»6« Das Waisenmädchen
𝕃 𝔸 ℝ 𝔸
Stunden später noch sitze auf meiner Fensterbank und sehe aus dem Fenster. Der Stift in meiner Hand, kommt nicht ansatzweise in Berührung mit meinem Block, viel zu sehr bin ich in Gedanken. Es ist nicht so, dass ich nun völlig erschrocken von dem Ereignis heute bin, dass ich nun nichts mehr tun kann. Ich bin nur erschrocken über das Bild, dass vor meinen Augen erschienen ist. Ich träume nachts manchmal davon, doch wach ist mir dies noch nicht passiert.
Ich will nicht auch noch tagsüber gejagt werden. Dass ich nachts nicht so oft meine Ruhe habe ist akzeptiert, da ich mich nicht dagegen wehren kann. Seufzend fahre ich mir durch die Haare, wobei mir der Eigengeruch in die Nase steigt.
Ich brauche eine Dusche. Jetzt.
Ich stehe auf und strecke mich ausgiebig, lasse die Schultern kreisen, während ich nach Handtuch und Unterwäsche greife. Die Toiletten sind unten, doch die Dusche ist im Zimmer.
Das ist so komisch.
Keinen weiteren Gedanken daran verschwendend steige ich in die Dusche und drehe das Wasser auf. Der Tag heute war blöd. Es ist so beschämend, dass die anderen Trainees mitansehen mussten wie unsportlich ich bin und dass ich Höhenangst habe. Ich hasse es, wenn ich herausgefordert werde! Ich bin kein Gegner in sportlich sein.
Ein Geräusch reißt mich aus den Gedanken. Stirnrunzelnd mache ich das Wasser aus und lausche.
Es klopft.
Wer klopft denn? Es ist bereits nachmittags und da ich noch neu bin, habe ich in der ersten Woche nur einen Kurs und der war heute schon. Abermals seufzend öffne ich die Schiebetüren und steige aus der Dusche. Während ich nach meinem Handtuch greife und ihn um meinen nassen Körper wickle, laufe ich bereits los. Ein Gefühl sagt mir, dass es die Zuckerwatte ist. Die Ärgernis steigt, da ich jetzt nicht von ihr genervt werden möchte, doch als ich die Tür öffne, erstarre ich.
Es ist Danny.
Meine Kinnlade klappt auf und ich verstärke automatisch den Griff um mein Handtuch. Danny blinzelt perplex und lässt seinen Blick sodann ausdruckslos schweifen. Ich spüre die Hitze, die mir zu Kopf steigt, als er sich alle Zeit der Welt lässt mich anzusehen. Wieder.
Er ist so unverschämt!
Mit den hellen Augen verfolgt er wohl einen Tropfen an meinem Hals, doch als ich diesen zwischen meinen Brüsten spüre, dürfte er dies nicht mehr sehen können. Sicherheitshalber sehe ich einmal an mir runter, um festzustellen, dass ich mein Handtuch richtig um habe. Erleichtert atme ich leise aus und verstecke mich dann etwas hinter der Tür, lasse ihn somit nur noch in mein Gesicht sehen.
„Kann ich dir helfen?", frage ich ihn. Soweit ich weiß, hört er mich ja, oder? Bloß sprechen kann er nicht. Danny hebt eine Augenbraue, berührt mit dieser einige der dunkelblonden Haarsträhnen, die ihm auf die Stirn fallen, was ihn wieder so unendlich arrogant aussehen lässt. Das Gefühl der Abneigung kehrt zurück und ich forme die Augen etwas zu Schlitzen.
Wie so üblich erscheint die pinke Zungenspitze und befeuchtet die rosa Lippen, während er ein Notizblock aus seiner hinteren Hosentasche rausholt und mir vor die Nase hält.
»Ich zeige dir dein Patenkind. Jeder hier bekommt ein Waisenkind, auf das er aufzupassen hat. Folg mir.«, lese ich die geschriebenen Worte. Für einen Mann hat er eine wirklich schöne Schrift. Nicht einmal ich schreibe so schön. Trotz dass ich mir manchmal Mühe gebe und auf Schreibschrift schreibe, sieht es so aus als würde ich mit dem Fuß schreiben. Stirnrunzelnd sehe ich dem riesigem Mann wieder in die Augen. Leider muss ich zugeben, dass er gut einen Kopf größer ist als ich und es nervt mich jetzt schon, dass ich den Kopf etwas in den Nacken legen muss, um ihm ins Gesicht sehen zu können.
„Ich würde mich gerne eben anziehen. Du kannst ja draußen warten.", entgegne ich und zeige mit dem Daumen hinter mich. Die giftgrünen Augen folgen meiner Bewegung und verharren an einer Stell hinter mir. Ich stutze, als Danny's Mundwinkel sich minimal kräuseln. Was ist denn so amüsant? Als ich seinem Blick folge, erstarre ich. Ein BH! Mein BH!
Alarmstufe rot!
Ich spüre, wie mir die Hitze zu Kopf steigt und räuspere mich, bevor ich langsam die Tür zudrücke.
,,Einen kleinen Moment dann.", murmle ich heiser und Danny nickt bloß, die gehobenen Mundwinkel wieder an Ort und Stelle. In seinen Augen funkelt etwas auf, was ich mir nicht erklären kann und ich muss zugeben, dass es mich tatsächlich etwas verunsichert, weswegen ich nun doch rasch die Tür zu mache. Zwar habe ich sein Gesichtsausdruck nun nicht mehr sehen können, doch das ist nicht weiter schlimm.
Der Kerl ist eingebildet und verdient es etwas blöd behandelt zu werden. Natürlich bin ich ihm für heute dankbar, doch ich habe mich ja auch bedankt und damit ist es erledigt. Haare raufend ziehe ich mir die Unterwäsche an und greife nach einer Jogginghose und einem lockeren Shirt. Die Haare kämme ich mir und lasse sie dann offen. Als ich die Tür wieder öffne, lehnt der grünäugige an der Wand gegenüber meiner Tür und sieht sich schmunzelnd etwas auf seinem Handy an. Ich erhasche gerade so noch einen kleinen Blick und sehe ein Bild, wo zwei blonde Mädchen in die Kamera grinsen. Dann hebt er den Kopf und ich sehe ihm eilig in die Augen, möchte nicht dabei erwischt werden, wie ich den Kopf gestreckt habe um auf sein Display zu linsen.
„Wir können", sage ich, woraufhin er nickend das Handy in die vordere Hosentasche steckt.
„Wieso bekommt man hier Patenkinder?", frage ich, während ich ihm eilig hinterherlaufe. Kaum dass er los gelaufen ist, war er schon drei Schritte weiter als ich. Wieso geht er so schnell? Danny vor mir seufzt leise und tippt dann auf seinem Handy etwas ein. So ein Arsch! Ich frage ihn etwas und er ignoriert mich einfach. So sollte sich kein Trainer benehmen!
Ich werde aus meinen wütenden Gedanken gerissen, als Danny anhält und mir sein Handy vor die Nase hält. Perplex bleibe ich stehen, da ich das Handy sonst voll gegen die Nase bekommen hätte.
»Wir nehmen hier viele Waisenkinder auf und diese müssen betreut werden. Es ist ein gutes Training für junge Leute, denn auf dieser Schule muss man nicht nur kämpfen können; Man soll auch lernen Verantwortung zu übernehmen. Es ist aber auch nur so möglich auf die ganzen Kinder aufzupassen. Wenn wir so nicht vorgehen würden, hätten wir die Waisenkinder hier nicht aufnehmen können.«
Stirnrunzelnd lese ich mir den eingetippten Text durch und nicke mehrmals. Das ergibt Sinn und tatsächlich erwärmt es mir das Herz. Ich wünschte, dass ich auch hier hätte groß werden können. Ich hatte kein schlechtes Leben im Waisenhaus, aber irgendwie war es dort so... trüb. Langweilig und trostlos. Hier ist alles so lebendig. Während ich zur Schule ging und mich danach im Spielzimmer vergnügt habe oder aber - als Teenager - in meinem Zimmer gemalt habe, sind die ganzen Kinder hier zusammen. Sie spielen draußen, kämpfen, haben mehrere Erwachsene um sich herum und einen persönlichen Betreuer, der dich vielleicht sogar adoptieren könnte. Ich war zu alt, um adoptiert zu werden. Die Leute wollen meistens Baby's oder aber Kinder im Alter von 2-5 Jahren, jedoch nicht älter.
Ich glaube aber, dass ich doch ganz zufrieden damit bin, nicht adoptiert worden zu sein. Ich hätte nicht nochmal jemanden Mama oder Papa nennen können...
Vor einer gläsernen Tür bleiben wir stehen und ich halte gerade noch rechtzeitig an, sonst wäre ich nämlich gegen ihn gelaufen. Danny ist es entweder nicht aufgefallen oder er ignoriert es, öffnet langsam die Tür und sofort ertönt das Gelächter von Kindern. Auffordernd sieht er mir in die Augen und lässt mir den Vortritt. Aus großen Augen betrete ich den Raum, der wie ein Spielzimmer ausschaut. Kinder in jedem Alter spielen und lachen. Selbst Wiegen sind in den Ecken platziert, was wohl heißen mag, dass es hier auch Babys gibt. Staunend sehe ich mich um.
„'Tschuligung!", ruft mir ein kleiner Junge zu, nachdem er mich so hart anrempelt, dass ich fast hingefallen wäre. Ich puste mir eine Haarsträhne weg und stelle mich wieder gerade hin. So ein Wirbelwind.
„Okay!", rufe ich und klatsche in die Hände, woraufhin der grünäugige wieder zu mir runter sieht. Auffordernd erwidere ich sein Blick.
„Wo ist das Kind?", frage ich und er nickt bloß in eine Richtung, bevor er auch schon los läuft. Gleich darauf höre ich nur noch wie mehrere Kinder die Luft einziehen und ganz laut seinen Namen rufen. Kichernd rennen sie auf uns zu - oder eher auf Danny und springen ihm in die Arme. Danny kniet sich zu ihnen runter und nimmt die Kinder so gut es geht in den Arm. Ein breites Lächelnd ziert seine Lippen, sodass zwei kleine Grübchen gleich neben der Oberlippe erscheinen. Zwei kleine Mädchen drücken sich an seine Brust, doch ein kleiner Junge - ich schätze ihn auf zwei Jahren - dessen Windel sich durch seine Strumpfhose abzeichnet, drückt sich durch, presst grinsend seine Stirn an die von Danny, woraufhin Danny ihm doch tatsächlich einen Kuss auf den Mund drückt.
Ich grinse und schüttle leicht den Kopf. Hier bei den Kindern blüht der harte Kerl ja richtig auf. Danny reckt den Kopf in die Höhe und sieht auf das Mädchen, die als Einzige nicht auf ihn zugelaufen ist. Danny nickt ihr zu und drückt sanft die anderen Kinder von sich, hält nur noch den kleinen Jungen im Arm, während er sich erhebt. Das Mädchen senkt schüchtern den Kopf und läuft auf ihn zu, bleibt genau vor uns beiden stehen.
Danny kommuniziert mit ihr auf Gebärdensprache. Erstaunt, dass selbst die Kinder es hier lernen, sehe ich dabei zu und warte, bis die Beiden fertig sind. Dann zeigt Danny mit der Hand auf mich und als die honigbraunen Augen in meine sehen, setzt mein Herz einen Schlag aus. Das zarte Gesicht sieht mich total verschüchtert an und während ich ihr in die Augen sehe, stelle ich mir die Frage, ob ich überhaupt auf sie aufpassen kann. Ich bin ja selbst noch viel zu jung.
Was ist, wenn ich etwas falsch mache?
„Hallo. Ich bin Aurela und bin schon 5 Jahre alt.", stellt sie sich vor und streckt mir die Hand aus. Ich schlucke die Unsicherheit runter und knie mich zu Uhr runter, ergreife ihre Hand und stelle mich ebenfalls vor.
„Ich bin Lara. Du bist jetzt wohl mein...", beginne ich, unterbreche mich jedoch selbst und sehe nochmal fragend zu Danny, damit ich sicher bin, dass ich mit meiner Vermutung richtig liege. Dieser nickt mir zu, woraufhin ich wieder Aurela ansehe und ihr das breiteste Lächeln schenke, das ich besitze.
„Du bist dann wohl mein Patenkind.", wiederhole ich, mit dem Unterschied, dass ich diesmal meinen Satz zu Ende sage. Aurela nickt bloß und sieht dann zur Seite.
„Cool.", seufzt sie und zieht dann ihre Hand zurück. Überrascht heben sich meine Brauen, als sie sich einfach umdreht und zu den anderen Kindern geht.
Okay.
Langsam stehe ich wieder auf und sehe zu Danny, dem gerade etwas ins Ohr geflüstert wird. Ein Gefühl sagt mir, dass der kleine Junge sein Patenkind ist, so vertraut wie sie miteinander umgehen...
„Was geschieht jetzt?", frage ich Danny, woraufhin dieser zu mir sieht. Der kleine Junge zieht den Kopf zurück und sieht mich ebenfalls an. Danny legt den Kleinen auf den Boden ab und formt mit den Händen etwas, was auf meine Uhr angezeigt wird.
›Du kannst morgen wieder kommen. Aurela ist sehr... eigen. Freunde dich langsam mit ihr an, damit sie dir vertraut. Dann wirst du dafür Sorge tragen, was sie isst, wann sie isst und wann sie ins Bett geht. Du bringst sie ins Bett, liest ihr Geschichten vor und vor allem: Du trainierst etwas mit ihr. Sie darf auch bei dir übernachten, wenn du das wollen solltest. Außerdem solltest du dir haargenau ihre Akte ansehen! Ich habe bei Arian damals übersehen, dass er allergisch auf Blaubeeren reagiert‹
Gründlich lese ich mir alles durch und nicke immer wieder mal mit dem Kopf. Es kann ja ein schöne Abwechslung sein, sich um ein Kind zu kümmern. Ich habe das Glück, dass Aurela so groß ist; Es dürfte dementsprechend nicht besonders schwer mit ihr werden.
Als ich wieder zu Danny sehe, nicke ich fragend auf den am Boden sitzenden Jungen.
„Ist das Arian?", frage ich ihn und als Danny nickt, bestätigt sich somit meine Vermutung, dass er das Patenkind ist, auf das Danny aufpasst.
Nun, so süß der Kleine auch ist mit den hellblauen Augen, den zwei tiefen Grübchen auf seinen Wangen und den vier oder fünf Zähnen im Mund, will ich nicht wissen, wie viel Arbeit das sein muss. Er ist ja fast noch ein Baby.
Als ich wieder zu Aurela sehe, sitzt diese allein in der Ecke und spielt mit Autos. Seufzend beiße ich mir auf die Unterlippe.
Mal sehen, wie sie drauf ist...
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Hallöchen!
Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen!
Naaaa, was sagt ihr dazu? Ihr habt nicht nur Lara's Waisenkind kennengelernt, sondern auch Danny's! Er hat mich einfach so sehr an Leroy erinnert (😣) so wie er mit Arian umgegangen ist, dass ich fast wieder angefangen hätte zu heulen.
Mal im Ernst: Ich vermisse Bellezza del Silencio so sehr 😖 Ich fühle mich ohne die beiden so allein und ich suche gerade Trost bei Danny und Lara, doch es ist irgendwie nicht das Selbe... 🥺
Deswegen habe ich auch die Szene eingebaut, als Danny sich ein Bild von zwei Mädchen ansieht: es sind seine Schwestern!
Doch ich denke, dass es nach einigen Kapiteln dann endlich soweit sein wird.
Ade! Bis demnächst ❤️
SevenTimes-
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