🌸 Kapitel 21 🌸
Die dritte Dimension
,,Wir sind in der Hölle?", platze es aus Jasper heraus. Seine Stimme überschlug sich fast.
Claire, die neben ihm auf dem glatten, schwarzen Stein saß, klappte die Kinnlade so weit herunter, dass es gegen jede Sitten- und Benimmregel verstieß. Ihr Gesicht spiegelte Jaspers Unglauben wider – nur, dass ihr Blick nicht Eva, sondern Leo galt. ,,Du bist eine Göttin?"
,,Pspsps", fiel ihr Jasper ins Wort und wedelte mit seiner Hand vor ihrer Nase herum. ,,Also nur, damit ich das jetzt richtig verstehe. Sie sind Eva, die erste Frau seit ... ?"
Evas Lächeln wirkte etwas steif, als sie antwortete: ,,Seit es Frauen gibt, ja. Das hatten wir doch bereits, Schätzchen. Wenn dann alle soweit sind, würde ich gerne mit dem ..."
,, ... dem Einbruch weitermachen?", blökte Claire dazwischen.
Leo biss die Zähne aufeinander. Claire war ihr vom ersten Moment an unsympathisch gewesen. Schon allein ihr unschuldiges Aussehen, ihre Unfähigkeit den Mund zu halten und, dass sie nun als Unbeteiligte mit ihnen in einem Boot saß, trieben Leo zur Weißglut. Ihre Abneigung hatte jedenfalls nichts mit der Tatsache zu tun, dass Jasper sie offenbar mochte, sie sogar unter Einsatz seines Lebens vor der Schlange beschützt hatte. Nahas war mittlerweile aus ihrer Narkose erwacht und hatte sich zu Evas Füßen eingerollt.
,,Dem Plan zum Einbruch", verbesserte Eva Claire gedehnt. Elektrische Blitze durchzuckten ihren Fellmantel. Leo sah, wie Jasper sich dafür bereit machte, erneut irgendeine dumme Bemerkung kundzutun. Sie rammte ihm vorsichtshalber den Ellbogen in die Seite.
,,Au! Was ist dein Problem?", zischte er.
,,Das ist unsere einzige Chance hier rauszukommen! Jetzt benimm dich wie ein Erwachsener und halte wenigstens für fünf Minuten den Rand!"
,,Du hast mir nicht zu sagen, was ich tun oder lassen soll. Und das Catwomen-Outfit, das du anhast, ist einfach nur lächerlich!"
,,Sehr erwachsen, Jasper, wirklich. Ich bin beeindruckt, dass du mit deinen zwei Gehirnzellen überhaupt auf einen Konter gekommen bist!"
,,Aber doch nicht etwa ein Einbruch in den heiligen Palast?", hallte Claires schrille Stimme durch die Grotte und ließ Leos und Jaspers kleine Streitblase platzen.
,,Genau der. Und wir haben nur sechs Tage Zeit, um uns vorzubereiten. Deswegen würde ich es wirklich begrüßen", Evas Tonfall war nun so autoritär, dass es Leo einen Schauer über den Rücken sandte, ,,wenn ihr eure Wiedersehens-Freude auf später verschieben würdet!" Ihre Worte hatten die gewünschte Wirkung und Stille breitete sich in der Grotte aus. Ein Tropfen fiel von einem Stalaktit und brach im Fall das Licht der Kerzen. Eva griff in eine Öffnung ihres Mantels, holte eine Hand voll Pulver hervor und einige Sekunden später schwebten unzählige lila schimmernde Partikel in der Luft. ,,Ich werde euch nun ein seit Jahrhunderten gehütetes Geheimnis verraten", sagte Eva. ,,Und ich will dabei nicht unterbrochen werden." Die drei nickten. Claire begeistert, Jasper halbherzig und Leo gefasst.
,,Zunächst müsst ihr wissen, dass im Jenseits ein bestimmter Glaube herrscht: Der Glaube an die dritte Dimension. Es fällt den Menschen schwer, zu akzeptieren, dass es nicht den einen, allmächtigen Gott gibt. Dass der Sinn des Lebens, das Leben selbst ist. Die Menschen glauben lieber an eine schöne Lüge, als an die unschöne Wahrheit. Und es gab jemanden, der bereit war, ihnen diese Lüge zu geben." Eva vollführte eine elegante Geste mit der Hand und die schwebenden Partikel bildeten drei Ebenen in der Luft. ,,Diese drei Balken stehen für die drei Dimensionen." Eva deutete auf die Unterste. ,,Diese Ebene hier repräsentiert die Erde, das weltliche Leben. Durch den Tod verlässt man sie und steigt in die zweite Dimension auf. Das Jenseits. Hier altert man nicht, man ist ein Widerschein seines einstigen Lebens und verblasst immer weiter, bis nur noch die Seele übrig bleibt. Diese wird dann wiederverwendet – sozusagen recycelt. Sie haucht einem Wesen auf der Erde neues Leben ein. So wandern die Seelen zwischen den ersten beiden Dimensionen hin und her, ein ewiger Kreislauf. Die dritte Dimension ..." Sie deutete auf den obersten Balken, ,, ... ist die Gottesebene. Nur ein einziger Mensch hat es – der Sage nach – je geschafft, in sie vorzudringen. Von dort aus, soll Gott darüber wachen, dass alles seinen geordneten Gang läuft, die Naturgesetze greifen und und und ... Ausgemachter Müll, wenn ihr mich fragt!" Eva verzog die dunklen Lippen und zerstäubte die Balken mit einer energischen Bewegung. ,,Doch Metatron, der selbst ernannte Diktator des Himmelreichs nutzt diesen Glauben schamlos aus. Er behauptet, in direktem Kontakt mit dem Herrn zu stehen. Visionen zu empfangen." Ihr Atem beschleunigte sich und das Fell ihres Mantels sträubte sich wie das, eines knurrenden Wolfes. ,,Er lügt und betrügt, wickelt die Menschen um seinen Finger. Sie alle sind Marionetten, deren Fäden er in der Hand hält. Und das Schlimmste daran ist: Es ist meine Schuld, dass er das kann." Ihre Stimme zitterte kaum merklich, einen Wimperschlag lang huschten starke Emotionen über ihr Gesicht: Abscheu, Wut, Trauer. Sie verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.
Leo saß auf der Kante des Steins. Wie ein Schwamm saugte sie jede Information auf. In diesem Moment gab es nichts anderes, als sie, Eva und die Antworten, die sie sich so lange ersehnt hatte. Jaspers und Claires dümmliche Gesichter verschwammen am Rande ihres Blickfelds.
,,Aber warum ist es deine Schuld?", äffte Eva Claire nach, noch bevor diese den Mund öffnen und die Frage aussprechen konnte. Dann schenkte sie Leo ein verschwörerisches Lächeln. ,,Vielleicht erinnerst du dich noch daran, wie wir zwei unter dem blühenden Feigenbaum im Wasser lagen ..." Leo schoss eine plötzliche Hitze in die Wangen und Jaspers fragender Blick wurde ihr nun doch sehr bewusst. Zum Glück fuhr Eva fort: ,,Du wolltest wissen, ob es im Jenseits nicht hunderte von Göttern geben müsse. Die Antwort darauf ist Ja. Es müsste hunderte von Göttern geben. Damals wimmelte es nur so von mächtigen, freien Gottheiten." Die lilafarbenen Partikel bildeten unter Evas Anweisung kleine Personen, die verschiedene Gegenstände in Händen hielten. ,,Artemis, Athene, Baldur, Loki, Aklepios ... Die Liste ist lang. Doch heute existiert nur noch eine Handvoll. Metatron bringt sie dazu, ihm ihre Reliquien zu überschreiben. Dadurch verlieren sie ihre Fähigkeiten und ihre Unsterblichkeit. Er rottet sie aus. Und mit jeder neuen Reliquie gewinnt er an Macht." So gut wie alle Personen zerfielen zu Staub. Unter den Übriggebliebenen schien Leo den Schatten zu erkennen.
,,Nein, das glaube ich nicht! In nomine dominis kann kein Betrüger sein!", entfuhr es Claire. Sie richtete sich nervös ihre Brille.
,,Er ist ein Betrüger. Und ein Gauner noch dazu. Aber warum sollte man mir, Eva, glauben, wenn das Bild der Sünderin, des schwarzen Schafs", sie lachte bitter, ,,so perfekt passt. Ich selbst bin vor langer Zeit auf ihn hereingefallen, womit wir wieder bei meiner Schuld wären." Sie holte tief Luft, als würde es ihr schwerfallen, die nächsten Worte auszusprechen. ,,Ich habe ihm zu seiner ersten Reliquie verholfen. Dem goldenen Apfel. Mit ihm kann man Menschen seinen Willen aufzwingen, sie von Dingen überzeugen. Nur sehr willensstarke Menschen können sich seiner hypnotischen Wirkung entziehen. Es war die Allzweckwaffe, die Benjamin brauchte, um zu Metatron zu werden, an die Spitze des Himmels zu gelangen, alle glauben zu lassen, dass er bloß das Wort Gottes ausführe, zahlreiche Götter dazu zu bringen, ihm ihre Reliquien zu übertragen und mich in die Hölle zu verbannen." Eine schwere Stille legte sich über sie, in der Eva die Augen schloss. Niemand traute sich, etwas zu sagen. Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sie ihre Augen wieder. Jegliches Gefühl war aus ihnen gewichen, sie waren kalt und berechnend. ,,Wenn ich damals nicht misstrauisch genug gewesen wäre, um Metatron mit einem Schwur an mich zu binden, wäre ich nun nicht hier. Ich wäre fusioniert – aufgelöst – worden, wie alle anderen Gottheiten. Der Schwur hält mich am ,,Leben". Sobald ich aufhöre zu existieren, wird Metatron mit mir gehen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als mich zu verbannen." Sie kam näher, bis sie direkt vor Leontien stand. Jasper schluckte. ,,Wie dem auch sei: Ich habe dich nicht ohne Grund aufgenommen. Mit deiner Hilfe wird es mir gelingen, meinen rechtmäßigen Platz zurückzuerobern."
Leo hatte sich bislang beherrscht, aber jetzt konnte sie die Frage nicht länger zurückhalten. ,,Und wieso sollte ich dir dabei helfen können?"
,,Oder ich", sagte Jasper mit hochgezogenen Brauen.
,,Oder ich?" Claire schnipste mit dem Finger in der Luft herum.
Leo seufzte innerlich auf. ,Formidable! Das sind echt zwei Experten der besonderen Güte! Und ich habe sie an der Backe!' Sie wandte sich nach rechts. ,,Mon dieu Jasper! Du bist nur hier, weil du so dumm warst, dich vor ein Auto zu werfen. Und weil ich Mitleid mit dir hatte", sie drehte sich zu Claire, ,, ... und du solltest überhaupt nicht hier sein!"
Eva antwortete, bevor ein neuer Streit entbrennen konnte. ,,Erst einmal bist du eine frischgebackene Göttin in einer Ära, in der es so gut wie keine Götter mehr gibt", sagte sie und hob Leos Kinn an. ,,Zweitens hat Benjamin Angst vor dir, was bedeuten muss, dass du mächtiger bist, als du zu sein glaubst. Und drittens kursiert das Gerücht über eine Prophezeiung, die das Ende der Welt durch einen in der Weihnachtsnacht sterbenden Apokalypsenbringer verkündet."
,,Was dein Tod begann, wird alles vernichten", flüsterte Leo.
,,Was sagst du?"
,,Und was ist dein Plan?", antwortete Leo mit einer Gegenfrage. Sie wollte nicht über die gruseligen Verse nachdenken. Bei jeder Gelegenheit nistete sich das Lied in ihrem Kopf ein und wiederholte sich in Endlosschleife.
,,Benjamin wird versuchen, die öffentliche Aufmerksamkeit von der nahenden Apokalypse abzulenken. Er war schon immer jemand, der Konflikten aus dem Weg ging, sich lieber versteckte und andere vorschickte. Und was eignet sich als Ablenkung besser, als das Finale der elysischen Spiele? Es ist das größte Ereignis eines jeden Jahres, wenn am Silvesterabend die beiden besten Teams in einer epischen Schlacht gegeneinander antreten. Es ist ein öffentliches Event, das Benjamins Anwesenheit verlangt. Und das ist unsere Chance! Während er in der Ehrenloge das Spiel verfolgt, wirst du in seinen Palast eindringen und die Reliquienkammer ausfindig machen. Du nimmst so viele Reliquien wie möglich mit und verschwindest durch ein Portal. Zwar wird er sein Zepter bei sich tragen und wir können mit den Reliquien nichts anfangen – natürlich abgesehen von deiner eigenen – aber der Verlust wird ihn deutlich schwächen." Eva ließ Leos Kinn los und begutachtete Jasper und Claire, als würde sie Ware prüfen. ,,Ihr beide könnt im Stadion währenddessen Metatron im Auge behalten."
Claire riss die Augen auf. ,,Wirklich! Ich war noch nie live bei einem der Spiele! Und dann noch das Finale! Oh mein Gott!" Sie klatschte in die Hände und wandte sich begeistert Jasper zu. ,,Das wird der Hammer!" Jasper schnaubte. ,,Der Hammer! Ich bin tot und helfe bei einer Revolte mit, ohne zu wissen warum!"
Leo musste ihm insgeheim recht geben. Der Plan klang riskant, der Palast würde sicher so gut bewacht sein wie Fort Knox und sie selbst war eine gesuchte Flüchtige. Ihr wurde mulmig zumute. Worauf hatte sie sich bloß eingelassen? Außerdem half ihr das keineswegs dabei, wieder auf die Erde zurückzugelangen.
Eva spürte die Unsicherheit, die von ihr ausging und lächelte sie ermutigend an. Ihre Augen waren nun honiggolden und weich. Ein Ausdruck, den Leo nie bei Anaïs gesehen hatte. Evas melodiöse Stimme beruhigte Leo, auch wenn die Zweifel blieben.
,,Mach dir keine Sorgen. Bis Silvester sind es noch sechs Tage und ich werde euch gut darauf vorbereiten. Morgen wird Orcus mit euch auf den Schwarzmarkt gehen und die Ausrüstung zusammenstellen." Eva drehte sich zu der grün glitzernden Schlange, die sich daraufhin in Bewegung setzte und sich auf die drei zuschlängelte. ,,Ihr solltet euch nun ausruhen. Der Schwarzmarkt ist kein Ort für schwache Nerven. Nahas wird euch in eure Räumlichkeiten führen. Im Morgengrauen wird Orcus euch abholen."
Eva schenkte ihnen noch ein letztes Lächeln, bevor sie durch ein Portal verschwand und die drei sprachlos zurückließ.
Auf das nächste Kapitel freue ich mich schon soooo lange! Ich hoffe, dieses hier hat euch gefallen – und sorry für die Upload-Verspätung (Ich war noch Burger essen nach einem Pen&Paper mit meiner besten Freundin und ihrem Freund)😅
Lasst doch bitte Kritik, Vermutungen, Votes und Kommentare da!❤
▪️2000 Wörter
Eure Jojo🔮
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top