»54« Alte Wunden

𝕃 𝔸 ℝ 𝔸

„Na, hoppla."

Stirnrunzelnd versuche ich durch den Tränenschleier zu erkennen, wer da gerade vor mir steht. Wieso muss mich auch gerade jetzt jemand ansprechen? Man sieht doch, wie am Boden zerstört ich bin, verdammt! Kann man mich da nicht einfach in Ruhe lassen?

„Sag mir einfach wessen Kopf?"

Bei diesen Worten blinzle ich langsam und erkenne doch tatsächlich Leroy vor mir. Oh, Gott. Wieso ausgerechnet er? Meine Lippen öffnen sich, doch kein Ton rollt über meine Zunge. Still starre ich ihn an, als wäre er ein Außerirdischer, der mir meinen Hund stehlen will - den ich nicht einmal besitze!

Wie komme ich jetzt überhaupt auf Hunde?

Das ist so unangenehm...

Gerade als er die Brauen hebt und mich erwartungsvoll anstarrt. Da ist es besonders unangenehm. Räuspernd wische ich mir die Tränen weg, als ich auch schon eine weitere Präsenz wahrnehme.

„Danny."

Ich halte den Atem an, als Leroy diesen Namen sagt. Natürlich. Leroy ist sicher hier, weil Danny ihm erzählt hat, was geschehen ist. Gott, ist Leroy vielleicht sogar wegen mir hier? Will er mir weh tun, weil er ebenso glaubt, dass ich sie verraten habe?

Mein Herz setzt mehrere Schläge aus, bei den Gedanken, die mir durch den Kopf gehen und ich wünschte, es würde ein für alle mal stehen bleiben, doch leider beginnt es sogleich wieder voller Wucht gegen mein Brustkorb zu schlagen.

Bitte Boden, tue dich auf!

„Schön, dass ihr beide sogleich den Weg zu mir gefunden habt. Dann steigt mal ein, ich habe nicht viel Zeit", sagt Leroy und zeigt auf den schwarzen Range-Rover. Schluckend atme ich leise keuchend aus. Ich soll was? Hat Danny mich in Wahrheit deshalb weggeschickt? Damit die Schule denkt, ich würde gehen und stattdessen nehmen die Kingstons mich mit, um mich zu töten?

„Ich wüsste nicht, wieso ich einsteigen soll", hätte ich am liebsten gesagt, doch ich traue mich nicht. Eigentlich hatte ich keine Angst vor Leroy, doch jetzt gerade scheiße ich mich fast ein.

„Ich... wieso?", wispere ich stattdessen heiser. Überrascht sieht Leroy zu mir.

„Ehm... Wegen der aktuellen Situation. Steigst du bitte ein?" Sein Ton duldet keine weiteren Widerworte. Ich weiß nicht, ob dies einfach nur seine Art zu sprechen ist oder ob er solch eine Ton absichtlich angeschlagen hat, um mich einzuschüchtern, doch das tut es. Es schüchtert mich ein. Und da Danny darauf scheinbar auch nichts erwidert, außer scharf auszuatmen, was mir im Übrigen zeigt, wie wenig er das alles befürwortet, steige ich langsam ein.

„Nimm bitte ihren Koffer, Jeff", sagt er zu einem Mann im schwarzen Anzug. Gott, er steht gleich hinter dem Auto, wie also habe ich den nicht gesehen?!

Ich seufze lautlos, als Jeff meinen Koffer im Kofferraum verstaut und sodann auf die Fahrerseite einsteigt. Als Leroy die Tür der Beifahrerseite öffnet wird mir klar, dass ich mit Danny auf die Rückbank muss und darüber freuen kann ich mich überhaupt nicht. Seine Worte spuken noch in meinem Kopf rum und treiben mir die Tränen in die Augen, die ich weg blinzle. Doch sobald er sich neben mich setzt und sein angenehmer Duft mir in die Nase steigt, kann ich sie kaum noch aufhalten. Ich wende den Kopf ab und greife nach meinem Zopf, ehe ich mir die Haare über die Schulter ziehe, damit sie mein Gesicht ein wenig verdecken. Ich hätte mir keinen Pferdeschwanz machen dürfen.

Die Fahrt über bleibt es unangenehm still.

Da Leroy nicht versucht mit mir zu sprechen, sowie beim letzten Mal, kann ich mir nicht mehr vorstellen, dass es was Gutes ist, wieso ich mitkommen soll. Wahrscheinlich will er einen Finger oder sonstiges als Wiedergutmachung von mir, weil er mich bestimmt nicht umbringen kann, da er sehr gut mit meinen Eltern befreundet war. Und dann wird er mir einen Arschtritt verpassen und mich vor die Tür setzen. Ob er mir glaubt, wenn ich ihm sage, dass ich Zach nicht geholfen habe?

Pff, er glaubt natürlich nur seinem Sohn. Mich kennt er doch kaum. Mir glaubt er niemals.

Ich atme mehrmals tief durch und schließe irgendwann die Augen, ehe ich meinen Kopf an das Fenster lehne. So blinzle ich nicht ständig zu Leroy, der aus zur Schlitzen geformten Augen auf die Straße sieht. Und zu Danny sehen wage ich nicht einmal. Vor seinem Blick habe ich besonders Angst.

Als wir dann ankommen weiß ich nicht, ob ich mich freuen soll, dass ich endlich aus dem Auto bin und dieser unangenehmen Stille somit entkommen oder ob ich weinen soll, weil mir Furchtbares bevorsteht.

„Hallo Lara", werde ich von Katrina begrüßt, welche bereits an der Tür steht und uns erwartet, während wir erst die Stufen hochgehen. Leider haben mich Vater als auch Sohn vorgehen lassen und ich bin gerade unglaublich langsam.

„Hallo", hauche ich beinahe schon. Unsicher bleibe ich vor ihr stehen, muss jedoch überrascht die Brauen heben, als sie mich in den Arm nimmt.

„Schön, dass ihr so schnell wieder hier seid. Auch wenn die Umstände ein wenig blöd sind", sagt sie und fährt mir einmal aufmunternd über den Rücken. Schluckend nicke ich, denn ich habe keine Ahnung, was ich darauf erwidern soll. Wieso guckt sie mich nicht böse an? Wieso nimmt sie mich stattdessen in den Arm? Da ich keine Ahnung habe, was ich erwidern soll, nicke ich nur recht langsam und gehe hinein.

„Hallo, mein Schatz", begrüßt sie Danny, welcher sogleich einen Kuss auf die Stirn bekommt. Ich wende den Blick ab und sehe mich kurz um. Daliah und Dakota stehen an der Treppe und erwarten mich mit einem Lächeln.

„Hey Lara! Wir freuen uns, dass du wieder hier bist", beginnt Daliah und Dakota lächelt bloß. Ich bemühe mich um ein ehrliches Lächeln, dass jedoch bröckelt. Ich bin heute einfach am Ende und nicht zu wissen, was nun geschehen wird, macht mich noch verrückt.

„Ich möchte jetzt bitte wissen, wieso ich hier bin", sage ich, bevor ich mich aufhalten kann. Gut, je schneller es draußen ist, desto besser. Überrascht sehen Leroy als auch Katrina zu mir.

„Klar doch", entgegnet Leroy.

„Habt ihr schon gegessen, Amor?", fügt er sogleich hinzu und sieht zu seiner Frau runter, die ihre Arme um seinen Hals schlingt.

„Nein, wir wollten auf dich warten. Immerhin warst du ganze drei Tage in Mexico", seufzt sie an seinen Lippen und drückt ihm einen Kuss, woraufhin man sogleich eines der Mädchen hinter mir würgen hört.

„Ich verziehe mich", murmelt einer von ihnen. Da ich nicht zu ihnen sehe weiß ich auch nicht, wer von den beiden da gerade spricht. Ich schmunzle leicht. Ich habe es auch immer ganz schlimm gefunden, wenn meine Eltern sich küssten. Das war einfach zu viel Liebe für mich.

„Okay, dann essen wir doch erstmal. Ich habe wirklich Hunger" sagt wieder Leroy.

„Ich möchte nichts essen."

Erst jetzt sehe ich zum ersten Mal wieder zu Danny.

„Dann kannst du ja Lara's Koffer in deinen Zimmer bringen und ihr ihren Schlafplatz zeigen. Kommt jedoch sogleich wieder. Ich muss etwas wichtiges mit euch besprechen."

„Meinen Koffer?", stutze ich.

„Ach so. Ja", erwidert Leroy und hält inne.

„Du bleibst für einige Tage hier, Lara. Das wäre mir einfach lieber, bevor etwas geschieht... das wir alle bereuen könnten", fügt er hinzu und wirft Danny einen undefinierbaren Blick zu. Dieser spannt seinen Kiefer an, entgegnet jedoch nichts.

„Wie jetzt? Tut mir leid, aber ich verstehe gerade nur Bahnhof. Wegen dieser Kette...", beginne ich, doch Leroy unterbricht mich sanft.

„Gleich." Und damit hat es sich erledigt. Leroy kehrt mir den Rücken zu und geht.

„Okay", sage ich leise und nicke, obwohl er mich wahrscheinlich nicht einmal hört. Natürlich will ich nun auch nicht, dass er sich mit leerem Magen mit uns unterhält, wenn er wirklich großen Hunger hat - immerhin sagte Katrina vorhin, dass er drei Tage nicht zu Hause gewesen wäre und natürlich möchte er jetzt mit seiner Familie speisen - aber dennoch bin ich gerade so verwirrt wegen allem, dass ich am liebsten sofort Antworten bekommen hätte.

Will er mir also gar nicht weh tun?

Oder war dieser Blick, den er Danny gerade geschenkt hat eine klare Aufforderung es schnell hinter sich zu bringen?

„Vorwärts." Aus dunklen Augen sieht Danny auf mich herab. Pure Abneigung ist in ihnen zu lesen und für einen Moment fühlt es sich wie ein Schlag in den Magen an.

Ich verstehe gar nichts mehr.

Still gehe ich die Stufen hoch, beeile mich jedoch nicht dabei. Wieso auch? Danny kann sich ja wohl an mein Tempo halten und extra verlangsamt den Koffer hochtragen, der hoffentlich so schwer ist wie fünf Kilo Steine.

Mitten im Korridor jedoch bleibe ich stehen. Ich habe keine Ahnung, wo sein Zimmer ist. Beim letzten Mal bin ich in einem Gästezimmer gewesen... Wieso kann ich nicht wieder einfach dorthin und soll stattdessen in Danny's Zimmer?

Diesen höre ich gerade genervt ausatmen, ehe er nun voraus läuft und einer der Türen öffnet. Das er so stark von meiner Anwesenheit genervt ist, trifft mich wieder. Gleichzeitig bin ich aber nicht schuld, dass ich hier bin. Es gibt tausende Szenarien, die mir gerade lieber wären, als mit Danny in einem Haus zu verweilen.

„Kannst du mir den Grund verraten, weshalb ich hier bin? Warst du nicht derjenige, der wollte, dass ich gehe?", frage ich, als ich Danny folge und sein Zimmer betrete. Danny antwortet mir jedoch nicht und stellt meinen Koffer neben dem Bett ab. Ich mustere ihn, während er sich langsam zu mir umdreht. Doch statt den Blick zu erwidern, weicht er mir aus.

„Wir sollten runtergehen." Plump läuft er an mir vorbei und verlässt sein Zimmer wieder. Dass er es nicht einmal mehr in einem Raum mit mir aushält, kränkt mich, doch ich werde einen Teufel tun und ihm zeigen, wie sehr mir sein Verhalten eigentlich nahe geht.

Da Leroys Anweisung nicht misszuverstehen war, folge ich Danny. Seine Schritte hallen von den Wänden nieder, als er die Treppe herunter läuft. Dass Leroy am Treppenabsatz auf uns wartet, bereitet mir Unbehagen, dennoch versuche ich, die Kontrolle über mich selbst zu behalten und ihm nicht zu zeigen, dass die Furcht vor ihm in diesem Moment viel zu groß ist.

Anscheinend hat er sich gerade nur umgedreht, um seine Jacke auszuziehen.

„Kann ich dich einen Moment sprechen?", fragt er sogleich.

Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten.

„Jetzt nicht." Danny's Handbewegung ist beinahe schon schlampig, so undeutlich formt er die Worte, als sei Leroy gerade nicht einmal die Mühe wert, die Hand ordentlich zu heben, während er an seinem Vater vorbei läuft.

„Ich meinte nicht dich, Danny", erwidert er bloß und sein Blick bleibt an mir hängen.

„Ich würde mich gerne mit dir unterhalten, Lara."

Ich schlucke leicht, als er das sagt, nicke aber sofort. Dass Danny in seiner Bewegung stehen geblieben ist und mir einen undefinierbaren Blick zuwirft, zieht vollkommen an mir vorbei.

„Worum geht es?", frage ich.

„Was hältst du davon, wenn wir kurz vor die Tür gehen?", meint er und setzt sich bereits in Bewegung. Da eine Antwort scheinbar völlig irrelevant ist, folge ich ihm und spüre, wie mir das Herz bis zum Hals schlägt. Als Leroy und ich die Tür hinter uns ins Schloss fallen lassen und frischer Sauerstoff in meine Lungen dringt, fühle ich einen Funken Gelassenheit in mir aufkeimen.

„Was ist mit der Kette passiert, Lara?", fragt er sogleich und kommt direkt auf das Thema zu sprechen, weshalb es mir doch erst miserabel geht. Er lehnt sich lässig an die Hauswand, möchte gerade die Arme vor der Brust verschränken, hält sich jedoch im letzten Moment zurück. Wahrscheinlich hat er selbst gemerkt, wie das auf mich wirken könnte, wenn er sich so vor mir aufbaut. Es würde mir tatsächlich Angst machen.

„Ich weiß es nicht", erkläre ich wahrheitsgemäß. Schluckend versuche ich seinem Blick standzuhalten.

„Mir ist noch immer nicht klar, wie die Kette einfach so von meinem Hals verschwinden konnte! Von einem zum anderen Moment war sie weg und Danny glaubt, dass ich ihn hintergangen habe!"

„Hast du ihn hintergangen, in dem du Zach geholfen hast?"

„Natürlich nicht. Das habe ich ihm versucht zu erklären, doch er hat mich fortgeschickt. Er will nichts mehr von mir wissen, weil er längst entschieden hat, dass ich mit Zach unter einer Decke stecke", erkläre ich und versuche ruhig zu bleiben. In meinen Augen brennen die Tränen, doch ich werde mit Sicherheit nicht vor Leroy Kingston in Tränen ausbrechen. Dass er mich vorhin schon dabei erwischt hat, ist mir unglaublich peinlich.

„Er sagte, er habe euch genau gehört."

„Das ist wahr. Khalee, ein Freund von Zach wollte, dass ich in den Wald komme um mir noch einmal Zach's Bitte anzuhören. Wenn ich nicht gegangen wäre, hätte er Danny getötet, sagte er."

„Er kann Danny nicht töten, aber ist in Ordnung. Du hast natürlich Angst bekommen. Merke dir aber, dass du das nicht brauchst, wenn man Danny bedroht. Der kommt schon klar. Erzähle weiter."

„Naja. Wie du schon sagst habe ich Angst bekommen und bin mitgegangen, da fing er plötzlich an sich zu bedanken für meine Hilfe. Ich war verwirrt und ehe ich überhaupt mehr sagen konnte, zeigte er bereits mit dem Finger auf Danny, welcher uns verfolgt hat. Und dann hat dieser seine eigenen Vermutungen gebildet und einen Entschluss gezogen. Egal, was ich sage; Für ihn stecke ich mit Zach unter einer Decke. Es ist teilweise auch mein Fehler. Zach hat mich schon ganz am Anfang um Hilfe gebeten. Da war ich erst wenige Woche auf der Toshi. Ich habe meine Hilfe abgelehnt. Dann ging es nach Ohio und als ich wieder kam, verfolgte er mich ständig, bis ich irgendwann einverstanden war, ihm zuzuhören. Er hat das selbe verlangt und diesmal mehr von seiner Vergangenheit erzählt... Er sagte, er ist ihr habt seine Mutter umgebracht", mummle ich zum Schluss beinahe schon. Leroy runzelt die Stirn.

„Hm... Ich wünschte, ich könnte mit ihm einmal reden und ihm erklären, dass seine Mutter bereits tot war, als ich sie damals in einer Zelle fand. Zacharias hat viel durchgemacht und wurde von seinem psychopathischen Opa großgezogen, welcher im Übrigen seine eigene Tochter für seinen Erfolg in den Krieg ziehen ließ." Leroy schnaubt.

„Er hat den Tod oder überhaupt den Zorn von Leuten wie... mir einfach nicht verdient. Er verdient eine Erklärung und ob er einem dann glaubt oder nicht, ist mir egal. Dementsprechend werde ich handeln, denn ich werde das Leben meiner Kinder sicher nicht aufs Spiel setzen", fügt er hinzu. Ich verstehe sofort, was er meint. Mein Körper quittiert mit einer Gänsehaut, die es in sich hat. Ich spüre es sogar auf meinen Wangen kribbeln.

Er wird Zach töten, wenn dieser die Waffen nicht fallen lässt...

„Nun gut. Ich denke, wir sollten reingehen. Mir war es nur wichtig zu wissen, ob ich mit dem Gefühl richtig liege, dass du nicht gegen Danny arbeitest. Aber wie es aussieht, habe ich mich auch dieses Mal nicht getäuscht", erklärt er bloß.

„Und jetzt komm, sonst verhungere ich gleich wirklich! Du musst wissen, dass ich die totale Diva bin, wenn ich Hunger habe."

Mit diesen Worten ist das Gespräch anscheinend beendet und er läuft voraus ins Haus. Ich folge ihm langsam.

Aus der Küche dringen bereits leise Gesprächsfetzen zu mir und neben Dahlia und Dakota, sind auch andere Stimmen zu hören. Mein Verdacht bestätigt sich, als wir das Esszimmer betreten. Auch die anderen Geschwister von Danny sind dazugestoßen und sitzen bereits am Tisch. Rina beobachtet ihre Töchter, wie sie sich angeregt unterhalten und selbst die Fünf anderen reden gerade über irgendeinen Kinofilm. Besonders ihr sehe ich an, dass sie das Beisammensein ihrer Familie vollends genießt. Der Einzige, der schweigt ist Danny. Mit den Armen auf den Stuhllehnen gelehnt, sitzt er auf seinem Stuhl und blickt starr auf seinen noch leeren Teller.

„Also selbst mit neun Jahren habe ich besser gemordet als dieser Will in dem Film", sagt Alessandro. Ich schlucke leer und tue so, als hätte ich das nicht gehört.

Als Leroy und ich den Raum betreten, blickt Rina auf und schenkt uns ein warmes Lächeln.

„Setzt euch, ihr Zwei!", meint sie und deutet auf die übrigen freien Plätze. Schnell nehme ich zwischen Dakota und Dahlia Platz, während Leroy am Ende des Tisches und gegenüber seiner Frau Platz nimmt. Erleichterung flutet mich, dass ich nicht in Dannys nächster Nähe sitzen muss. Als ich in die Runde schaue, meide ich insbesondere seinen Blick. Wenigstens beruhigt mich etwas die Tatsache, dass Leroy glaubt, dass ich Danny nicht hintergangen habe.

Da Leroy und nun auch da sind, wird es nur lauter, denn alle stehen sie auf, um ihren Teller nun zu füllen, mit Ausnahme von Danny und mir. Beim Anblick der verschiedenen Auflaufformen, läuft mir das Wasser im Mund zusammen und dann riecht es auch noch so herrlich! Dennoch warte ich bis die Kingstons sich bedient haben. Erst als Rina mir einen auffordernden Blick zuwirft, häufe ich mir auch eine Portion auf den Teller.

Ich habe ja nicht einmal gefrühstückt und nun haben wir schon späten Mittag.

Dann herrscht für wenige Augenblicke Schweigen, während jeder damit beschäftigt ist, die ersten Bisse zu schlucken.

„Bestimmt wundert ihr euch, weshalb ich darauf bestanden habe, alle Mitglieder dieser Familie für das Mittagessen zu versammeln", beginnt Leroy dann. "Der Grund ist kein geringerer, als dass uns eine schwere Zeit bevorsteht. Eine Zeit, die nicht bloß gefährlich, sondern sogar tödlich enden kann und ich möchte, dass ihr vorbereitet seid."

Dieser Mann weiß wirklich, wie man Spannung und Nervenkitzel erzeugt. Mein Blick huscht zu Katrina. Obwohl sie versucht, sich nichts anmerken zu lassen, erkenne ich die Sorge in ihrer Mimik.

„Worum geht es?", fragt Stacy grinsend. „Um die tödliche Spannung zwischen Danny und Lara?"

Mein Herz stoppt für wenige Sekunden, als Danny ihr einen mindestens genauso tödlichen Blick zuwirft.

„Stacy", seufzt Katrina.

„Manchmal da machst du mich echt krank", zischt Leroy in ihre Richtung.

„Halt einmal deinen Mund und höre zu", fügt er wirklich wütend hinzu. Falls in seinem Gesicht heute schon mal so etwas wie ein Lächeln möglich war, so ist jetzt nicht einmal mehr zu erahnen, dass er überhaupt in der Lage ist, Freude auszudrücken. Alles an diesem Mann wirkt furchteinflößend. Stacy sieht schnell ihren Fehler. Ihre Mundwinkel fallen überrascht in sich zusammen, ehe sie etwas beschämt den Kopf senkt. Sie hat verstanden, dass Leroy gar keine Witze macht.

„Ich möchte euch wissen lassen, dass demnächst ein Abendessen stattfinden wird. Ein Friedensangebot soll Grund genug für unsere Gäste sein, damit sie erscheinen. Und hier ist nun das Problem. Es ist kein Friedensangebot. Es ist nur etwas, womit wir die Haie in unser Netz locken. Doch damit die Haie uns vertrauen, brauchen wir Köder. Die Köder sind wir alle. Wir müssen alle gemeinsam dort sein, denn wenn Daliah und Dakota nicht auch dabei sind, werden sie es nicht glauben und die Waffen zücken, ehe wir ›A‹ sagen können."

Am Tisch kehrt Ruhe ein. Ich lasse den Blick vorsichtig schweifen, sehe die entsetzten, als auch die völlig verwirrten Gesichter der anderen.

„Wir? Immer. Daliah und Dakota sind jedoch erst sechzehn Jahre alt", ertönt die Stimme von Danny's Bruder. Ich meine, sein Name war Alessandro.

„Wirklich? Wusste ich ja gar nicht, Alessandro", schnaubt Leroy. Plötzlich wirkt er so müde, denn seine Schultern sacken in sich zusammen und er will nicht einmal den Blick heben um in unsere Gesichter zu sehen.

„Leroy", ertönt Katrina's Stimme. Nun hebt er den Kopf und sieht seiner Frau in die Augen. Ich sehe ebenfalls zu ihr und muss schlucken. In ihren Augen spiegeln sich alle Gefühle wieder, als hätte sie überhaupt keine Mauern, als könnte sie diese nie kontrollieren und müsste sie immer zeigen.

„Ich weiß", seufzt Leroy. „Ich will es ja auch nicht."

„Doch es muss so sein. Sie haben sich alle verbündet, sie greifen uns an, wenn wir nicht angreifen. Und ich bin in der Lage meine Töchter zu beschützen, genauso wie ihr", fügt er hinzu und sieht in die Runde.

„Ihr braucht keine Angst haben", richtet er nun das Wort an die Mädchen, welche ganz blass um die Nase geworden sind. „Ich werde immer auf euch aufpassen."

„Das wissen wir, Papa. Wir fürchten uns nicht", sagt Dakota entschlossen. In ihren Augen funkelt ein Wille auf. Der Wille besonders ihren Vater stolz zu machen. Dieser hebt einen Mundwinkel in die Höhe und schenkt ihnen nickend ein ganz sanftes Lächeln.

„Nein."

Ich zucke zusammen, als Danny's Hand auf die Tischplatte fällt. Es ist gar nicht so laut und doch reißt es jeden aus den Gedanken.

„Que?", hakt Leroy nach und hebt eine Braue in die Höhe. Danny dagegen wirkt beinahe schon emotionslos.

„Ich sagte, nein. Die Mädels kommen nicht mit. Sie gehören da nicht rein und das werden sie niemals. Du hast uns für diese Art von Arbeit. Daliah und Dakota kommen nicht mit. Und Lara hat dort ebenso nichts zu suchen."

„Ich gebe ihm recht", sagt plötzlich sein andere Bruder Jason. „Die Kleinen kommen sicher nicht mit."

„Es ist deine Schuld. Du allein bist schuld daran, denn du hast sie einfach mit nach Ohio genommen, wo du eine Aufgabe hattest. Du. Nicht sie. Und jetzt finde dich damit ab, dass du es zu verantworten hast, falls etwas mit ihr geschieht. Und deshalb denke gut nach. Für Streit gibt es heute keine Zeit", entgegnet Leroy. „Daliah und Dakota kommen ebenso mit."

„Nur über meine Leiche."

„Jason", ruft Katrina und schnappt laut nach Luft. Selbst Leroy's Augen weiten sich für einen Moment.

„Achte auf deinen Ton, Jason", mahnt sein Bruder, doch dieser sieht ihn nicht einmal an. Stattdessen liefert er sich einen Blickduell mit Leroy.

„Ich habe geschworen auf sie aufzupassen. Ich werde nicht zulassen, dass sie so einer Gefahr ausgesetzt werden."

„Was willst du mir damit sagen?", fegt Leroy's wütenden Stimme über den Tisch. „Dass ich auf meine Töchter nicht aufpassen könnte? Wenn ich sechs Kinder aufziehen konnte, die nicht einmal mir gehören, dann kann ich ja wohl auch auf mein eigenes Fleisch und Blut aufpassen!"

Selbst mich treffen seine Worte. Danny hat schon einmal erwähnt, dass niemals ausgesprochen wird, dass sie nicht die leiblichen Kinder von Katrina und Leroy sind. Obwohl er mit großer Sicherheit nicht die Absicht hatte das zu sagen und er ja eigentlich nur auf eine verwirrte Art zeigen möchte, dass sie ja alle seine Kinder sind und er sie gleich behandelt, kam der Satz, dass es ja nicht seine Kinder sind, zuvor wohl nie über seine Lippen. Vielleicht scheinen deshalb alle plötzlich etwas erschrocken. Leroy bemerkt seinen Fehler und seufzt leise. Er schließt die Augen und senkt für einen Moment den Kopf.

„Was ich sagen möchte ist einfach, dass ich auf euch alle aufpassen kann. Ich würde euch mit meinem Leben beschützen und das immer, ohne auch nur nachzudenken, denn ihr bedeutet mir alles. Was wäre ich auch ohne euch? Genau - rein gar nichts. Ihr Fünf seid die besten Auftragskiller. Ihr seid Maschinen. Im Alter von zehn Jahren wart ihr bereits verdammt gut. Jetzt seid ihr erwachsen und habt eine harte Zeit hinter euch gebracht, doch ihr habt auch sehr viel Erfahrung in gewissen Dingen. Ihr könnt euch wehren, wenn es hart auf hart kommt... wenn ich eines Tages nicht mehr bin. Und genauso ist es auch bei dir Danny. Du bist ein Fels, den man nicht zerstören kann. Doch ihr wolltet, dass Daliah und Dakota ein normales Leben führen. Ihr wolltet, dass sie zur Schule gehen dürfen, dass sie mit Freunden raus gehen dürfen, verreisen und auch mal die Kontrolle abgeben dürfen und sich vollends betrinken, während sie lallend durch die Straßen laufen. Das waren deine Worte, Stacy. Ihr wolltet, dass die Beiden euren Traum leben dürfen und das haben sie. Doch damit sie das weiterhin können und ich mir niemals mehr Sorgen machen muss, habe ich meine Feinde zu eliminieren. Denn sie haben sich verbündet und sie werden zuschlagen, dann, wenn wir am wenigsten damit rechnen und dann darf ich ihre Gräber schaufeln, denn wie gesagt; euch wird nichts passieren. Ihr könnt euch wehren, doch die Zwillinge nicht", erklärt Leroy diesmal viel ruhiger. Bittend sieht er in die Runde. Während sie alle ihren Kopf senken und auch Jason langsam, jedoch angepisst Platz nimmt, weil er verstanden hat, dass sein Vater recht hat, starrt Danny ihn emotionslos an. Leroy bemerkt es, geht jedoch nicht darauf ein.

„Nun. Das Restaurant ist an diesem Abend nur für unsere geschlossene Gesellschaft gebucht, sodass Außenstehende nichts mitbekommen werden. Ich möchte, dass ihr euch darauf vorbereitet, dass an diesem Abend viel auf dem Spiel steht. Bereitet euch vor, seid wachsam und vor allem - lasst euch nicht manipulieren", stellt er klar. Leroys Blick huscht bei seiner letzten Aufforderung wieder zu Danny, der seinem Vater zwar ansieht, aber noch immer nicht reagiert.

Dann spüre ich Dannys Blick auf mir liegen und wage es, ihm in die Augen zu schauen. Ich könnte schwören, dass ich einen minimalen Funken von Bedauern in seinen Augen flackern sehe, doch der Moment ist dann vorbei, als Leroy wieder seine Stimme erhebt.

„Die Angelegenheit ist, wie ich bereits sagte, ernst, weshalb ich von jedem von euch erwarte, dass ihr das tut, was das Richtige ist. Nicht in den Augen anderer, sondern allein in meinen Augen. Habt ihr verstanden?"

„Natürlich", sagt Dahlia neben mir und nickt zustimmend. Auch die fünf Sünden stimmen zu und letztlich ist es Leroys Blick, der auf mir ein zustimmendes Nicken entlockt. Ich fühle mich, als hätte ich keine andere Wahl, als mit den Kingstons an einem Strang zu ziehen. Als Leroy mir ebenfalls ein knappes Nicken schenkt, sind alle Augenpaare auf Danny gerichtet. Nur seine Zustimmung fehlt. Als er jedoch merkt, dass alle nur auf ihn warten, nickt auch er.

„Es wird Zeit mit alten Feinden abzurechnen."

°°°

Es ist still um uns herum und das Knistern des Lagerfeuers ist die einzige Geräuschkulisse. Eigentlich wollte ich nach dem Abendessen direkt aufs Zimmer gehen. Doch dann ist mir wieder eingefallen, in welches Zimmer ich einquartiert wurde und schon war es vorbei mit der Rückzugstendenz, die mich übermannen wollte.

Nun sitze ich mit den Zwillingen und den fünf Sünden an einem warmen Lagerfeuer. Es ist verdächtig still und ich werde das Gefühl nicht los, dass es an Leroys Ankündigung liegt.

Mich überkommt das Gefühl, als wäre dieser Abend eine Art Abschied. Ein letztes Beisammensein der Familie Kingston, als wäre der Ausgang des sogenannten Friedensangebot unklar. Als würde selbst Leroy Kingston sich vor den Ausmaßen fürchten, wo er doch normalerweise jemand ist, der keine Angst verspürt. Niemals, auch nicht mit Ausnahme. Dass ich mich diesbezüglich vielleicht geirrt habe, stimmt auch mich nostalgisch. Ich denke an so vieles. An Aurela, die ich zurücklassen musste und die mir schon jetzt viel zu sehr fehlt. An Susi, die mir eine Freundin war und die wahrscheinlich nicht mehr mit mir sprechen will. An Danny, der mich nicht liebt und mich am Liebsten nie wieder sehen würde - der mich so sehr verletzt hat, dass allein diese Gedanken wieder Tränen aufkommen lassen.

Er liebt mich. Ich weiß es.

Doch ich reiße mich zusammen, beschließe nicht wieder zu Flennen wie eine Heulsuse.

Die Stille wird erst unterbrochen, als eine Tür ins Schloss fällt und Danny zu uns kommt. Ich beschließe, ihn nicht anzuschauen, als er sich neben mich setzt. Seine Anwesenheit macht sich sofort in meinem ganzen Körper bemerkbar und mit ihm der Schmerz, der mich seinetwegen immer wieder überkommt.

Stille herrscht im Hause Kingston. Etwas, das ich nicht für möglich gehalten hätte.

„Du bist im Übrigen nicht allein", höre ich Jacky sagen, die plötzlich die Stille durchbricht. Mit dem Kopf lehnt sie gegen die Schulter ihrer Schwester und schaut in die Runde. Doch ihr Blick stoppt bei Danny.

„Das wirst du niemals sein. Ja, wir waren die Feiglinge, die das Leben eines Mafiabosses nicht wollten. Nur so bekämen wir ansatzweise unsere Freiheit. Ja, wir sind egoistisch und das alle. Doch weißt du was? Nein, du bist nicht allein, Danny. Selbst, wenn du denkst, du hättest niemanden, so wirst du immer auf uns zählen können. Wir stehen hinter dir, genauso wie wir jetzt hinter unserem Vater stehen. Immer und jederzeit. Wir alle sind Kingstons. Und durch unsere Adern fließt Leroy's als auch Rina's Blut, Der Mann, der uns von der Straße holte und die Frau, die uns großgezogen hat, als wären wir goldwert. Und wir halten auf ewig zusammen."

Ich spüre, wie Danny sich neben mir versteift und die Anspannung förmlich auf mich übergeht. Es scheint fast so, als würden wir dasselbe fühlen. Denn obwohl er mich zutiefst verletzt hat, ist dort noch immer diese Verbindungen zwischen uns. Ich frage mich, wann sie abbricht und wann es aufhört, so weh zu tun. Wann werden meine Gefühle für ihn verschwinden? Ich fürchte, dass es niemals ganz verschwinden wird.

Danny neben mir schweigt und blickt seine Geschwister an. Als ich von der Seite zu ihm hinauf sehe, entdecke ich einen Hauch des Erstaunens in seinem Gesicht.

„Jacky hat Recht. Wir sind deine Familie und auch, wenn du den schwarzen Peter gezogen hast, stehst du nicht allein gegen den Rest der Welt. Sei dir bewusst, dass wir immer hinter dir stehen werden. Egal, was geschieht und was auf uns zukommt."

Danny schluckt hörbar und er schließt für wenige Sekunde die Augen. Zwar nur kurz, aber ich sehe, dass er mit sich kämpft. Dennoch überkommt ihn nicht mehr als ein Nicken.

Zumindest denke ich das.

„Danke."

Nicht mehr als ein Wort, doch so, wie ich die Situation deute, schafft es eine ganz neue Ebene für diese Familie. Es stärkt den Zusammenhalt und besonders im Hinblick auf das, was kommt, weiß ich, dass die Kingstons, wenn es darauf ankommt, das perfekte Team sind. Egal, wie verzwickt die Situation sein mag.

Und dann als Danny mich ansieht und ich in seinen Augen keine Leere mehr vorfinde, fange auch ich an, daran zu glauben.

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