VI.
4. Entschlossen
Mittlerweile hatte sich ihre Wohnung geleert. "Hat der Arzt gerade angedeutet...?", fragte Marlene vorsichtig nach.
"Wenn sie sich widersetzen." Fabian zuckte mit seinen Schultern, dann ging er in den Flur. Durch den Türrahmen hindurch beobachtete Marlene, wie er die Haustür schloss und daran rüttelte. Die Kette hatte sich aus dem Scharnier gelöst und baumelte wie ein kleines Windspiel in ihrer Aufhängung. Ansonsten schien alles unbeschädigt. Marlene spürte erst jetzt, wie durstig sie eigentlich war. Mit nur noch leicht zitternden Fingern griff sie nach einem Wasserglas und trank gierig, mit großen Schlucken. Dann füllte sie noch einmal nach.
Fabian kehrte mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck in die Küche zurück. Und sie stellte fest, dass sie alleine waren.
"Wäre es ok, wenn ich die Schutzweste ausziehe? Keine Sorge, ich habe ein T-Shirt unter." Sorge war nicht wirklich der richtige Begriff für das Gefühl, das sich bei dem Wort 'ausziehen' in ihr geregt hatte. Um sich nicht zu blamieren, beschränkte sie ihre Antwort auf ein Nicken.
"Möchtest du Kaffee?", fragte Marlene und verfluchte den nervösen Unterton in ihrer Stimme. Er war nur ein Mann, oder? Ein zweifellos heißer Mann, der auf sie aufpassen wollte.
"Nein, danke." Er löste den Klettverschluss des schweren Einsatzgürtels, an dem sich allerhand Ausrüstung befand, und legte ihn auf ihren Küchentisch. Dann begann er sein Diensthemd aufzuknöpfen. Obwohl seine Finger alles mit kühler Präzision betrieben, haftete seinen Bewegungen etwas erotisches an. Es war kein Stripptease, auch wenn er zweifellos die Figur dafür hätte. Breite Schultern, schmale Taille. Sie trank einen weiteren Schluck Wasser und zwang ihre Aufmerksamkeit zum Küchentisch. Neben dem leeren Holster entdeckte sie Lederhandschuhe, ein Mehrzweckmesser, einen Schlagstock, Handschellen und eine kleine Sprühdose. Pfefferspray? Die kleinen Symbole auf der Seite, die sie sehen konnte, schienen jedenfall auf ein Reizgas hinzudeuten. Das Reißen eines Klettverschlusses brachte ihre Konzentration durcheinander und sie schaute wieder zu Fabian.
Der zog sich gerade die Schussweste über den Kopf und hängte sie gemeinsam mit seinen Diensthemd über einen Küchenstuhl. Das angekündigte T-Shirt lag eng auf seiner Haut und betonte die Muskeln, die bei jedem Atemzug gegen den schwarzen Stoff drückten. Sie schluckte.
Fabian musterte sie von oben nach unten, als ob er nach versteckten Verletzungen ausschau halten wollte.
Warum nur diese Intensität? Immerhin hatten sie sich bisher nicht einmal geküsst. Sie erstarrte und für einen kurzen Moment lag ihr Blick auf seinem Mund. Wo kam dieser Gedanke denn her?
"Geht es dir gut?"
"Ich bin ein großes Mädchen, Cowboy" Gespielt taff griff sie sich an ihre imaginäre Hutkrempe.
Mit einem Knurren zog Fabian sie zu sich heran, ein Laut der in Verbindung mit der gezeigten Vorsicht seiner Bewegungen viel zu rau wirkte. Als sich ihre Körper berührten, drängte er sie wieder zurück. Er war so warm.
Sie spürte ihre Arbeitsplatte, die sich gegen ihren unteren Rücken drückte, dann senken sich seine Lippen auf ihren Mund.
Bevor sie ihn fühlen konnte, hüllte sein Duft sie ein, wie ein schützender Umhang. Frisch, agil. Ganz Fabian. Er zögerte. Nein, nicht so kurz vor dem Ziel!
Sie kam ihm entgegen und erteilte damit ihr Einverständnis. Kuschelte sich an ihn. Fühlte sein pochendes Herz unter seiner der Baumwolle.
Sanft, so äußerst sanft fand sein Mund ihren, während sich seine Hände rechts und links von ihr auf der Arbeitsplatte aufstützten.
Sie schmiegte sich zwischen seine Arme und saugte an seinen Lippen, dabei spürte sie das behutsame Drängen seines Mundes. Er legte eine Vorsicht an den Tag, die man normalerweise eher bei der Beruhigung wilder Tiere zeigte.
Marlene wollte mehr. Viel mehr. Sie wollte den Schrecken der Nacht etwas gutes entgegensetzen. Etwas, das sich richtig anfühlt.
Mit einer Hand tastete sie nach dem Lichtschalter und löschte das unromantische Deckenlicht. Durch ihr Küchenfenster fiel sanftes Morgenlicht herein. Viel besser.
Marlene schloss die Augen und genoss das Gefühl, seiner tastenden Zunge. Als sie die Lippen öffnete, folgte er ihrer Einladung. Fabian schmeckte nach Stärke und Sicherheit. Hatte sie ihn vor ein paar Wochen noch bieder und langweilig gefunden, zeigte er ihr nun, dass er küssen konnte. Richtig küssen. Ihre Hände fuhren zu seinem Hals und zogen ihn näher zu sich heran. Fuhren über die Stoppeln in seinem Gesicht. Er knurrte, ließ aber die Arbeitsfläche nicht los.
Ihre Finger wanderten zu seinem Bauch und zogen sein T-Shirt aus der Uniformhose.
Mit einem Seufzen, das von ganz tief in ihm zu kommen schien, löste er sich aus der Umarmung und legte seine Stirn an ihre. "Du stehst unter Schock. Das will ich nicht ausnutzen."
"Echt jetzt?" Sie spürte sein Nicken mehr als sie es sah. "Musst du eigentlich immer so verdammt ritterlich sein? Was ist denn, wenn ich ausgenutzt werden möchte?"
Sein Grinsen hatte tatsächlich etwas verschlagenes. "Dann stehe ich dir an einem anderen Tag gerne zur Verfügung." Dann hauchte er ihr einen letzten Kuss auf die Stirn und führte sie ins Wohnzimmer.
(803 Wörter)
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