🌸 Kapitel 20 🌸
Metatrons Gruft
,,Überraschung!", ertönte eine näselnde Stimme hinter ihnen. ,,Man benötigt meine Dienste?"
Der Schatten fuhr herum. ,,Amor ..." Seine Stimme war nicht mehr als ein Knurren.
Lebende wären bei Amors Anblick wohl überrascht gewesen: Keine Spur von einem schelmischen Jüngling oder einem dicklichen Mann mit Lendenschurz. Wenn man ihn beschreiben wollte, würde sich der Vergleich mit einem Pharao wohl am besten eignen, jedenfalls was das Gesicht betraf. Er war exzentrisch gekleidet, wobei kein Kleidungsstück zum anderen passte: Glitzernde Highheels bissen sich mit einer regenbogenfarbenen Tunika, die teilweise von einer blauen Weste überlagert wurde.
,,Es ist auch schön, dich zu sehen, Maskenboy. Die Gitterstäbe vor dem Mund finde ich nebenbei bemerkt überaus sexy! Hat was von BDSM-Spielchen ...", sagte der Gott der Liebe und schenkte dem Schatten ein breites Lächeln. ,,Oder was treibst du sonst so in deinem Turm am Rande des ewigen Meers, Rapunzel?"
,,Oh, es wäre mir eine Freude, dich in meine Praktiken einzuweihen, Cupido ...", antwortete der Schatten und kam ihm näher, wobei sein Schmunzeln nicht über die Kälte seines Blicks hinwegtäuschte. ,,Aber du hast vermutlich genug damit zu tun, die Fehler auszubessern, die deine kleinen Arbeiter anrichten. Wieviele Selbstmorde durch Liebeskummer gab es dieses Jahr? Vier- oder Fünfhunderttausend? Bring deinen Putten mal das Zielen bei!"
,,Meine ,Putten' sind außergewöhnlich gut ausgebildete Liebesboten, die hervorragend mit Pfeil und Bogen umzugehen wissen! Durch sie enden Kriege, Kinder werden geboren und ohne ihre tägliche, aufopferungsvolle Arbeit würde die Menschheit in absehbarer Zeit aussterben. Vielen Dank für deine Wertschätzung!", schnaubte Amor pikiert und schüttelte den schwarzen Pagenkopf, sodass die eingearbeiteten Goldperlen aneinander stießen. ,,Aber du hast recht. Ich habe viel zu tun. Vor allem, da meine Garde immer weiter schrumpft!"
Metatron hatte die Fehde bis zu diesem Zeitpunkt mit einer Mischung aus Amüsement und Missfallen verfolgt. Nicht viele Götter, geschweige denn Normaltote, trauten sich, in seiner Gegenwart auf diese Weise zu sprechen. Es erinnerte ihn an sein Leben als Mensch. Doch jetzt hatte er genug von dem Gezänk. Sein herabsausendes Zepter ließ die Streithähne herumfahren, Amors Schultern strafften sich sofort. Der Schatten schürzte die Lippen, als hätte Metatron ihm den Spaß verdorben.
,,Ich habe dich nicht ohne Grund herrufen lassen, Amor", sagte Metatron und wandte sein Gesicht dann langsam dem Schatten zu: ,,Ich habe gestern lange über deine Darbietung in der Empfangshalle nachgedacht. Das Mädchen hätte nicht entkommen dürfen. Du hast versagt." Die hauchdünnen Worte hingen wie ein Damoklesschwert über dem Kopf des Jägers. Sie laut und in Gegenwart Amors auszusprechen, war eine bewusste Demütigung. Der Schatten las es eindeutig in Metatrons Augen. In nomine dominis konnte seine Gedanken nicht vor ihm verstecken, was ihn für den Herrscher des Himmels zu einer großen Gefahr machte: Keine Lüge, kein Plan und kein Geheimnis waren vor ihm sicher, es sei denn, Metatron vermied den Blickkontakt. Der Schatten wusste, dass er, wie die meisten Götter, nicht mehr existieren würde, wenn er anfälliger für die hypnotische Kraft von Metatrons Zepter gewesen wäre. So blieb dem Himmelsdiktator nichts anderes übrig, als seinen größten Konkurrenten in der höchsten Position zu halten, in der Hoffnung, dass er nicht irgendwann den Thron für sich selbst beanspruchen würde. Doch nun war Metatron entschlossen, den Schatten in die Schranken zu weisen: ,,Um dir zu helfen, werde ich dir einen Partner zur Seite stellen. Von nun an wirst Du gemeinsam mit Amor dafür sorgen, dass die Angelegenheit bereinigt wird. Und das, so schnell wie möglich ..."
,,Auf keinen Fall!" Als ihm bewusst wurde, was er gesagt hatte, schlug sich Amor die Hand vor den Mund. ,,Ich meine, ich fühle mich überaus geehrt, meine Heiligkeit! Es ist nur so, dass ich sehr ausgelastet bin, seit ich neben der Ausbildungen von Liebesboten und dem Verkuppeln auch noch die Rolle von Hermes, dem Götterboten, übernehmen muss. Ich verstehe immer noch nicht, warum er nach so vielen Jahrhunderten plötzlich entschieden hat, seine Reliquie zu überschreiben und in die Sterne zu gehen." Amors Augen zuckten nervös zwischen Metatron und dem Schatten hin und her. ,,Außerdem kann ich mit diesem ... mit ihm nicht zusammenarbeiten."
,,Da stimme ich dem Gott der Lügen ... Verzeihung ... Liebe ausnahmsweise zu. Nicht, dass er die Bezeichnung 'Partner' noch falsch versteht."
,,Ist das eine Verweigerung?" Metatrons Stimme war noch leiser und schärfer geworden.
Sie bewegten sich auf dünnem Eis. Trotzdem wagte Amor noch einen Versuch: ,,Ich kann nicht genug betonen, wie überaus schmeichelhaft ich es finde, für solch einen Auftrag in Betracht gezogen zu werden, mein ehrwürdiger Himmelsfürst. Aber ich zweifle daran, dass ich geeignet bin. Ich habe doch bereits meine Ehrengarde zur Verfügung gestellt." Er kniff die Lippen zusammen und starrte den Schatten finster an. ,,Die, nebenbei bemerkt, bei jeder Zusammenarbeit mit dem Schatten immer kleiner wird. Aus welchem Grund hatten die beiden Majore es nochmal verdient, brutal abgeschlachtet zu werden?"
Der Schatten zuckte nur mit den Schultern, wodurch seine Schwingen leise raschelten und zog provokant den Mundwinkel nach oben. Er schickte den Gedanken ,Kein großer Verlust' an den Liebesgott, welcher vor Wut rot anlief.
,,Ich dulde keine Widerrede, Amor. Es ist Gottes Wille. Wer sich gegen ihn stellt, wird mit Konsequenzen rechnen müssen ..." Metatrons Ringe klackten, als er mit seinen langen Fingern auf die Lehne des Throns trommelte. ,,Deine Fähigkeit dich zu verwandeln, ist für uns äußerst nützlich, da wir einen Spion brauchen, der uns Informationen aus der Hölle beschafft. Dies ist nun deine oberste Priorität, alles weitere rückt in den Hintergrund." Metatron fasste sich mit zwei Fingern an die Schläfe und verkündete mit rauer Stimme und gerunzelten Brauen: ,,Eine Vision kündigt sich an. Ich spüre, dass der Herr mir etwas Wichtiges mitteilen will! Verlasst nun den Thronsaal."
Damit war klar, dass die Diskussion beendet war. Amor verbeugte sich tief, der Schatten nickte kurz mit dem Kopf. Dann verließen sie nebeneinander die Halle, wobei sie sich giftige Blicke zuwarfen. Kaum waren sie vor den Toren des heiligen Palastes angekommen, verwandelte sich Amor in eine Taube und flog davon. Der Schatten sah ihr gedankenverloren nach, bis sie weit über der goldenen Stadt mit dem perfekten Himmel verschmolz. Dann breitete auch er die lila-schwarz glänzenden Flügel aus und hob sich in die Lüfte.
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Er war allein. Endlich. Ratssitzungen hatten etwas schrecklich Ermüdendes an sich, besonders, wenn Nemesis und Kilian sich mal wieder in die Haare bekamen. Nein, herrschen war nicht immer ein Vergnügen. Es war eine Heidenarbeit, die Schäfchen beisammen zu halten. Mit einem Seufzer erhob sich Metatron von seinem eigenen Schoß – dieser Thron war ein Geniestreich – und befreite sich von seinem Federumhang. Nachdem er alle Wachen unter dem Vorwand, eine Zwiesprache mit Gott zu halten, aus der Halle geschickt hatte, umrundete er den Thron. Obwohl ihn niemand sehen konnte, verloren seine Bewegungen nicht an Eleganz. An der meterhohen Rückenlehne war auf den ersten Blick nichts Auffälliges zu erkennen, doch wenn man mit einer Reliquie die richtige Stelle berührte - eine kleine Falte des Gewands der Statue - und dazu die richtigen Worte sprach, öffnete sich ein versteckter Gang, der in die tiefer gelegene Gruft hinabführte.
,,Benjamin Bartholomew Barnston!", sagte Metatron. Niemand kannte seinen echten Namen. Mit einer Ausnahme. Hätte er nicht diesen verfluchten Schwur geleistet, hätte er sie schon längst aus dem Weg geräumt, wie alle Götter, die ihm in die Quere gekommen waren. Es konnte durchaus zum Problem werden, dass sie nun im Besitz des Mädchens war. Kurz überlegte er, die Parole zu ändern, verzog dann aber verächtlich den Mund. Es war so gut wie unmöglich, dass jemand ohne seine Erlaubnis in den Thronsaal eindrang.
Mit bedächtigen Schritten stieg er in die Gruft hinab. Er hatte sie ganz am Anfang seiner Regentschaft errichten lassen und alle, die von ihr wussten, waren auf seinen Willen hin fusioniert worden. Es wurde dunkel, als sich die Luke geräuschlos hinter ihm schloss. Noch zwei Stufen, dann war er da: Sein eigentliches Heiligtum. Er stand inmitten einer kleinen Kammer, an deren steinernen Wänden Halterungen angebracht waren. Sie hatten unterschiedliche Formen, manche waren leer, doch in den meisten befanden sich leuchtende Gegenstände, die eine gewaltige Kraft ausströmten und jeden Winkel der Gruft ausleuchteten. Wer hätte gedacht, dass ein armer Dieb wie er, der nach seinem Tod in einem Massengrab verscharrt worden war, im Jenseits regieren würde und eine Gruft voller Reliquien besaß, die es ihm ermöglichten, so gut wie alles zu tun, was er wollte. Angefangen hatte alles mit dem Apfel, der auf seinem Zepter saß. Sein erster großer Diebesstreich.
Im Vorbeigehen berührte Metatron die Reliquien und schloss die Augen. Er brauchte sie nicht anzusehen, um zu wissen, um was es sich handelte. Seine Finger glitten über Dionysos Kelch, der dafür sorgte, dass auf jeder Feier eine ausgelassene Stimmung herrschte. Über Poseidons muschelbesetzten Dreizack, der selbst die aufgewühlteste See glättete. Über Baldurs Öllampe, die in der Lage war, ganze Städte bis in den letzten Winkel auszuleuchten, und über Vulcans Filzhaube, die das Feuer bändigen konnte. Metatron blieb stehen und schlug die Augen auf. Er stand nun vor der Wand mit den mächtigsten Reliquien: Aklepios heilender Stab, Thors Hammer, Cernunnos Geweih. Er streifte den Ring vom Finger, den er damals Harpokrates, dem Gott des Schweigens abgenommen hatte, und befestigte ihn, genauso wie Chronos Taschenuhr in den vorgesehenen Halterungen. Sie hatten ihm heute gute Dienste erwiesen. Dann holte er Leontiens Armband aus der Tasche seines Gewands. ,,Du wirst meine Sammlung wunderbar ergänzen", hauchte er. ,,Es wir nicht mehr lange dauern und ich werde herausfinden, wozu du taugst ..."
Ein etwas kürzeres Kapitel, in dem man viel Einblick in Metatrons Charakter bekommt😊
Übrigens endet in drei Tagen ein Award, bei dem ich mitmache ... Vielleicht (mit sehr viel Glück) gewinne ich ja was🙈
Lasst doch wie immer gerne Kommentare, Votes und Vermutungen da, wenn es euch gefallen hat❤
▪️1556 Wörter
Eure Jojo 🔮
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