "Ich habe zwei Kapitel vom Lernplan übersprungen und das ist mir erst gerade aufgefallen." Can lächelt. "Du schaffst das schon." Er öffnet die Tür. Scheiße! "Ciao, Kleines." Ich winke leicht abweisend. Als die Tür ins Schloss fällt, renne ich zu meinem Handy. Mein Körper zittert, mein Herz schlägt wie wild. Mein Gehirn ist in Alarmbereitschaft. "Komm schon, Ramazan!" Was ist, wenn ich das alles nur falsch verstehe? Ich muss an den Waffenschein denken, ich muss an alte Zeiten denken.

"Hallöchen, mein Bübchen."

"Can will Soufian töten!", schreie ich und halte mir dann den Mund zu.

"Warte, was? Shana, was ist passiert?" Unruhig laufe ich durch das Wohnzimmer, fahre mir durch mein Haar.

"Ramazan, wir müssen wissen, wo Can hingeht. Er hat eine Waffe, das kann nur eine Waffe gewesen sein. Can ist gerade losgegangen, er wird ihn töten! Er kann nur Soufian töten!" Ich muss an die Notizen denken, die ich einmal gesehen habe - die Adressen!

"Shana, bist du dir sicher?"

"Ja", gebe ich panisch wimmernd von mir. Ramazan stottert überfordert. Ich suche nach diesem Zettel, finde ihn aber nicht!

"Ich schreibe kurz Malik. Weißt du, wo er hingehen will?" Ich schlucke den Klos im Hals runter.

"Nein, er meinte, er will etwas mit Celal machen. Hast du seine Nummer?" Wütend und verzweifelt schlage ich gegen die Schranktür. Wo ist dieser gottverdammte Zettel? Hat Can ihn weggeschmissen?

"Ich hole dich gleich ab. Lass mich kurz Celal anrufen, okay?" Ich nicke hektisch.

"Beeil dich bitte."

"Ich laufe gerade zum Auto, bis gleich."

"Ciao", murmele ich. Mein Herz schlägt so verdammt schnell.

Wie kann ich die Zeit schnell vergehen lassen? Ich ziehe mir schnell eine Jeans an, streife mir Socken über und warte mit angezogenen Schuhen vor der Tür. Ich kann nicht stillhalten. Wo ist Can jetzt? Schlimme Szenarien schießen mir in den Kopf. Es sind Szenarien, die ich nicht sehen will, nicht erleben will, nicht hören will. Diese Minuten kommen mir wie Stunden vor, bis Ramazan dann endlich vor mir steht. Zitternd schnalle ich mich an, fahre mir fassungslos über mein Gesicht. "Malik kommt nach." "Was meinte Celal?" "Er ist nicht mit Can. Er ist in der Halle und Soufian soll wohl auch dort sein. Er selbst weiß von nichts." Ich beiße mir auf meine Unterlippe und kralle mich in meine Oberschenkel. Can, wieso tust du das? Wieso hast du es nicht einfach ruhen lassen? Es war doch endlich vorbei. Mein Bein wippt vor Nervosität, in meinem Magen bildet sich ein Knoten, es ist so verdammt warm. Immer wieder zieht sich mein Bauch zusammen. Er hat immer mit dem Wort Mord herumgespielt und es mir immer wieder ins Gesicht gesagt und ich habe nichts bemerkt! Wie sollte ich auch? Er hat das geschickt gemacht, in Humor verpackt, sodass ich nicht die leiseste Ahnung bekomme. Wie monströs müssen seine Gedanken sein? Was verleitet Can dazu? Ich schaue auf mein Handy. Es sind gerade mal drei Minuten vergangen und gefühlt zehn Minuten. Das ist alles so surreal. Ich kann nicht glauben, dass das jetzt wirklich passiert, dass Can das wirklich macht. Weitere Minuten vergehen quälend langsam, als wir dann ankommen. Malik war die ganze Zeit hinter uns. Ich steige aus dem Auto, welches noch ein kleines Stück fährt und renne auf die alte Halle zu, höre das Geschrei jetzt schon.

Keuchend komme ich an der Halle an, spüre das Zittern in meinen Beinen. Cans breiter Rücken ist zu mir gedreht. Seine Körpersprache sagt mir, dass er zu allem bereit ist. Ich erschaudere. "Leg die Waffe weg, Can!", ruft Celal. Soufian hat die Hände angehoben. Er wirkt blass, panisch und schockiert. Ich fühle mich genauso panisch und schockiert. "Du dachtest, du kommst davon? Davonkommen und meine Frau so zu verletzen?!", brüllt Can. Ich bleibe ängstlich vor dem Eingang stehen, bis Ramazan und Malik zu mir rennen. Ich kann mich gerade nicht bewegen. "Can!", ruft Malik sofort. Sein Kopf dreht sich zu uns, die Waffe ist immer noch auf Soufian gerichtet. Sein Blick macht mir verdammt viel Angst. Dort ist keine Liebe zu sehen. Nein, ich sehe die blanke Wut und Rache in seinen Augen. Ich werde noch panischer. Sein Blick, die Waffe, sein Opfer, das ist alles zu viel für mich. Can dreht sich wieder zu Soufian, läuft auf ihn zu. Soufian weicht instinktiv nach hinten. "BLEIB STEHEN!" Can schießt zur Seite, was mich schreien lässt. Ich kann meine Tränen nicht zurückhalten, schluchze leise vor mich hin. Mein Herz rast, meine Beine müssen sich anstrengen, damit sie nicht zusammenbrechen. Ich kann nichts tun, was soll ich denn machen? "Ich tue dir nichts, Can!", ruft Soufian. Seine Brust hebt sich vor Angst, in seinen Augen liegt pure Angst vor. Celal will einen Schritt auf Can zugehen, bleib aber sofort stehen, als Can zu ihm schaut. "Ramazan", murmele ich schniefend. Er schaut mich überfordert an. Mir fallen erst jetzt die zwei anderen Jungs auf, die ebenfalls hilflos schauen. Can stellt sich an die Wand, sodass er uns alle im Blick hat. Ich schüttele den Kopf, aber er reagiert nicht drauf. In mir pulsiert die Angst. Meine Ahnungslosigkeit dröhnt in meinem Kopf. "Can, lass mich gehen und ich tue alles, was du willst. Ich schwöre es bei Gott!", fleht Soufian, doch Can schüttelt mit einem Mörderlächeln den Kopf. Dieses Lächeln lässt mich bis ins Mark erschaudern. Dieses Lächeln werde ich nie in meinem Leben vergessen. Es ist das komplette Gegenteil von seinem so schönen und friedlichen Lächeln.

"Du wolltest Shana töten, du hast sie verletzt. Niemand tut meiner Shana etwas an, NIEMAND!" Er schießt die Wand an, die hinter Soufian ist, was uns alle zusammenfahren lässt. "Can, hör auf!", ruft Ramazan, doch Can lacht nur leise und diabolisch. Mir steigen die Tränen auf, ich kralle mich an Maliks Schulter fest. "Wieso kann ihn niemand aufhalten?", weine ich. Was würde passieren, wenn ich dazwischen gehe? Was würde Can machen? "Can, bitte tu es nicht", flehe ich wimmernd. Sein Blick wandert für einen kurzen Moment zu mir, ehe er sich wieder Soufian zuwendet. Er hat weggeschaut, weil er schwach wurde. "Bitte, Can!" "Wieso hast du ihr das angetan?!", brüllt Can Soufian an. "Ich war dumm und von Rachsucht geblendet! Ich mache es nie wieder!" Can lacht kehlig. Ich liebe es doch so sehr, wenn er kehlig lacht. Wieso kann ich dieses Lachen nicht genießen? Soufian schaut hilfesuchend zu mir. "SCHAU SIE NICHT AN!" Ich halte mir die Ohren zu. Ich kann nicht einmal an all die schönen Erinnerungen denken, um mich irgendwie zu beruhigen. Ich bin im Hier und Jetzt gefangen. Can will ihn töten. Can will Soufian töten. Mein Mann will töten. Der Vater meines verstorbenen Kindes will töten. Wie reagieren seine Eltern, wenn sie es erfahren? Mein Bauch zieht sich wieder zusammen. Diese Stille ist ohrenbetäubend. Ich kann mich nicht bewegen, will es aber so gerne tun! "Du wirst es sowieso nicht mehr tun", kommt es monoton von Can. "Nein, tu es nicht!", flehe ich verzweifelt. Ich laufe zitternd auf Can zu, ignoriere Ramazan und Malik, die meinen, ich soll zurückkommen. Mir tut er nichts. Can tut mir nichts. "Can", flüstere ich. Sein strenger Blick liegt auf mir, seine Augenbrauen bleiben zusammengezogen, als ich über seine Brust fahre. "Lass uns nach Hause, bitte", wimmere ich leise. Sein Blick wird nachdenklich und langsam entspannen sich seine Augenbrauen. Er soll es nicht tun, das wird alles nur noch schlimmer machen. "Bitte, Can." Schniefend lege ich meine Arme um ihn, bete zu Gott, dass Can es nicht tun wird. "Er hat Angst vor dir, das reicht doch?", schniefe ich. Als Can langsam einen Arm um mich legt, lächele ich weinend. Er hört auf, er lässt es doch sein.

"Nein, reicht es nicht." Ein Schuss ertönt, der mich schreien lässt.

Es wird herumgeschrien, geflucht. Ich spüre die Panik, schreie und weine so stark, dass ich mich nicht mehr halten kann. "NEIN!", schreie ich. Soufian liegt auf dem Boden, Blut tritt aus ihm. Ich weiß nicht wo genau, aber aus seinem Oberkörper. Ich kriege so wenig Luft, dass ich noch panischer werde. Nein, ich will das nicht mehr! Krampfhaft zittere ich, weine und halte mir die Ohren zu. "Hau ab, Can, bevor die Bullen kommen!", schreit Celal. Was ist, wenn Celal Can verpfeift? Mein Kopf tut so weh. Ich kann nicht mehr. Wieso hat Can das getan? "Wieso?", wimmere ich. Ich kann nicht mehr, meine Beine geben nach. Can trägt mich zu seinem Auto, fährt los. Es geht alles so schnell. Ramazan und Malik sind hinter uns. Ich kann nicht aufhören zu weinen. Wieso hat er das getan? "Can, wieso?" Meine Augen sind geschwollen, meine Brust schmerzt. Ich will nicht mehr. Ich habe keine Kraft mehr. "Damit er dir nie wieder etwas antun kann." Er zieht an meinem Sicherheitsgurt. "Es war doch schon vorbei", wimmere ich heiser. "Nein, war es nicht. Wein bitte nicht mehr." Seine jetzt so zarte Stimme bringt mich noch mehr zum Weinen. Ich werde noch verrückt! Ich will nicht mehr! "Was, wenn dich jemand verrät? Was, wenn-," "Niemand von denen, die dort waren, wird mich verraten, Shana. Ich kenne genügend Leute, die mir zur Seite stehen. Niemand will mich freiwillig als Feind haben." Resigniert fahre ich mir über mein Gesicht. Das ist doch alles nur ein Traum. Das ist nur ein Albtraum. Das kann nicht wahr sein. "Ich kann nicht mehr", flüstere ich ganz leise. Ich will dieses Leid nicht mehr. Vorhin war alles so normal. Can und ich haben geputzt, gekocht und gelernt und jetzt hat er jemanden angeschossen. Wann kommt endlich unser Seelenfrieden? Ich will das nicht mehr! Wir kommen vor unserem Wohnblock an. Ich will nicht aussteigen, ich kann nicht aussteigen. Ich will weg von hier. Can hilft mir raus, hält mich auf seinen Händen. Mein Kopf dröhnt so stark, mir ist so schwindelig, ich fühle mich so schlecht. Erschöpft schließe ich die Augen. Ich will nicht mehr. "Schließ die Tür auf", sagt Can und Malik tut es. "Ramazan, hol ihr Wasser." Ich fange gleich wieder an zu weinen.

"Hey, es ist alles gut." "Ist es nicht!", gebe ich brüchig von mir. Frustriert raufe ich mir mein Haar. Ein Typ wurde von meinem Mann, von meiner Liebe angeschossen. Gott weiß, ob er tot ist oder überleben wird. "Hier, trink das." Seine Stimme ist so sanft und so vorsichtig. Gerade eben war seine Stimme so kalt und erbarmungslos. Schwer atmend trinke ich das Glas aus, fahre seufzend über sein Kopfkissen. Ich will nicht mehr, nein. "Möchtest du etwas schlafen?" "Ich will alles wissen", blaffe ich. Meine Stimme ist immer noch brüchig. Mein Mann mordet einfach. Ich kann nicht einmal richtig reagieren! Es huscht alles an mir vorbei. "Can, was hast du dir dabei gedacht?", kommt es fassungslos von Ramazan. "Anders hat er es nicht verdient", kommt es nun wieder kalt von Can. Er fährt mir über meine Stirn, drückt meine Hand. Das ist nicht echt, das ist nicht wahr. "Can, du hast jemanden angeschossen! Weißt du, was für Konsequenzen das hat?" Er lacht verächtlich. Ich habe schon vergessen, was gesagt wurde. "Ramazan, ich habe alles geplant. Selbst, wenn ich erwischt werde, ich komme nicht in den Knast", lacht Can. Ich setze mich verwirrt auf. "Wieso solltest du nicht eingebuchtet werden?", frage ich mit dröhnendem Kopf. "Mit Korruption kannst du dir viele Türen öffnen." Ich werde wütend. "Can, du kannst dir dein Leben mit deinem scheiß Schwarzgeld nicht freikaufen!", brülle ich. "Shana, ich habe das über mehrere Monate geplant, meine Onkel stehen hinter mir und glaub mir, sie besitzen eine Menge Geld", kommt es mit Druck von ihm. Sein reicher Onkel kommt mir in den Sinn. "Nicht nur ich kenne viele Menschen, auch meine Onkel kennen viele, die sich in diesem Bereich auskennen und für die Regierung arbeiten. Sei es in Frankreich oder hier in Deutschland. Ich habe genügend Geld, um auf Kaution freigelassen zu werden, aber ich komme nicht rein." Wieder lächelt er. Dieses Lächeln verheißt nichts Gutes. "Can, was hast du geplant?", fragt Malik. Ramazan fährt sich überfordert über sein Gesicht.

"Ich würde nur für einige Monate in eine Anstalt kommen." "Wieso solltest du das?", frage ich leicht ängstlich. Can steht auf und holt aus seiner Jackentasche einen Zettel raus. Ich nehme ihn zitternd in die Hand, falte ihn auf und lese sofort Dr. Merzingers Namen. Das Datum seines letzten Termines steht dort. Ich lese nur ein Wort Tumorrückbildung. Nein. Bitte nicht. Alles, bloß das nicht. Ich werde rasend, ich werde so verdammt sauer, dass ich Can eine scheuere. "Bist du komplett wahnsinnig?!", schreie ich ihn an. Überrascht weiten sich seine Augen. Damit hat er nicht gerechnet. Can hält sich die Wange. "Du spielst nicht nur mit deiner Zukunft, sondern auch mit deinem gottverdammten Leben, Can! Was ist los mit dir?! Du könntest sterben." Ich breche wieder zusammen. Sein Tumor ist wieder da und das benutzt er, um nicht ins Gefängnis zu kommen. Wieso besitzt er solche Gedanken? Meine Brust zieht sich so stark zusammen, dass ich kurz keine Luft kriege. Das ist alles nur ein Abltraum, den ich nur halbwegs realisiere. "Shana, er ist noch nicht weit entwickelt." "Sei leise!" Wie kann er nur so leichtsinnig sein? "Wenn ich vor Gericht stehe, dann muss ich sowieso nach dem medizinischen Gutachten operiert werden." "Ach und wann ist dein Gerichtstermin? Willst du solange warten, bis einer dich an die Polizei verrät und du womöglich schon am Tumor verreckt bist? Can, denkst du überhaupt nach?" Er wirkt beleidigt, behält jedoch die Ruhe. "Shana, ich habe mehrere Monate und Jahre mit Tumoren im Kopf gelebt und ich lebe immer noch." "Wer kann mir versichern, dass es diesmal auch so ist?" Ich wische mir frustriert die Tränen weg. Das kann alles nicht wahr sein. Das ist ein so schlimmer Albtraum. Ich will nicht mehr. Eine bedrückende Stille legt sich über uns. Man hört nichts, außer mein Schluchzen. "Bei Gott, Can, wenn noch einmal so eine Scheiße von dir kommt, will ich die Scheidung." Ich schaue ernst in seine verschreckten Augen. Ihm wird meine Drohung bewusst. Es mag falsch sein, dass ich seine größte Angst nehme, aber wie soll er endlich aus seinen Fehlern lernen? Es tut ihm selber nicht gut. Das ist für uns beide eine Hölle.

Er schüttelt den Kopf, wirkt eingeschüchtert. "Nein, nie wieder", murmelt er. Ich will einfach nur schlafen. Schlafen und alles vergessen. Mir kommen einige Szenarien in den Sinn, die mich dazu anregen, Can zu fragen. "Hast du Seh- und Sprachstörungen?" Cans Kiefer zuckt. Deswegen konnte er die Schrift nicht richtig lesen. "Blinzelst du deswegen sooft hintereinander?" Er senkt ertappt den Blick. "Can, du lässt dir diesen Tumor sofort entfernen!" "Nein", nuschelt er. "Can!" "Nein!" Fassungslos sehe ich ihn an. Das kann er doch nicht ernst meinen. "Can, du solltest auf Shana-," "Nein", unterbricht Can Malik. "Aber das ist zu gefährlich", sagt Malik unsicher. Angst liegt in den Augen seines besten Freundes. "Du rufst Shevin an und beredest alles mit ihr. Das ist das Mindeste." Can nickt. Ich will nicht mehr. "Und lass die Waffe verschwinden", füge ich hinzu. Wieder nickt er. Das kann doch alles nicht wahr sein. Wie sollen wir jetzt weitermachen? Was ist, wenn die Polizei in unsere Wohnung stürmt? Was, wenn sie mir meinen Can wegnehmen? "Wenn Soufian überlebt, dann wird er dich sicherlich verraten." "Er ist tot." "Woher willst du das wissen?", presse ich angespannt hervor. Can brummt. "Es wird nicht zur Inhaftierung kommen." "Du nimmst alles zu sehr auf die leichte Schulter", kritisiere ich ihn. "Shana, ich habe alles durchgeplant. Natürlich mache ich mir da keine Sorgen." Das kann niemals glatt laufen. Can kann niemals ungestraft davonkommen. "Es wird zur Fahndung kommen, aber da niemand etwas beichten kann, wird das schon da ziemlich schwer. Ein guter Freund meiner Familie arbeitet bei der Kripo hier in Hamburg und mit ein wenig Geld hilft auch er mir. Er sagt mir Bescheid." Das ist doch alles zu perfekt. Nein, das kann nicht sein. Irgendetwas muss schiefgehen. "Shana, mach dir keine Gedanken. Da liegt Monate lange Arbeit dahinter. Die Korruption regelt alles. Mein Strafregister sieht genau aus wie deins, Shana." Aber er war doch im... Korruption. "Aber ihr könnt doch nicht so viel Geld haben?", flüstere ich leicht überfordert. "Doch, Shana. Meine Onkel haben viel Geld. Sie haben sehr viel Geld und unterstützen mich, weil sie dasselbe für ihre Liebe gemacht hätten." Ich werde durch diesen Satz sentimental. Nein, ich will das nicht. Ich kann das nicht.

"Aber was ist, wenn es schiefgeht?", wimmere ich wieder. Ich will Can nicht verlieren. Ich kann das nicht mehr. "Shana, ich werde mich die nächsten Tage noch einmal damit auseinandersetzen und mit meinen Onkeln reden. Heute oder morgen wird die Fahndung sicherlich gestartet, dann beginnt die Ermittlung. Sicherlich sind sie jetzt dabei die Leiche abzutransportieren und DNA abzunehmen. Die DNA Analyse dauert ungefähr zwölf Stunden und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich Soufian nicht angefasst habe. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, dass die Mordermittlung einen Monat dauert." "Wieso kommt mir das so wenig vor?" "Das Team arbeitet zwölft bis sechszehn Stunden am Tag. Auch sonntags. Die werden sich die Hirne wundmachen", lacht er. Ich kann das gerade nicht richtig realisieren. Ist Soufian jetzt wirklich tot? Woher will Can das wissen? Was, wenn er doch überlebt hat? "Was, wenn sich seine Leute rächen wollen?" "Seine Familie lebt in Marokko, er selbst hat nicht einmal einen Aufenthalt. Ich weiß selber nicht, wie er trotz dieser einen Anzeige hierbleiben konnte. Vielleicht wurde es als unwillkürlicher Unfall gezählt oder was auch immer - ich weiß es nicht. Soufian ist ein naiver Bastard, der außer zu kriechen und sich aufzuspielen nichts kann und wenn der Staat mitbekommt, was er da so schönes schmuggelt und verkauft, dann wird er sicherlich abgeschoben. Natürlich nur, wenn er überlebt. Ich warte gerade nur auf die Nachricht, dass er tot ist." "Hör auf das zu sagen", flüstere ich. Das verheißt nichts Gutes. Ramazan seufzt. Er ist komplett weg. "Das... Can, du bist echt heftig." "Für meine Frau tue ich alles." Ein Klos Bilder sich in meinem Hals. Alles dreht sich. "Es liegt nur am Tumor", murmele ich mir selber ein. Ich werde Tage lang wach bleiben, weil mein verrückter Mann seinen Tumor behalten will. "Nein, liegt es nicht", meint Can nun. Ich sehe ihn wortlos an. "Ich tue für meine Frau alles, Shana. Jemand hat dich sehr stark verletzt und du hättest..." Can redet nicht weiter. "Das ist mehr als nur verdient. Verbot der Selbstjustiz hin oder her." Can legt seine Hand auf meinen Hinterkopf. Mit dieser Hand hat er die Waffe gehalten. Mein Mann wollte morden. Das ist zu krass, um wahr zu sein. "Lass dir diesen Tumor entfernen." "Shana", seufzt er. "Nein, du entfernst dir diesen Tumor, Can!" Meine Stimme hebt sich. "Hast du deswegen so aggressiv gehandelt? Du hast dich manchmal nicht unter Kontrolle, stimmts?" Can nickt. Ich seufze.

"Ich will einfach nur noch schlafen. Macht was ihr wollt." Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr. Ich verkrieche mich unter die Decke, die ich fest um mich schlinge. Can hat jemanden angeschossen, Can hat jemanden in Lebensgefahr gebracht und das nur wegen mir. Was wird passieren? Ich kann es einfach nicht glauben, dass nichts passieren wird. So einfach kann es doch nicht sein. Aber er hat es doch durchgeplant. "Wir sollten gehen", meint Malik. Ramazan und er stehen auf, Can begleitet sie noch und legt sich dann zu mir. "Du sollst die Waffe loswerden." "Mache ich, Shana. Mach dir keine Sorgen." Ich schnaube. "Wie soll ich mir keine Sorgen machen, wenn ich doch gesehen habe, was du da getan hast?" Meine Stimme hebt sich wieder. Can schaut mich leicht scheu an. "Ich wollte dich nur rächen", murmelt er verletzt. Ich will nicht weich werden, verdammt! Can nähert sich mir vorsichtig und umarmt mich. Ich lasse es einfach zu, unternehme nichts dagegen und erwidere sie auch nicht. Was soll ich schon tun? Ich fühle irgendwie nichts. Ich will einfach nur ein Ende. Es reicht doch langsam wirklich. Es soll einfach nur aufhören. Ist Soufian nun wirklich tot? Es kann sich alles ändern, wenn er doch überlebt. Mein Leben hat sich mit dem Beginn dieser Beziehung drastisch geändert. Einerseits kriege ich so viel Liebe und Freude, aber andererseits hatte ich noch nie so viel Leid tragen müssen. Seine Hand fährt über meine Wange. Die Hand, die zu schönen und boshaften Dingen in der Lage ist. "Hasst du mich jetzt?" Mit geschlossenen Augen seufze ich. Das geht nicht. "Nein", antworte ich flüsternd. Ich kann ihn deswegen nicht hassen. Es ist schlimm, was er getan hat, aber ich hasse ihn deswegen nicht. Can ist ein echt schweres Thema. "Gut", murmelt er, berührt meine Nase mit seiner. Ich lasse es einfach zu. Ich kann und will mich nicht wehren. "Du hast in fast zwei Monaten Geburtstag." Hoffen wir, dass bis dahin nichts passiert. "Wir schreiben dort die letzte Klausur." Can summt. Diese zwei Sätze kommen mir gerade so verrückt vor. Ich kann zum Teil realisieren, was passiert ist und zum anderen Teil nicht. "Du hast keine Angst vor mir oder?" "Nur, wenn du mir nichts tust." Can seufzt. Alles geht so schnell. "Das wird nicht mehr vorkommen." Was? Mord oder Gewalt gegen mich? "Ich sollte eine Liste führen und aufschreiben, wie oft du das sagst", sage ich leicht spöttisch. "Hey, ich bemühe mich", murrt er. Ich komme mir wie in einem Traum vor, weil ich gerade nichts realisiere. Vom mörderischen Can ist nichts zu sehen. Gerade liegt der sanftmütige und brummende Can neben mir, der mir durch mein Haar fährt und mir zuvorkommen will. Das ist alles so verrückt. Ich kann es nicht realisieren. Ich fühle nichts, ich bin taub. Ich kann es nicht realisieren. "Hättest du ihn nicht direkt an die Polizei wegen des Schmuggels und so verpfeifen können, statt zu dieser drastischen Maßnahme zu greifen?" Can schnalzt mit der Zunge und küsst meine Stirn. "Wieso?"

"Weil ich dein Leben mit allen Mitteln verteidige. Selbst, wenn ich mir selber damit schaden muss."

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Was haltet ihr von Cans Handeln und von Shanas Reaktion?

Ich will vielleicht ein Q&A machen, also wärt ihr so freundlich und würdet mir privat Fragen stellen? Im schlimmsten Fall, stelle ich mir selber die Fragen

- Helo

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